Taher | Tante Safîja und das Kloster | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 125 Seiten

Reihe: Arabische Welten

Taher Tante Safîja und das Kloster

Roman aus Ägypten
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-85787-930-2
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman aus Ägypten

E-Book, Deutsch, 125 Seiten

Reihe: Arabische Welten

ISBN: 978-3-85787-930-2
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Tante Safîja und das Kloster" des ägyptischen Romanciers Baha Taher ist eine Tragödie im klassischen Sinn. Schauplatz ist ein Dorf in der Nähe von Luxor während der sechziger Jahre, zu einer Zeit, als das Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen eine Selbstverständlichkeit war.
Safîja, eine bildhübsche junge Frau, gibt nach anfänglichem Schock ihr Einverständnis zur Heirat mit dem Konsul-Bey, einem um vieles älteren Mann, obwohl sie, davon ist das ganze Dorf überzeugt, dessen jungen Neffen Harbi liebt, der aber nie um ihre Hand angehalten hat. Die Beziehung zwischen dem reichen Onkel und Harbi verschlechtert sich dramatisch, als Safîja einem Sohn das Leben schenkt. Das Gerücht geht um, Harbi wolle das Kind umbringen, um selbst den Konsul zu beerben. In der Folge eskaliert die Situation, und Harbi tötet den Onkel in Notwehr. Safîja aber schwört Rache.

Baha Taher erzählt - aus der Sicht eines Jungen, der in seine hübsche »Tante« verliebt ist - die Geschichte einer bizarren Leidenschaft einfühlsam, spannend und, trotz aller Tragik, mitunter witzig. Eindrücklich sind die farbigen, dichten Schilderungen des alltäglichen Lebens und des Umgangs der Dorfbewohner mit den Mönchen des nahe gelegenen koptischen Klosters.

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Pater Bischai Zu Fuss ist das Kloster ungefähr eine halbe Stunde vom letzten Haus unseres Dorfs entfernt. Reitet man auf einem Esel, braucht man natürlich viel weniger Zeit. Trotzdem ist es vom Dorf aus nirgendwo zu sehen, nicht einmal vom Dach unseres Hauses, das ganz hinten als letztes im Dorf steht. Wir nennen es einfach immer nur das »Ostkloster«, weil man, geht man in östlicher Richtung aus dem Dorf hinaus und den holperigen Weg durch die Wüste entlang, zum »Gebirge« kommt, jedenfalls nennen so die Dörfler die braunen Felshügel, und dort, mitten zwischen den drei Hügeln, steht das Kloster, umgeben von einer hohen Mauer, deren Farbe sich von den Felsen nicht unterscheidet. Da sich unser Haus noch am ehesten in der Nähe des Klosters befand, betrachteten uns die Mönche sozusagen als ihre Nachbarn. Waren die Datteln reif, brachten sie uns welche. Nur die Palmen in den Gärten des Klosters trugen solch süsse Früchte, und der Kern war ungewöhnlich klein. Als ich noch ein kleiner Junge war, also vor mehr als dreissig Jahren, durfte ich meinen Vater am Palmsonntag und am siebenten Januar, dem koptischen Weihnachtsfest, ins Kloster begleiten, um den Mönchen zu gratulieren. Und feierten wir das Fastenbrechen, suchte Mutter aus der Menge der Gebäckschachteln die »Klosterschachtel« heraus und schickte mich damit zu den Mönchen. Wenn jemand während des Jahres neue Schuhe bekam, hob sie die weissen, länglichen Kartons sorgfältig auf, und wenn sich der Ramadan seinem Ende näherte, holte sie sie hervor, staubte sie ab und hielt sie für das Gebäck bereit. Brach der festtägliche Morgen an, schichtete sie das mit Zucker bestreute und mit zartem Blätterteig überzogene Gebäck in die Schachtel, nicht ohne zuvor in die Mitte jedes Kekses eine Gewürznelke gesteckt zu haben. Schliesslich legte sie einen Bogen durchsichtigen Papiers darüber, deckte die Schachtel zu und begann zu zählen: »Eine Schachtel für Tante Safîja, eine für deinen Grossvater Abu Rahâb, eine für deinen Onkel Abdalrahîm, eine für die …, eine für den … wen könnte ich noch vergessen haben?« Mich interessierte nicht sonderlich, wen Mutter vergessen haben könnte. Wer auch immer von den entfernten Verwandten ihr jetzt, zu dieser frühen Stunde, noch einfallen mochte, dem würde eine meiner Schwestern einen grossen Teller bringen müssen. Die wirklich wichtigen Geschenke, die weissen Schachteln, die man mühelos mit einer Hand tragen konnte, die waren einzig und allein meine Aufgabe, da ich ja ein Mann war. Damit blieben mir die Gefahren erspart, denen meine Schwestern ausgesetzt waren. Wenn ihnen nämlich so ein Teller unterwegs hinunterfiel, das Gebäck zerbrach und im Sand landete und die Unglückliche weinend zurückkehrte, empfing Mutter sie mit Ohrfeigen und Fusstritten, nannte sie eine dumme Trine und beklagte ihr Unglück, mit Töchtern geschlagen zu sein. Für gewöhnlich trug ich alle Geschenkschachteln gleich nach dem Feiertagsgebet aus, nur die Schachtel fürs Kloster hob ich mir für den späten Vormittag auf – ich wollte mir Zeit gönnen können. An diesem Tag durfte ich auf unserem weissen Esel reiten, der ein schönes, weiches Fell hatte. Normalerweise stand der Esel nur Vater zur Verfügung. Kam ich vor dem Kloster an, öffnete Pater Bischai im Nu das niedrige Tor, das in der riesigen Mauer kaum auffiel, und begrüsste mich voller Freude. »Ein herzliches Willkommen dem trefflichen Schüler! Sei willkommen, Sohn des edlen Hagg! Gegrüsst seien solch liebe Nachbarn!« Der Esel wurde nicht minder herzlich willkommen geheissen, eher noch freundlicher. Pater Bischai tätschelte ihm liebevoll den Hals, raunte ihm Liebkosungen ins Ohr und war nahe dran, ihn zu küssen. Als ich zum erstenmal allein zum Kloster kam, schaute ich reichlich verdutzt drein. Ich fragte den Pater, warum er den Esel so verwöhne. »Das fragst du mich, du, der doch in die Schule geht?« erwiderte er nicht ohne Vorwurf in der Stimme. »Ist nicht unser Erlöser auf solch einem Esel unter dem Jubel des Volks in Jerusalem eingezogen?« Von dem ganzen Satz begriff ich damals nur ein Wort, nämlich »eingezogen«. Aber noch bevor ich etwas fragen konnte, gab er mir schon das zweite Rätsel auf. Er lächelte etwas verlegen, bedeckte mit der einen Hand seinen Mund, die andere lag auf dem Hals des Esels, und sagte: »Als ich nach Jerusalem pilgerte, mein Junge, wäre ich, statt den Zug nach Palästina zu nehmen, schrecklich gern auf einem Esel geritten, und zwar auf dem gleichen Weg, den unser Erlöser und die Heilige Familie genommen haben.« Plötzlich musste ihm etwas eingefallen sein, denn er liess den Esel los, runzelte die Stirn, strich sich über den Bart und murmelte, als rede er mit sich selbst: »Gott sei Dank bin ich nach Jerusalem gepilgert, bevor diese Verfluchten sich Palästina einverleibt haben. Hätte ich die Pilgerfahrt bis heute hinausgezögert, wäre ich weder mit dem Zug noch mit einem Esel hingekommen. Auf jeden Fall hätte ich den Weg über Transjordanien nehmen müssen.« Er schaute auf, hob das Gesicht und eine Hand gen Himmel und sprach freudig: »Möge Gott der Herr Gamal Abdel Nasser den Sieg gewähren, auf dass er sie aus Jerusalem vertreibe, wie er die Engländer aus Ägypten vertrieben hat.« Er drehte sich zu mir um und sagte: »Du musst nämlich wissen, mein Junge, dass Transjordanien sehr weit weg ist. Da muss man ein Flugzeug besteigen, und davor hat Onkel Bischai Angst.« Bei diesen Worten entspannte sich sein Gesicht, und auf einmal begann er laut loszulachen; eine ganze Salve ergoss sich über mich, wie das so seine Art war. Ich war damals ungefähr zwölf Jahre alt. Und da ich die Grundschule schon beendet hatte und zur Mittelschule ging, war klar, dass ich alles verstanden haben musste. Deshalb hielt ich den Mund und stellte keine Fragen. Statt dessen erinnerte ich mich daran, wie die Leute aus dem Dorf Pater Bischai nannten, ja sogar die Mönche, wenn sie über ihn wütend waren – einen »Schwachkopf«. Trotzdem war er im Dorf von allen Mönchen der bekannteste, auch wenn wir nicht genau wussten, welchen Platz er im Kloster einnahm. Er trug zwar wie die anderen Mönche ein langes schwarzes Gewand, aber trotzdem unterschied er sich von ihnen. Auf den Kopf setzte er sich nämlich ein ganz normales Käppchen und keine Kapuze mit umgeklapptem Rand. Ausserdem verbrachte er nicht wie die anderen die meiste Zeit mit Beten in seinem kleinen Zimmer, das bei den Mönchen »Zelle« hiess. War er also ein Mönch auf Probe oder einfach nur ein Kirchendiener oder vielleicht der Landwirt des Klosters? Das wusste niemand, obwohl er bei uns und auch in den benachbarten Dörfern ein vertrautes Gesicht war. Er kannte alle Bewohner, und sie kannten ihn auch alle. Er war es, der einmal in der Woche am frühen Morgen nach Luxor aufbrach, und zwar meistens zu Fuss. Kehrte er abends zurück, trug er auf dem Rücken und unter den Armen Säcke mit Zucker, Reis, Tee, Kerosinkanister, Glühstrümpfe für die Gaslampen und all die anderen Sachen, die im Kloster gebraucht wurden. Es passierte des öfteren, dass ihn unterwegs die Bauern anhielten und ihn wegen ihrer Pflanzen um Rat fragten, oder er blieb einfach stehen, wenn er ihnen seine Meinung sagen wollte. Lief er durch ein bewässertes Feld und sah, dass ein Bauer Linsen gesät hatte, obwohl der Boden zu nass war, hielt er inne und fragte vorwurfsvoll: »Warum hast du, mein Sohn, den Linsensamen so früh gestreut? Du musst aufpassen, wenn aus dem Samen was werden soll, darfst du den Boden nicht so oft wässern. Mal ja, mal nicht. Weisst du nicht, dass Linsen Wasser nicht mögen?« Obwohl man ihn einen »Schwachkopf« nannte, war er für seine nützlichen Ratschläge bekannt – noch nie hatte er jemanden enttäuscht. Etliche waren überzeugt, dass er nur deshalb solch ein Geschick besass, weil er mit den Geistern in Verbindung stand, was man übrigens von allen behauptete, die anders sprachen oder sich anders benahmen. In solchen Fällen pflegten die Leute erschrocken zu murmeln: »Wieder so einer, Gott beschütze uns.« Einige dieser Spinner hatten sogar Angst, dass er ihre Pflanzen verhext hatte, weil alle seine Voraussagen in Erfüllung gingen. Vater machte sich über solche Leute immer lustig und meinte, dass es ihnen wesentlich mehr an Verstand mangele als Pater Bischai. Er kenne sich einfach nur aus, sagte Vater, wisse, wie man mit dem sandigen, mageren Boden des Klosters umgehen müsse. Deshalb war Vater immer darauf bedacht, sich bei Pater Bischai Rat zu holen, bevor er etwas säte oder pflanzte. In dem Jahr, als in unserer Gegend der Baumwollrausch einsetzte und alle Bauern die kärglichen Gewinne aus der Linsenernte mit denen der Baumwollernte verglichen, sagte Pater Bischai lachend zu Vater: »Baumwolle? Hier, wo selbst die Malven den Geist aufgeben? Pflanz lieber Mais an, Hagg.« Vater nahm den Rat nicht auf die leichte Schulter, und um ganz sicherzugehen, erkundigte er sich noch bei Harbi, der zu unserer engeren Verwandtschaft gehörte und einer der besten Landwirte war. »Hör nicht auf die Leute«, erklärte Harbi. »Baumwolle auf diesem Boden? Da wird eine Menge Papier auf die Reise gehen.« Diese Redewendung gebrauchte man immer, wenn jemand in Schwierigkeiten geraten oder verrückt geworden war. Wer seine offiziellen Dokumente in die Hauptstadt schicken musste, den hatte ein grosses Unglück getroffen. In der Tat erwies sich der Anbau von Baumwolle als Reinfall. Die kurzen Zweige vertrockneten, und die Kapseln waren kleiner als Kichererbsen. Wer auf die verlockenden Aussichten, die die Baumwollernte versprach, gesetzt hatte, der hätte sich nun am liebsten selbst geohrfeigt. Vater hingegen dankte und pries unseren Herrgott, dass er sich mit wenigem zufriedengegeben hatte und zur rechten Zeit einem weisen Rat gefolgt war. Aber...


Baha Taher, geboren 1935 in Giseh bei Kairo, war als Kulturredakteur beim ägyptischen Radio tätig. Nach seiner Entlassung 1975 arbeitete er an verschiedenen Orten im Ausland. Von 1981 bis 1995 wirkte er als Übersetzer bei der UNO in Genf. Seither lebt er wieder in Kairo. Für seine Werke und Übersetzungen wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Ägyptischen Staatspreis für Literatur (1998) und dem Arabischen Booker-Preis (2008).



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