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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 480 Seiten

Reihe: Haugesund

Tangen Seelenmesse

Thriller
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-20328-3
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, Band 1, 480 Seiten

Reihe: Haugesund

ISBN: 978-3-641-20328-3
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als der Journalist Viljar Ravn Gudmundsson eine anonyme E-Mail erhält, in der sich jemand als Richter ausgibt und ein Todesurteil über eine ortsansässige Frau spricht, tut er das Ganze als schlechten Scherz ab: So etwas passiert schließlich nur in mittelmäßigen Krimis. Doch dann wird am nächsten Tag tatsächlich die Leiche dieser Frau gefunden, und Viljar erhält eine zweite Mail mit einem neuen Richterspruch. Ermittlerin Lotte Skeisvoll wird schnell klar, dass der Mörder ein Spiel mit ihnen spielt, denn er hinterlässt nicht nur deutliche Spuren - die Morde kommen ihr auch merkwürdig vertraut vor ...

Geir Tangen betreibt Norwegens größten Krimiblog, Bokbloggeir.com. Er lebt im norwegischen Haugesund, wo ihm die Idee zu seiner Trilogie über die Polizeiermittlerin Lotte Skeisvoll und den Journalisten Viljar Ravn Gudmundsson kam.
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Fjellvegen, Haugesund
Dienstagmorgen, 14. Oktober 2014

Der Nebel hing über der Stadt am Karmsund und wälzte sich genüsslich auf dem Rücken. Herbst lag in der Luft. Seenebel. Ein nasskalter Teppich, der einem langsam die Lebenskraft austrieb. Als die 08.20-Uhr-Maschine aus Oslo durch die Wolkendecke über den Hochhäusern stieß, konnten die Passagiere gerade eben die obersten Stockwerke erkennen und etwas, das unten auf der Erde blau und rot blinkte.

»Sag mal, Lotte, warum müssen immer gleich mehrere Polizisten geschickt werden, wenn wieder irgendein depressiver Spinner die Abkürzung nimmt, um seine Probleme zu lösen?«

Oberkommissarin Lotte Skeisvoll von der Polizeistation Haugesund sah den blutjungen Polizeimeister, der neben ihr im Auto saß, konsterniert an. Sie waren auf dem Weg zu den Hochhäusern am Fjellvegen. Eine Streifenwagenbesatzung hatte Verstärkung angefordert.

Christian Hauge umklammerte das Steuer. Die Art, wie er fuhr, passte nicht recht zu seiner Meinung über den Einsatz. Der Junge jagte mit Blaulicht und Sirene durch den Verkehrskreisel vor Haugesunds Avis. Ein kleiner schwarzer E-Golf blieb erschrocken halb in der Mittelrabatte stehen. Lotte verkniff sich ein Lächeln.

Der Einsatz galt einem verdächtigen Todesfall. Obwohl, verdächtig war er vielleicht nicht. Eine Frau war allem Anschein nach vom Balkon gesprungen und hatte ihr Leben auf dem Asphaltstreifen zwischen Block und Grünfläche beendet, aber ein Todesfall wurde immer als verdächtig eingestuft, bis man zu dem Schluss kam, dass es sich entweder um eine natürliche Todesursache oder um eine Selbsttötung handelte.

Der Junge fuhr etwas gemäßigter, nachdem sie den Spannavegen passiert hatten und der Verkehr dünner wurde. Lotte legte den Kopf schräg und rückte das Polizeifunkgerät in seiner Halterung am Armaturenbrett zurecht. Es war nicht in einer Linie mit dem Autoradio, und solche Details nervten sie.

»Ist es wirklich notwendig, mehr als einen Streifenwagen zu schicken?« Hauge warf ihr rasch einen fragenden Blick zu und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

»Und wenn sich herausstellt, dass das Opfer die Tat nicht selbst begangen hat?«, fragte Lotte zurück.

»Na, dann kann die Streife ja immer noch auf dem Revier anrufen und den Rest des Teams anfordern. Das würde eine Menge Geld sparen.«

»Genau«, antwortete sie.

Das eine kleine Wort triefte von Sarkasmus. Lotte ging in Gedanken noch einmal die Einsatzroutine durch. Prägte sich alle Details ein, an die sie denken musste, wenn sie bei den grauweißen Kolossen angekommen waren, die seit ihrer Fertigstellung 1969 über die Heringsstadt wachten. Ein historisches Denkmal an eine Zeit, als jede Stadt, die etwas auf sich hielt, Wohnblocks baute.

Dreißig war kein Alter für eine Oberkommissarin und Ermittlerin bei der Polizei. Sie hatte die richtigen Lehrgänge absolviert. Trotzdem erschien es ihr wie eine Ewigkeit, bis sich für sie eine Möglichkeit ergab.

Christian Hauge hielt auf dem Parkplatz vor den Hochhäusern. Die Frau sollte auf der Vorderseite des nördlichen Blocks liegen. Als Lotte die Autotür öffnete, hörte sie Stimmen. Eine Menschenmenge hatte sich versammelt. Sie hoffte im Stillen, dass die Streifenpolizisten geistesgegenwärtig genug gewesen waren, das Gelände um die Frauenleiche abzusperren, und dass sie ein bisschen mehr Professionalität besaßen als ihr junger Polizeikollege. Ihre Erleichterung war groß, als sie sah, wie der Dienstälteste der Polizeistation um die Ecke bog und auf sie zukam. Lars Stople war sein Leben lang Polizist gewesen und hätte zweifellos einen höheren Dienstrang bekleiden können, wenn er ein nennenswertes Interesse daran gehabt hätte. Ein kluger, besonnener und ausgeglichener Kollege, der nie aufbrauste. Sein Hauptaufgabenbereich war die präventive Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen der Stadt, aber er hatte auf eigenen Wunsch den Streifendienst als Teil seiner Arbeit behalten. Er strich sich das glatt gekämmte graue Haar zurück und wandte sich an Lotte.

»Hallo, Lotte. Wir haben abgesperrt und in der Ecke dort drüben mit den ersten Zeugenbefragungen begonnen.«

Lars Stople nickte zu einer kleinen Plattform hinüber, die sich zwischen den Garagen und einer weißen Trafostation befand. Eine Handvoll Schaulustiger hatte sich versammelt und reckte die Hälse wie eine Gruppe Giraffen, die neugierig die Zoobesucher betrachten.

»Die meisten sind erst gekommen, als sich das Gerücht verbreitete, aber es sind auch ein paar darunter, mit denen wir uns ein bisschen eingehender unterhalten müssen«, sagte er.

Sie bemerkte, dass Stoples Partner, Knut Veldetun, mit einigen von ihnen sprach.

»Spurensicherung?« Lotte sah Lars fragend an.

»Weiß nicht. Ich nehme an, sie sind unterwegs. Jedenfalls habe ich sie angefordert. Ich denke, außer mir und den beiden Rettungssanitätern, die das Opfer untersucht haben, war keiner innerhalb der Absperrung.«

»Wissen wir, wer sie ist?«

Lars Stople blickte auf seinen Notizblock, schüttelte leicht den Kopf und räusperte sich. »Nicht genau. Einer der Nachbarn meint, dass die Frau in 7B gewohnt hat, und wenn das stimmt, müsste es sich um die 57-jährige Rita Lothe handeln, aber das haben wir noch nicht überprüft. Es erschien uns wichtiger, die Leute von der Stelle fernzuhalten, wo sie liegt.«

»Okay. Gute Arbeit, Lars. Bringst du uns hin?«

Stople ließ sie unter dem Flatterband durch und ging mit ihr um die Ecke zur Vorderseite des Blocks.

»Die Frau wurde von der Mieterin einer der Erdgeschosswohnungen entdeckt, als sie auf die Terrasse ging, um eine zu rauchen«, erzählte Stople. »Das war vor etwas über einer halben Stunde. Knut und ich waren zehn Minuten später vor Ort.«

Lotte blickte auf ihr Handy und stellte fest, dass Stoples Angaben hinkamen. Der Notruf war um 08.05 Uhr eingegangen. Jetzt war es fast 08.45 Uhr.

Dass man die Frau nicht früher entdeckt hatte, war angesichts der herbstlichen Dunkelheit und des Nebels kein Wunder. Sie zog ihren roten Notizblock aus der Uniformjacke. Mit säuberlicher Schrift notierte sie Uhrzeiten und Ereignisse in getrennten Spalten, dann drehte sie den Block um und schrieb »Fragen an die Spurensicherung« über die Tabelle, die sie auf dem letzten Blatt skizzierte. Fakten auf die erste Seite. Offene Fragen auf die letzte. So gehörte es sich. Eine einzige Frage fand den Weg aufs Papier:

Todeszeitpunkt?

Die Frau lag in grotesk verdrehter Stellung da, und selbst auf die Entfernung konnte Lotte sehen, dass der Körper schwere Verletzungen aufwies. Die Tote trug ein mintgrünes Kleid, dünne hautfarbene Strumpfhosen und schwarze Stilettostiefel. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit zerstört. An einer Stelle lag um den Schädel eine klebrige braungraue Masse, und aus dem Unterkiefer ragten rote Knochensplitter. Zähne, die beim Aufprall auf den Asphalt herausgebrochen waren, lagen um die zerschmetterte Mundpartie herum. Lotte spürte die Übelkeit wie ein Schlagloch im Magen.

»Also … Was meinst du? Mord oder Selbstmord?« Sie blickte den jungen Polizisten an.

Christian Hauge wand sich. »Äh … Hast du im Auto nicht gesagt, es war Selbstmord?«

Sie bemerkte zufrieden, dass er rot anlief.

»Nein, das habe ich nicht. Ich habe gesagt, es ist ein v. T. Die Theorie vom Selbstmord hast du dir schön selbst ausgedacht. Wir tun jetzt mal so, als wärst du der einzige Polizist am Fundort. Mord oder Selbstmord?«

Hauge sah zu Lars Stople, bekam von dem alten Fuchs aber nur ein Schulterzucken als Antwort.

»Es war entweder ein Unfall oder Mord«, sagte er und blickte Lotte mit selbstsicherer Miene an.

»Aha, und warum?«

»Ihr Schädel ist zertrümmert, also muss sie flach oder mit dem Kopf voran aufgeprallt sein. Leute, die aus dem Fenster oder vom Balkon springen, landen in neunundneunzig Prozent aller Fälle auf den Beinen. Wenn sie gesprungen wäre, hätte sie schwere Verletzungen an Beinen, Hüftpfanne und Becken. Hier sind aber der Kopf und die Schulterpartie zertrümmert.«

Lotte sah den Jungpolizisten an und konnte ihre Überraschung nicht verbergen.

»Sieh mal einer an … Nicht schlecht. Nun ist es zwar nicht ganz so, wie du sagst, denn bei einem Sturz aus dieser Höhe brechen die Beine immer, aber hier sind die Schäden am Oberkörper so gravierend, dass ich zu derselben Ansicht neige wie du.«

Irritiert blickte sie zu Lars Stople, der offenbar Mühe hatte, ernst zu bleiben.

Lotte wusste, dass sie es verdient hatte, vorgeführt zu werden. Der Junge hatte tatsächlich recht. Sie blickte zum Balkon im sechsten Stock. Wegen des Nebels konnte sie gerade eben noch die Konturen erahnen, aber das Geländer war so hoch, dass schon eine Menge zusammenkommen musste, damit man aus Versehen hinunterfiel.

Lotte zog sich in ein Vakuum tief in ihrem Bewusstsein zurück. Ein imaginierter Raum, frei von jeglichen Gefühlen. Blaue nackte Wände. Volles Tageslicht, aber keine Fenster. Das war eine Technik, die sie von ihrem Mentor auf der Polizeihochschule gelernt hatte. In diesem Raum konnte sie sich ausschließlich auf die Details konzentrieren. Dort machte es ihr wenig aus, zerschmetterte Gesichter zu sehen, klebrige Hirnmasse oder malträtierte Körperteile. In diesem Raum konnte sie misshandelte Kinder, wurmzerfressene Leichen und fette Fliegenlarven betrachten, die in und aus Körperöffnungen krochen.

Sie beugte sich über das zertrümmerte Gesicht der Toten. Es war so zerstört, dass man die Frau anhand ihrer Gesichtszüge allein nicht identifizieren konnte....


Tangen, Geir
Geir Tangen betreibt Norwegens größten Krimiblog, Bokbloggeir.com. Er lebt im norwegischen Haugesund, wo ihm die Idee zu seiner Trilogie über die Polizeiermittlerin Lotte Skeisvoll und den Journalisten Viljar Ravn Gudmundsson kam.



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