Strigl | Zum Trotz | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 96 Seiten

Strigl Zum Trotz

Erkundung einer zwiespältigen Eigenschaft
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7017-4747-4
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erkundung einer zwiespältigen Eigenschaft

E-Book, Deutsch, 96 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4747-4
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Karl Kraus oder Michael Kohlhaas, aber auch der Trotzkopf oder die widerspenstige Katharina: Daniela Strigl macht deutlich, dass ohne Trotz gar nichts geht. Trotzig ist, wer, womöglich gegen bessere Einsicht, an etwas Unvernünftigem festhält. Man verbindet Trotz mit Eigensinn, ja Sturheit, zum anderen ist er eine Bedingung des Widerstands: Wer jemandem trotzt, der widersetzt sich, mitunter auch einer Übermacht. In ihrem Essay befasst sich Daniela Strigl mit historischen und literarischen Phänomenen des Aufbegehrens gegen die Obrigkeit. Mag der Querulant einen üblen Ruf genießen und der 'Querdenker' jüngst in Verruf geraten sein, so nötigt uns der Querkopf doch nach wie vor Respekt ab. In seiner weiblichen Ausprägung galt er lange als besondere Provokation. Doch macht all das den Trotz schon zur Tugend? Und ist Kunst in einer feindlichen Umgebung nicht auf Trotz angewiesen?

Daniela Strigl geboren 1964 in Wien, Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte, Theaterwissenschaft. Essayistin, Literaturkritikerin, lehrt am Institut für Germanistik der Universität Wien, war Mitglied der Jury des Ingeborg Bachmann Preises (Klagenfurt) und Mitglied der Jury des Deutschen Buchpreises. Zahlreiche Preise: Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 2001, Alfred Kerr Preis 2013, Berliner Preis für Literaturkritik 2015. Mitherausgeberin der Ebner-Eschenbach-Leseausgabe. Zuletzt bei Residenz erschienen: 'Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie.' (2016) und 'Zum Trotz' in der Reihe 'Unruhe bewahren' (2025).
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Zum Trotz
Erkundung einer zwiespältigen Eigenschaft


Mit dem Trotz ist es so eine Sache. Wir wissen nicht, was wir davon halten sollen: Ist es eine kindische Eigenschaft, ein Aufbegehren ohne Sinn und Ziel, ein unvernünftiges Festhalten an etwas einmal Beschlossenem, eine Haltung des Eigensinns, gar der Sturheit, die wir missbilligen müssen? Oder verstehen wir unter Trotz eher ein Movens des Widerstands, die Bereitschaft, sich selbst einem übermächtigen Gegner in den Weg zu stellen, sich ihm zu widersetzen, eine Form von Courage, der wir Respekt und sogar Bewunderung zollen?

Auch bei nur oberflächlicher Betrachtung zeigt sich: Der Zwiespalt liegt im Begriff, nicht nur in unserer Wahrnehmung. Trotz kann imponieren und irritieren. Der Trotzige kann im Recht sein oder sich im Recht glauben. Das Internet-Wörterbuch Wiktionary etwa definiert Trotz negativ als »eigensinniges, störrisches Beharren auf der eigenen Position«. Was als Untugend erscheint, lässt sich unter veränderten Vorzeichen jedoch leicht zur Tugend umpolen: Ohne die Attribute des Eigensinns und der Störrischkeit bleibt das »Beharren auf der eigenen Position« als Ausfluss einer jedenfalls positiv besetzten Beharrlichkeit und Grundsatztreue: Wer jemandem trotzt, der harrt auf seinem Posten aus, der beweist Standfestigkeit, Rückgrat, Mut.

Die Anregung zum Nachdenken über den Trotz verdanke ich Judith Schalansky. Wir sprachen über reizvolle Ideen für einen Essay, und sie meinte, ich könnte doch etwas über die Figur des Querulanten schreiben. Nun konnte ich nicht umhin, dies als wenig schmeichelhaften Kommentar zu meiner charakterlichen Disposition zu verstehen, doch sie beeilte sich mir zu versichern, dass dieser Begriff in ihren Ohren durchaus keinen üblen Klang habe. Ich mag das für bare Münze nehmen oder für einen Akt der Höflichkeit halten, so oder so fühle ich mich durchschaut.

Mein Lieblingsheld in der Literatur war seit jeher Michael Kohlhaas. Seit jeher meint: noch bevor ich Kleists Novelle gelesen hatte. Denn meine Eltern haben mich früh bei verschiedenen Gelegenheiten der familiären Konfliktaustragung als Michael Kohlhaas tituliert, und trotzig, wie ich war, dachte ich mir: Wenn ich schon ein Kohlhaas sein soll (also jemand, der offenbar Schwierigkeiten macht), dann will ich das auch sein. Aus Tonart und Kontext des literarischen Vergleichs ging unmissverständlich hervor, dass dieser, wenn auch als Anerkennung, so doch nicht als Lob meiner charakterlichen Eigenheit gemeint war. Aber erst die Lektüre der verwickelten Geschichte hat mir die ganze abgründige Vertracktheit meines Helden eröffnet: Da ist einer, der recht hat und Opfer seiner Rechthaberei wird; der sein gutes Recht will und sich dadurch ins Unrecht setzt; der am Ende recht behält und sein Leben verliert. Das war mir tatsächlich schon damals mit zwölf oder dreizehn klar: dass dieser rechtschaffene Rosshändler nicht zum Role Model für ein geglücktes Leben taugt. Wie könnte einer auch Vorbild sein, der alles, auch seine Frau und zuletzt sich selbst, auf dem Altar der Gerechtigkeit opfert, der buchstäblich über Leichen geht, um seiner Rechtsauffassung Nachdruck zu verleihen und sich für erlittenes Unrecht zu rächen? Die Maßlosigkeit in der Durchsetzung seiner Interessen ist der nicht zu tilgende Makel des Protagonisten.

Zugleich bleibt das Faszinosum eines zunächst besonnenen, von Anfang an unerschrockenen, später unbeirrt rücksichtslosen Mannes, der sich von den Vertretern des Gesetzes und der Staatsgewalt nicht einschüchtern lässt und ihnen auf ihrem angestammten Terrain, dem Recht, Paroli bietet. Und es entging mir nicht, dass Kohlhaas’ Kampf um sein Recht trotz allem Wahnwitz auch meine juristisch gebildeten und geprägten Eltern beeindruckt hat. Der »Querulant«, als der Kohlhaas von seinen Gegnern zu Unrecht bezeichnet wird, etabliert sich im juristisch-amtlichen Diskurs bald als das lächerliche Pendant zum aufrechten Rechtsucher.

Ein Grund für das zweifelhafte Image des Trotzes liegt in der Assoziation mit dem tobsüchtigen Kind. Das Trotzalter als eine Phase, die der »normale« Erwachsene überwunden hat, in der ein gestörter Charakter nach psychoanalytischer Ansicht hingegen festhängt, rechtfertigt zumindest einige Streiflichter auf die Psychologie. Trotz ist eine Haltung des individuellen Aufbegehrens, kann aber auch Gruppen und ganze Völker motivieren. So wird es in meinen Überlegungen zum Trotz in seiner politischen Dimension wesentlich um die Frage der Gerechtigkeit und das Auseinanderklaffen von natürlichem und gesatztem Recht gehen, für das die in der Literatur des 19. Jahrhunderts besonders beliebte Gestalt des Wilderers steht: Er übertritt das Gesetz und gilt gemeinhin doch nicht als Verbrecher. Das gilt natürlich auch für den Dissidenten, den Oppositionellen in der Diktatur. In der vielfältigen Typologie der Trotzigen kommt dem publizistischen Einzelkämpfer eine besondere Rolle zu: Sein Kampf gegen die Unmoral bezieht gerade daher seine Legitimation und Energie, dass er einer gegen Windmühlen ist; und das Heer der Gegner unüberschaubar. Der Lohn des Polemikers muss paradox sein, wie Karl Kraus wusste: »Man könnte größenwahnsinnig werden: so wenig wird man anerkannt.«1 In dem Epigramm »Jedem das Seine« deutet Kraus das im Rückblick um:

Ich darf wohl sagen, viel Feind viel Ehr’,

an mir hat das Sprichwort nicht gelogen.

Ich hab’, war der Haß gleich zentnerschwer,

mit Epigrammen ihn aufgewogen.2

Ein gehöriges Quantum Trotz und Widerspruchsgeist wird man auch dem Dichter Peter Handke als öffentlicher Person attestieren. Seine umstrittenen Aussagen zu Schuld und Verantwortung in den Jugoslawienkriegen scheinen geradezu auf eine Provokation des Meinungsmainstreams hin formuliert. Diese Feier einer splendid isolation erstreckt sich nicht nur auf die explizit autobiographischen Werke, in denen ein Erzähler-Ich »zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina« reist, auch die Handke’schen Romanhelden kultivieren eine Quer- und Rappelköpfigkeit, die ihnen eine Laufbahn vom Desperado bis hin zum Amokläufer nahelegt.

In seiner weiblichen Ausprägung ist der Querkopf nicht minder ambivalent, das patriarchale Werte-Regime hat jedoch renitentes Verhalten von Frauen noch schärfer sanktioniert. Gewiss hat Sophokles mit Antigone das Urbild der tragischen Heldin geschaffen, die sich auf ihr Gewissen und Rechtsgefühl beruft, sich dem (männlichen) Gesetz widersetzt und nach ihrem Tod vom Gang der Ereignisse bestätigt wird. Auch hat die historische Johanna von Orleans mit ihrer martialischen Mission ebenso wie mit dem Widerruf ihres Geständnisses vor dem kirchlichen Ketzer-Gericht und dem damit in Kauf genommenen Tod am Scheiterhaufen eine beispiellose Tat der Auflehnung vollbracht, die, beginnend mit Schillers Drama »Die Jungfrau von Orleans«, ihre Spuren in der Literaturgeschichte hinterlassen hat. Aber viel wirksamer im volkstümlichen Lustspiel und in der Trivialliteratur wurde der Typus des weiblichen Trotzkopfs, der die Ordnung der Dinge wie den Hausfrieden stört, der gebrochen und ehetauglich gemacht werden muss, von Shakespeares Katharina in »Der Widerspenstigen Zähmung« bis zu Ilse in Emmy von Rhodens Mädchenbuchklassiker »Der Trotzkopf« (1885).

Reichen solche historischen Verzerrungen aus, um den Trotz heute umfassend zu rehabilitieren? Es ist wohl eher zu vermuten, dass ihm der Zwiespalt nicht auszutreiben ist. »Jetzt erst recht!«, lautete der trotzige und auch erfolgreiche ÖVP-Slogan, nachdem im Bundespräsidentschaftswahlkampf 1986 Kurt Waldheims verschwiegene Vergangenheit als SA-Reiterstaffel-Mitglied und Wehrmachtsoffizier am Balkan ans Licht gekommen war. In jüngster Zeit hat die Protestbewegung gegen das staatliche Gesundheitsmanagement während der Corona-Pandemie die ehemals durchaus anerkennende Bezeichnung »Querdenker« in Misskredit gebracht. Dem Widerstand gegen eine nur behauptete Repression haftet offenbar der Beigeschmack des Absonderlichen an, und der diffuse Trotz des Wutbürgers hat etwas Bedrohliches. Andererseits sind Überwachungsmaßnahmen wie Straßen- und Wohnungskontrollen und Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht wie die Impfpflicht, die eine kollektive Trotzreaktion rechtfertigen würden, ja nicht nur diskutiert und angedroht, sondern in Österreich auch teilweise umgesetzt worden, zumindest auf dem Papier.

Ebensofrag-würdig sind die aktuellen Auseinandersetzungen um identitätspolitische Haltungen und eine »diverse« Begrifflichkeit. Sind es ehrenwerte Motive, die hinter der Auflehnung gegen eine »woke« Denk- und Sprachregelung stecken, oder ist es narzisstische Beschränktheit? Trifft die Behauptung der Kritiker zu, dass man heute »gar nichts mehr sagen« könne? Die trotzige Behauptung des Status quo ante im Fluss des Diskurses legt auf jeden Fall die Frage nahe, was von einer Fundamentalopposition gegen den Zeitgeist zu halten ist: Dass sie nicht gesund sein kann, liegt auf der Hand. Aber setzt sie sich nicht ganz grundsätzlich ins Unrecht? Marie von Ebner-Eschenbach, die so moderne Konservative, war diesbezüglich auf der Hut: »Nicht teilnehmen an dem geistigen Fortschreiten seiner Zeit, heißt moralisch im Rückschritt sein.«3

Wenn freilich die Kunst, insbesondere die Literatur, in eine Zeit gerät, die es als Ausdruck ihres geistigen Fortschreitens betrachtet, auf sie zu verzichten, könnte so etwas wie ein Widerstandsrecht doch angebracht sein. Wer heute seine Sache auf die Literatur gestellt hat, bekommt, ob er es will oder nicht, vermittelt,...


Daniela Strigl

geboren 1964 in Wien, Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte, Theaterwissenschaft. Essayistin, Literaturkritikerin, lehrt am Institut für Germanistik der Universität Wien, war Mitglied der Jury des Ingeborg Bachmann Preises (Klagenfurt) und Mitglied der Jury des Deutschen Buchpreises. Zahlreiche Preise: Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 2001, Alfred Kerr Preis 2013, Berliner Preis für Literaturkritik 2015. Mitherausgeberin der Ebner-Eschenbach-Leseausgabe. Zuletzt bei Residenz erschienen: "Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie." (2016) und "Zum Trotz" in der Reihe "Unruhe bewahren" (2025).



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