E-Book, Deutsch, Band 1, 336 Seiten
Reihe: Der LKA-Präsident ermittelt
Steinleitner Blutige Beichte
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-99043-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der LKA-Präsident ermittelt
E-Book, Deutsch, Band 1, 336 Seiten
Reihe: Der LKA-Präsident ermittelt
ISBN: 978-3-492-99043-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jörg Steinleitner, geboren 1971 im Allgäu, studierte Jura, Germanistik und Geschichte. Er absolvierte die Journalistenschule in Krems/Wien und ließ sich 2002 nach Stationen in Peking und Paris als Anwalt in München nieder. Bei Piper veröffentlichte er die Anne-Loop-Krimis, die Krimiserie um den LKA-Präsidenten Kurt Nonnenmacher, die 'Ambach'-Reihe mit Co-Autor Matthias Edlinger sowie 'Gummistiefelyoga' unter dem Pseudonym Felix Tanner. Zudem ist er Chefredakteur des Literaturmagazins BUCHSZENE.DE und veröffentlicht auch Kinderbücher. Seine Lesungen inszeniert Steinleitner als unterhaltsames multimediales Kabarett. Steinleitner wurde u.a. mit dem Preis 'Demokratisch handeln' ausgezeichnet und ist seit 2020 Bürgermeister im oberbayerischen Riegsee, wo er mit Frau und drei Kindern in einem 200 Jahre alten Bauernhof lebt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Drei | Bali
Zimmerschied ließ sich in seinen Bürosessel fallen und dachte an seine Frau. Da klingelte im Vorzimmer das Telefon, Frau Rötli hob ab und rief wenig später: »Herr Zimmerschied, der Herr Horvath von der Pforte ist dran. Darf ich durchstellen?«
»Ja.« Sekunden später meldete sich der Präsident mit einem »Guten Morgen, Herr Horvath, was kann ich für Sie tun?«.
»Herr Präsident, bei mir an der Pforte, da stehen drei Amerikaner in dunklen Anzügen und eine Frau. Ich wollte sie schon rausschmeißen, weil sie ihre SUVs direkt vor unserem Haupteingang geparkt haben, was ja nicht geht, aber die sagen, dass sie zu Ihnen müssen. Die sagen, sie seien von der Nationalen Sicherheitsberaterin von Amerika geschickt worden, und die hätte gestern schon mit Ihnen telefoniert, Sie wüssten Bescheid?«
Der Präsident dachte nach: Wenn das jetzt irgendwelche Medienclowns waren, dann waren die wirklich hartnäckig. »Haben die sich ausgewiesen?«
»Ja, aber was weiß denn ich, ob diese Geheimdienstausweise echt sind!«
Eineinhalb Stunden später saß Zimmerschied wieder allein in seinem Büro. Vor ihm lag ein Geheimvertrag, der ihn zum Sicherheitsbeauftragten der US-Regierung für den anstehenden Staatsbesuch machen würde, sofern er ihn denn unterschrieb. Der Vertrag enthielt zwei Kernpunkte: Erstens sollte Zimmerschied sich einen Event ausdenken, der in der Öffentlichkeit als großartiger wahrgenommen werden würde als das Weißwurstfrühstück. Und zweitens sollte er dafür sorgen, dass dem US-Präsidenten während seines Aufenthalts in München kein Haar gekrümmt wurde. Notwendig für die erfolgreiche Durchführung des Auftrags sei es, dass Zimmerschied in totaler Eigenständigkeit und ohne jede Einmischung der dienstlich eigentlich neben oder sogar über ihm stehenden Beamten und Politiker planen und handeln könne. Was für eine Forderung! Der LKA-Präsident dachte an den Amerikaner. Es war erstaunlich, dass jemand mit derart schlechten Manieren so weit kommen konnte. Aber als Polizist konnte man sich nicht aussuchen, für wessen Sicherheit man sorgte. Im Zweifel kam auch ein Idiot in den Genuss umfassenden Schutzes.
Zwei Mitarbeiter betraten, ohne anzuklopfen, Zimmerschieds Büro: die klein gewachsene Barbara Veltroni mit der schwarzen Pagenkopffrisur und der hoch aufgeschossene Hannes Södlinger, der stets Anzug mit Fliege trug (die viele im LKA als eher deplatziert empfanden) und dessen Haarschnitt aussah, als wäre er selbst dafür verantwortlich. Beide waren außer Atem. Barbara Veltroni keuchte: »Wir wollten nur, also, bevor Sie es von anderer Stelle hören, Chef ...«
Zimmerschied verzog das Gesicht: »Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen, Frau Veltroni, ich mag das nicht, wenn Sie mich mit ›Chef‹ anreden.«
»Tut mir leid. Aber in der vergangenen Nacht ist der Landtagsabgeordnete Roland Mai in der Schillerstraße getötet worden. Der oder die Mörder haben ihm den Hals aufgeschlitzt, mit einem Dönermesser.«
»Wir dachten uns«, ergriff Hannes Södlinger das Wort, »dass wir Sie lieber gleich miteinbeziehen, weil es da sicher bald Rückfragen vonseiten der Politik und der Presse geben wird.«
»Ach du Scheiße«, entfuhr es Zimmerschied. Seine ganze Aufmerksamkeit war nun den beiden Kriminalhauptkommissaren zugewandt.
»Momentan ist da noch alles drin – politische und private Hintergründe, Rotlicht, Schwule, Geldwäsche, alles; Raubmord eher nicht, weil nichts zu fehlen scheint, allerdings ...« Barbara Veltroni zögerte. »Eine Besonderheit gibt es.« Zimmerschied zog fragend die Augenbrauen nach oben. »Wir haben das am Tatort nicht gleich gesehen, weil der abartig geblutet hat, aber jetzt in der Rechtsmedizin ...« Sie legte dem Präsidenten ein Foto auf den Tisch, das den nackten Oberkörper eines Mannes zeigte. Neben den auseinanderklaffenden Hautwülsten an der Schnittstelle am Hals, die Zimmerschied an einen Schweinsbraten im Rohzustand erinnerten, war etwas anderes nicht zu übersehen: Auf Höhe des Herzens prangten weitere, wesentlich filigranere Schnittwunden auf der Haut der Leiche.
Barbara Veltroni ließ ihrem Chef einen Moment Zeit, um das Foto zu begutachten, dann sagte sie: »Keine Ahnung, was Sie da sehen, aber Hannes und ich meinen«, sie warf dem Kollegen einen kurzen Seitenblick zu, »dass man – natürlich nur mit etwas Fantasie – diese Schnittwunden als Stern und Halbmond interpretieren könnte.«
»Türkische Flagge?« Der Präsident, den Blick noch immer auf das Foto gerichtet, grübelte eine Weile und fragte dann: »Sie meinen, dass die Tat womöglich etwas mit Islamisten zu tun hat?«
Barbara Veltroni nickte. »Und da in dieser Option ja eine gewisse Brisanz steckt, wollten wir fragen, ob wir damit jetzt überhaupt schon raus sollen. Oder ob wir einfach noch warten ...«
»Wegen der aufgeheizten Stimmung, was kriminelle Ausländer angeht, wegen der ganzen politischen Hetzerei und so weiter«, ergänzte Hannes Södlinger.
Entschlossen hob Zimmerschied den Kopf. »Klingt sinnvoll. Machen wir. Stern und Sichel bleiben erst einmal intern.«
»Aber, also ...« Barbara Veltroni räusperte sich und suchte den Blick des Vorgesetzten. Auf dessen erwartungsvolles Schweigen hin druckste sie: »Ganz sicher sind der Hannes und ich uns nicht, ob das okay ist, wenn wir diese Info zurückhalten – Sie wissen schon, so Fake-News-mäßig ...«
»Nicht, dass man uns dann unterstellt, wir würden relevante, in Richtung Ausländer deutende Tatsachen ...«, sprang Södlinger der Kollegin bei.
»Mehr Informationen herauslassen können wir später immer noch«, unterbrach ihn der Präsident. »Wir sagen ja nichts Falsches, sondern wir halten lediglich etwas zurück. Das sind keine Fake News, sondern gar keine. Oder eben einfach nur Polizeitaktik. Zurückgehaltenes Täterwissen.« Er atmete hörbar aus. Als er Veltronis nachdenklichen Gesichtsausdruck wahrnahm, schob er noch hinterher: »Machen Sie sich keine Gedanken, ich übernehme die Verantwortung.« Im selben Moment drang durch die geöffnete Tür das Klingeln eines Telefons herein, und wenig später rief Elisabeth Rötli: »Herr Zimmerschied, der Herr Innenminister möchte Sie sprechen.« Selbst unter jenen Mitarbeitern, die Elisabeth Rötlis dominante Art anstrengend fanden, galt ihr schweizerischer Akzent als putzig.
»Dann – haben wir es?«, fragte Zimmerschied und bedachte erst Veltroni, dann Södlinger mit fragenden Blicken. Auch wenn der Innenminister am Apparat war, so musste Angefangenes vernünftig zu Ende geführt werden. Zimmerschied hatte seit vielen Jahren mit hohen Tieren der Politik zu tun. Wenn es hart auf hart kam, hatte sich noch jeder von ihnen als stinknormaler Mensch entpuppt.
Die Kommissare nickten, Veltroni schnappte sich das Foto der Leiche vom Tisch des Präsidenten, und beide verließen nach knapper Verabschiedung das Büro.
Erst jetzt griff Zimmerschied zum Hörer. Nach kurzem Wortwechsel verband ihn die Sekretärin des Ministers weiter, und wenig später meldete sich sein direkter Vorgesetzter am anderen Ende der Leitung. Innenminister Alfred Werner war Franke, was er nicht einmal dann zu verbergen vermochte, wenn er sich redlich bemühte. »Guten Morgen, Zimmerschied, ich mach’s kurz: Höre eben, dass der Landtagsabgeordnete Roland Mai beim Hauptbahnhof ermordet worden ist. Widerliche Tat. Wollte Sie deswegen nur rasch unterrichten. Also erstens: Roland Mai ist ein Parteifreund. Zweitens: Er ist ein enger Freund des Ministerpräsidenten, die Aufklärung hat von dem her oberste Priorität. Diese Aussage verbinde ich mit einer vorsorglichen Warnung, Zimmerschied: Seien Sie sich im Klaren, dass dieser verdammte Mord Sie das Amt kosten kann. Mich natürlich auch. Deswegen: Wir müssen umfassend und unverzüglich aufklären. Schnell, schneller, am schnellsten. Das ist heikel, ganz heikel.« Der Innenminister sonderte Wortmaterial mit der Effizienz eines bayerischen Automotors ab. Zimmerschied hätte die Augen verdrehen können, es sah ihn ja keiner, aber er tat es nicht. Irgendwie war er fasziniert von diesem begnadeten Schwätzer. Werner schien beim Sprechen keinerlei frischen Sauerstoff zu benötigen. »Alles klar, Zimmerschied?«
»Alles klar, Herr Minister.«
»Und sonst – wie steht’s, wie geht’s?« Er bemerkte den Verdreher und schob hinterher: »Wie geht’s uns so? Was macht die Landwirtschaft?«
»Es läuft alles«, schwindelte Zimmerschied.
»Wahnsinn, dass du dir das antust!«, rief Alfred Werner aus und verfiel versehentlich, wie es ihm immer wieder einmal passierte, ins joviale »Du«. »Und die Gattin?«
»Die Gattin«, Zimmerschied geriet ins Straucheln, »ist noch, ähm ...«, er räusperte sich, »... auf Bali.«
»Soso, Bali ...« Der Minister schien sein Gehirn für einen Moment tatsächlich zum Nachdenken zu nutzen. »Ist die jetzt nicht schon gleich ... ein paar Monate lang weg?«
Der LKA-Präsident zögerte, um dann mit einem leisen »Ja« den familiären Missstand einzuräumen. Es ärgerte ihn, dass er unversehens in der Defensive gelandet war.
»Alles in Ordnung mit der Ehe?«, fragte der Innenminister. Er war Mitglied der Regierungspartei, die die Christlichkeit und damit praktisch auch die monogame Ehe im Namen trug, obgleich es nur einem geringen Teil ihrer Amtsträger auch gelang, sich daran zu halten. Ein Politikerleben, gleich wie christlich es ausfiel, bestand aus einer Fülle an Dekolletés und sonstigen Gelegenheiten.
»Ja, ja, schon«, log...