Strugatzki Kapitän Bykow
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-942396-79-0
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 375 Seiten
ISBN: 978-3-942396-79-0
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alexej Bykow, der Raumfahrtneuling aus 'Atomvulkan Golkonda', ist nunmehr als Kapitän eines Frachtraumschiffs zwischen den Planeten, Monden und Asteroiden des Sonnensystems unterwegs. Teil 2 und 3 der Bykow-Trilogie, die umfangreiche Erzählung 'Der Weg zur Amalthea' und der Roman 'Praktikanten', zeichnen das Bild eines teilweise erschlossenen Nahen Weltraums, der immer noch reichlich Gelegenheit für sensationelle Entdeckungen und Abenteuer bietet, in den aber auch schon die Normalität des Alltags eingezogen ist.
Die Bykow-Trilogie verkörpert im Oeuvre der Strugatzkis die klassische Raumfahrt-Thematik und steht am Beginn eines weitgespannten Zukunftsentwurfs, der Welt des Mittags. Die vorliegende Ausgabe präsentiert die vollständigen Textfassungen, ergänzt durch ein nicht in die Endfassung der 'Praktikanten' aufgenommenes Kapitel, das einen zweiten Blick auf die Venus bietet, durch Kommentare Boris Strugatzkis zur Entstehungsgeschichte der Texte, ein Nachwort und Anmerkungen.
Die Brüder Strugatzki (man findet auch die eigentlich korrektere Schreibweise 'Strugazki' und seltener wissenschaftliche Transliterationen wie 'Strugackij') haben von den fünfziger Jahren bis 1990 gemeinsam ein Oeuvre an Romanen, Erzählungen und Szenarien geschaffen, das sein Zentrum in der Science Fiction hat, gelegentlich aber in den Bereich anderer phantastischer Konventionen hineinreicht. Sie wurden damit nicht nur zu den führenden SF-Autoren der Sowjetunion, sondern sind auch im modernen Russland bislang an Bedeutung unübertroffen; neben dem Polen Lem sind sie die wichtigsten und erfolgreichsten SF-Autoren außerhalb der englischsprachigen Länder seit dem Zweiten Weltkrieg; Bücher von ihnen sind in etwa zwei Dutzend Sprachen übersetzt worden, fast alle ins Deutsche, Englische, Französische, Japanische sowie in Sprachen Ostmitteleuropas.
Nachdem mit Arkadis Tod im Jahre 1991 die Strugatzkis als eine im Grunde unteilbare Autorenpersönlichkeit aufhörten zu existieren, verfasste Boris im Alleingang noch zwei Romane. Er führte auch sein bereits in den siebziger Jahren begonnenes Seminar für Nachwuchstalente weiter, aus dem einige der heute angesehensten russischen SF-Autoren hervorgegangen sind. Seit 2002 gibt er die SF-Zeitschrift Mittag, 21. Jahrhundert heraus. Auf seiner Website führt er seit Jahren ein Offline-Interview mit den Lesern, wo er bisher über 7500 Fragen beantwortet hat (und das, obwohl die eingehenden Fragen von einem der Fans, die die Site für ihn betreiben, vorgefiltert werden, um die Zahl der Wiederholungen zu verringern die Fragen werden dann ggf. auf ältere Antworten verwiesen). Er hat seine außerordentlich hohe Bekanntheit und Autorität auch schon oft benutzt, um in Artikeln und Zeitungsinterviews zu politischen Fragen Russlands Stellung zu nehmen und demokratische Positionen zu vertreten. (Man muss dazu wissen, dass die im westlichen Sinne demokratischen Parteien in Russland derzeit fast bedeutungslos sind, da die Putinisten und andere nationalistisch-autoritäre Parteien klar dominieren und das Wort 'Demokrat' in Russland allgemein als Schimpfwort verwendet wird. Übrigens war der kürzlich verstorbene Jegor Gaidar, einer der demokratischen russischen Ministerpräsidenten unter Boris Jelzin, nicht nur der Enkel des bekannten sowjetischen Schriftstellers Arkadi Gaidar, sondern auch der Schwiegersohn von Arkadi Strugatzki.)
© 2010 by Erik Simon
Weitere Infos & Material
Der Weg zur Amalthea Prolog: Amalthea, J-Station Die Amalthea ist der fünfte Mond des Jupiters und ihm am nächsten. Sie dreht sich in etwa fünfunddreißig Stunden einmal um ihre Achse und umkreist den Jupiter in zwölf Stunden. Deshalb erscheint der Jupiter alle dreizehneinhalb Stunden über dem nahen Horizont. Der Aufgang des Jupiters ist sehr schön. Man muss nur vorher mit dem Lift zu der durchsichtigen Spektrolithkuppel im obersten Stockwerk hinauffahren. Sobald sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erblickt man eine vereiste Ebene, die sich sanft gewölbt bis zu einem Felsenkamm am Horizont erstreckt. Der Himmel ist schwarz und mit zahlreichen klar strahlenden Sternen bedeckt. Der Glanz der Sterne wird von der Ebene verschwommen reflektiert, und der felsige Gebirgskamm zeichnet sich vor dem Sternenhimmel als tiefschwarze Silhouette ab. Wenn man genauer hinsieht, kann man sogar die Umrisse der einzelnen gezackten Gipfel erkennen. Manchmal schweben die gefleckte Sichel des Ganymed oder die silberne Scheibe der Kallisto oder auch beide – was allerdings ziemlich selten vorkommt – dicht über diesem Felsenkamm. Dann fallen von den Bergen ebenmäßige graue Schatten weithin über das schimmernde Eis der Ebene. Erscheint aber am Horizont die Sonne, ein kleiner runder, blendend heller Lichttupfen, so färbt sich die Ebene zartblau, werden die Schatten schwarz und auf dem Eis alle Spalten und Risse deutlich sichtbar. Die kohlschwarzen Kleckse auf dem Raketenstartplatz erinnern dann an riesige, langgestreckte zugefrorene Pfützen, und dieser Anblick erweckt halbvergessene Assoziationen. Man möchte hinausstürmen und auf der dünnen Eisdecke herumlaufen, um zu hören, wie sie unter den Magnetschuhen knirscht, und zu sehen, wie sie sich – gleich der Haut auf warmer Milch, nur dunkler – kräuselt. Aber all das kann man nicht nur auf der Amalthea sehen. Wirklich schön wird es, wenn der Jupiter aufgeht. Dieser Anblick ist nur auf der Amalthea wirklich schön, besonders, wenn der aufgehende Jupiter die Sonne einholt. Zuerst lodert hinter den Gipfeln des Gebirgskamms eine grüne Morgenröte auf – die Exosphäre des Riesenplaneten. Sie erstrahlt immer heller, nähert sich langsam der Sonne und löscht nacheinander die Sterne am schwarzen Himmel aus. Und plötzlich schiebt sie sich vor die Sonne. Diesen Augenblick darf man auf keinen Fall versäumen. Der grüne Strahlenschein der Exosphäre wird augenblicklich, wie durch Zauberei, blutrot. Immer wartet man besonders auf diesen Augenblick, und jedes Mal tritt er überraschend ein. Die Sonne und die vereiste Ebene färben sich rot, und auf dem runden Türmchen des Peilgerätes am Rand der Ebene flammen rote Lichtreflexe auf. Sogar die Schatten der Gipfel sättigen sich mit zartem Rosa. Dann wird das Rot allmählich dunkler, färbt sich graubraun, und schließlich erhebt sich über dem felsigen Bergrücken am nahen Horizont der riesige braune Leib des Jupiters. Die Sonne ist noch zu sehen und immer noch rot wie glühendes Eisen, eine kreisrunde, kirschfarbene Scheibe auf graubraunem Grund. Graubraun gilt wer weiß warum als unschöne Farbe. Zweifellos nur bei Menschen, die noch nie den halben Himmel haben graubraun erstrahlen und darauf die scharf konturierte rote Sonnenscheibe stehen sehen. Ist die rote Scheibe verschwunden, bleibt nur, riesig, graubraun und zottig, der Jupiter zurück. Er braucht geraume Zeit, um sich über den Horizont zu erheben, schwillt dabei gleichsam an und nimmt schließlich ein Viertel des Himmels ein. Ihn gürten schwarze und grüne Streifen von Ammoniakwolken, und von Zeit zu Zeit zeigen sich hier und da winzige weiße Punkte, die sogleich wieder verlöschen – so sieht man von der Amalthea aus die exosphärischen Protuberanzen. Leider kann man sich den Aufgang dieses Planeten nur selten bis zur letzten Phase anschauen. Der Jupiter lässt sich dabei zu viel Zeit, und man muss arbeiten gehen. Wenn man mit der Beobachtung des Jupiteraufgangs beauftragt ist, kann man ihn natürlich bis zur letzten Phase verfolgen. Aber während einer Beobachtung bleibt einem keine Zeit, an die Schönheit zu denken. Der Direktor der »J-Station« sah nach der Uhr. Der Jupiteraufgang war heute schön und würde gleich noch schöner werden. Aber es wurde Zeit, wieder mit dem Lift hinunterzufahren und sich darüber Gedanken zu machen, was zu tun war. Im Schatten der Felsen begann sich langsam das Gittergerüst der Großen Antenne zu drehen. Die Funkoptiker gingen an ihre Beobachtungen. Die hungrigen Funkoptiker ... Der Direktor warf einen letzten Blick auf die wolkig graubraune Kuppel des Jupiters und bedauerte, nicht so lange warten zu können, bis die vier großen Jupitermonde – die rötliche Io, die Europa, der Ganymed, die Kallisto – und der Jupiter selbst, im ersten Viertel zur Hälfte orangefarben, zur Hälfte graubraun, überm Horizont stehen würden. Dabei fiel ihm ein, er hatte den Jupiter noch nie untergehen sehen. Das muss auch schön sein: Langsam erlischt der Strahlenglanz der Exosphäre, und der nachtende Himmel wird allmählich mit Sternen bestickt wie schwarzer Samt mit Diamanten. Aber zur Zeit des Jupiteruntergangs gibt es im Allgemeinen alle Hände voll zu tun. Der Direktor betrat den Lift und fuhr zum untersten Stockwerk. Die Planetologische Station auf der Amalthea war eine kleine Stadt der Wissenschaften, die in die Eisdecke eingelassen und aus Metallplast gegossen war. Hier lebten, arbeiteten, studierten und bauten an die sechzig Menschen. Sechsundfünfzig junge Männer und Frauen, alle vortreffliche Menschen mit einem vortrefflichen Appetit. Der Direktor warf einen Blick in die Sporträume, aber darin war keiner mehr. In dem kugelförmigen Bassin badete noch jemand, und das Echo des Geplätschers wurde von der Decke zurückgeworfen. Der Direktor ging weiter, ziemlich bedächtig – die Magnetschuhe waren schwer. Auf der Amalthea gibt es fast gar keine Schwerkraft, und das ist äußerst unbequem. Natürlich gewöhnt man sich daran, aber in der ersten Zeit hat man das Gefühl, der Körper wäre mit Wasserstoff gefüllt und wolle unbedingt aus den Magnetschuhen herausschlüpfen. Besonders schwer ist es anfangs, unter diesen Bedingungen zu schlafen. Zwei Astrophysiker kamen mit nassen Haaren vom Duschen, begrüßten den Direktor und eilten weiter zum Lift. Der eine ging seltsam taumelig und tänzelnd – anscheinend waren seine Magnetsohlen defekt. Der Direktor bog zum Speiseraum ab. Etwa fünfzehn Menschen saßen hier und frühstückten. Der Koch, Onkel Walnoga, der Chefgastronom der Station, fuhr mit dem Servierwagen von Tisch zu Tisch. Er hatte schlechte Laune. Ohnehin von Natur aus ziemlich unfreundlich, war er schon seit Tagen ausgesprochen mürrisch, und zwar seitdem von der Kallisto, dem vierten Jupitermond, über Funk die Katastrophenmeldung gekommen war: Das Lebensmitteldepot auf der Kallisto durch Pilzbefall vernichtet! – Pilzbefall hatte auch früher schon Schaden angerichtet. Aber diese Katastrophe hatte alle Lebensmittel bis zum letzten Zwieback und auch die Chlorellaplantagen vernichtet. Auf der Kallisto war ein sehr schweres Arbeiten. Im Gegensatz zur Amalthea hatte der vierte Trabant eine Biosphäre, und es gab bisher kein Mittel, das Eindringen des Pilzes in Wohnräume zu verhindern. Dieser Pilz ist sehr interessant. Er durchdringt jede beliebige Wand und verschlingt alles Essbare – Brot, Konserven, Zucker. Besonders gierig verschlingt er Chlorellas. Gelegentlich befällt er auch Menschen, aber das ist ganz ungefährlich. Zuerst machte man sich deswegen große Sorgen, und sogar die Tapfersten erbleichten, wenn sie auf ihrer Haut den charakteristischen, ein wenig glitschigen Belag entdeckten. Aber die Pilze verursachen im lebenden Organismus weder Schmerzen noch Schaden. Man spricht ihnen sogar tonisierende Wirkung zu. Dafür vernichten sie die Lebensmittel im Handumdrehen. »Onkel Walnoga«, rief jemand. »Gibt’s zum Mittagessen auch Zwieback?« Der Direktor konnte nicht sehen, wer das gefragt hatte, weil alle, die an den Tischen saßen, das Gesicht Onkel Walnoga zuwandten und zu kauen aufhörten. Die ungemein sympathischen jungen Gesichter waren fast alle tief gebräunt und schon ein wenig eingefallen. Oder schien es nur so? »Zu Mittag gibt es Suppe«, antwortete Onkel Walnoga. »Herrlich!«, sagte jemand. Wer – das konnte der Direktor wieder nicht sehen. Er ging zu einem Tisch und setzte sich. Walnoga kam mit dem Servierwagen, und der Direktor nahm sich sein Frühstück: einen Teller mit zwei Zwiebäcken, eine halbe Tafel Schokolade und eine gläserne »Birne« mit Tee. Obwohl er sehr geschickt hantierte, hüpften die dicken weißen Zwiebäcke hoch und blieben in der Luft hängen. Das birnenförmige, oben geschlossene Glas blieb stehen, weil es einen Magnetstreifen am Fuß hatte. Der Direktor ergriff einen Zwieback, biss ab und hob das Glas an den Mund. Der Tee war kalt. »Suppe«, sagte Walnoga leise zum Direktor. »Sie können sich vorstellen, was für eine Suppe das ist. Aber die denken womöglich, ich koche ihnen Hühnerbouillon.« Er gab dem Servierwagen einen Schubs, setzte sich an den Tisch und blickte dem Wägelchen nach, das immer langsamer zwischen den Tischen dahinrollte. »Aber auf der Kallisto essen sie unter anderem Hühnersuppe.« »Wohl kaum«, erwiderte der Direktor zerstreut. »Wieso denn nicht?«, sagte Walnoga. »Ich hab ihnen einhundertsechzig Büchsen gegeben. Mehr als die Hälfte unserer Reserve.« »Und den Rest der Reserve? Haben wir den schon verzehrt?« »Natürlich.« »Also...