Strittmatter | Ochsenkutscher | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 361 Seiten

Strittmatter Ochsenkutscher

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8412-2869-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 361 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2869-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Erwin Strittmatters Frühwerk.

In einem Dorf in der Niederlausitz kommt Lope Kleinermann als Kind einer armen Landarbeiterfamilie zur Welt. Verzweifelt sucht Lope eine Antwort, warum es so ungerecht zugeht auf der Welt. Erwin Strittmatter kannte das Leben der Kumpel und Tagelöhner, ihre Sehnsucht nach Glück und ihren Humor. Aus dieser Vertrautheit gewinnt der Roman über den heranwachsenden Dorfjungen, der sich mit dem Zustand seiner Welt nicht abfinden will, Wärme und Lebendigkeit.



Erwin Strittmatter wurde 1912 in Spremberg als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern geboren. Mit 17 Jahren verließ er das Realgymnasium, begann eine Bäckerlehre und arbeitete danach in verschiedenen Berufen. Von 1941 bis 1945 gehörte er der Ordnungspolizei an. Nach dem Kriegsende arbeitete er als Bäcker, Volkskorrespondent und Amtsvorsteher, später als Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1951 lebte er als freier Autor zunächst in Spremberg, später in Berlin, bis er seinen Hauptwohnsitz nach Schulzenhof bei Gransee verlegte. Dort starb er am 31. Januar 1994.

Zu seinen bekanntesten Werken zählen sein Debüt »Ochsenkutscher« (1950), der Roman »Tinko« (1954), für den er den Nationalpreis erhielt, sowie die Trilogien »Der Laden« (1983/1987/1992) und »Der Wundertäter« (1957/1973/1980).

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»O Mensch«, stöhnt er, lässt es fallen und schnippt die Finger, Kühlung suchend, durch die Luft. Das Zündholz fällt ins Heu, rutscht durch die sperrigen Halme nach unten. Es knistert leise. Das Heu brennt. Die Jungen fahren auf.

»Jetzt habt ihr was gemacht!« Entsetzen in Lopes Gesicht.

»Können wir doch, ist doch unser Heu«, erwidert Aribert. Er und Dieter stehen mit staunoffenen Mündern. Dieter beginnt zu zittern. Lope ist hemdärmelig. Aber die Herrensöhne haben vollständige Anzüge an. »Zieht eure Jacken aus und schlagt drauf!« schreit er.

»Auch noch unsere Jacken verbrennen, was?« Aribert bleibt hochtrabend und protzig. Der Feuerschein spiegelt sich in seinem Gesicht wider. Lope springt zur Leiter.

»Nun reißt er aus, der Feigling«, höhnt Aribert.

Lope ist schon im Pferdestall. Er hakt einen Tränkeimer aus und ächzt damit die Leiter hinauf. Das wenige Wasser will nicht ausreichen. Die Flamme wird kleiner, aber der Brand frisst unterm Heu weiter. Dieter beginnt zu heulen, Ariberts herrisches Wesen fällt in sich zusammen. Das Knistern wird stärker. Rauch fährt den Jungen in die Augen.

Lope ist wieder im Pferdestall, er holt einen zweiten Eimer. Auch unten im Stall ist schon Rauch, die ersten Kutscher kommen zur Mittagsfütterung.

»Hoii, verfluchter Bengel, was hast du angestellt?« kommt es aus einem Stand.

Lope schleift seinen Eimer schweigend über den Stallgang, der Kutscher folgt mit einem Eimer. An der Leiter holt er Lope ein. Es ist Blemska.

»Feuer, Feueueuer! Schnell die Stalleimer her!«

Lope gießt seinen zweiten Eimer ins rotglimmende Loch. Zischend saugt die Flamme auch noch das Wasser aus Kutscher Blemskas Eimer. Es klappert auf der Leiter. Andere Kutscher kommen.

»Eimerkette!« brüllt Blemska.

Er reißt dem auf der Leiter stehenden Kutscher den Tränkeimer aus der Hand.

Neues Zischen, graue Heuasche stiebt, dicker Rauch in wirbelnden Wolken. Die Rendsburgjungen schlagen nach Funken auf ihren Röcken.

»Glotzt nicht so dämlich, helft lieber!« schreit Blemska sie an.

»Wir sollen uns wohl die Sonntagssachen verbrennen«, sagt Aribert, wieder schnippisch.

»Ich werd dir gleich mit Sonntagssachen! Geh mir aus dem Wege, du Hurenbalg, sonst schlag ich dir den Eimer um den Nischel!«

Immer mehr gefüllte Eimer werden gebracht. »Kommt doch näher«, brüllt Blemska, »soll ich mich denn alleine räuchern, ihr Hasenschwänze?«

Kutscher Müller, der manchmal sonntags mit Liepe zum Barbier geht, wagt sich weiter vor. Müller ist nicht ganz nüchtern. Er schwankt unter der einseitigen Last seines Eimers.

»Pass auf, dass du nicht explodierst, altes Schnapsfass«, ruft Blemska und hält sich einen nassen Lappen vor Mund und Nase.

Unten im Stall keifen Frauenstimmen.

»Jetzt wird’s«, bemerkt Blemska und stürzt von neuem vor. Seine Gestalt wird von Qualm und Heuasche eingehüllt. An der Leiter steht Leibkutscher Wenskat. Er nimmt die Eimer ab und gibt sie dem hin und her hastenden Lope. Lopes Arme wollen nicht mehr. Er reicht einen Eimer Wasser hinüber zu Dieter. Der packt so zaghaft zu, dass der Eimer auf den gestampften Lehm fällt. Das kostbare Wasser ist dahin.

»Ach, der kleine Herr Dieter macht schon Sachen«, droht Wenskat wohlwollend.

Blemska ist wieder nach vorn gekommen.

»Ich glaube, wir schaffen’s«, sagt er heiser und entreißt Müller den Eimer. Müller setzt sich angerempelt auf die Hose. Blemska steht im ausgebrannten Loch. Er späht und lauscht.

»Es knistert nicht mehr. – Oder hört ihr noch was?«

Wenskat kommt nach hinten.

»Geh du mal rein, ob du noch was hörst.«

Blemska stößt ihn vor. Wenskat streckt den Arm vor die Augen und geht zaghaft zur Brandstelle.

Irgendwo auf dem Hofe schnarrt die Stimme des Inspektors.

»Konrad kommt«, Müller stößt Blemska in die Seite.

»Der fehlt mir noch gerade. Scheiß dich nicht ein mit dem Pinselträger. Sauvolk, alle miteinander!« Blemska brüllt es. »Ich hab’s satt, soll der alte Hurenbock selber kommen mit seiner scheinheiligen Fratze. Is ja sein Heu, was verbrennt, seine Scheune, nicht unsere. Kann sich ruhig mal die feinen Finger am eigenen Mist dreckig machen.«

Blemskas rauchheisere Stimme überschlägt sich. Speichel spritzt von seinem Munde.

»Is aus«, sagt Wenskat, der zur Leiter zurückkommt. Aber Blemska hört es nicht mehr. Er hat Lope gepackt und legt ihn übers Knie … löst mit einem Ruck seinen Leibriemen, haut zu.

»Aua, aua, nich, Onkel Blemska«, Lope schreit und zappelt widerspenstig.

»Ich werde dich lehren, hier herumzukokeln, Nichtsnutz, verfluchter! Was hast du, was habt ihr hier überhaupt zu suchen?«

Er blickt auf die Herrschaftsjungen. Aribert und Dieter stehen schon an der Leiter. Kutscher mit fragenden Augen versperren ihnen den Weg.

Blemska lässt Lope los und packt Dieter.

»Wer hat das angebrannt?« Blemska rast.

»Aua, aua«, klagt Lope und reibt sich.

»Der«, Aribert zeigt auf seinen Bruder und zittert. »Bitte, bitte, Herr Blemska, ich war’s nicht, ich werd’s nie wieder tun.«

»Ihr Schweinehunde! Lumpenvolk elendes, brennt uns die Bude über dem Kopf zusammen!«

»Bitte, bitte, lieber Herr Blemska, aufhören, bitte, bitte!« Blemska drischt, eine Maschine, deren Schwungrad sich nicht von einem Pfiff aufhalten lässt.

Seine Hosen rutschen. Sie ruhen wie ein nach unten gefallener Vorhang auf den Füßen; sein Hemdrand wippt auf und nieder wie der Rockrand einer kartoffelhackenden Frau. Aribert versucht zu entkommen; aber immer ist der Abgang bei der Leiter noch versperrt. Schon saust Blemskas Gurt klatschend auf ihn nieder.

»Sie haben mich gar nicht zu schlagen!«

»Da werde ich dich fragen, du Sauigel, du verdammter!«

»Aua, es ist doch unser Heu!«

Blemska packt jetzt auch Aribert. Seine Hände machen eine zermalmende Bewegung, er wirft den Gurt weg und nimmt die Fäuste.

»Lassen Sie mich los … sofort. Ich sage es dem Pappi.«

»Ja, dem lieben Gott auch noch, was? Bei mir werden keine Ausnahmen gemacht. – Auch noch frech werden, du Bürschchen, du, wie?«

Blemskas runde Fäuste trommeln. Aribert fliegt wie eine ausgestopfte Puppe hin und her.

»Was ist denn los?« übertönt auf einmal die Donnerstimme des Inspektors alles. Inspektor Konrad steht auf der Leiter. Blemska wollte eben Aribert auslassen; als er die Stimme des Inspektors vernimmt, packt ihn ein neuer Wutanfall. Die anderen Kutscher treten scheu zurück.

»Komm man her, du Untier!« brüllt Blemska den Inspektor an, »kriegst gleich mit.«

Das fuselgedunsene Gesicht des Inspektors bleibt bewegungslos. Es ist das erstemal in seiner Dienstzeit, dass seiner Donnerstimme der Respekt versagt bleibt. Konrad steht wie mit der Leiter verleimt. Die Kutscher weichen mit hilflos herabhängenden Armen zurück. Ein Vulkan ist ausgebrochen: Klatschen, Toben und Brüllen. Blemska packt Aribert mit beiden Händen, hebt ihn hoch und wirft ihn durch die rauchige Luft in das verkohlte Heu. »Kanaille, du!«

Langsam verlässt Inspektor Konrad die Leiter. Er macht dem nachdrängenden Liepe Platz. Liepe stiert in den beißenden Qualm. Es dauert seine Zeit, bis er die Lage erfasst hat. Dann aber packt er sich Lope und grapscht nach Blemskas Riemen, der in der Wasserpfütze liegt. Er schlägt zwei, dreimal zu. Blemska entreißt ihm wortlos den Riemen. »Dass ich dich nicht mit verwamse, Speichelfresser, erbärmlicher!«

Liepe taumelt zurück. Andere Kutscher drängen sich vor.

»Er war’s nicht, Liepe. Er hat gelöscht.«

Liepe schaut mit blödem Gesicht auf den Jungen. Lopes Gesicht ist unter schwarzem Rußgeschmier mehlige Blässe. Er wimmert nicht mehr, aber Tränen, so groß wie Erbsen, kullern aus seinen rotumliderten Augen.

Eine Stunde später kommt Stina, das Stubenmädchen, zu Kleinermanns in die Küche. Liepe soll zum gnädigen Herrn kommen und den Jungen mitbringen. Liepe zieht seinen schwarzen Kirchanzug an. Die Mutter wäscht Lope Gesicht und Ohren. Dann gehen sie hinüber in das Schloss.

Liepe klopft zaghaft an die Tür des Vorzimmers. Bis an diese Tür hat sie Stina gebracht und ist dann verschwunden. Im Vorzimmer knurrt ein Hund. Diener Leopold kommt und öffnet. Leopold ist putzig angezogen. Bald wie die Dorfburschen bei der Fastnacht. Leopold trägt eine gestreifte Jacke, kurze Puffhosen aus Samt und weiße Strümpfe dazu, wie manchmal die Mädchen. An Leopolds Schuhen blinken silberne Schnallen.

»Was wollt ihr?« fragt Leopold barsch.

»Wir wollen zum Herrn Landrat«, flüstert Liepe. »Das ist … er hat uns … Stina war bei uns … wir sollen mal kommen, hat sie gesagt … ich weiß ja nicht.«

»Hä, Landrat, das war einmal vor sieben Jahren. Wisst ihr denn immer noch nicht, dass es Herr von Rendsburg ist, zu dem ihr wollt?«

»Lassen Sie Kleinermann nur vor, Leopold«, sagt der gnädige Herr aus dem Arbeitszimmer, und Leopold macht eine Verbeugung zur Tür hin. Sie treten ein. Liepe hält seinen steifen Hut in der Hand und bückt sich. Lope denkt, der Vater sucht etwas, und er sucht seinerseits den Teppich ab. Da liegt aber nichts. Sie bleiben an der Tür stehen. Der gnädige Herr schreibt noch.

Das Arbeitszimmer des gnädigen Herrn hat Wände aus...



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