E-Book, Deutsch, Band 6, 320 Seiten
Reihe: Privatdetektiv Hartmann
Stickelbroeck Blindgänger
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95441-343-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 6, 320 Seiten
Reihe: Privatdetektiv Hartmann
ISBN: 978-3-95441-343-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klaus Stickelbroeck wurde 1963 in Anrath geboren. Er lebt in Kerken am Niederrhein und arbeitet als Polizeibeamter in Düsseldorf. Seinen ersten Kurzkrimi veröffentlichte er im Jahr 2000. Sein erster Kriminalroman 'Fieses Foul' erschien 2007. Sein Buch 'Fischfutter' (2010) wurde für den Friedrich-Glauser-Preis als bester Kriminalroman des Jahres nominiert. 2013 erschien 'Schnell erledigt', eine Zusammenstellung seiner besten Kurzkrimis. 'Schrott' ist sein fünfter Kriminalroman mit dem Privatdetektiv Hartmann (alle KBV). Stickelbroeck ist zudem einer der fünf 'Krimi-Cops', deren vier Kriminalromane, zuletzt 'Bluthunde' (2013) ebenfalls bei KBV erschienen sind. www.klausstickelbroeck.de www.krimi-cops.de
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1. Tag
H artmann lehnte in Simones Brötchenbude an einem Stehtisch und genoss seinen fröhlich dampfenden Frühstückspott Kaffee. Durchs bodentiefe Fenster warf eine hoch motivierte Septembersonne glutgrelle Strahlen auf die fußgroßen Überschriften der vor ihm aufgeschlagenen Bild-Zeitung. Draußen tobte das Bahnhofsvorplatzleben. Eilige Pendler hasteten, schlaftrunkene Müßiggänger schlenderten, Trunkene torkelten, und Junkies starben lautlos vor sich hin.
Ein ganz normaler Vormittag.
In den plötzlich Leben kam.
»Hui«, summte Hartmann.
Denn mit Schmackes hatte am Bahnsteig acht eine dünne, tätowierte Straßenkötergraue mit pflaumenblauen Sneakers einer pummeligen Falschgelbblonden in knallenger, pinkfarbener Stretch-Leggins und bauchfreiem, grellgrünem Top eine schallende Ohrfeige verpasst. Die gut Genährte wäre fast umgekippt, krallte sich aber geistesgegenwärtig im langen, strähnigen Haar der Grauen fest. Ansatzlos rammte die Dünne deshalb als Zugabe jetzt eine hagere Faust in den blanken Bauch der Pummeligen. Beide verloren im folgenden Gerangel das Gleichgewicht und stürzten einander umklammernd aufs schmutzige Pflaster.
Der Fußgängerverkehr auf dem Bahnhofsvorplatz kam sofort zum Erliegen. Okay, das war kein erotisches Schlammcatchen, aber es war umsonst – und von daher bestens geeignet, sofort für einen spontanen Menschenauflauf zu sorgen.
Der Straßenbahnfahrer der Linie 709 gaffte interessiert und verpasste den Moment der Anfahrt. Südländische Taxifahrer platzierten erste Wetten. In Sekundenschnelle bildete sich ein Kreis, kleine Kinder wurden nach vorne geschoben, damit sie besser sehen konnten. Vom linken Niederrhein angereiste Touristen in drolliger Oberbekleidung werteten das Duell als verheißungsvollen Auftakt für eine herrliche Junggesellenabschieds-Altstadtsause.
Klasse! Düsseldorf war immer eine Reise wert.
Hartmann hätte einen chauvinistischen Fünfer auf die Pummelige gesetzt, konnte sich aber gerade noch bremsen. Er hatte keinen Fünfer.
Weil ihn der Artikel in der Zeitung über hoch nachgefragte Penisverlängerungen in Brasilien nicht nachhaltig zu fesseln vermochte, kam er nicht umhin, den beiden jungen Männern zu lauschen, die am Stehtisch hinter ihm zusammen einen Milchkaffee schlürften. Hartmann riskierte einen Blick. Die Typen waren knappe achtzehn und rochen wie drei Tage Rock am Ring. Im Zelt. Ohne Dusche.
»Boah, geil, Alter. Ich hab im Internet Konzertkarten für Bob Marley ersteigert.«
»Bob Marley? Ey, lange nichts Neues von gehört, Mann.«
»Alter, der geht voll auf Tournee!«
»Echt?«
»Jow.«
»Leck mich fett!«
»Lanxess-Arena in Köln. Nur neunundsechzig Ocken, Alter! Dann singt der die ganzen Hits!«
»Satisfaction?«
»Bestimmt. Ich freu mich wie Bolle!«
»Raumschiff!«
Hartmann leerte seinen Becher. Premium-DNA, dumm wie Kies.
»Möchtest du noch einen Kaffee?«, unterbrach Simone Hartmanns trostlose Gedanken.
»Nein, danke. Mir klopft's schon im Kopf.«
»Das ist ein gutes Zeichen. Dann ist da oben was los.« Sie nickte Richtung Zeitung. »Da ist was dran. Ist auch bei meiner Tochter ein Thema.«
Hartmann hob irritiert die Augenbrauen. »Bei Sara-Jacqueline? Penisverlängerungen in Brasilien?«
»Nein, der Artikel daneben. Fehlender Wohnraum in Oberbilk. Sara-Jacqueline muss ausziehen. Wegen dem Hund.«
»Noah?«, erinnerte sich Hartmann. »Das ist doch der Hund, den sie im Sommer aus Spanien mitgebracht hat, der nur Französisch versteht.«
»Genau. So ein braves Tier.«
»Wie geht’s dem strubbeligen Kerl?«
»Super. Er versteht inzwischen schon sehr gut Deutsch.«
»Das ist wichtig«, nickte Hartmann. »Für die Integration. Die Sprache ist der Schlüssel.«
Simone pflückte ärgerlich den Kaffeebecher vom Stehtisch. »Überall wird in Düsseldorf gebaut. Aber nur so feine Luxuskästen. In Pempelfort, am Mörsenbroicher Ei und jetzt ja auch am Rhein, auf den Rheinwiesen, da beim Landtag. In Heerdt bauen die ein mehrstöckiges Hochhaus, da kannst du mit einem Aufzug deinen Wagen mit in die Wohnung nehmen. Wer braucht so was?«
»Menschen, die ihr Auto lieben. Autoerotik!«
»Ich frag dich: Wer soll sich die Wohnungen da denn leisten können?«
Hartmann zuckte mit den Schultern.
»Die Sara-Jacqueline ist doch gerade erst mit der Ausbildung zur Altenpflegerin fertig, das ist doch viel zu teuer für die.« Simone holte tief Luft. »Das sind alles die da oben schuld, die Politiker. Die machen, was sie wollen. Beim nächsten Mal, da gehe ich das erste Mal wählen. Aber dann male ich denen ein dickes, fettes Kreuz auf den Wahlzettel. So ein Kreuz haben die noch nicht gesehen!«
Sie schnaufte wild.
Um sie zu beruhigen, tippte Hartmann mit dem Zeigefinger auf den Zeitungsartikel gleich unter dem Bericht über die schmerzhaften, aber später mutmaßlich lustvollen Körperteilverlängerungen. »Ab und an wird ja auch wieder eine Wohnung frei.«
»Eller«, las Simone. »Mann in Appartementwohnung erstochen aufgefunden. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus und ermittelt in alle Richtungen.«
»Siehste«, sagte Hartmann.
Simone legte den Kopf schräg. »Also, ich weiß nicht. Es muss ja nicht unbedingt die Wohnung sein, in der gerade jemand ermordet wurde.«
»Solche Wohnungen gibt es häufiger, als man denkt«, führte Hartmann gerne aus. »Statistisch ist in jeder zehnten Wohnung Düsseldorfs schon mal jemand umgebracht worden.«
»Ach?«
»Ja. Nicht in allen gleichzeitig, aber nacheinander. So über die Jahre verteilt. Und da ist die Dunkelziffer noch gar nicht einberechnet.«
»Das kann einem Angst machen.«
»Meist sind es Beziehungstaten. Die Frau vergiftet den Ehemann, der Mann erschlägt die Frau.«
»Hansi-Schatz und ich streiten nur ganz, ganz selten«, behauptete Simone und wischte einen Brotkrümel vom Stehtisch.
»Oh, oh.«
»Wie ›oh, oh‹?«
»Verdrängte Konflikte? Nicht ausgesprochene Vorbehalte? Gerade dann staut sich einiges an Emotionen an. Und plötzlich: Eruption!«
»Eruption?«
»Wie bei einem Vulkan.«
Simone schüttelte energisch den Kopf. »Bei uns staut sich nichts an, wir haben regelmäßig Sex.«
Hartmann blickte ihr fest in die Augen. »Das ist gut, Simone. Guck, dass das so bleibt.«
Simone nickte. Und wechselte zurück zum Thema. »Noch mal wegen der Wohnung. Du kennst doch so viele Leute. Kannst du dich mal umhören, ob irgendwo was frei ist? Eine Person, ein Zimmer mit kleiner Kochecke und ein Bad. Das würde für Sara-Jacqueline schon reichen. Und ein Hund muss erlaubt sein.«
»Mach ich«, versprach Hartmann, obwohl er sich nicht sicher war, ob der multilinguale, aber verlauste Noah ein Gewinn für die Nachbarschaft in spe sein würde.
»Das ist lieb«, summte Simone, strich ihrem Lieblingsgast sanft übers Haupthaar und entschwand Richtung Theke, wo schon mehrere Ausgehungerte sehnsüchtig ausharrten.
»Wat is dat für'n Brot?«, wurde sie empfangen.
»Ein halbes«, erklärte Simone umfassend.
Draußen auf dem Bahnhofsplatz fuhr mit quietschenden Reifen ein Streifenwagen vor, zwei uniformierte Polizistinnen sprangen aus dem Fahrzeug. Energisch kämpften sie sich durch die aufgegeilten Gaffer, die Schaulustigen wichen erwartungsfroh ein paar Schritte zurück. Mit kräftigem Griff zogen sie die beiden Kampfhennen auseinander, die noch ein letztes Mal versuchten, sich gegenseitig zu treten, was aber nicht gelingen wollte.
Zwei gegen zwei? Das hätte noch mal interessant werden können, aber weil die beiden Bahnhofsfurien nicht auf die Polizistinnen losgingen, steckten die eventorientierten Kerle ihre Handys nach und nach ein. Der Straßenbahnfahrer bimmelte, die Bahn fuhr los. Der Mob löste sich auf, Ende der Show.
Hartmann stand auf und nickte den beiden Musikfans zu. »Karten für Bob Marley? Super Sache. Ich hab gehört, George Harrison geht mit ihm auf Tournee.«
»Wer ist George Harrison?«
»Der war Schlagzeuger bei den Beach Boys. Die Drummer sind immer die Besten. Ein fantastischer Kerl. Haut...