Stickelbroeck Fischfutter
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-95441-088-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman aus Düsseldorf
E-Book, Deutsch, Band 3, 273 Seiten
Reihe: Privatdetektiv Hartmann
ISBN: 978-3-95441-088-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klaus Stickelbroeck wurde 1963 in Anrath geboren. Er lebt in Kerken am Niederrhein und arbeitet als Polizeibeamter in Düsseldorf. Seinen ersten Kurzkrimi veröffentlichte er im Jahr 2000. Mit der Reihe um den Ex-Profifußballer und Privatdetektiv Hartmann begeistert er nicht nur Fans im Rheinland. Der Hartmann-Krimi FISCHFUTTER wurde 2011 als einer der fünf besten deutschsprachigen Kriminalromane für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Stickelbroeck ist außerdem einer der fünf KRIMI-COPS, deren Kriminalromane ebenfalls im KBV erscheinen.
Autoren/Hrsg.
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1. Kapitel
Was war das? Egon Budde blinzelte und fuhr sich mit einer Hand schlaftrunken durchs stoppelige, unrasierte Gesicht. Mit der anderen stützte er sich ab und richtete sich vorsichtig auf.
»Da war doch was«, krächzte er heiser.
Zittrig ratschte er den Verschluss seines fleckigen Schlafsacks auf. Irgendetwas hatte ihn geweckt, das war sicher. Er blickte nach links. Eineinhalb Flaschen Rotwein hatten für die nötige Bettschwere gesorgt. Ohne Grund wurde er da doch nicht wach? Seine rechte Hand ertastete den hölzernen Knauf eines Baseballschlägers, der in Griffweite lehnte. Budde lauschte angestrengt.
»Nichts zu hören.«
Ächzend rappelte er sich hoch, schälte sich aus dem muffigen Schlafsack, ließ den Baseballschläger erst mal dort, wo er war, und reckte sich die Knochen gerade, halt so gut, wie es in dem kleinen Zimmer ging. Komplett aufgerichtet würde er sich den Kopf stoßen.
»Oft genug passiert …«
Aber er wollte nicht meckern. Er hatte in den letzten Monaten schon oft bedeutend schlechter gewohnt. Diesen alten, viereckigen, von innen weiß gekalkten Brückenpfeiler hatte er exklusiv für sich. Das Gebäude war trocken, blieb bei der Hitze kühl und stand sogar unter Naturschutz, korrekt mit Plakette draußen an der Mauer. Richtig edel.
»So. Was jetzt?«
leuchtete der kleine Reisewecker. Hm. Kurz nachschauen wollte er schon. Sicher war sicher. Die Taschenlampe? Nein, zu hell. Wenn draußen einer rumstrich, würde er ihn erst recht auf sich und seine Unterkunft aufmerksam machen.
»Muss nicht sein«, murmelte Budde.
Einen plötzlichen Hustenanfall unterdrückend tastete er sich an ein ausgefranstes Loch in der Wand, das mal ein schmales Fenster mit Blick auf den dunkel dahinfließenden Rhein und das gegenüberliegende Ufer in Neuss gewesen war. Da gab es diese Halbstarken. Und die lästigen Typen von …
Er hielt die Luft an. Da … war doch was?
Egon Budde kniff die Augen zusammen. Zu hören waren aber nur ein einzelnes Auto, das die weiter stromabwärts gelegene Josef-Kardinal-Frings-Brücke befuhr, und das monotone Brummen mehrerer Abluftgebläse einer nahe gelegenen Tierfutterfabrik, die in schöner, einlullender Regelmäßigkeit hässlichen Futtergestank in den Düsseldorfer Hafen ausatmeten. Sonst nichts. Kein Laut, keine Schritte, keine Stimmen.
»Hm.«
Manchmal verirrte sich ein Liebespärchen unter die Reste der alten, steinernen Eisenbahnbrücke. Eine durchaus willkommene Abwechslung. Das war besser als RTL 2. Wenn Budde sich richtig erinnerte. Er beugte sich durch das Fenster nach draußen und warf einen Blick nach unten auf den an dieser Stelle mit grobem, grauem Schotter ausgelegten Deich – aber da stand kein Fahrzeug.
Sein vom Schlaf trüber, verschwommener Blick fiel auf die noch halb volle Flasche Rotwein, die ihm freundschaftlich zublinzelte. Eigentlich das Frühstück …
Budde seufzte. Wo er jetzt gerade mal wach war, konnte er eigentlich auch kurz pinkeln gehen. Gute Idee. Zum Nachfüllen nahm er die Flasche gleich mit.
Er schlurfte vier Schritte ans andere Ende des quadratischen Raums und kletterte eine zusammengenagelte Holzleiter runter ins »Erdgeschoss«. Hier bückte er sich, drückte den fest in den Lehmboden gerammten Holzkeil zur Seite, ruckelte das schwere Brett nach rechts und quetschte sich durch das nun im Gemäuer sichtbare, schmale Loch nach draußen. Er blickte nach oben an den beiden Türmen der alten Düsseldorfer Eisenbahnbrücke und den metallenen Trägern der neuen, modernen Brücke direkt daneben vorbei in den wolkenlosen Septemberhimmel.
»Vollmond«, murmelte Budde.
Wahrscheinlich war er deshalb einfach so aufgewacht. Er stärkte sich mit einem kräftigen Schluck lauwarmen Weins und kletterte vorsichtig, auf jeden seiner Tritte achtend, die rutschige, unbefestigte Böschung zwischen den beiden Pfeilern nach oben in den alten Gleisbereich.
Dort befand sich seine … Toilette.
Er gähnte lautlos und stellte die Flasche auf einen zersplitterten, morschen Prellbock, der den Schienenbereich Richtung Rhein abschloss. Budde ging ein paar Schritte und nestelte seinen Reißverschluss auf.
Sein Blick fiel entlang der Schienen, die einmal die Hauptverbindung zwischen dem Düsseldorfer und dem Neusser Teil des Frachthafens gewesen waren, auf eine große Halle. Das breite, silberfarbene Aluminiumtor mitten in der Rückseite des Gebäudes stand wie immer halbhoch offen. In der Halle wurden große Eisenplatten und rostige Metallrohre gelagert, die tagsüber mit einem gigantischen Hubkran ständig ein-, um- oder ausgeladen wurden. Nachts hatte er noch nie jemanden im Gebäude gesehen.
Die Hose bereits geöffnet, stutzte er. Aber heute? Da war doch was. In der Halle? Ganz deutlich hörte er … Stimmen. Hatte er sich also doch nicht getäuscht. Die Ohren funktionierten noch ganz gut. Er schloss unverrichteter Dinge die Hose, furchte zwei Finger durch seinen strubbeligen Vollbart und reckte sich neugierig weiter nach vorne, einen dichten Busch als Deckung nutzend.
Licht … Deutlich erkannte er jetzt im Inneren der Halle den grellen Kegel einer einzelnen Taschenlampe. Wortfetzen. Männliche Stimmen. Die waren mindestens zu dritt. Was wollten die hier? So richtig harmonisch ging das da vorne nicht zu. Eher im Gegenteil, die hatten Streit. Eine kräftige Stimme maulte ziemlich laut. Unangenehm. Aggressiv. Eine tiefe Stimme, ein scharfer Tonfall. Der kantige Lichtstrahl strich rauf und runter, warf immer neue, schemenhafte Schatten.
Egon Budde spitzte die Ohren, kniff die Augen zusammen und wagte sich noch ein bisschen weiter nach vorne. Im geöffneten unteren Teil des Zugangs erkannte er die Beine der Personen. Sechs. Vier steckten in Stoffhosen, schwere, dunkle Schuhe. Zwei in einer helleren Jeanshose, dazu glänzend im Taschenlampenlicht funkelnde Lackschuhe mit Schnürriemen. Farben waren im Lichtkegel nicht zu erkennen.
Er machte eine zweite Stimme aus, die er ebenfalls nicht verstehen konnte. Sprachen die deutsch? Der zweite Mann beschwerte sich. Oder beklagte sich. Wimmernd. Oder … flehte er um Gnade? Budde spürte, wie seine Handinnenflächen nass wurden.
Was war da los?
Plötzlich kam Bewegung in die Szene, die Taschenlampe wackelte hektisch. Augenscheinlich hatten die Stoffhosenträger den Jeansmann in die Mitte genommen. Der hintere hatte den mittleren ergriffen, Budde hielt die Luft an. Ein dumpfes Knurren, ein unterdrückter Schrei. Für einen Moment riss es den Jeansmann von den schicken Lackschuhen. Er schien sich aufzubäumen, sackte dann in sich zusammen und klappte nach vorne. Er wurde in der unteren Hälfte des Torbogens vollständig sichtbar.
Er. Und das Messer in seinem Rücken, dessen Klinge den weißen Stoff seines Hemdes durchbohrt hatte und bis zum Schaft in seinem Rücken steckte. Ungefähr dort, wo sich mitten im Körper das Herz befindet, deutlich ausgeleuchtet durch den grellen Schein einer Taschenlampe, der als Spot auf den leblosen Leib gerichtet war.
Budde biss sich fassungslos auf die Unterlippe und unterdrückte entsetzt einen Schrei. Mechanisch stolperte er rückwärts. Verdammt … Er war Zeuge eines Mordes geworden. Die hatten den Typen abgestochen!
Nur keinen Laut! Abhauen! Leise. Ihn, den Zeugen, würden sie auch sofort erledigen. Abstechen und hier irgendwo verscharren, verdammte Kacke!
Leise! Leise! Wäre er doch in seinem kleinen Türmchen geblieben. Leise, dachte Budde. Vorsichtig glitt er immer weiter rückwärts. Und stieß mit dem Ellenbogen die halbvolle Rotweinflasche vom Prellbock, die in den mit Schotter ausgelegten Gleisbereich stürzte und dort mit einem lauten Klirren in tausend Stücke zerplatzte.
Budde hielt die Luft an. Eine Ratte. Oder eine Katze. Sie werden denken, dass ein herumstreunendes Tier … Zwei Köpfe erschienen neben dem Toten im unteren Ausschnitt des Tores. Sie blickten ihn direkt an.
»He!«, rief der eine.
»Stehen bleiben!«, der andere.
Budde zischte. Stehen bleiben? Eine ganz schlechte Idee! Er war mit einem Mal hellwach, wirbelte blitzschnell herum und stolperte hastig die Böschung hinunter. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um genau zu wissen, dass die beiden Typen sich unters Tor nach draußen gepresst hatten und ihm folgten. Einer von ihnen möglicherweise mit einem kürzlich gebrauchten, blutverschmierten Messer in den Fingern, das gerade noch im Rücken eines Lackschuhträgers gesteckt hatte.
»Verdammte Kacke!«
Die waren mit Sicherheit schneller als er, aber er kannte sich hier aus. Mit den Armen rudernd schlidderte er den Abhang runter bis zum rostig-braunen Maschendraht, der diesen Teil der alten Brückenanlage...