E-Book, Deutsch, Band 5, 368 Seiten
Reihe: Die Macht der Seelen-Serie
Stirling Die Macht der Seelen - Misty Falls
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-423-42865-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 5, 368 Seiten
Reihe: Die Macht der Seelen-Serie
ISBN: 978-3-423-42865-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Joss Stirling studierte Anglistik in Cambridge und arbeitete als Diplomatin in Polen. Mittlerweile schreibt sie sehr erfolgreich Romane für Kinder und Jugendliche. Mit >Finding Sky<, dem ersten Band der >Macht der Seelen<-Trilogie, war sie 2013 von der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Oxford.
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Kapitel 1
»Wenn es eine Misty-Katastrophenskala von eins bis zehn gäbe – wo würdest du es dann einstufen?«, fragte Summer mich.
Mit unglücklicher Miene starrte ich meine beiden besten Freundinnen an, die sich vor dem Laptopbildschirm dicht aneinanderdrängten und mir entgegensahen, Summer mit mitfühlendem Gesichtsausdruck, Angel amüsiert.
»Bei elf«, gab ich zu.
»Im Ernst?« Summer wickelte sich eine Strähne ihres braunen Haares um den Finger und strich mit dem Ende gedankenversunken über ihre Wange, während sie meine bisherigen Ausrutscher rekapitulierte. »Misty, es kann doch nicht so schlimm sein wie damals, als du Jenny Watson an den Kopf geknallt hast, sie wäre eine verlogene Kuh mit der Ausstrahlung eines dampfenden Kuhfladens.«
»Womit Misty übrigens absolut recht hatte«, stellte Angel mit Nachdruck fest. »Immerhin hat Jenny einen Keil zwischen dich und Tom getrieben, Summer.« Dafür, dass sie nur eine halbe Portion war, hatte sie eine bemerkenswert rauchige Stimme. Als wir uns vor drei Jahren beim Savant-Sommerlager kennenlernten, war ich regelrecht schockiert davon, was ich auch prompt vor allen kundtun musste. Zum Glück hat Angel mir das nicht weiter krummgenommen und wir wurden die besten Freundinnen.
Summer verfolgte weiterhin hartnäckig die Absicht, meine jüngsten Fehltritte herunterzuspielen. Lieb und sanftmütig wie sie war, wollte sie immer, dass es allen gut ging, und umso erboster war ich, als Jenny sie so schikanierte. »Okay, ich gebe dir ja recht – Jenny Watson ist eine hinterhältige Ziege, die anderen den Freund ausspannt. Aber die meisten von uns würden das trotzdem nicht in großer Runde auf dem Schulfest verkünden, schon gar nicht im Beisein ihres Vaters. Der ist schließlich Gesamtelternvertreter und hat enorm viel Einfluss. Diese Geschichte ist wirklich nicht zu toppen. Misty musste deswegen ja sogar die Schule wechseln!«
»Mir hat es da sowieso nicht gefallen«, murmelte ich. »Und sie hätten eben wissen müssen, dass man mir kein Mikro in die Hand drücken darf.«
Nach diesem Vorfall hatten Jenny und ihre Freundinnen mich gnadenlos auf dem Kieker und ich war heilfroh, dass ich am Ende die Schule verlassen konnte.
»Also, was könnte schlimmer sein als die Jenny-Watson-Sache?«
Es war Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. »Wisst ihr noch, wie ich euch erzählt habe, dass ich Sean aus der Dreizehnten so heiß finde?«
Angel beugte sich näher heran, sodass ihr Gesicht fast den ganzen Bildschirm einnahm. »Wir haben die Fotos vom Abschlussball gesehen und sind voll deiner Meinung. Aber du hast doch gesagt, dass du da nichts versuchen würdest. Schließlich ist er kein Savant wie du, das heißt, er kann sowieso nicht ›derjenige, welcher‹ sein.« Sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. »Und außerdem hast du noch gemeint, er wäre so oder so unerreichbar für dich.«
Den Ellenbogen auf die Kommode gestützt, legte ich meinen Kopf in die Hand. »Ich weiß, ich weiß. Die, die ich toll finde, sind immer unerreichbar für mich.«
»Nun mach aber mal einen Punkt, Misty. Die könnten sich alle ein Loch in den Bauch freuen, wenn sie dein Freund sein dürften.«
Ich liebte meine Freundinnen. »Danke, Angel.«
»Also, was ist jetzt passiert?«, hakte Summer nach.
Ich seufzte. Die Worte laut auszusprechen kostete mich enorm viel Überwindung. »Ich bin gestern zu ihm hin, um ihm schöne Ferien zu wünschen – ihr wisst schon, wie man das halt so macht.«
»Mhm.«
»Und da ist es mir einfach rausgerutscht.«
»Was ist dir rausgerutscht?« Angels Augen funkelten verschmitzt, während ihr Blick auf meinen T-Shirt-Ausschnitt fiel.
»Nein, nicht so was. Keine Klamotten-Panne. O Mann, warum bin ich eigentlich mit dir befreundet?«
»Weil du mich toll findest.«
Summer stieß Angel mit dem Ellenbogen an, damit sie mich ausreden ließ. »Sprich weiter, Misty. Wenn du’s uns erzählst, kommst du schneller drüber weg.«
»Okay, okay. Ich wollte eigentlich nur zu ihm hingehen und ganz lässig sagen: ›Hey, Sean, schöne Ferien!‹, aber heraus kam: ›Hey, Sean, du hast einen Wahnsinnsknackarsch!‹«
Summer schlug sich entsetzt die Hände vors Gesicht. »Das hast du gesagt!«
»Ich fürchte, doch.«
»Und wie hat er darauf reagiert?«, fragte Angel.
»Er hat gesagt: ›Danke, dass du mich drauf hinweist‹, und dann hat er gelacht und ist zu seinen Kumpeln, um es ihnen brühwarm zu erzählen.«
»Diese Ratte.« Angel versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was es bedeutete, mit einer Begabung zu leben, wie ich sie hatte.
»Und den Rest des Tages kamen dann ständig irgendwelche Jungs angedackelt und wollten wissen, ob ich ihren Hintern auch so toll finde.«
Angel kippte plötzlich seitlich aus dem Bild und war verschwunden. Vermutlich wälzte sie sich gerade vor Lachen auf dem Boden.
»Du armes Ding«, sagte Summer. Wenigstens eine meiner Freundinnen wusste, wie man angemessen auf den sozialen Tod reagiert.
»Ich kann denen nie wieder unter die Augen treten. Ich werde die Schule wechseln müssen.«
Summer seufzte. »Misty, das kannst du nicht bringen. Du hast in den letzten fünf Jahren schon dreimal die Schule gewechselt, weil du wegen deinem Anderssein ständig gemobbt wurdest. Du musst bis zum Ende der Oberstufe durchhalten. Überleg doch mal, wie lange wir jetzt Ferien haben. Bis die Schule im September wieder anfängt, haben die das doch längst vergessen.«
»Meinst du?«
»Absolut.« In ihren Worten lag ein winziger Hauch von Lüge, so als wäre sie doch nicht hundertprozentig überzeugt. Aber ich bohrte nicht weiter nach. »Und Sean wird gar nicht mehr auf der Schule sein, weil er seinen Abschluss gemacht hat, richtig? Also wirst du weder ihn noch die meisten seiner Freunde wiedersehen.«
Bei diesem Gedanken hob sich meine Laune. »Du hast recht. Ich schiebe mal wieder grundlos Panik.«
»Du wirst einen ganzen Monat lang in Südafrika sein und hast genug Zeit, die Sache zu vergessen. Wenn du fürs Sommerlager zurückkommst, reden wir weiter.«
»Danke, Summer. Und sag Angel, dass sie jetzt aufhören kann zu lachen.«
Angel erschien wieder auf dem Bildschirm. »Ich habe nicht gelacht.«
Ich verdrehte die Augen. »Mich kannst du nicht belügen.«
»Tut mir leid. Ich fühle wirklich mit dir.«
»Ja, schon klar.«
»Und Sean hat tatsächlich einen Wahnsinnsknackarsch.«
Lächelnd beendete ich das Gespräch. »Da sagst du mal was Wahres!«
Der Flug nach Kapstadt rückte auf der Anzeigetafel ganz nach oben. Jetzt sah man das Boarding Gate. Ich hatte mich bereits vor ein paar Minuten von meinen Eltern, meinen drei Schwestern und meinen zwei Brüdern verabschiedet. Die Kleinen waren völlig außer Rand und Band, sodass es für alle zu anstrengend geworden wäre, wenn sie bis zum Abflug mit mir gewartet hätten. Stattdessen blieb nur meine Tante Crystal da.
»Ihr solltet jetzt wirklich reingehen.« Crystal beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf die Wange. Ihre dunkelblonde Lockenmähne schwang nach vorne und kitzelte mich im Gesicht. »Grüß bitte Opal, Milo und die Kleinen ganz lieb von mir, ja?«
»Mach ich.«
Crystal drückte meine Hände. »Ich bin ja so neidisch, Misty. Du wirst dabei sein, wenn Uriel auf seinen Seelenspiegel trifft.«
Ich drückte ihr ebenfalls die Hände. »Ja, das wird genial.« Ich konnte es kaum erwarten, endlich von hier wegzukommen und die Erinnerung an die letzten peinlichen Schultage hinter mir zu lassen. Wir schauten zu den beiden Benedict-Brüdern hinüber: zu Uriel, meinem Reisegefährten, und Xav, Crystals Verlobtem. Sie standen dicht nebeneinander und Xav redete leise auf seinen großen Bruder ein, statt wie sonst albern herumzublödeln. Beide sahen dermaßen umwerfend aus, dass die Mädchen in der Warteschlange am Check-in-Schalter sie förmlich mit Blicken verschlangen. Bestimmt war meine Tante heilfroh, dass sie Xav in puncto Attraktivität in nichts nachstand, mit ihren Modelmaßen, den dunklen Augenbrauen, die ihr dieses ganz besondere Etwas verliehen, und ihren vollen, geschwungenen Lippen.
Crystal schüttelte sichtlich amüsiert den Kopf. »Warum tun die beiden eigentlich so, als würde Uriel gleich in den Krieg ziehen?«
Sie hatte recht. Uriel fuhr sich andauernd nervös mit den Händen durchs Haar, eine Geste, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Normalerweise war er stets beherrscht und die Ruhe selbst. Mit seinen klassischen Zügen und der athletischen Statur erinnerte er mich immer an den heiligen Michael, den kämpfenden Erzengel, den ich auf einem Kirchenfenster in Italien gesehen hatte. Mit einer Hand tötet er den Drachen, mit der anderen lässt er Recht walten, imposant und edel bis in die Zehenspitzen. Uriel war zwar ein paar Zentimeter kleiner als Xav, aber dennoch überragten beide Brüder die wimmelnden, Gepäck schiebenden Menschen um sie herum.
»Sie sind zu sehr Macho, um es zuzugeben, aber es sieht ganz so aus, als hätte Uriel Schiss, und Xav redet ihm gut zu.«
Crystal lachte. »Du hast recht. Die armen kleinen großen Angsthasen.«
»Na ja, andererseits ist es natürlich eine Riesensache, loszuziehen, um die künftige Lebenspartnerin zu treffen. Du hast ihm doch hoffentlich genug Hinweise gegeben, damit er den Weg direkt zu ihrer Haustür findet?«
Crystal legte mir einen Arm um die Schultern und schob mich Richtung Sicherheitsschleuse. »So viele ich konnte, ohne ihn selbst an die Hand zu nehmen und persönlich bei ihr abzuliefern....