E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Straubhaar Grundeinkommen jetzt!
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-907291-53-5
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nur so ist die Marktwirtschaft zu retten
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-907291-53-5
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zeitenwenden erfordern einen Geisteswandel. Es braucht keine Revolution. Kapitalismus und Marktwirtschaft müssen nicht zertrümmert werden. Wer das Bewährte erhalten will, muss aber bereit sein, einiges zu verändern. Zentrale Aspekte unseres Lebens müssen wir überdenken und den neuen Gegebenheiten anpassen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist mehr als eine utopische Reaktion auf die dystopischen Erfahrungen der Corona-Pandemie. Es liefert ein neu ausbalanciertes Zusammenspiel von individueller Entscheidungsfreiheit und der Notwendigkeit, sich als Solidargemeinschaft gegen systemische Grossrisiken zu versichern. Perfekt ist das nicht, aber besser als jede Alternative, wenn es um eine Anpassung des Sozialstaats an disruptive Zeiten geht. Wer will, kann. Die Pandemie hat gezeigt, dass nahezu alles geht, wenn Not scheinbar keine andere Wahl lässt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist die europäische Antwort, um mit einer Kultur von Mass und Mitte, Kompromiss und Ausgleich, Mitsprache und Mitbestimmung gegen amerikanische Dominanz und chinesische Machtansprüche erfolgreich bestehen zu können. Prof. Thomas Straubhaar zeigt, wie eine neue Arbeitsteilung zwischen Markt und Staat aussehen kann. Er weist der Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts den Weg.
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Grundeinkommen – Retter der Marktwirtschaft
Ich war jung. Und die Aufgabe wog schwer. Mein allererster Arbeitstag hatte es in sich. Gerade war ich im Oktober 1980 als wissenschaftliche Hilfskraft am Volkswirtschaftlichen Institut der Universität Bern eingestellt worden. Und nun sollte ich gleich Hunderte Seiten Druckfahnen lesen. Es galt, ein vierbändiges Monumentalwerk Diagnose unserer Gegenwart auf Tippfehler zu durchsuchen.1 Autor war ein gewisser Alfred Müller-Armack.2 Er war, was ich noch nicht wusste, aber im Laufe der Lektüre erkannte, der geistige Vater der Sozialen Marktwirtschaft – also jenes Konzepts, das wie nichts anderes die ökonomische DNA der Bundesrepublik Deutschland prägte. Wieso Alfred Müller-Armack für mich und mein Verhältnis zum bedingungslosen Grundeinkommen ebenso prägend wurde? Weil er für eine strikte Unabhängigkeit von Entstehung und Verteilung des Sozialprodukts plädierte. Trotzdem aber behandelte er die Marktwirtschaft und das Soziale nicht als Gegensätze. Im Gegenteil, er verstand sie als symbiotische Einheit. Seine »Erfindung« bestand darin, Wirtschaft und Gesellschaft in harmonischer Weise zu vereinen. Dafür nutzte Müller-Armack mit der »Irenik« einen Begriff, den ich damals im Fremdwörterbuch nachschlagen musste. Gemeint war eine, gerade auch in einem religiösen, christlichen Sinne »friedliche Aussöhnung« der Ökonomie mit dem Sozialen – so wie das Yin und das Yang der chinesischen Philosophie. Das Wechselspiel von Trennung und Vereinigung war meine erste Anregung für ein Grundeinkommen. Denn das Grundeinkommen separiert bei den Instrumenten das Ökonomische vom Sozialen – ohne sie jedoch zu trennen. Bei den Zielen, also der Wirkung, versteht es Marktwirtschaft und Sozialpolitik genauso, wie es die Soziale Marktwirtschaft tut: als sich gegenseitig stärkende Symbiose. Aber es verzichtet darauf, Wege und Ziele zu vermischen. In der Ideologie der Sozialen Marktwirtschaft gibt es eine ökonomische und eine soziale Sphäre. Die Ökonomie ist für die Entstehung des Wohlstands verantwortlich. Da geht es um Effizienz, Arbeitsteilung, Märkte und Wettbewerb. Das Soziale ist für die Verteilung des Wohlstands zuständig. Da stehen Gerechtigkeit, Fairness und die unantastbare Würde des Menschen im Zentrum. Alle sollen teilhaben, niemand darf verloren gehen. Marktwirtschaft hat ökonomischen Zielen zu dienen. Sie darf nicht als Mittel der Sozialpolitik instrumentalisiert werden. Sie hat nicht sozial, sondern effizient und effektiv zu sein. Aufgabe der Marktwirtschaft ist es, dafür zu sorgen, dass mit möglichst geringem Aufwand ein möglichst großer Ertrag erwirtschaftet wird. So wirkt sie automatisch »sozial«. Denn eine gut funktionierende Ökonomie sorgt dafür, dass überhaupt zunächst einmal möglichst viel Wertschöpfung erwirtschaftet wird, die für soziale Absichten die elementare materielle Voraussetzung darstellt. Soziale Ziele sind jedoch genauso unverzichtbar für das Wohlbefinden einer Gesellschaft. Aber sie sollen durch sozialpolitische Maßnahmen direkt und nicht über Markteingriffe indirekt erreicht werden. Menschen geradeaus zu unterstützen, ist immer genauer und damit besser, als lange Umwege zu gehen. »Wenn du hungrigen Spatzen helfen willst, füttere sie selbst und nicht bereits gut genährte Ackergäule, in der Erwartung, dass der Pferdemist die Vögel dann ja schon ernähren wird.« Die Metapher veranschaulicht, wie direkte Maßnahmen sicherstellen, (bürokratische) Sickerverluste gut gemeinter indirekter Hilfen zu vermeiden. In der klaren Aufteilung zwischen Ökonomie als Instrument zur Maximierung des Wohlstands auf der einen Seite und Sozialpolitik als Instrument der Wohlstandsverteilung auf der anderen lag meine zweite Inspirationsquelle für ein Grundeinkommen. Sie entsprang einer Vorlesung, die ich Ende der 1970er-Jahre zu besuchen hatte. Da wurde die Tinbergen-Regel behandelt, so benannt nach dem ersten Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Jan Tinbergen. Sein Lehrbuch, in dem er seine bahnbrechende Regel vorstellte, war gerade in deutscher Übersetzung von meinem damaligen Chef Egon Tuchtfeldt veröffentlicht worden, und zwar in derselben Schriftenreihe Beiträge zur Wirtschaftspolitik wie die ausgewählten Werke von Alfred Müller-Armack.3 Wenn das kein gutes Omen war! Die Tinbergen-Regel besagt, dass ein bestimmtes Ziel am besten mit einem einzigen, dafür ganz präzisen Mittel zu erfüllen ist. Oder umgekehrt: Ein Mittel soll ausschließlich einem einzigen Ziel dienen. Also lieber Blattschuss als Schrotschuss! Würden mit einer einzelnen Maßnahme gleichzeitig zwei verschiedene Ziele verfolgt, käme es zu Streuverlusten. Deshalb sollen wirtschaftliche Ziele mit ökonomischen Instrumenten und sozialpolitische Ziele mit sozialpolitischen Maßnahmen erreicht werden. Für das Grundeinkommen ist die Tinbergen-Regel deshalb wegleitendes Orientierungsprinzip, weil es in exemplarischer Weise deren Forderung erfüllt: Es bündelt in einem einzigen Instrument alles Soziale. Es verzichtet darauf, zusätzlich auch noch andere Ziele verfolgen zu wollen. Und genauso gilt das Umgekehrte: Alles Soziale fokussiert sich im Grundeinkommen. Die gesamte Sozialpolitik wird ausschließlich mit dem Instrument des Grundeinkommens abgedeckt. Deshalb kann die Marktwirtschaft von allen sozialpolitischen Eingriffen befreit werden, die bei genauer Bewertung gerade auch aus der Optik des Sozialen mehr Schaden als Nutzen verursachen. Sie kann sich auf die Maximierung der Einkommensentstehung konzentrieren – das kann sie besser als alle anderen Wirtschaftssysteme. Dafür ist sie geschaffen. Das hat die Marktwirtschaft oft genug in der Praxis nachgewiesen. Für die sozialpolitische Feinarbeit ist die Marktwirtschaft jedoch nicht geeignet. Denn dafür ist sie zu grob, da zu grundsätzlich. Sie hat ihre soziale Aufgabe bereits mehr als erfüllt, wenn sie für einen möglichst großen Kuchen sorgt. Für eine Verteilung nach gesellschaftlich »gerechten« Verfahren bedarf es hingegen spezieller Werkzeuge – wie eben einem Grundeinkommen. Es ist prädestiniert dafür. Denn es wirkt als universaler Steuer-Transfer-Mechanismus. Mit dem Grundeinkommen werden alle Zahlungen an den Staat (also Steuern und Sozialversicherungsabgaben) mit allen Leistungen vom Staat (also Transfers und Sozialhilfen) verrechnet. So lässt sich das Dickicht eines undurchsichtigen Steuerdschungels lichten. Transparenz und Einfachheit sind wesentliche Schritte zu einem leistungsfähigen und gerechteren Sozialstaat. Um gleich Missverständnissen vorzubeugen: Erstens ist das Grundeinkommen ein Instrument der Sozialpolitik. Es verhindert absolute Armut, aber nicht relative Ungleichheit. Gleicher Lebensstandard für alle oder eine vollständige Egalisierung von Wohlstand und Einkommen sind nicht das Ziel. Ein Grundeinkommen behandelt alle gleich. Aber weder kann noch will es alle gleichstellen. Wer Ungleichheit korrigieren möchte, muss zu ganz anderen Methoden greifen, wie beispielsweise Reichen-, Vermögens- oder Hocheinkommenssteuern (und dürfte dann dennoch an der Realität scheitern). Zweitens bedeutet die Befreiung der Marktwirtschaft von sozialpolitischen Absichten in keiner Weise, einem ungezügelten, ausbeuterischen Kapitalismus Tür und Tor zu öffnen. Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn Marktmacht gebrochen, Marktversagen korrigiert, Machtmissbrauch verhindert und Wettbewerb erzwungen wird. Dafür braucht es einen starken Staat, der aber effektiv sein soll. Er muss Kartellgesetze und Marktregulierungen durchsetzen. An deren Gültigkeit ändert ein Grundeinkommen rein gar nichts. Die Entfesselung betrifft einzig und allein jene sozialstaatlich motivierten Markteingriffe, die Menschen vor Armut oder Arbeitslosigkeit schützen sollen. Effektivität verlangt danach, so richtige wie wichtige Ziele der Sozialpolitik durch direkte, auf Personen gerichtete Maßnahmen anzustreben – genau das ist die Absicht eines Grundeinkommens. Umwege über indirekte Wirkungsketten von Markteingriffen bleiben da viel zu ungenau. An jedem einzelnen Zwischenglied drohen ungeplante Kosten. Das gilt in besonderem Maß bei sozialpolitisch motivierten Fesselungen des Arbeitsmarkts. Gibt es ein Grundeinkommen, können sie alle entfallen. Beispielsweise lassen sich Mindestlöhne auf dem Arbeitsmarkt abschaffen – ohne dass deswegen ein Sozialabbau erfolgt. Sie werden bei einem Grundeinkommen überflüssig. Das Grundeinkommen ersetzt als Mindesteinkommen einen aus sozialen Überlegungen verbindlich festgeschriebenen Mindestlohn. Ausgerüstet mit Müller-Armacks »Irenik« und der Tinbergen-Regel machte ich mich Anfang der 1990er-Jahre über die Universitäten Basel und Konstanz nach Freiburg i. Br. auf meinen akademischen Weg nach Deutschland. Ich hatte das Privileg, an der Alma Mater der Sozialen Marktwirtschaft, der »Freiburger Schule«, eine C4-Universitätsprofessur vertreten zu dürfen.4 So ehrenvoll die Berufung war, so sehr erschrak ich, als ich die erste Lohnabrechnung in der Hand hielt. Der Bruttolohn war durchaus attraktiv. Aber was nach Abzug der Steuern und vor allem der Sozialabgaben übrig blieb, war ein Bruchteil dessen, was ich zuvor als Oberassistent in Bern oder Lehrbeauftragter in Basel verdient hatte. Bis heute und damit über 30 Jahre später habe ich weder verstanden noch für gut befunden, dass in Deutschland eine Doppelspurigkeit von Steuern und Abgaben zu einem derartigen Keil zwischen brutto und netto führt. Es kann ökonomisch nicht sinnvoll sein, neben einem allgemeinen Steuersystem zusätzlich noch ein spezielles Sozialversicherungssystem zu betreiben. Vor allem auch, weil nur ein Teil der Bevölkerung (die...