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E-Book, Deutsch, Band 10, 448 Seiten
Reihe: Alea Aquarius
Stewner Alea Aquarius 10. Der Stern des Schicksals
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96052-486-1
Verlag: Verlag Friedrich Oetinger GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 10, 448 Seiten
Reihe: Alea Aquarius
ISBN: 978-3-96052-486-1
Verlag: Verlag Friedrich Oetinger GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tanya Stewner, zunächst Übersetzerin und Lektorin, widmet sich inzwischen ganz dem Schreiben. Ihre Kinderbuchserien, v.a. Alea Aquarius, sind sowohl in Deutschland als auch international erfolgreich.
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Am Bug
Die Sonne brach durch den Morgennebel, sprenkelte glänzende Lichtpunkte auf das still daliegende Meer und schien einen strahlend schönen Spätsommertag an der Westküste Italiens anzukündigen. Der Morgenzauber vermochte Alea allerdings kein Lächeln zu entlocken. Weltverloren stand sie am Bug der , die Hände tief in den Taschen ihrer rosafarbenen Seidenjacke vergraben, die Brauen eng zusammengezogen wie zwei Gedankenstriche, die kollidiert waren. Ein weiteres Mal hatte sie sich hierher an die Schiffsspitze zurückgezogen – ihr kleines Heiligtum der Stille –, während die Welt um sie herum in Lärm und Chaos zu versinken schien. Bisher hatte die Alpha Cru immer einen Ausweg aus allen Schwierigkeiten gefunden, gleichgültig, wie schlimm es gewesen war. Würde ihnen das auch dieses Mal gelingen?
Alea schob die Schultern nach vorn, als könnte sie den Ernst der Lage damit auf Abstand halten. Doch die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten sie bis ins Mark erschüttert. Doktor Orion hatte das getan, was sie seit Wochen befürchtet hatten und was dennoch derart undenkbar war, dass Alea immer gehofft hatte, es würde nicht dazu kommen: Der Doktor hatte seinen neuen Virus ausgesetzt. Den, der die Magischen auslöschen sollte, so wie sein erster Virus, der sogenannte Wasservirus, einst die Meermenschheit ausradiert hatte.
»Ahoi, Schneewittchen!«, drang eine wohlbekannte Stimme an Aleas Ohr. Samuel Draco, seines Zeichens Spaßbeauftragter der Alpha Cru und Hüter des Schatzes, trat neben sie. Seine rote Mähne war inzwischen lang genug, um daraus einen Zopf zu machen. Allerdings trug Sammy nicht einfach nur einen Zopf, sondern einen sogenannten Man Bun, genauer sogar einen Top Bun – einen Dutt am oberen Hinterkopf –, an dem der Bandenjüngste nun herumzupfte, während er Alea prüfend musterte. »Einfach atmen«, sagte er und klang wieder einmal viel zu alt für seine neuneinhalb Jahre.
Alea rang sich ein Lächeln ab. »Ich versuch’s.«
»Das reicht schon.« Sammy funkelte sie mit seinen warmen braunen Augen an, und Alea fühlte sich ein klitzekleines bisschen besser.
Ihr Blick fiel auf das Smartphone in seiner Hand. »Willst du was fürs Bandentagebuch aufnehmen?« Das Bandentagebuch war eine Sprachmemosammlung, in der Sammy seit Anbeginn ihrer Reise alle wichtigen Ereignisse festgehalten hatte.
»Will ich. Es ist schon wieder so viel passiert, dass ich am besten ganz schnell alles aufspreche, bevor ich was vergesse«, murmelte Sammy und wischte mehrmals über das Handy, das seinem großen Bruder Ben gehörte. »Soll ich woanders hingehen?«
»Nein, schon in Ordnung.«
»Wunderbärchen.« Sammy räusperte sich und begann. »Bandentagebucheintrag Nummer einhundertzweiunddreißig. Nachdem die legendäre Alpha Cru Doktor Orion am Kolosseum von Rom mit ihrem ausgetüftelten Plan in die Falle locken und in einen Lieferwagen verfrachten konnte, brachte sie ihn zur Promenade ihres Hafens. Leider kreuzte dort sein Darkonerchef Zeirus auf, der die tapferen Junghelden angriff.« Sammys Tonfall war der eines erfahrenen Hörbuchsprechers. »Inmitten des sagenhaften Kampfs gegen die unerschrockenen Meerkinder brach Zeirus plötzlich und ohne ersichtlichen Grund ohnmächtig zusammen. Die Cru brachte es fertig, ihn auf ihr Schiff zu schleppen, wo der Darkonergigant seitdem schlafend wie Dornröschen auf der Couch liegt.«
Stirnrunzelnd warf Alea Sammy einen Blick zu, und Sammy sagte: »Stirnrunzelnd warf Alea Sammy einen Blick zu. Draco klärte sie daraufhin auf: Ja, mein liebes Schneewittchen, du bist nicht die einzige Märchenfigur hier. Seit ich zum Beispiel weiß, dass Zuzanas zweiter Vorname ist, habe ich angefangen, sie Cinderella zu nennen und sie heftigst zu ermuntern, ihr wahres Gesicht zu zeigen: ihr Ella-Gesicht.«
»Ihr Ella-Gesicht?«, wunderte sich Alea. Zuzana, die zierliche Anschu aus Tschechien, versuchte stets, ihr Gesicht zu verstecken, da es schuppig und von grünlich anmutenden Narben übersät war. Die Narben verwandelten sich bei Meermenschen vom Stamm der Anschu im Wasser zwar in prächtige Blumenrankenmuster, doch wie die meisten Hajari war Zuzana aufgrund von Orions Wasservirus noch nie im Meer gewesen und hatte diese Verwandlung noch nicht erlebt.
Sammy schien für die Anschu jedoch eine prachtvolle Zukunft vorauszusehen. »Der Name Cinderella passt bombe zu Zuzana«, führte er seinen Märchenvergleich eifrig weiter. »Zuerst geht es ihr wie Aschenputtel und sie wirkt eher unscheinbar und wird unterschätzt. Dann kommt allerdings ihre große Stunde und sie erstrahlt in Glanz und Gloria wie die bombastischste Ella aller Zeiten – Cinderella!«
Alea lächelte ein ganz kleines Lächeln.
Sammy fügte hinzu: »Und Orion ist so was wie Rumpelstilzchen. Ein fieser Trickser, ein gerissenes Goblin-Hutzelmännchen, das Kinder klauen will.«
Beinahe hätte Alea gelacht. Aber nur beinahe. Denn Orion wollte ja tatsächlich Meerkinder klauen, und seit vorgestern wusste der Doktor, dass einige für ihn sehr interessante Hajari zur Alpha Cru gestoßen waren – nicht nur die Anschu Zuzana, sondern auch der Adetari Evelin, die Zalti Isla und der Oblivion Nexon.
Sammy drückte auf Stopp. »Warte, ich fang noch mal da an, wo ich erzählt hab, was nach dem Kampf auf der Promenade passiert ist«, sagte er und startete eine neue Aufnahme. »Der gewiefte Doktor schaffte es, mit seinem Darkoner Caligo von der Hafenpromenade ins Meer zu fliehen. Alea Aquarius höchstpersönlich nahm die Verfolgung auf, konnte die beiden jedoch nicht einholen. Dies schafften schließlich die beiden Nixen Akira und Yumiko – merkt euch diese Namen! Es kam zu einem denkwürdigen Kampf, der in der verhängnisvollen Situation gipfelte, dass Caligo den neuen Virus durch eine Wunde an Akiras Schulter in die Blutbahn der Nixe einschleusen konnte. Niemand ahnte, dass Akira damit zum trojanischen Pferd, zur Überträgerin der neuen Krankheit wurde. Und als sie im Folgenden gemeinsam mit Yumiko zu allen Nixen der Gegend schwamm, um sie zum großen Treffen der Magischen einzuladen, verbreitete Akira den Trojavirus möglicherweise schon weiträumig im Meer.«
Alea stutzte. ? Na ja, so ganz falsch war die Bezeichnung nicht.
»Als Alea und ihre Zwillingsschwester Thea Phönix den beiden Nixen am nächsten Tag wiederbegegneten, brach Akira vor ihren Augen zusammen, und Alea erkannte den Trojavirus im Stimmungsspiel der Nixe. Zügig brachten Alea und Thea Akira und ihre Freundin auf die . In Yumikos Aura konnte Alea den Virus ebenfalls schon sehen.« Sammy schnaufte kurz. »Die zwei Nixenkriegerinnen wurden begleitet von der berühmtesten Finde-Finja der Welt, Finni Nannini, und dem Kobold Sweeney. Bei diesen beiden konnte die Elvarion zum Glück noch keinen Virus ausmachen.« Er blickte Alea an und schien sie fragen zu wollen, ob er das richtig wiedergab.
Alea nickte und unterdrückte das verzweifelte Stöhnen, das in ihrer Brust aufstieg. Dies alles in Kurzform zu hören, ließ keinen Spielraum für Schönfärberei. Die Situation war im wahrsten Sinne des Wortes todernst.
Auch Sammy fiel es wohl immer schwerer, die leichtfüßige Sprechweise beizubehalten. »Yumiko hat noch keine Symptome«, fuhr er fort. »Akira ist allerdings bewusstlos, und es geht ihr sehr schlecht. Ihr Atem rasselt, und ihre Haut ist gar nicht mehr türkis, sondern so beige … nichtsfarben.«
Beim Gedanken an die sonderbar bleiche Nixe, die ohne Bewusstsein im Salon auf dem zweiten Sofa lag, fröstelte es Alea.
Sammy hielt kurz inne und schien seinen inneren Hörbuchsprecher wieder heraufzubeschwören. Dann erzählte er in spannungsgeladenem Tonfall weiter. »Das Letzte, was die sagenumwobene Alpha Cru über Doktor Orion gehört hat, ist, dass er in seinem Helikopter davongeflogen ist – laut Finde-Finjas nach Kroatien, wo sich offenbar eine Gretzer-Niederlassung befindet. Bestimmt wird der Doc aber bald wieder nach den heldenhaften Protagonisten unserer Geschichte suchen, denn er will sie alle haben: die Elvarion der letzten Generation, ihre kühne Cru und selbstverständlich auch die anderen Meerkinder mit ihren speziell-krassen Fähigkeiten.«
Alea warf ein: »Außerdem vermisst Orion bestimmt Zeirus.«
»… warf die Elvarion ein und hatte damit absolut recht. Garantiert fragt sich der Doktor inzwischen, wo sein Darkonerchef abgeblieben ist – ob er verletzt, verloren oder verstorben sein könnte. Doch Orion ahnt bestimmt nicht, dass Zeirus von den wagemutigen jungen Helden auf die geschafft wurde und dort schlafend wie Dornröschen auf der Couch liegt.« Sammy unterbrach die Aufnahme. »Nee, jetzt hab ich im Kreis erzählt.«
Während er den letzten Eintrag noch einmal abhörte, beruhigte Alea sich mit dem Gedanken, dass die Cru inzwischen ein gutes Stück von dem kleinen römischen Hafen und der Promenade fortgesegelt war und dass die obliomagische Tarnung der Skorpionfische sie nach wie vor gut schützte. Man konnte die eigentlich nur durch Zufall aufspüren. Eigentlich …
»Hab ich schon erzählt, dass Thea letzte Nacht mit dir walwandern war?«, fragte Sammy und tippte auf dem Handy herum. »Ich glaub nicht, aber das ist wahrscheinlich auch nicht so wichtig wie die Sachen, die danach passiert sind.«
Alea seufzte. Ihre Schwester war nun endlich bei ihr auf der , und doch hatten sie noch nicht viel Zeit füreinander gehabt. Denn in der vergangenen Nacht waren Thea und sie, gleich nachdem sie Akira, Yumiko, Sweeney und Finni Nannini in Sicherheit gebracht hatten, gemeinsam mit...