E-Book, Deutsch, 198 Seiten
Sturm Lehrbuch Differenzen in der Schule
3. vollständig überarbeitete Aufl 2024
ISBN: 978-3-8463-6000-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 198 Seiten
ISBN: 978-3-8463-6000-2
Verlag: UTB
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Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Einleitung 10
2 Differenzen in Schule und Unterricht 16
2.1 (Differente) Milieus - Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie 16
2.1.1 Milieus 17
2.1.2 Milieus im sozialen Raum 24
2.2 Milieus in Schule und Unterricht 31
2.3 Übungsaufgaben 37
2.4 Literaturempfehlungen 37
3 Schule: Institutionelle Herstellung und Bearbeitung von Differenzen 39
3.1 Aufgaben der Schule in der und für die Gesellschaft 39
3.2 Differenzkonstruktionen durch die Schule im Wandel der Zeit 42
3.2.1 Umbruch: Lösung vom Ständeprinzip und Einführung des Leistungsprinzips 42
3.2.2 Ausweitung formaler Gleichheit, bestehende Ungleichheit 48
3.2.3 Entwicklungen und Diskurse seit 2000. 51
3.3 Differenzkonstruktionen durch Schule am Beispiel schulischer Leistungsbewertung 55
3.4 Übungsaufgaben 62
3.5 Literaturempfehlungen 62
4 Schüler:innen mit differenten, milieuspezifischen Erfahrungen in Schule und Unterricht 64
4.1 Leistung und Leistungsdifferenzen in Schule und Unterricht 65
4.2 Sozio-ökonomische Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht 69
4.2.1 Sozio-ökonomische Ungleichheit 70
4.2.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht 76
4.3 Geschlechterbezogene Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht 84
4.3.1 Geschlechtsbedingte Ungleichheit 85
4.3.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht 90
4.4 Migrationsbedingte Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht 99
4.4.1 Migrationsbezogene Differenzen 99
4.4.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht 106
4.5 Behinderungsbedingte Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht 113
4.5.1 Behinderungsbezogene Differenzen 114
4.5.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht 124
4.6 Übungsaufgaben 132
4.7 Literatur- und Websiteempfehlungen 133
5 Inklusion als Perspektive schulischer und unterrichtlicher Bearbeitung von Differenzen 135
5.1 Inklusion als institutionelles und pädagogisches Rahmenkonzept 137
5.2 Lern- und Bildungsprozesse 146
5.3 Diagnostik: systematische Annäherung an Lern- und Bildungsprozesse 152
5.4 Unterricht: Anforderungen an die Initiierung von Lern- und Bildungsprozessen 158
5.4.1 Didaktik – eine Definition 159
5.4.2 Unterricht als Milieu 161
5.4.3 Unterrichtliche Herausforderung: Vermittlung zwischen widersprüchlichen Erwartungen 166
5.5 Übungsaufgaben 176
5.6 Literatur- und Websiteempfehlungen 176
Literatur 179
Sachregister 195
2 Differenzen in Schule und Unterricht Differenzen stellen seit Beginn der 1990er Jahre zentrale Bezüge dar, wenn es um die Beschreibung schulischer und unterrichtlicher Realität geht (Mecheril / Plößer 2009). Dieser Abschnitt möchte in das Verständnis von Differenz und Gleichheit einführen. Ziel dieser einleitenden Überlegung ist es, eine Analysefolie bereitzustellen für pädagogische, v. a. für unterrichtliche Zusammenhänge, zu denen Bildungs-, Lern-, Erziehungs- und Sozialisationsprozesse zählen. Die aufzuführenden theoretischen Konzepte sollen dabei helfen, den Blick für Differenzen sowie Ungleichheit in Schule und Unterricht zu schärfen. Im ersten Abschnitt wird eine allgemeine Definition von Differenz bzw. differenten Milieus vorgenommen. Diese Perspektive wird im darauffolgenden Abschnitt um eine sozialkonstruktivistische und praxeologisch-wissenschaftssoziologische Perspektive (vgl. Bohnsack 2017), die wesentlich auf der Konzeption der „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“ Arnd-Michael Nohls (2014, 137) aufbaut, differenziert und anhand der Überlegungen zu Milieus als Felder im sozialen Raum erweitert. 2.1 (Differente) Milieus - Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie Die dargelegten Ausführungen der Praxeologischen Wissenssoziologie (vgl. Bohnsack 2017) und der „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“ von Arnd-Michael Nohl (2010), die um die Ausführungen zum sozialen Raum der Gesellschaft von Bourdieu (1987, 2009) ergänzt sind, sollen das Verständnis von Differenzen konkretisieren. Arnd-Michael Nohl hat seine Ausführungen an die Überlegungen zur Praxeologischen Wissenssoziologie von Karl Mannheim (1980) und Ralf Bohnsack (2021) aufgebaut. Gemeinsamkeiten und Unterschiede bzw. Differenzen werden in dieser theoretischen Position mithilfe eines kultursoziologischen Milieubegriffs erklärt. Zunächst soll jedoch der Grundbegriff der Perspektivität von Milieus (siehe Kapitel 2.2.1) besprochen werden. Anschließend werden Bourdieus (1992) Überlegungen zum relationalen Zusammenhang von Milieu und sozialem Feld im sozialen Raum der Gesellschaft beschrieben (siehe Kapitel 2.2.2). Abschließend werden differente Milieus in Schule und Unterricht vorgestellt. 2.1.1 Milieus zwei Wissensformen Um Differenzen aus der Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie heraus zu betrachten, ist es notwendig, zwischen zwei unterschiedlichen Logiken zu unterscheiden, die die menschlichen Interaktionen auszeichnen: die propositionale und die performative Logik. Die Praxeologische Wissenssoziologie stellt eine Grundlagentheorie dar, mit deren Kategorien – oder Begriffen – der Sinn von Handlungspraxen sozialer Akteur:innen in spezifischen sozialen und materialen Verhältnissen (vergleichend) beschrieben wird. Vergleiche von Praxen oder Milieus, die in unterschiedlichen sozialen und materialen Kontexten generiert werden (z. B. ein- und mehrgliedrige Schulsysteme), können erklären, wie die Praxen hervorgebracht werden. Die Begriffe der Praxeologischen Wissenssoziologie gehen auf die Arbeiten zur Wissenssoziologie von Karl Mannheim (1964; 1980) zurück. Vor dem Hintergrund seiner Kritik am Rationalismus – einem Verständnis, dass die soziale Welt nach logischen und gesetzmäßigen Mechanismen erfolgt, ähnlich der Mathematik, versteht – entwickelte Karl Mannheim die analytische Unterscheidung von zwei Wissensformen: das kommunikative und das konjunktive Wissen. Seine Ausführungen beziehen sich dabei v. a. auf gesellschaftliche Milieus, also auf geteilte oder gleiche Handlungspraxen von Akteur:innen. Diese können entlang von Generation und Geschlecht – die entlang unterschiedlicher sozialer und materialer Bedingungen generiert sind – differieren. Ralf Bohnsack (2017) hat Karl Mannheims Leitdifferenz von kommunikativem und konjunktivem Wissen zur Unterscheidung von propositionaler und performativer Logik weiterentwickelt. Kommunikatives Wissen bzw. Wissen, das einer „propositionalen Logik“ (ebd. 2017, 63) folgt, wird auch als Common-Sense Wissen verstanden. Es zeichnet sich durch einen zweckrationalen Charakter aus und findet sich u. a. in Normen bzw. Regeln sowie Rollen- und Identitätserwartungen (vgl. ebd.). Das konjunktive Wissen bzw. Wissen, das einer „performativen Logik“ (ebd., 63) folgt, wird als habitualisiertes bzw. „atheoretisches“ (Mannheim 1980, 211 ff.) verstanden. Es fungiert in der Handlungspraxis implizit und stellt zugleich orientierendes – also handlungsleitendes – Wissen dar, das in der gemeinsamen Erfahrung, im „konjunktiven Erfahrungsraum“ (ebd.), erworben wird und als „Orientierungsrahmen im engeren Sinne“ (Bohnsack 2017) bezeichnet wird. Beide Logiken, die proponierte bzw. die der Norm und die performative resp. die des Habitus, stehen in einem „Spannungsverhältnis“ (ebd., 103) zueinander. Diese „notorische Diskrepanz“ (ebd.) zwischen beiden wird in der Alltagspraxis von den Akteur:innen explizit, v. a. aber implizit oder habituell, reflektiert und entsprechend handlungspraktisch bearbeitet. Erfolgt die Bearbeitung dieses Spannungsverhältnisses in habitualisierter Form beschreibt Ralf Bohnsack (ebd., 103) dies als „Orientierungsrahmen im weiteren Sinne“. Das handlungspraktische Wissen, das einer performativen Logik folgt, stellt Erfahrungswissen dar, das einzelne durch die Beziehung zu anderen Personen und / oder zu Gegenständen gemacht haben; so beispielsweise die Kindheitserfahrung, aus Büchern vorgelesen zu bekommen. In der je konkreten Situation wird die Erfahrung der Beziehung, gemeinsam eine Geschichte zu verfolgen, einer „Kontagion“ (Mannheim 1980, 208), gemacht – einer existenziellen Bezogenheit auf den Gegenstand „Buch“, der diese bereithält. Derartige Erfahrungen, die Mannheim als „konjunktive“ Erfahrungen (Mannheim 1984) bezeichnet (einander existenziell verbindende Erfahrungen), stehen nicht notwendigerweise begrifflich reflexiv zur Verfügung. Sie machen jedoch einen wesentlichen Teil menschlichen Wissens aus und sind zugleich orientierende Grundlage für Praktiken und Handlungen, in die sie einfließen. Definition: Das handlungspraktische Erfahrungswissen, das einer performativen Logik folgt, ist jenes, das in der Auseinandersetzung mit der sozialen und materialen Welt gesammelt wird. Aus dieser Erfahrung ergibt sich ein praktisches Verhältnis der Menschen zur Welt, das vorbegrifflich zur Verfügung steht. Dieses Praxiswissen steht nicht unmittelbar reflexiv zur Verfügung (Mannheim 1980, 205 ff.). Das in eigener Handlungspraxis erworbene Erfahrungswissen wird in Handlungssituationen reaktualisiert. Folglich fungiert es als „Praxissinn“ (Bourdieu 1998), also aus selbst erfahrener Handlungspraxis heraus wird die Praxis generiert. Praxis Dass Menschen über unterschiedliche Erfahrungen verfügen, zeigt sich in ihren je verschiedenen alltäglichen Praktiken. Die Gestaltung des Alltags umfasst jegliche Bereiche menschlichen Lebens, u. a. sich zu ernähren, sich zu kleiden, einer Arbeit nachzugehen, die Freizeit zu gestalten. Für und in den unterschiedlichen Bereichen haben Menschen Praktiken entwickelt, die sie nicht notwendigerweise explizit beschreiben können, da diese körperlicher und performativer Art sind. Die Orientierung erfolgt auf der Erfahrungsgrundlage entlang des inkorporierten Wissens, das den Praktiken zugrunde liegt und in konkreten Erlebniszusammenhängen generiert wurde (Bohnsack 2021, 46). Innerhalb pluraler Gesellschaften finden sich unterschiedliche Formen der Lebenspraxis, die als „Milieus“ (Nohl 2014, 140) bezeichnet werden. Definition: Milieus stellen Kulturen der praktischen Lebensführung und der Alltagsgestaltung dar, die auf der Grundlage kollektiver Erfahrungen basieren (Nohl 2014). Verstehen Milieus stellen gelebte Praxis innerhalb kollektiver Zugehörigkeiten dar, welche die Angehörigen durch Einbindung in vergleichbare, homologe, soziale Lebenszusammenhänge erwerben. Diese strukturidentischen oder gemeinsam gemachten Erfahrungen fungieren als eine Art Brille, durch die der Alltag betrachtet und Partizipation daran eröffnet wird. Die milieubezogenen Erfahrungen, die „kollektiven Erlebnisschichtungen“ (Bohnsack 2021, 66), müssen nicht in konkreten, gemeinsamen Erlebnissen gemacht werden, sondern lediglich gleichartig sein. Die Erfahrungen verbinden die Angehörigen eines Milieus miteinander, sie stellen die „Konjunktion“, eine Verbindung, zwischen ihnen her und dar. Das geteilte Erfahrungs- und Orientierungswissen wird auch...