E-Book, Deutsch, Band 1, 288 Seiten
Reihe: Der Hotelinspektor
Sutton Der Hotelinspektor auf Mallorca
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-311-70221-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 288 Seiten
Reihe: Der Hotelinspektor
ISBN: 978-3-311-70221-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Henry Sutton, geboren 1963 in Gorleston-on-Sea, Norfolk, ist Autor, Literaturkritiker und war viele Jahre lang als Reisejournalist tätig. Er lehrt Creative Writing an der University of East Anglia in Norwich, leitet dort den Master-Studiengang Crime Fiction und ist Gründer des Noirwich Crime Writing Festivals. Sutton ist verheiratet und hat drei Kinder.
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Nachdem er die Rechnung für sein Menü inklusive fünfzehn Prozent Trinkgeld mit einem unleserlichen Gekrakel abgezeichnet hatte, erhob Ben sich rasch, klopfte die Sitzfalten aus seiner Hose und schlängelte sich über die Terrasse zum Haupteingang des Hotels.
Die Bar befand sich in einem langen schmalen Raum mit hohem Deckengewölbe. Er glich ein wenig einer Kapelle, gleichzeitig einschüchternd und heimelig. Die Beleuchtung war warm und gedämpft, das Mobiliar eine Mischung aus schweren Stühlen und Truhen, mallorquinische Antiquitäten womöglich, und ultramodernen Designerstücken aus Glas und Stahl. Alles wirkte gediegen und war in cremefarbenen und hellbraunen Tönen gehalten, mit gelegentlichen Farbtupfern in knalligem Violett bis Magentarot. Das Thema »Alte Verse, neues Lied« machte sich gut.
Solche Gegensätze konnten einander ergänzen. Olly versuchte schon ewig, Ben dazu zu bringen, moderner zu sein, gab ihm dies oder das zu hören, während der die Vorzüge von Dingen pries, die Bestand hatten. »Bis auf die Ehe, mein Freund«, hatte Olly einmal gesagt. Die beiden gaben ein seltsames Bild ab, wenn sie gemeinsam eine Bar oder ein Restaurant betraten. Ben in seinen Budapestern und Olly mit den neuesten Turnschuhen. Ihnen gefiel der Kontrast und Witz daran. Keiner von beiden würde sich je ändern.
Nur zwei Gäste waren in der Bar, und sie hatten keinerlei Ähnlichkeit mit dem faszinierenden Vierergespann. Diese beiden waren blass und fleckig im Gesicht und unterhielten sich lautstark auf Englisch, mit schottischem Akzent.
»Whiskey würde ich immer vorziehen«, sagte der Mann und schaute leicht angewidert sein Glas Brandy an.
»Whisky trinkst du doch immer«, entgegnete seine Begleitung. Sie war unaufdringlich stilvoll gekleidet und lächelte warm, aber nüchtern. »Warum nicht mal was anderes probieren, hier aus der Region? Wir sind schließlich im Urlaub.«
»Was wissen die Spanier schon von Brandy?«, meinte er. »Und ich wette, dieser Drink kostet ’ne Stange Geld. Im Voraus sagen sie’s einem nie, ist doch wahr.« Auch der Mann war gut, wenn auch konservativ gekleidet und wirkte keinesfalls mittellos.
»Was erwartest du in so einer Art Hotel? Barzahlung am Tresen? All you can eat? Entspann dich.«
Nicht zum ersten Mal dachte Ben, wie viele Leute mit Geld es gar nicht verdienten, sich so ein Hotel leisten zu können. Hätte er hingegen genug Geld, würde er nicht unbedingt hier absteigen. Man konnte gut und gern vier Mal im Jahr in einem normalen Hotel Urlaub machen für den Preis von einem Mal in einem Hideaway.
Der Barkeeper polierte Gläser und schaute aus Höflichkeit zur Decke. Ben schlenderte hinüber.
»Guten Abend«, sagte er auf Englisch. Er sah keinen Grund, Kastilisch oder Katalanisch zu sprechen. Die Belegschaft eines Hideaway, zumindest wenn sie Kontakt zu Gästen hatte, sprach Englisch – außer in Frankreich. War er in Frankreich, gab Ben sich immer Mühe mit der Landessprache. Er konnte einigermaßen Französisch, Italienisch, Deutsch, Spanisch und ein wenig Katalanisch, was ein Grund dafür war, dass er den Job bekommen hatte.
Ein anderer war, vermutete er, dass zu seinen letzten journalistischen Arbeiten ein Profil der Geschäftsführerin von Hideaway gehört hatte. Er war nach Frankfurt geflogen, um Emily Muller über ihren blitzartigen Aufstieg in der Branche zu interviewen. Sie hatten sich sofort gut verstanden. So gut sogar, dass sie ihn hinterher zum Essen ausgeführt hatte. Den überraschend vergnüglichen Abend hatten sie damit verbracht, über ihre Scheidungen, Wohnungskredite, Karriereentscheidungen und ihre Kinder zu reden. Vielleicht wäre sie mitgekommen, hätte er einen Absacker in seinem Hotel vorgeschlagen. Doch weil er in einem preiswerten Motel am Stadtrand übernachtete, hatte er es nicht getan.
Sie hatte ihn ein wenig eingeschüchtert, war äußerst klug, attraktiv und elegant gekleidet. Eine Gegeneinladung war lange überfällig. Nur war sie jetzt seine Chefin.
»Was darf es sein?«, fragte der Barkeeper, nachdem er ein perfekt poliertes Glas behutsam auf ein Bord zurückgestellt hatte.
Ben kletterte auf einen Barhocker – es gab nur vier, sie waren übermäßig gepolstert. Es gehörte zu seinen Privilegien, zu seinem Job, zu bestellen, was immer er wollte, und dabei das gesamte Angebot zu prüfen. Ben ließ seinen Blick an der eindrucksvollen Flaschensammlung im Eichenregal hinter der Bar entlangwandern und entschied sich rasch für einen mallorquinischen Brandy, einen achtzehn Jahre alten Suaz Reserve. Er hatte bei einem früheren Aufenthalt auf der Insel mit Alex und Natalie, nicht in diesem Hotel, sondern in einer Einzimmerwohnung in Puerto Pollensa, davon gehört. Damals hätte er sich den Brandy nicht leisten können, aber es war ein herrlicher Urlaub gewesen und einer der wenigen, die sie gemeinsam verbracht hatten.
»Gute Wahl«, sagte der Barkeeper mit einem Nicken. »Der kommt hier aus der Nähe. Die Familie Suaz ist für ihre Weine und Brandys berühmt.«
»Sind Sie Franzose?«, fragte Ben.
Der Barkeeper schüttelte den Kopf. »Marokkaner.«
Nachdem er Ben den Brandy eingeschenkt hatte, machte er sich wieder ans Gläserpolieren, mied auf einmal den Blickkontakt. Ben sah sich über die Schulter um, spürte, dass noch jemand im Raum war. Am Eingang zur Bar stand ein Mann im Anzug. Er starrte geradewegs in Richtung Bar, als würde er jemanden kontrollieren. Und nicht einfach irgendwen. Er schaute unmittelbar zum Barkeeper. Als er sah, dass Ben seinen Blick bemerkt hatte, ging er. Ben konnte sich ziemlich gut vorstellen, wer dieser Mann war.
»Woher genau in Marokko?« Ben wandte sich wieder seinem Getränk und dem Barkeeper zu. Obwohl der so viel herumpolierte, fand Ben nicht, dass sein eigenes Glas so sauber glänzte, wie es eigentlich sollte. Er hätte diesen Minuspunkt im Notizbuch vermerkt, wenn der Barkeeper nicht so verängstigt und seltsam schutzlos gewirkt hätte.
»Nicht so wichtig. Eine Kleinstadt.« Er sah Ben immer noch nicht an.
»Ich hatte letztes Jahr eine tolle Zeit in Marrakesch. Wie lange sind Sie schon hier?«
»Ich bin jeden Tag hier.«
Ben wurde klar, dass er dem Mann wachsendes Unbehagen bereitete. »Ich bin David«, sagte Ben und streckte die Hand aus.
Darauf drehte sich der Mann ihm zu. »Ja, Sir«, sagte er, ohne Bens Hand zu schütteln.
Ben konnte den Ton des Barkeepers nicht richtig einordnen. Wie üblich hatte er nicht unter seinem richtigen Namen eingecheckt. Das Zimmer war für David Slavitt gebucht worden. Es war Bens Art, sich seine schöpferische Seite im Unternehmensdickicht zu erhalten. David Slavitt war das Pseudonym, das er für seinen bislang unveröffentlichten Kriminalroman benutzt hatte. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Er hatte diesen Traum noch nicht ganz aufgegeben. Sein Leben konnte nicht nur daraus bestehen, Laken und Kissen zu inspizieren, Speisekarten zu studieren oder Grünanlagen und Wellnessanwendungen zu begutachten. Ohnehin ging seine Neugier, die ihm als Journalist so gute Dienste erwiesen hatte, stets weit über schlichte Tatsachen hinaus. Warum verhielten sich Menschen auf eine bestimmte Weise? Allem lag entweder eine Motivation zugrunde oder Verlangen.
Olly sagte immer, Ben hätte bei der Polizei anfangen oder so eine Art moderner Privatschnüffler werden sollen – wäre er bloß nicht so wählerisch und anspruchsvoll bei allem, was er aß und trank. »Du bist kein Typ für Bier und Curry, oder? Kann mir dich nicht mit Fast Food im Streifenwagen vorstellen«, wiederholte er sich gern.
»Und Sie sind?«, fragte Ben in freundlichem Ton, wie er hoffte, und hielt dabei seinen Brandy hoch.
»Engin«, sagte der Marokkaner leise.
»Ist ruhig hier heute Abend.« Jetzt, Anfang Juni und unter der Woche, war zwar keine Hauptsaison, aber ein Hotel wie dieses zielte auch nicht auf die Schulferien ab.
Der Barkeeper lächelte. »Es ist ein warmer Abend.« Er schaute weg. »Ich hab immer zu tun.«
Er schien zufrieden damit zu sein, ein Glas auf Hochglanz zu polieren, wenn er beschäftigt wirken musste. Ein ratloser Ben machte daraufhin den Fehler, sich abermals umzusehen, doch diesmal fiel sein Blick auf den Schotten, der sogleich zu winken anfing und ihm signalisierte hinüberzukommen.
Offenbar hatte das Paar einander als Gesellschaft satt und war erpicht darauf, irgendeinen Fremden in ein Gespräch zu verwickeln. Ben war schon öfter in dieser Lage gewesen. Gewöhnlich hatte er nichts dagegen einzuwenden, sondern freute sich auf etwas Plauderei, um ganz nebenbei so viel er konnte über jemandes Aufenthalt in einem Hideaway zu erfahren.
»Kommen Sie rüber zu uns«, rief der Mann und ließ Ben keine Wahl. Ben stieg von dem Hocker, griff nach seinem Brandy, nickte Engin verschwörerisch zu und ging hinüber.
»Ich habe Sie Englisch sprechen hören«, sagte der Mann. »Die meisten Leute hier sind entweder Deutsche, Holländer – die reisen echt viel, was? – oder Russen. Warum haben die Russen so viel Geld? Na, wir wissen, warum, stimmt’s?«
»Bringen Sie ihn ja nicht in Fahrt«, lachte die Frau.
Ben fand nicht, dass er das getan hätte.
»Ian«, sagte der Mann und streckte seine Hand aus.
Ben schüttelte sie zögerlich. »David«, seufzte er. »David Slavitt.«
»Und das ist Maggie.« Ian nickte seiner Begleitung zu.
»Hi«, sagte Ben und schüttelte weniger zögerlich auch ihre Hand. Sie war um die vierzig, hatte blondes schulterlanges Haar, blaue Augen und trug ein schickes rotes Neckholder-Kleid.
»Dann sind Sie auch geneppt worden?« Ian zeigte auf Bens...