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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Sünner Seelenlandschaften

Spirituelle Orte in Deutschland
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-95803-630-7
Verlag: Scorpio Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Spirituelle Orte in Deutschland

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-95803-630-7
Verlag: Scorpio Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sicher kennt jeder das Gefühl an einem Ort zu stehen – sei es in den Bergen, an Seen oder im Wald – wo einem das Herz aufgeht und man einfach nur Glück und Dankbarkeit empfindet. Das sind sogenannte Seelenlandschaften, deren Schönheit uns zutiefst berührt. Noch stärker wird die besondere Wirkung an den Schnittpunkten zwischen Natur und Kultur, also an Orten, die auch von früheren Menschen als "heilig" empfunden wurden. Auch durch Deutschland zieht sich eine lange Spur spiritueller Strömungen, angefangen bei paläolithischen Höhlenfunden der Schwäbischen Alb über neolithische Hünengräber, keltische und germanische Kultplätze bis zu christlichen Stätten und zu den "heiligen Orten" der Romantiker.
Dass es bei der Erkundung der Seelenlandschaften in Deutschland häufig zuerst mächtige Schatten der Vergangenheit wegzuräumen gilt, ist unumgänglich. So setzt sich Rüdiger Sünner bei einigen Kultstätten kritisch mit deren Missbrauch durch die Nazis sowie noch heute kursierenden Vorstellungen in esoterischen, neuheidnischen, rechten Kreisen auseinander und legt dabei nach und nach die ursprünglichen Wurzeln dieser Stätten frei, um zu deren authentischen naturreligiösen Spiritualität zurückzufinden.

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1
Felsen der Götter? Die Externsteine im Teutoburger Wald
Eine markante »Seelenlandschaft« in Deutschland ist zweifelsohne der Teutoburger Wald, aber es hat lange gedauert, bis ich mich wirklich für diese Gegend erwärmen konnte. Sie steht exemplarisch für die unheilvolle Verflechtung deutscher Landschaften mit nationalistischen Ideologien, was bereits das berühmte Hermannsdenkmal in der Nähe von Detmold veranschaulicht. Auch wenn es an den durchaus berechtigten Befreiungskampf germanischer Stämme gegen römische Legionen im Jahre 9 nach Christus erinnert, stieß es mich immer durch seine auftrumpfende Monumentalität ab, ähnlich wie das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig oder das Kyffhäuserdenkmal in Thüringen. Auch das Hermannsdenkmal verkörpert eine mir eher unangenehme Eigenschaft der Deutschen, ihren Hang zu nationaler Kraftmeierei und übertriebener Heldenverehrung, die ja auch in der Nazi-Architektur von Albert Speer oder in den Skulpturen von Arno Breker ihren Niederschlag fand. Riesig müssen diese steinernen »Tempel« immer sein und für alle Ewigkeit in den monumentalen Stein gehauen, mit einer Ausstrahlung von Hybris und Überlegenheit, die subtilere Gefühle mit maskulinem Pathos erstickt. Diese Bauten spiegeln für mich eher ein großes Minderwertigkeitsgefühl der Deutschen und sind keine Zeugnisse eines gesunden Selbstbewusstseins: Es sind Pseudo-Heiligtümer, die eher einer politischen Ersatzreligion dienen als wirklicher spiritueller Kontemplation. Die Externsteine im Teutoburger Wald: Ehemaliger SS-Kultort und Pilgerziel für Neuheiden Nicht weit vom Hermannsdenkmal erstreckt sich mitten im Wald die eindrucksvolle Felsformation der Externsteine, ein ebenfalls umstrittenes Monument deutscher Geschichte, um das sich viele bizarre Mythen ranken. In der Mitte der 1990er-Jahre war ich dort zum ersten Mal mit einem Kamerateam, um für meinen Film Schwarze Sonne Aufnahmen während der Sommersonnenwende zu machen.6 Auf dem von Hunderten von Menschen bevölkerten Platz vor den Steinen fragten wir Neo-Hippies und Neo-Germanen, was sie dort feierten, und wollten von ihnen wissen, ob sie den Missbrauch dieser Stätte durch die Nazis kannten. Die meisten bejahten dies, aber bekannten sich dazu, diesen Platz von seiner unheilvollen Vergangenheit »reinigen« zu wollen, um ihn zu einem unschuldigen »germanischen Heiligtum« erklären zu können. Als ich zur Rezeptionsgeschichte der Externsteine zu recherchieren begann, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: Über den Felsen türmte sich eine solche Menge an völkischer Ideologie und esoterischem Unsinn auf, dass es einem schwerfiel, diesen Ort unvoreingenommen zu betrachten. Ohne Rücksicht auf archäologische und historische Fakten wurde in die Steine alles hineingelesen, was überhaupt denkbar war. Die einen sahen in ihnen ein altes »germanisches Heiligtum« mit einer »Sonnenwarte«, das womöglich auch während der Schlacht im Teutoburger Wald eine große Rolle gespielt habe7, andere datierten ihre Entstehung in die Steinzeit zurück, als Menschen einer damaligen Hochkultur angeblich riesige Tier- und Menschenköpfe in den Fels gehauen hätten.8 Der Volksschullehrer und ehemalige NSDAP-Angehörige Walther Machalett, der in den 1960er-Jahren den »Arbeits- und Forschungskreis Externsteine« gegründet hatte, hielt die Felsen für das »Zentrum des Abendlandes«, das mit den ägyptischen Pyramiden verbunden gewesen sei und »das Vermächtnis eines hochintelligenten Volkes der Frühzeit, vielleicht der Atlanter« darstelle. In seinem sechsbändigen Hauptwerk Die Externsteine – Das Zentrum des Abendlandes. Die Geschichte der weißen Rasse schrieb er, vor Urzeiten habe es hier eine Priesterkaste mit kosmischem Wissen gegeben, die sogar die Fähigkeit besessen habe, die Schwerkraft aufzuheben. All diese Einsichten, so Machalett, habe er von »höheren Mächten« geschenkt bekommen, und er müsse sie nun an eine von Medien und Wissenschaft geblendete Menschheit weitergeben9: eine klassische Verschwörungserzählung, wie sie noch heute in Videos und Artikeln der rechtsesoterischen Szene zum Besten gegeben wird, die auch im Internet kursieren. In der NS-Zeit erklärte die »SS-Stiftung Ahnenerbe« unter Heinrich Himmler die Externsteine zu einem »germanischen Heiligtum«, an dem der Zutritt für Juden untersagt war und wo Vereidigungen der SS sowie Winter- und Sommersonnenwendfeiern abgehalten wurden.10 »Haltet Ruhe am Heiligtum der Ahnen«, ermahnte eine Inschrift auf einem Holztor vor den Steinen die Besucher zu würdigem Verhalten an diesem angeblichen Tempel unserer Vorfahren. Dabei lieferten bereits während der NS-Diktatur archäologische Ausgrabungen keinerlei Nachweis dafür, dass die Externsteine von den Germanen als Kultort genutzt worden waren.11 Außerdem ähneln sie in keiner Weise den echten germanischen Kultstätten aus der Eisenzeit, die eher in Opfermooren zu finden sind, worüber wir im nächsten Kapitel berichten werden. War damit nun alles für mich erledigt an diesem seltsamen Ort? Hatten die Neuheiden bei unseren Filminterviews in der Sonnwendnacht recht damit, dass man diese Stätte von dem Nazi-Schatten, einer sagte sogar »von dieser Schlammschicht«, befreien konnte? Wenn eine lange ideologische Instrumentalisierung einen Ort so deformiert hat, hilft eigentlich nur die Wissenschaft, um wieder Klarheit über seinen wirklichen Charakter zu bekommen. So fanden archäologische Forscher heraus, dass schon vor etwa 12 000 Jahren an den Externsteinen Menschen gelebt haben, was Feuersteinfunde bezeugen12, und es ist sehr wahrscheinlich, dass auch sie bereits von dieser imposanten Felsenkulisse tief beeindruckt waren. Ob sie sie als »heiligen Ort« ansahen, an dem man Rituale und Kulte praktizierte, wird sich kaum mehr nachweisen lassen. Aber diese Kulturen Mitteleuropas kannten bereits Schamanen13, und in ihrem animistischen Weltbild waren diese Steine sicher auch mehr als nur »tote Materie«. Man kann sich vorstellen, dass die damaligen Jäger und Sammler – wie auch heute noch indigene Kulturen – in Bergen und ungewöhnlichen Steinformationen »Persönlichkeiten« sahen, die man respektierte oder vielleicht auch anbetete. Auch uns geht es ja manchmal noch so, da wir ein tief animistisches Erbe in uns tragen: Jeder Bergsteiger spürt das, wenn er in der Gebirgslandschaft nicht nur leblose Objekte sieht, sondern quasi »Subjekte«, die ihn »rufen«, herausfordern und zur Besonnenheit ermahnen. Wer frühmorgens die Externsteine aufsucht, vermag sich dem Zauber dieser Stätte kaum zu entziehen: Raubvögel können dann über den Felsspitzen kreisen, und der stille Ort strahlt in seiner Größe und eigenwilligen Formensprache eine durchaus mystische Atmosphäre aus. Das haben wir selbst erlebt, als wir im Mai 2023 dort bei Sonnenaufgang für meinen Film Seelenlandschaften: Spirituelle Orte in Deutschland drehten und längere Zeit ganz allein bei diesen uralten Steinen waren. Eine weitere Information der Historiker verhalf mir bei diesen Dreharbeiten noch zu einem ganz anderen Erlebnis. Die Höhlen und Treppen, die Aussichtsplattform, das Kreuzabnahmerelief und der rätselhafte Steinsarkophag entstanden wohl erst zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert, also in christlicher Zeit, in der Einsiedlermönche die Externsteine bewohnten. Ein 1484 gemaltes Bild von Hans Memling, der viel gereist und wohl auch im Teutoburger Wald vorbeigekommen ist, zeigt im Hintergrund Felsformationen mit Höhlen, die stark an die Externsteine erinnern.14 Im Vordergrund steht ein Einsiedler, der seine Hand auf ein Reh gelegt hat und mit der anderen einen heiligen Text hält. Dieses Bild berührte mich sehr, und ich nahm es mit zu unseren Filmarbeiten, wo es die ganze Atmosphäre der Anlage veränderte. Wir hatten eine Dreherlaubnis erhalten und morgens um acht, als noch kein Tourist zu sehen war, schloss uns ein Wächter die Höhlenkammern auf, in denen einst die Einsiedlermönche gelebt hatten. Wir verharrten darin in aller Stille und ließen die Atmosphäre auf uns wirken. Nur einzelne Vogelrufe waren draußen zu hören und gelegentlich das leise Rauschen des Windes in den nahen Bäumen. Auf einmal schauten wir wie durch ein Zeitfenster auf eine frühere Epoche in diesem Land, als Christentum und Natur scheinbar noch keine Gegensätze waren. Die Externsteine auf dem Moreel-Triptychon von Hans Memling (um 1433 – 1494) Höhlen in den Externsteinen: Naturnahe Meditationsorte christlicher Eremiten im Mittelalter Ich stellte mir vor, wie hier vor 1000 Jahren wohl noch Adler, Bären und Wölfe gelebt hatten, und spürte, dass die Wälder ringsum früher eine Wildnis waren, die nichts mit den Forsten und ausgeschilderten Wanderwegen unserer Zeit zu tun hatte. Die damaligen...


Rüdiger Sünner, geb. 1953 in Köln, studierte Musik, Musikwissenschaften, Germanistik und Philosophie. 1985 promovierte er über die Kunstphilosophie von Theodor W. Adorno und Friedrich Nietzsche. Anschließend studierte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Seit 1991 lebt er als freier Autor, Filmemacher und Musiker in Berlin.
Seine vielfältigen Publikationen und Filme beschäftigen sich vor allem mit spirituellen Grenzgebieten.
www.ruedigersuenner.de



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