Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus
E-Book, Deutsch, Band 37, 415 Seiten
Reihe: Pietismus und Neuzeit
ISBN: 978-3-647-55909-4
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
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Weitere Infos & Material
1;Front Cover;1
2;Title Page;4
3;Copyright;5
4;Vorwort;6
5;Inhalt;8
6;Die Einführung der christlichen Disziplinierung des Alltags in die deutsche evangelische Erbauungsliteratur durch Lewis Baylys Praxis Pietatis (1628);12
7;„Besser Kein Christ/ als Ein Pietist“ – Zur Kontextualisierung einer Streitschrift am Rande des Kampfes um die Durchsetzung des Pietismus in Halle;21
8;Der Pietismus an der Universität Jena;37
9;Die Kupferstiche in Zinzendorfs Übersetzung des Neuen Testamentes 1739 und in der Arndt-Ausgabe 1725;87
10;Prophetie? Wahnsinn? Betrug? Swedenborgs Visionen im Diskurs;137
11;Das Bergwerk von Falun, der Pfarrer Olof Ekman (1639-1713) und die Entstehung des schwedischen Pietismus -- eine neue Frömmigkeit in einer außergewöhnlichen sozialen Situation;164
12;Der erste Sprecher des US-Repräsentantenhauses F.A.C. Mühlenberg als Zögling der Franckeschen Stiftungen. Ein transkontinentaler Schulwechsel im 18.&vg;Jahrhundert178
13;Nineteenth-Century Transatlantic Protestantism: Charles Hodge and the Prussian Erweckungsbewegung;192
14;Wege der niederländischen Pietismusforschung. Traditionsaneignung, Identitätspolitik und Erinnerungskultur;212
15;Miszelle;256
16;Comenius der Vater des Pietismus?;258
17;Rezensionen;270
18;Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Neue Edition.;272
19;Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Neue Edition.;272
20;Johann Albrecht Bengel: Briefwechsel. Briefe 1707-1722.;275
21;Gerhard Tersteegen: Briefe 1. Briefe 2.;278
22;‚Fromme Unternehmer.‘ Briefe der Ärzte Christian Friedrich und Christian Sigismund Richter an Carl Hildebrand v. Canstein. Hg. v. Jürgen Helm u. Elisabeth Quast.;287
23;Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit.;293
24;Gebaute Utopien. Franckes Schulstadt in der Geschichte europäischer Stadtentwürfe.;297
25;Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung.;301
26;Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung.;306
27;Johannes Wallmann: Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze II.;310
28;Hartmut Lehmann: Religiöse Erweckung in gottferner Zeit. Studien zur Pietismusforschung.;316
29;Berthold Ebert: Erziehung und Unterricht der Jugend: Historisch-pädagogische Streifzüge durch die Franckeschen Stiftungen und die Region.;321
30;Heike Liebau: Die indischen Mitarbeiter der Tranquebarmission (1706-1845): Katecheten, Schulmeister, Übersetzer. ;323
31;Stephan Goldschmidt: Johann Konrad Dippel (1673-1734). Seine radikalpietistische Theologie und ihre Entstehung.;329
32;Douglas H. Shantz: Between Sardis and Philadelphia. The Life and World of Pietist Court Preacher Conrad Bröske.;334
33;Arthur Manukyan: Konstantinopel und Kairo. Die Herrnhuter Brüdergemeine im Kontakt zum Ökumenischen Patriarchat und zur Koptischen Kirche.;337
34;Marcus Meier: Die Schwarzenauer Neutäufer. Genese einer Gemeindebildung zwischen Pietismus und Täufertum.;342
35;John R. Tyson: Assist Me To Proclaim. The Life and Hymns of Charles Wesley.;346
36;Andres Straßberger: Johann Christoph Gottsched und die „philosophische“ Predigt. Studien zur aufklärerischen Transformation der protestantischen Homiletik im Spannungsfeld von Theologie, Philosophie, Rhetorik und Politik,;347
37;Ruth Albrecht, Martin Rosenkranz, Kristina Rousseau, Regina Wetjen, Martina Wüstefeld, Antonia Neumann: Adeline Gräfin von Schimmelmann.;350
38;Kokou Azamede: Transkulturationen?;354
39;Martin Greschat: Protestantismus im Kalten Krieg. Kirche, Politik und Gesellschaft im geteilten Deutschland 1945-1963.;357
40;Hedwig Richter: Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR.;360
41;Was ist neu am Pietismus? Tradition und Zukunftsperspektiven der Evangelischen Gemeinschaftsbewegung.;363
42;Günter Butzer: Soliloquium. Theorie und Geschichte des Selbstgesprächs in der europäischen Literatur.;365
43;Bibliographie;372
44;Pietismus-Bibliographie;374
45;Register;398
46;Personenregister;400
47;Back Cover;417
JAN VAN DE KAMP (S. 11-12)
Die Einführung der christlichen Disziplinierung des Alltags in die deutsche evangelische Erbauungsliteratur durch Lewis Baylys Praxis Pietatis (1628)
1.
Im Jahre 1628 erschien zum ersten Mal eine deutsche Übersetzung des englischen puritanischen Erbauungsbuches Practice of Piety, directing a christian how to walk, that he may please God (1. Aufl.: vor 1612) des walisischen Bischofs Lewis Bayly (ca. 1575–1631).1 Unter dem Titel Praxis Pietatis: Das ist, Ubung der Gottseligkeit erschien sie bei Ludwig König im reformierten Basel in der Schweiz. In Baylys Buch werden auf systematische Weise Vorschriften für das christliche Leben gegeben.
Dargelegt wird, wie man den Tag mit Meditation und Gebet anfangen soll, wie man in einem Jahr die Bibel durchlesen kann, wie man den ganzen Tag in Gedanken, Worten und Taten mit Gott wandeln, und wie man den Tag abschließen soll. Absonderliche Aufmerksamkeit wird dabei dem Sonntag mit dem an diesem Tag auszuführenden Hausgottesdienst gewidmet. Neben diesem christlichen Tagesablauf gibt es Anleitungen für spezifische Gelegenheiten wie das Heilige Abendmahl, das Fasten, für Krankheiten, für das Sterben, und das Märtyrertum.2 Damit wird ein Kompendium für die innerlichen wie die äußerlichen Aspekten der Frömmigkeit geboten, das sich durch inhaltliche Vollständigkeit auszeichnet und sowohl für Individuen als für Familien gedacht ist.
Die deutsche Übersetzung wurde im gesamten deutschen Sprachraum sehr erfolgreich. Seit 1631 lag eine lutherische Bearbeitung vor, verlegt bei den Brüdern Stern in Lüneburg. Bis 1743 erschienen 69 Auflagen der Schrift.3 Seit 1631 wurde die Schrift Arte of divine meditation (1601) des Puritaners Joseph Hall (1574–1656) der Bayly-Übersetzung hinzugefügt.
Die Forschung hat darauf hingewiesen, dass mit Baylys und anderer Puritaner Schriften ein neues Element in die deutsche evangelische Erbauungsliteratur introduziert wurde, nämlich die detaillierte christliche Disziplinierung des Alltags.4 Diese Behauptung ist allerdings noch nie gründlich überprüft worden. Wenn diese These bejaht werden kann, so hat Baylys Schrift wesentlichen Einfluss auf die Frömmigkeit im deutschen Sprachraum ausgeübt. Aus diesem Grund wird hier ein Ansatz zur Überprüfung geboten, indem die deutschsprachige evangelische Erbauungsliteratur seit der Reformation auf diese Frage hin untersucht wird.
Dabei wird in der einschlägigen Forschungsliteratur nach Tagesabläufen im Sinne Baylys gesucht.5 In der Reformationszeit und danach erschienen allerhand Gebetbücher, Betrachtungen (unter anderem über die Passion), Predigtliteratur, Anleitungen zur Vorbereitung des Abendmahls, Anleitungen für kranke Leuten, für die Sterbensvorbereitung, und Betrachtungen über Sterben, Gericht, Himmel und Hölle. Tagesabläufe wie Baylys Schrift hat es anscheinend kaum gegeben. Man findet nur: Wenzeslaus Lincks (1483–1547) Wie sich ein Christenmensch halten soll des morgens […] und des abends (1530)6 sowie Veit Dietrichs Etliche Schrifften für den gemeinen Mann (1548)
Für die Frühzeit der Reformation ist das Fehlen daraus zu erklären, dass die damaligen evangelischen Theologen sich auf die Lehre konzentrierten. Schon im Zeitalter der Reformation entstand aber eine Frömmigkeitsrichtung, zu der die Namen von Kaspar von Schwenckfeld, Paracelsus, Valentin Weigel, Johann Arndt, Johann Valentin Andreae, Martin Moller, Johann Habermann, Joachim Lütkemann, Heinrich Müller, Theophil Großgebauer und anderen gehören.8 Sie übten Kritik an der Kirche und deren Glieder aus und drängten auf die Nachfolge Christi.