E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Reihe: BALANCE Ratgeber
Tanner Dem Leben einen Dreh geben
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-86739-222-8
Verlag: BALANCE Buch + Medien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Selbstmitgefühl bei psychischen Erkrankungen
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Reihe: BALANCE Ratgeber
ISBN: 978-3-86739-222-8
Verlag: BALANCE Buch + Medien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Freundlicher Umgang mit sich selbst
Wenn etwas aus dem Lot geraten ist, braucht ein Mensch Zuwendung, nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst. Beschämung und Selbstverachtung sind schlechte, aber häufige Begleiter fast jeder psychischen Erkrankung. Was nicht nur in Lebenskrisen hilft, ist der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und die Bedürfnisse dahinter aufzuspüren.
Die Autorin bietet Betroffenen und ihrem Umfeld einfühlsame Begleitung dabei an: Konkrete Beispiele für die Arbeit an Emotionsregulierung, Achtsamkeit, Atmung und zwei durchgängige Fallbeispiele sowie Übungen und Reflexionen zum Selbstmitgefühl leiten den freundlichen Umgang mit sich selbst an und helfen, die eigenen Ressourcen aufzuspüren.
Zielgruppe
Zielgruppen: Menschen in Lebenskrisen oder mit psychischen Erkrankungen, Angehörige und Bekannte, begleitende Therapeutinnen und Therapeuten.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber
Weitere Infos & Material
Übungen in diesem Buch 7
Vorwort von Andres 'Stress' Andrekson 9
Deine Begleiter 11
Sandra 11
Alex 15
Was du vorab wissen solltest 19
Der Wirklichkeit in die Augen sehen 25
Das Herz für dich selbst öffnen 27
Das Sutra der Pfeile 28 ]
Der giftige dritte Pfeil 29 ]
Flow of Life – Strom des Lebens 31 ]
Sandras Flow of Life und ihre Abmachung mit sich selbst 35 ]
Innehalten und das gegenwärtige Erleben wahrnehmen 40 ]
Die Welt auf Pause stellen: Achtsamkeit üben 43 ]
Mentale Grundhaltung 44 ]
Formale Grundhaltung 44 ]
Übungen zum Ausprobieren 46
Das Wichtigste in Kürze 51
Emotionen und unsere verletzliche Natur begreifen 53
Wozu haben wir Emotionen? 54
Das Kontinuum von Emotionen 58 ]
Die Furcht vor Gefühlen 61 ]
EXKURS zum Unterschied von Gefühlen, Emotionen und Affekten 63 ]
Harte Schale – weicher Kern: Gefühle hinter Gefühlen erkennen 64 ]
EXKURS zum Unterschied zwischen Gefühlen, Handlungsdrang und Verhalten 68 ]
Der Negativitätsbias unseres Gehirns 70 ]
Grübeln einschränken 77
Meine Gefühle und ich: Wie geht das? 80
Schwierige versus problematische Emotionen – ein praktischer Unterschied 83 ]
Wie geht Emotionsregulierung? 85 ]
Das CFT-Modell der drei Emotionsregulierungssysteme 89 ]
Die Stufen der Emotionsregulierung meistern 95 ]
Bindungsverletzungen und Emotionsregulierung 104 ]
Wie unser autonomes Nervensystem unser Erlebenvon Sicherheit und Bedrohung steuert 108 ]
EXKURS zum Unterschied von Gilberts Beruhigungs- und Fürsorgesystem und Porges’ Social Engagement System 106
Das Wichtigste in Kürze 116
Dem Leben einen Dreh geben 118
Das Üben zählt, nicht das Ergebnis 118
Selbstberuhigung üben 121 ]
Anregungen für Atemübungen 122
Annäherung an Mitgefühl: Was Mitgefühl ist – und was es nicht ist 126
Die Eigenschaften eines mitfühlenden Geistes 128 ]
Die Fertigkeiten eines mitfühlenden Geistes 136 ]
Mitfühlende Aufmerksamkeit für andere 142 ]
Verbundenheit zu anderen entdecken 147 ]
Sich etwas Gutes tun 148 ]
Pause für Selbstmitgefühl 150 ]
Beruhigende Berührungen und Gesten 152 ]
Das mitfühlende Selbst 154 ]
Mitfühlende innere Bilder 157 ]
Ein Wort zum Einsatz von beruhigenden Düften 159 ]
Einen sicheren inneren Ort finden 161 ]
Einen inneren Verbündeten finden 164 ]
Sein bestes Selbst hervorlocken und nähren 168
Vom geschützten Übungsraum hinaus in den Alltag 174
Wenn es schwierig wird 178 ]
Hindernissen achtsam begegnen 179 ]
Scham, Beschämung und Verachtung 181 ]
Eine neue Abmachung mit dir selbst 183
Das Wichtigste in Kürze 184
Letzte Zeilen 186
Dank 187
Referenzen 189
Anregungen zum Hören, Lesen und Üben 191
Hören 191
Lesen 191
Üben 192
Deine Begleiter
Sandra
Liebe Leute, gestern hatte ich meinen 27. Geburtstag. Gefeiert habe ich ihn zusammen mit »Oski«. Nein, das ist nicht mein Partner oder so, Männer halte ich lieber auf Abstand. Oskar ist mein Hund. Er gehörte einst meiner Mutter. Seit drei Jahren arbeitet Mama wieder so viel, dass Oskar besser bei mir aufgehoben ist. Im Gegensatz zu ihr kann ich Oskar zur Arbeit mitnehmen. Noch vor fünf Jahren, als ich in der Stiftung »Wild und Grüner« im Rahmen Unterstützter Beschäftigung begann, zwei Vormittage zu arbeiten, hätte ich es mir nicht vorzustellen gewagt, einmal hier fest angestellt zu sein. Seit zwei Jahren arbeite ich nun 24 Stunden in der Woche in der Biogärtnerei und es geht mir immer besser. Obwohl die Gartenarbeit gar nichts mit meinem ursprünglichen Traumberuf zu tun hat – ich wollte Kinderanwältin werden –, bin ich ein wenig stolz auf mich und meine neu gewonnene Stabilität. Tiere und Pflanzen waren schon immer meine Freunde, sie haben mich nie enttäuscht oder bedroht, sondern mir meistens zugehört und mich verstanden. In der Natur draußen, auf einem Spaziergang mit dem Heimhund Butz konnte ich schon als Kind wenigstens für eine Weile meine Einsamkeit vergessen. Ach, wie haben wir Heimkinder uns damals darum gerissen, mit Butz Gassi gehen zu dürfen! Oskar erinnert mich an Butz, wir verstehen uns super. Später wirst du allerdings auch davon lesen, wie die Traumata meiner Kindheit selbst die Beziehung zu ihm verdüstern konnten. Beziehungen zu Menschen waren für mich die ersten 22 Lebensjahre eigentlich immer ein einziger Kampf. Mein Misstrauen und meine Ängste waren tief. Ich war eigentlich immer auf Abwehr gebürstet. So ruinierte ich nicht nur bloß meine Freundschaften und die Beziehung zu meiner Mutter, sondern stieß auch die nettesten und kompetentesten Ärztinnen, Psychiatriepflegenden und Psychotherapeuten immer wieder zurück. Dass ich heute noch lebe, verdanke ich zu einem großen Teil ihnen. Heute bin ich ihnen dafür dankbar – das war aber nicht immer so! Ich war so erfüllt von Aggression, Wut, bitterer Enttäuschung und Schmerz, dass ich mich weder mit anderen noch mit mir selbst wohlfühlte. In meinen schlimmsten Zeiten wechselte mein Geist zwischen drei Zuständen hin und her. Noch heute, finde ich, beschreibt diese Zeichnung mehr als Worte, was ich innerlich erlebt habe. ABBILDUNG 1 Sandras wechselhafte Gefühle Einsamkeit trieb mich in den Wahnsinn, brachte mich viele Male in die Klinik und beinahe um. Insgesamt erhielt ich während meiner Kindheit und Jugend folgende psychiatrische Diagnosen in unterschiedlichen Kombinationen: Emotionell instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, Bipolare Störung, ADHS, Komplexe PTBS, Bulimia nervosa, Missbräuchlicher Konsum von Substanzen (Nikotin, Alkohol, Cannabis, Benzodiazepinen) und Verdacht auf paranoide Schizophrenie. Ich war insgesamt 23-mal psychiatrisch hospitalisiert in vier verschiedenen Kliniken. Hier wurden mir jeweils Unmengen von Medikamenten in unterschiedlichsten Kombinationen verabreicht: Antiepileptika (in der Kindheit), Neuroleptika (Aripiprazol, Haldol, Seroquel, Nozinan), Antidepressiva (Fluctine, Cipralex, Efexor, Remeron), Tranquilizer, Benzodiazepine (Temesta, Valium, Lexotanil, Dormicum), aber auch Stimulantien (Ritalin, Focalin). Heute weiß ich nicht mehr, wie ich damit noch habe aufrecht gehen können. So weit mal die Beschreibung der Version meines Elends. Du wirst bald noch mehr darüber erfahren, wie ich aufgewachsen bin und was mich alles umgehauen und krank gemacht hatte. Ich denke, du liest dieses Buch aber schlussendlich nicht, um einmal mehr zu erfahren, wie übel das Elend riecht. Du möchtest lieber wissen, wie ich sie hinter mir lassen konnte, nicht wahr? Du wirst im Buch tatsächlich viele Dinge kennenlernen, die es mir ermöglicht haben, meinem Leben einen Dreh zum Besseren zu geben. Heute kommt mir mein Leben nicht mehr sinnlos vor. Am wichtigsten war, Frieden mit mir selbst zu schließen, zu wissen, dass ich das alles alleine nicht schaffen konnte, dass ich gute Gründe hatte, verrückt zu sein. Medikamente haben mir immer nur vordergründig geholfen, nicht nachhaltig. Heute nehme ich kein Medikament mehr regelmäßig ein, habe nur noch Seroquel in der Reserve, weil es mir einfach Sicherheit gibt. Ich begrüße es sehr, dass diese Informationen zu einem freundlichen Umgang mit sich selbst jetzt in diesem Buch zusammengetragen werden. Sie hätten mir bestimmt sehr geholfen und viel Zeit erspart, hätten sie mir schon früher in dieser Form zur Verfügung gestanden. Deshalb habe ich mich auch entschlossen, hier mitzumachen, mich dir zu öffnen und dir aus meinem Leben und meiner Therapie zu berichten, damit du sehen kannst, wie es selbst einem als hoffnungslos bezeichneten Fall gelungen ist, aufzustehen und dem Leben einen Dreh zu geben – ich kann es nicht besser sagen. Ich wünsche jedem direkt von einer psychischen Belastung oder Erkrankung Betroffenen und allen, die mit ihnen zu tun haben – Familienangehörigen, Freunden, professionellen Begleitern –, dass dieses kleine Büchlein zu mehr Verständnis, Sicherheit und Empathie und damit zu einem zufriedeneren Leben führen wird! Eins musst du jedoch wissen: Rechne besser nicht damit, dass das Ganze ein Spaziergang wird. Ich fand den Weg hin zu einem freundlichen Umgang mit mir selbst zunächst eine totale Zumutung. Wie bescheuert klang denn z.B. das: Ich solle den Körper und die Atmung weich werden lassen und dürfe – selbst wenn es gerade schwierig ist – mit mir selbst wohlwollend umgehen und zu mir stehen??? Hey, das Leben ist zu hart, um weich zu werden! Will die, dass ich noch ganz untergehe und das Einzige, was mir geblieben ist und mich zusammenhält, meinen Hass auf mich selbst, aufgebe? Vergiss es! Wie viel einfacher war es da, mich auf die Schnelle zu regulieren, indem ich mir die Beine ritzte, mich Fress- und Kotzattacken hingab oder mich mit Medikamenten zudröhnte! Bis ich die hartnäckigen inneren Barrieren überwinden konnte, brauchte ich mehr Geduld und Ermutigung, als ich selbst hatte. Deshalb brauchte ich Vertrauenspersonen, meine Mutter und ein paar mitfühlende Profis. Nur langsam begriff ich, dass ich durch die Übungen nichts zu verlieren hatte. Irgendwann begannen die zunächst recht antiintuitiv wirkenden Betrachtungsweisen Sinn zu machen. Ich spürte, dass ich für das Einzige, das ich hatte – mein Leben –, Sorge tragen will. Meinen Vertrauenspersonen gegenüber musste ich mich für keinen einzigen Rückfall in alte Verhaltensmuster rechtfertigen. Das war sehr wichtig. So konnte ich beginnen, mich selbst zu betrachten, ohne mich schämen zu müssen. Glaubt es mir, diese neuen Perspektiven enthalten so viel Balsam und Schönes! Alex
Hallo, bis meine Frau vor fünf Jahren gestorben ist, bin ich davon ausgegangen, dass mein Leben ein völlig gewöhnliches Leben ist. Nie habe ich mich eingehender damit beschäftigt, wie es mir geht. Solange mein Chef bei der Arbeit lächelte, es zu Hause etwas Feines zum Abendessen gab, mein Computer auf dem neuesten Stand war und das Budget stimmte, um die nächsten Ferien zu planen, war die Welt für mich in Ordnung. Und wenn es einmal nicht so war, dann war es eben so, wie es war. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass es mir auch anders oder gar besser gehen könnte, dass ich z.B. über mehr Energie und Zufriedenheit verfügen könnte. Gut, meine Frau hatte schon verschiedene Male versucht, mich in Gespräche über Gefühle zu verwickeln. Ich habe nie richtig verstanden, was sie dabei gerne gehört hätte. Ich erinnere mich, dass sie dabei manchmal sehr verzweifelt ausgesehen hatte. Wiederholt hatte sie beklagt, dass ich nicht in der gleichen Welt leben würde wie sie. Inzwischen habe ich ein wenig gelernt, über meine Gefühle zu sprechen, und ich habe verstanden, dass ich durch meine Computersucht vor diesen geflüchtet bin. Ich habe wirklich in einer anderen, in einer virtuellen Welt gelebt. Seit meine Frau gestorben ist, hat sich mein Leben sehr verändert. Viel von dem, was früher für mich wichtig war, ist es heute nicht mehr und umgekehrt. Ich habe Zugang zu meinen inneren Werten bekommen, die mir früher nicht viel sagten. Seit ich mir klarmache, was wirklich zählt für mich in meinem Leben, habe ich zwölf Kilogramm überflüssiges Körpergewicht abgenommen und gefühlte zwölf Tonnen seelisches Gewicht verloren. Ich fresse nicht mehr alles in mich hinein. Kannst du dir vorstellen, wie sehr es mir leidtut, dass meine Frau diese neuen Seiten von mir nie kennenlernen konnte? Der Tod meiner Frau hatte mich derart aus der Bahn geworfen, dass ich plötzlich nichts mehr wusste und nichts mehr konnte. Ich war 53 Jahre alt und ratlos, wie ich mich bei welcher Gelegenheit ankleiden musste, wie viel man pro Tag wann isst und trinkt, wie ich zur Arbeit komme und wie viel Schlaf ich brauche. Am schlimmsten war, dass ich nichts mehr mit meinem Computer anzufangen wusste. Du kannst dir sicher ausmalen, was das für Konsequenzen für einen Informatiker hatte. Ich konnte mich nicht mehr als fünf Minuten auf etwas konzentrieren und an etwas dranbleiben. Auch in der Nacht ließ mich die innere Unruhe kaum noch schlafen. Meine Not wurde immer größer und dennoch fehlten mir Worte, um sagen zu können, was mich beschäftigte. Irgendwann hörte mein Chef auf zu lächeln und wurde ernst. Er vermittelte mir einen Therapeuten, dem er vertraute. Und er half mir sogar, den Kontakt zu ihm herzustellen. Alleine wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, mir...




