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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3, 240 Seiten

Reihe: Der Hotelinspektor

Sutton Höhenangst

Der Hotelinspektor in den Alpen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-311-70528-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der Hotelinspektor in den Alpen

E-Book, Deutsch, Band 3, 240 Seiten

Reihe: Der Hotelinspektor

ISBN: 978-3-311-70528-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Auch wenn es Jahre her ist, dass Ben Martin auf Skiern stand, freut sich der Hotelinspektor der renommierten Hideaway Group auf seinen neuen Einsatz. Im Hotel G, dem exklusivsten Skiresort der Alpen, muss Martin nicht nur die Zimmer und den Roomservice genauestens unter die Lupe nehmen, sondern auch die weitläufigen Anlagen. Gleich als Erstes am Morgen will er die frisch präparierten Pisten testen, noch während hinter den Gipfeln langsam die Sonne aufgeht. Die Seilbahn soll ihn auf 3150 Meter bringen, zu den drei Skigebieten in drei Ländern. Das Panoramarestaurant an der Bergstation verspricht eine spektakuläre Sicht auf den Montblanc. Doch was Martin in der Gondel der hoteleigenen Seilbahn erwartet, wirft all seine Pläne über den Haufen: ein Mann, in sich zusammengesunken, tot. Niemand schert sich um den mysteriösen Todesfall, sodass Martin nichts anderes übrig bleibt, als selbst Nachforschungen anzustellen und den Angestellten noch genauer auf die Finger zu schauen. Als ein Schneesturm das Luxusresort von der Außenwelt abschneidet, erfährt der Hotelinspektor: Der Mann in der Seilbahn ist nicht der einzige Tote.

Henry Sutton, geboren 1963 in Gorleston-on-Sea, Norfolk, ist Autor, Literaturkritiker und war viele Jahre lang als Reisejournalist tätig. Er lehrt Creative Writing an der University of East Anglia in Norwich, leitet dort den Master-Studiengang Crime Fiction und ist Gründer des Noirwich Crime Writing Festivals. Sutton ist verheiratet und hat drei Kinder.
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Dienstag, 8:40 Uhr


Morgens als Erster am Lift sein, das war seine Absicht ge- wesen. Er schüttelte den Kopf in der frischen, eisigen Luft. Wem hatte er bloß was vormachen wollen? Er war nicht mehr jung und in Form und voller Tatendrang. Er rang nach Sauerstoff, doch es fühlte sich an, als würde seine Lunge gefrieren.

Zudem pochte etwas an seinen Hinterkopf, und das waren nicht nur seine Skier. Er nahm sie fester in den Griff, strebte weiter auf die Liftstation zu und zerknirschte dabei den Schnee unter seinen unbequemen Stiefeln. Komm schon, Ben, sagte er sich, das ist doch dein Traum seit dem Tag, als du deinen Fuß in die Frankfurter Zentrale von Hideaway gesetzt hast. Wer kann schon seinen Lebensunterhalt mit Urlauben verdienen? Wer geht schon zur Arbeit ins exklusivste Skiresort der Alpen?

Er brauchte länger zur Liftstation als gedacht. Sie öffnete Viertel vor neun, und er hatte das Hotel etwa zwanzig vor neun verlassen. Dem Werbematerial zufolge sollte es nur ein dreiminütiger Fußweg sein und sah noch nicht mal nach länger aus, doch er erwies sich als tückische Mischung aus jungfräulichem Pulverschnee auf unebenem Eis. Er versuchte, sich mit den Skistöcken in seiner Linken zusätzliche Trittfestigkeit zu verschaffen, und steckte sie seitwärts in die Schneewehen. Doch sie boten wenig Halt, zu tief sanken die Stöcke ein. Die ganze vergangene Woche über hatte es heftig geschneit und für einige tragischerweise zu heftig. Doch nun war das Wetter aufgeklart und ließ perfekte Bedingungen zurück, jedenfalls für die nächsten paar Stunden.

Er verschnaufte, blinzelte und schaute sich um. Sonnenlicht fiel auf die nächstgelegenen Gipfel, die zu beiden Seiten den Gebirgspass überragten, an dem das Hotel lag. Ein strahlendes Weiß, Rosa und Blau in unterschiedlichen Tönen. Fürwahr ein himmlischer Anblick. Meine Güte, war das schön, selbst wenn es wehtat, länger hinzusehen.

Derlei Schönheit sollte nicht so wenigen Menschen vorbehalten sein, dachte er. Wäre er doch in der Lage gewesen, Natalie mitzubringen, die er beunruhigender Weise noch immer nicht hatte sprechen können. Allerdings steckte sie Mitte Januar im Schultrimester. Überdies hatte sie sich seit New York entschieden dagegen gesperrt, ihn auf einer weiteren Dienstreise zu begleiten. Das konnte er ihr nicht verübeln, während Alex ihm die Sache weiterhin übel nahm.

Seine Gedanken wanderten rasch zu Kiara Williams, der überaus freundlichen New Yorker Polizistin. Ihre Schönheit nahm es mit dem eindrücklichen Rundblick ringsum auf. Er erwog, sein Telefon zutage zu fördern und ein paar Fotos zu machen, doch das hätte erfordert, seine Skier abzulegen, Handschuhe abzustreifen, seine Tasche aufzumachen und es daraus hervorzukramen. Er hatte ganz vergessen, wie viel Zubehör das Skifahren voraussetzte, aber immerhin die Ausrüstung morgens gleich als Erstes zügig und gezielt in der hoteleigenen Boutique mit angeschlossenem Skiverleih eingesammelt.

Den Kopf gesenkt stapfte er weiter. Er konnte sehen, wie sich die kleinen Gondeln die Bergflanke zu seiner Linken hoch in Gang setzten, eine lange Kette schwebender Blasen ohne Skier oder Snowboards an den Außenwänden. Dieser Lift war nur für das Hotel gebaut worden. Jede Blase ein kleinformatiges Designstatement aus Stahl und Glas. Es brachte einen hinauf bis auf dreitausendeinhundertfünfzig Meter, von wo aus man sich auf Routen in drei verschiedene Skigebiete dreier verschiedener Länder begeben konnte – Italien, Frankreich und die Schweiz –, solange Bedingungen und Guides das zuließen.

Er war nicht der größte anerkannte Skigebietsverbund der Welt, weil er nicht als solcher vermarktet wurde und beileibe nicht allen zugänglich war. Nur jene mit genug Geld für einen Aufenthalt im Hotel G und ausreichend Skierfahrung konnten seinen Schneereichtum, seine vielfältigen Abfahrten und Loipen genießen.

Dennoch entschieden sich die meisten Hotelgäste, wie Ben schon gehört hatte, entweder für Heliskiing auf den nahe gelegenen italienischen oder Schweizer Bergketten, weil es weniger in die Beine ging, oder beließen es einfach bei den wenigen hoteleigenen Pisten – eine grüne, drei blaue, zwei lange, schwungvolle rote und eine anspruchsvolle schwarze. Mangels Guide hatte Ben bereits beschlossen, sich heute früh nicht zu weit hinauszuwagen. Im Übrigen waren allerhand Prüfpflichten im Hotel von ihm zu versehen. Schon so blieb ihm nur mehr eine weitere Nacht. Wendy Spurling, seine Einsatzbetreuerin bei Hideaway, erinnerte ihn nur zu beflissen an die neue Obergrenze von zwei Nächten für Inspektionsaufenthalte in Mitteleuropa. Natürlich reichte das nicht für ordentliches Arbeiten, zumindest solange er sämtliche Einrichtungen überprüfen sollte.

Als er endlich die Station erreichte, wurde ihm klar, was wirklich an seinen Kopf pochte oder wohl eher in seinem Kopf, mal abgesehen von einem leichten Kater. Er wollte wieder sesshaft werden. Er war sich ungewiss, ob er weiterhin die Welt bereisen sollte. Auf verquere Weise wollte er diese ganze atemberaubende Schönheit gar nicht um sich haben – zumindest nicht seinetwegen.

Er war sich nicht vollkommen sicher, ob er eine dieser aberwitzig coolen Blasen besteigen und im Nu auf eine erschreckende Höhe befördert werden wollte, nur um wieder hinuntergleiten zu müssen. Ihm war zusehends beklommen zumute. Mochte vor Jahren ein leerer Skilift früh am Morgen der Stoff gewesen sein, aus dem Träume gemacht wurden, wünschte er sich eben jetzt ein paar andere Leute um sich. Was wäre, wenn er einen Unfall hätte?

Was für eine Art Bergwacht bot das Hotel auf? Irgendwie war ihm diese Information entgangen. Er musste es aus sowohl beruflichen wie privaten Gründen wissen. Nirgends sah er jemanden, um ihn danach zu fragen. Wenigstens fühlte er sich auf dem rutschfesten Gummibelag der Liftstation sicherer zu Fuß. Schließlich machte er doch jemanden aus, am anderen Ende der Station, jenseits der klotzigen Maschinerie und hinter dickem Glas in einem kleinen Steuerraum. Der Mann stand mit dem Rücken zum Fenster und sprach gerade in ein tragbares Funkgerät.

Da der Lift ausschließlich Hotelgästen vorbehalten war, schien es so was wie Drehkreuze und Liftpässe nicht zu geben. Nur zu Vorstößen in die anderen Skigebiete war ein entsprechender Pass erforderlich.

Ben sah auf seine Armbanduhr. Es war jetzt fünf vor neun. Er wartete, bis sich eine Blase verlangsamte, selbsttätig ihre Türen öffnete, herumschwenkte, ihre Türen schloss und mit einem Scheppern aus der Station hinaus beschleunigte, worauf sie über einer verschneiten Wiese und weiter zwischen schneebedeckten Kiefern emporschwebte. Der Seilbahnwärter schaute noch immer nicht in Bens Richtung.

Die unbehagliche Erinnerung an ein paar wilde Tage auf Skiern mit Doug Sager, einem alten Journalistenfreund, suchte ihn heim. Unterwegs im Sessellift hatte ihn Doug dazu gebracht, sich einen Lawinenpiepser umzuschnallen. Das war in Verbier, Dougs bevorzugtem Wintersportort. Ganz hoch droben führte ihn Doug die Rückseite des Mont Fort hinab. Doug war ziemlich unerschrocken, ein ehemaliger Kriegsreporter, der Gefechten zu oft zu nahe gekommen war. Dougs eigentliche Tragik jedoch lag darin, ein paar Jahre später tödlich auf dem Fahrrad verunglückt zu sein – angefahren von einem Auto.

Ben sah sich über die Schulter um, spürte jemandes Nähe. Doch ihm war niemand aus dem Hotel und den Weg herauf gefolgt. Was stimmte bloß nicht mit diesen Luxushotelgästen? Wussten sie nicht um den seltenen Vorzug einer Liftanlage samt Skipisten für sie ganz allein an einem so hinreißenden Morgen? Sicherlich doch, und deshalb hatten sie es nicht eilig, das Angebot zu genießen. Sie hatten den ganzen Tag Zeit dafür. Jeden Tag, falls sie das wünschten.

Eine weitere schnittige Blase kam und ging. Der Seilbahnwärter sprach immer noch in sein altertümliches Walkie-Talkie, seinen Rücken unbeirrt dem Einstiegsbereich zugekehrt. Schöner Service, das. Würde vermerkt werden.

»Okay, alter Knabe«, sagte Ben laut zu sich selbst, »jetzt mach hinne.« Er schob seine Skier in den Außenträger der nächsten Blase und enterte sie tapsig. »He, Moment mal«, sagte er lauter, als sich die Türen eilends hinter ihm schlossen, noch ehe er sich überhaupt setzen konnte. Was zum Henker? Er war hier drin nicht allein. Jemand war bereits in die Gondel gestiegen.

Aber wie, wo, wann? Keiner sonst hatte auf dem schwarzen Gummibelag gewartet.

Ben fühlte seinen Puls losrasen, sein Herz heftig klopfen. Solchen Nervenschocks war er wirklich kaum gewachsen und schwerlich auf sie eingestellt. »He, hallo?«, sprach er die zusammengesackte Gestalt auf der Sitzbank gegenüber an. Der Mann schien ohnmächtig geworden zu sein.

Er spürte den Beschleunigungsschub, als die Blase am Zugseil ankuppelte, und sie waren unterwegs, huschten über tiefen Schnee, ehe sie geschwind zwischen weißen Bäumen den steilen Berghang emporgetragen wurden.

»Hallo«, sagte Ben noch mal und beugte sich vor. Der arme Bursche war sichtlich in keiner guten Verfassung. In der Gondel war es kaum wärmer als die minus acht Grad Außentemperatur bei Bens Aufbruch vom Hotel. Immerhin trug der Mann einen dicken Skianzug aus dunkler Jacke und Skihose, eigentümlich ähnlich Bens eigener Bekleidung. Jedoch weder Helm noch Mütze. Hatte er die ganze Nacht hier drin zugebracht?

Ben blickte kurz auf und schaute zu den Fenstern hinaus. Wo waren die Skier des Mannes? Nur die von Ben steckten im Träger. Drinnen gab es auch keine Stöcke außer Bens eigenen.

Er beugte sich weiter vor und schüttelte den Mann sachte bei der Schulter. Der regte sich nicht, aber sein Körper gab...


Sutton, Henry
Henry Sutton, geboren 1963 in Gorleston-on-Sea, Norfolk, ist Autor, Literaturkritiker und war viele Jahre lang als Reisejournalist tätig. Er lehrt Creative Writing an der University of East Anglia in Norwich, leitet dort den Master-Studiengang Crime Fiction und ist Gründer des Noirwich Crime Writing Festivals. Sutton ist verheiratet und hat drei Kinder.



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