Strohmeier / Yalçin-Heckmann | Die Kurden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 1329, 282 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Strohmeier / Yalçin-Heckmann Die Kurden

Geschichte, Politik, Kultur

E-Book, Deutsch, Band 1329, 282 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-69093-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das große Siedlungsgebiet der Kurden wurde nach dem Untergang des Osmanischen Reichs von Grenzen durchtrennt. Die Angst vor kurdischen Autonomiebestrebungen führt seitdem zur Unterdrückung ihrer Kultur und wird durch die Verwirklichung einer Autonomie in Irak und Syrien weiter angeheizt.

Die Autoren schildern die mehr als tausendjährige Geschichte der Kurden unter besonderer Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen in der Türkei, im Irak und Iran sowie in Syrien. Besonderes Augenmerk gilt auch der kurdischen Kultur und den Familien- und Stammesstrukturen. Für die 4. Auflage wurde das bewährte Standardwerk auf den neuesten Stand gebracht.
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Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;2
3;Zum Buch;282
4;Über die Autoren;282
5;Impressum;3
6;Inhalt;4
7;Hinweise zu den Karten;7
8;Hinweise zu Schreibweise und Aussprache von Wörtern und Namen;8
9;Einleitung;10
10;Erster Teil: Sprachen und Kulturen;18
10.1;1. Das Land: Kurdistan als geographischer und politischer Begriff;19
10.2;2. Die Menschen: Mythen und Fakten;24
10.3;3. Sprachen und Literaturen: Vielfalt und Restriktion;27
10.4;4. Religionen: Die Dominanz des Islams;40
11;Zweiter Teil: Geschichte der Kurden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts;50
11.1;1. Die Kurden im Mittelalter: Integration in die islamische Völkergemeinschaft;51
11.2;2. Kurden, Osmanen und Perser: Kurdische Herrschaften zwischen zwei Großreichen;60
11.3;3. Das 19. Jahrhundert: Osmanische Reformen, ausländische Einflüsse und kurdische Reaktionen;76
11.4;4. Der Beginn des 20. Jahrhunderts: Das Aufkommen des Nationalismus unter den Kurden und das Ende des Osmanischen Reiches;85
12;Dritter Teil: Die Kurden im 20. und 21. Jahrhundert;94
12.1;1. Die Kurden in der Türkei: Rebellion, Repression, Assimilation und Integration;95
12.2;2. Die Kurden im Irak: Zwischen Autonomie und Auslöschung;121
12.3;3. Die Kurden in Iran: Sprachliche Affinität und politische Konfrontation;150
12.4;4. Die Kurden in Syrien und im Libanon: Unsicherer Status, Diskriminierung, die PKK und der Bürgerkrieg in Syrien;169
12.5;5. Die Kurden in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten, insbesondere Armenien und Aserbaidschan: Kulturelle Förderung und Deportationen;179
13;Vierter Teil: Wirtschaft und Gesellschaft am Beispiel Südost-Anatoliens;183
13.1;1. Sozialstruktur und Entwicklung;184
13.2;2. Bauerntum, ländliche Produktionsformen und Landbesitz;203
13.3;3. Haushalt und Familie;209
13.4;4. Stamm und Herrschaft in Kurdistan;216
13.5;5. Geschichte und Gegenwart eines kurdischen Dorfes oder: Ausblick auf das «Lokale» in der «globalisierten» Welt;231
13.6;6. Postskriptum;239
14;Anhang;241
14.1;Anmerkungen;243
14.2;Statistische Daten zu Kurden in der Türkei;254
14.3;Glossar;258
14.4;Ausgewählte Daten zur kurdischen Geschichte;262
14.5;Literatur;271
14.6;Register;273
15;Verzeichnis der Karten;20
15.1;1. Von Kurden bewohnte Städte und Regionen (Türkei, Iran, Irak, Syrien und Armenien);20
15.2;2. Kurdische Sprachen;28
15.3;3. Provinzratswahlen vom 29.3. 2009, Stimmenanteile der DTP (Partei der demokratischen Gesellschaft);116
15.4;4. Die politische Lage der Kurden in Syrien und im Irak (März 2016);175
15.5;5. Geschätzter Anteil der Einwohner kurdischer Muttersprache 1990;190
16;Verzeichnis der Abbildungen;87
16.1;(Fotografie Nr. 2–8: Enver Özkahraman);87
16.2;1. Die Zeitung Kürdistan;87
16.3;2. Kurdenprotest in der Türkei;108
16.4;3. Flüchtlingstreck irakischer Kurden in die Türkei;142
16.5;4. Cici Bibi;186
16.6;5. Alter Mann mit Pfeife;187
16.7;6. Kurdische Zeltsiedlung auf der Bergweide;208
16.8;7. Hochzeitszug in Hakkari;211
16.9;8. Das Dorf Anitos;234
17;Verzeichnis der Tabellen;188
17.1;1. Geschätzter Anteil kurdischer Muttersprachler in der Türkei (1935–1990);188
17.2;2. Mittelwert der erwünschten Kinder nach Regionen der Türkei (1993);248
17.3;3. Rate der Säuglingssterblichkeit und Fertilität nach ausgewählten Regionen der Türkei (1993 und 1998);248
17.4;4. Volkszählungen in der Türkei und Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung;249
17.5;5. Hochrechnung des Anteils der kurdischen Bevölkerung in verschiedenen Regionen der Türkei (1990);249
17.6;6. Bevölkerungszahl, -dichte und -zuwachsrate sowie Netto-Migrationsrate;254
17.7;7. Geschätzter Anteil der Kurden in verschiedenen Provinzen der Türkei in den Jahren 1965 und 1990;255
17.8;8. Bildungsstand in der Türkei und im Südosten 1990;256
17.9;9. Zahl der Patienten pro Arzt und Krankenbetten pro 10 000 Personen nach Regionen der Türkei (2002);257


Einleitung
In den kurdischen Bergen, wo die türkische Armee ihre Wachtposten in Dörfern oder in deren Nähe unterhält, gab es bis in die achtziger Jahre einen Beruf, den man als «Mauleselunternehmer» bezeichnete. Resit, dessen Familie nach einem Aufstand in dieser Region im Jahr 1930 in den Westen der Türkei deportiert worden war und der dort als Kind gut Türkisch gelernt hatte, übte diesen Beruf aus. Seine Familie kehrte nach mehreren Jahren in ihr Heimatdorf zurück, «dieses Loch zwischen den Bergen», wie Resit sich auszudrücken pflegte. Er war Jäger und unterhielt sich gern mit den Soldaten und Offizieren der Gendarmeriewache und übernahm den einträglichen Gütertransport mit Mauleseln für das Militär. Er transportierte den Vorrat für die Soldaten, die im Winter genauso wie die Dorfbewohner von der Außenwelt abgeschnitten waren. Seine Arbeit brachte ihn in näheren Kontakt zu den Soldaten; er schloss Freundschaft mit ihnen und konnte sie, wenn nötig, um Hilfe bitten. Eines Tages wollte Resit mit seinem Sohn, der zum Militärdienst musste, in die Stadt. Zusammen mit zwei anderen Dorfbewohnern «mietete» er das Auto eines ihm bekannten Feldwebels (çavus), um sich von ihm dorthin fahren zu lassen. Während der Fahrt unterhielten sie sich lebhaft und laut auf Kurdisch, worauf der Feldwebel, ein Türke einfacher Bildung aus dem Schwarzmeergebiet, plötzlich gereizt das Gespräch unterbrach: «Hört auf mit dieser ekelhaften Sprache!» Die Mitfahrer waren erstaunt und schwiegen. Dann sagte Resit langsam und mit sicherer, ruhiger Stimme und verschmitztem Blick: «Çavus, wir wissen, dass wir alle aus Zentralasien stammen und Brudervölker sind, aber die Sprache kannst du uns nicht verbieten …» Resit lebt nicht mehr. In der Auseinandersetzung zwischen den «Brudervölkern» bzw. in dem Krieg zwischen PKK-Guerilla, türkischer Armee und kurdischen Dorfschützern wurde er getötet. Die Arbeit, die er verrichtete, ist nicht mehr gefragt; die türkische Armee ließ überallhin Straßen bauen, ihre Versorgung liegt heute nicht mehr in den Händen von Mauleselunternehmern. Die Personen sind in vielfältiger Weise in das Geschehen eingebunden: Der çavus, der im Einsatz gegen kurdische Schmuggler ist, bessert sein karges Gehalt mit Taxifahrten für die kurdische Bevölkerung auf. Resit, ein «integrierter» Kurde, bestreitet von seiner Arbeit im Dienst der Armee seinen Lebensunterhalt und wird später (die Geschichte spielt 1981) Dorfschützer (korucu). Die Begebenheit führt verschiedene Facetten kurdischen Alltags vor Augen: Ambivalenzen von Identität und Ideologie, situationsbedingtes oder pragmatisches Handeln und Denken, wechselseitige Abhängigkeit der Menschen voneinander. Was veranlasste den çavus, das Kurdische als «ekelhaft», also als minderwertig zu bezeichnen? Hatte er sich sprachlich ausgegrenzt gefühlt? Wie erklären sich Resits Souveränität in seiner Behandlung des çavus, sein selbstbewusster Ton und seine ironische Anspielung auf die angeblich gemeinsame Herkunft von Türken und Kurden? Es sind solche Alltagssituationen, an denen sich die komplexen historischen Beziehungen und sozialen Prozesse zwischen Türken und Kurden ablesen lassen. Eine ethnische Identität, die von einer nationalen abweicht, kann im Alltag eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit haben. Ethnische Identität kann aber auch zugespitzt und bewusst verwendet werden, um die Unterschiede zwischen beiden Identitäten zu unterstreichen. Die von Resit und seinen Landsleuten gesprochene Sprache ist hier der Gegenstand solcher Prozesse. Für sie gehört ihre Sprache zu ihrem Selbstverständnis und wird nicht aus «patriotischen» Gründen gesprochen. Der çavus reagiert auf seine Ausgeschlossenheit aggressiv. Diese Haltung drückt nicht mehr allein seine persönliche Frustration aus, sondern greift auf dubiose Ideologien zurück, die sich auf die ethnisch-nationale «Überlegenheit» von Türken über Kurden beziehen. Resit weiß um die Unangemessenheit der Intervention des çavus. Er spielt mit der Zweideutigkeit dieser Ideologie und betont die Gemeinsamkeit der Herkunft von Türken und Kurden, akzeptiert sie aber nur um den Preis der Gleichwertigkeit der eigenen Sprache. Kurdisch zu sprechen kann man ihm nicht verbieten; dies ist eine wesentliche Komponente seines Selbstverständnisses als Kurde und als Bürger des türkischen Staates. In dieser Episode ist der Umgang mit Geschichte von großer Bedeutung. Geschichte und Geschichtsbewusstsein sind zentral für ethnische und nationale Identitäten, die keineswegs immer zusammenfallen. Eine soziale Gruppe kann ein Bewusstsein von objektiven Kriterien wie Sprache und Religion haben, die sie von anderen sozialen Gruppen unterscheiden; dies bedeutet aber nicht, dass sie ihre Identität nur auf diese Kriterien beziehen muss. Geschichte wird immer wieder neu geschrieben, Geschichtsbewusstsein konstituiert sich immer wieder aufs Neue. Akteure in ungleichen Machtverhältnissen – sei es auf der individuellen oder auf der gesellschaftlichen Ebene – können historische Konstrukte benutzen, um diese Verhältnisse zum eigenen Vorteil zu ändern. Die Unstimmigkeit zwischen unterschiedlichen Konstrukten, die in unserer Geschichte zum Konflikt führte, und die Diskrepanz von Fremd- und Selbstsicht (d.h. wie die Kurden von anderen gesehen werden und wie sie sich selbst sehen) sind wichtige Elemente des Verhältnisses der Kurden zu anderen Völkern. Seit Beginn ihres «nationalen Erwachens», also seit sie ihre Sprache und Kultur als Basis einer nationalen Identität einsetzen, mussten die Kurden (bzw. ihre nationalistischen Vorkämpfer) erleben, dass ihr Selbstbild (ihr historisches Konstrukt) von anderen nicht ohne weiteres akzeptiert wurde, beispielsweise ihnen eine eigene Identität versagt wurde oder sie als «wildes Bergvolk» galten, wenn sie im Westen nicht sogar gänzlich unbekannt waren. Diese frustrierende Erfahrung machte ein Mitglied der kurdischen Studentenvereinigung Hivi, das sich vor dem Ersten Weltkrieg zum Studium in der Schweiz aufhielt: «An dem Tag, an dem ich in die Pension in Lausanne einzog, fragte mich die Vermieterin vor den anderen Gästen, die aus mehr als zehn verschiedenen Ländern kamen: ‹Monsieur, Sie kommen aus Istanbul, sind Sie Türke oder Grieche?› In meinem gebrochenen Französisch antwortete ich: ‹Weder Türke noch Grieche.› Auf ihre Frage: ‹Zu welchem Volk gehören Sie dann?› antwortete ich: ‹Ich bin Kurde.› Alle Gäste am Tisch schauten mich verdutzt an, als ob sie etwas ganz Sonderbares gehört hätten. Natürlich schämte ich mich. Und ich war verletzt, dass ich zu einem Volk gehörte, das niemand kannte. Glücklicherweise waren zwei Russen zugegen, die mir aus meiner Verlegenheit halfen und etwas zu den Kurden und Kurdistan sagen konnten. Am nächsten Tag saß ich nach dem Frühstück im Salon. Die Pensionswirtin fragte: ‹Sie sagen, dass Sie Kurde sind. Wo ist denn ihr Land?› Ich öffnete die Landkarte, die dort lag, zeigte auf die Stadt Diyarbakir, über der der Name Kurdistan in großen Buchstaben geschrieben stand, und sagte: ‹Da komme ich her.›»1 Im Jahre 1998 jährte sich zum hundertsten Mal die Gründung einer Zeitung mit Namen Kürdistan. Zwar war den Herausgebern und Autoren von Kürdistan die Forderung nach einem Staat gleichen Namens noch fremd, weil sie sich als loyale Untertanen des Osmanischen Reiches, wenn auch – zusammen mit türkischen Reformern – als Gegner des autokratisch herrschenden Sultans Abdülhamid verstanden. Aber die Grundlagen wurden geschaffen für ein Programm, wie es Nationalisten überall auf der Welt propagieren: Rückbesinnung auf Glanzzeiten des eigenen Volkes, Forderung nach Überwindung von Abhängigkeit und Rückständigkeit sowie nach Modernität. Die kurdische Nationalbewegung, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts herausbildete, lenkte ihr Augenmerk auf zwei Punkte: Zum einen galt es, den Kampf um die von ihr beanspruchten Rechte der Kurden bzw. die Einheit der Kurden zu führen. Zum anderen wurden die Modernisierung der kurdischen Gesellschaft und die Zurückdrängung traditioneller Identitäten und Strukturen als Voraussetzungen für «nationalen» Fortschritt angesehen. Während Letzteres ansatzweise realisiert worden ist, konnte das längst nicht von allen Kurden verfolgte Projekt der staatlichen Einheit nicht...


Martin Strohmeier ist Professor für Türkische Sprache, Geschichte und Kultur an der University of Cyprus in Nikosia.

Lale Yalçin-Heckmann ist am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle an der Saale tätig.


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