E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Steinhauer / Schindlecker Erwin Steinhauer - Der Tragikomiker
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8000-8212-4
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-8000-8212-4
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erwin Steinhauer ist ein Multitalent. Er begeistert das Theaterpublikum genauso wie Film-Fans und Fernsehzuschauer. Am Burgtheater brillierte er nicht nur in "klassischen" Stücken, sondern spielte auf Empfehlung von Helmut Qualtinger auch den "Herrn Karl". In der Josefstadt wurde er zum genialen Duo-Partner von Otto Schenk.
Im Fernsehen war er unter anderem in Quoten-Hits wie "Der Sonne entgegen", "Polt", "Trautmann", "Brüder", "Salzbaron" und – aktuell – in "Die Toten von Salzburg" zu sehen. Alle Jahre wieder begeistern die Weihnachts-Blockbuster "Single Bells" und "O Palmenbaum". Und schon in den 1980er-Jahren standen Kabarettfans vor "Kulisse" und "Spektakel" Schlange, um Karten für eines seiner Solo-Programme zu ergattern.
Diese Biografie erzählt Spannendes und Heiteres aus dem Leben eines großen Künstlers. Fritz Schindlecker war schon in den 1980ern für Erwin Steinhauer als Kabarettautor tätig. In den letzten Jahren veröffentlichten beide gemeinsam vier Bücher.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
VON SCHAUSPIELERN UND GAUKLERN
Der Blick der Menschheit war bisher zu stumpf, zu erkennen,
daß die mächtigsten Menschen große Schauspieler waren. Friedrich NIETZSCHE Deutscher Philosoph
1844–1900 Wer sich nur selbst spielen kann, ist kein Schauspieler. Johann Wolfgang von GOETHE Deutscher Dichter
1749–1832 Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug. Arthur SCHNITZLER
Österreichischer Dramatiker und Erzähler
1862–1931 Nur wenige im deutschsprachigen Raum schaffen es, sowohl in die Oberliga der Theaterschauspieler als auch in die der Fernsehstars vorzustoßen. Erwin Steinhauer ist dies schon in jungen Jahren gelungen: In den 1980ern zählte er zu den führenden Solokabarettisten, war Burgschauspieler und spielte in der deutsch-österreichischen TV-Koproduktion „Der Sonne entgegen“ eine Hauptrolle. Nun erfordert die Schauspielerei allerdings vor der Kamera völlig andere Techniken als jene, die im Theater zum Erfolg führen. Auf der Bühne muss eine höchste intime Szene immer mit raumfüllender Stimme vorgetragen werden, damit auch die Zuschauer im obersten Rang noch hören, was da an Geheimnisvollem gesprochen wird. Darüber hinaus erfordert das Theater große Gesten und Mimik, um das Gesprochene zu unterstreichen, gelegentlich auch, um es zu relativieren. Vor der Kamera ist – zumal bei Nah- und Großaufnahmen – ein völlig anderes „Acting“ gefragt. Hier ist im Regelfall weniger mehr. Oder, wie es Erwin einmal formuliert hat: „Wenn das Kinopublikum alle deine Goldplomben gesehen hat, dann hast du zu viel gespielt.“ Erfolgreiche Theaterschauspieler haben viele „Gesichter“ – Filmstars nicht. „Der Burt Lancaster und der Clint Eastwood haben in ihren zahllosen Filmen nur zwei Gesichter gezeigt“, sage ich. Und Erwin ergänzt: „Der Alain Delon hat überhaupt nur eines gehabt. Das hat aber vollkommen ausgereicht!“ Live auf der Bühne zu spielen oder vor einer Kamera zu agieren – das sind also zwei weitgehend verschiedene Berufe. Viele anerkannte Bühnen-Diven und ihre männlichen Kollegen weigern sich aus diesem Grund, gutbezahlte Film- und Fernsehrollen anzunehmen. Bei einigen von denen, die das trotzdem tun, weiß man dann als Zuschauer, warum es besser gewesen wäre, wenn sie bei ihrer Weigerung geblieben wären. Erwin Steinhauer beherrscht beides – das Spiel auf der Bühne und das vor der Kamera. Und er hat noch einiges mehr zu bieten. Vor ein paar Jahren sagte Lukas Resetarits zu mir: „Ich hätte mir nie gedacht, dass irgendwann einmal einer „Die letzten Tage der Menschheit“ besser interpretieren kann als der Qualtinger. Dem Erwin ist das gelungen!“ Ich stimmte ihm zu. Mir war es genauso ergangen wie ihm: Jahrzehntelang war Helmut Qualtinger für mich der beste Interpret des grandiosen Werks von Karl Kraus gewesen, das mehr ist als ein Bericht über eine beklemmende Zeit. Es ist der in Einzelszenen zerlegte Nachweis dafür, wie die Angehörigen einer Epoche kollektiv einen ethisch-moralischen Selbstmord begehen. Qualtinger war es gelungen, uns seinerzeit als junge Leute auf eine Zeitreise in diese Welt mitzunehmen, die wir bestenfalls vom Hörensagen kannten. Diese Welt voller kaisertreuer „Patridioten“, die sich in Kriegsbegeisterung stürzen ließen und prophylaktisch siegestrunken in den ersten industriell befeuerten Krieg der Weltgeschichte taumelten. Qualtinger brachte uns die antisemitischen Katholiken näher und die mordgierigen Nationalisten, die für „jeden Russ´ einen Schuss, für jeden Brit´ einen Tritt und für jeden Franzos´ einen Stoß“ bereithielten. Um sich schließlich nach ihrem Ritt durch die Apokalypse blutige Köpfe, zerschossene Glieder oder eine letzte Ruhestätte im sogenannten Feindesland zu holen. Wir sahen dank Qualtinger den deutschen Kronprinzen vor uns, wie er mit dem Tennisracket den „feldgrauen“ Proleten zuwinkt, als diese mit fröhlichen Liedern auf den Lippen in den Gaskrieg ziehen. Wir sahen die kriegslüsterne Kriegsberichterstatterin, die sich das „Live-Erlebnis“ eines von ihr angestifteten Gemetzels geben will. Wir sahen den bayrischen Heimatkitschpoeten, der vom Preußenkaiser mit Zwieback gefüttert wird. Und wir sahen den österreichischen Offizier, der das Geburtsdatum verurteilter Jungsoldaten fälschte, um sie standrechtlich erschießen zu können. Das alles sahen wir – dank Qualtinger. Was hat Erwin Steinhauer anders gemacht? Ich selbst fand vorerst keine Erklärung. Die lieferte meine Frau Christine, indem sie feststellte: „Wenn der Erwin Steinhauer die Karl-Kraus-Texte interpretiert, dann wirken die so heutig.“ Das war es. Das war der Unterschied: Helmut Qualtinger hatte es mit seiner Kunst geschafft, uns „auf einen Trip zurück“ in die Zeit des Karl Kraus mitzunehmen. Und Erwin Steinhauer schafft es mit seiner Kunst, die Texte des Karl Kraus in unsere Tage zu führen. Und sie passen auf eine beklemmende Weise auch in die aktuellen Zeitläufte. Denn auch heute gibt es Verstöße gegen die Menschlichkeit. Wenn Flüchtlinge in Nacht- und Nebelaktionen in die sogenannten „sicheren Herkunftsländer“ abgeschoben werden. Wenn Leiharbeiter zu Niedriglöhnen und ohne ausreichenden Versicherungsschutz in unseren Betrieben beschäftigt werden. Oder wenn Supermarkt-Kassiererinnen zu „Heldinnen der Pandemie“ erklärt werden, anstatt ihnen vernünftige Prämien für die Mehrleistung auszubezahlen. Und natürlich gehen auch heute Leute „nach oben, um es sich zu richten“: Beispielsweise, um sich die Spekulationsverluste von der öffentlichen Hand ersetzen zu lassen, weil man ja „eine Systembank“ ist. Auch der Rassismus feiert grausliche Urständ – wobei sich der schlechte alte Antisemitismus heutzutage gerne als „zeitgemäße“ Islamophobie camoufliert. Zu allen diesen Vorkommnissen und Handlungsträgern passen die Texte von Karl Kraus ganz hervorragend, so, wie sie von Erwin Steinhauer interpretiert werden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht mir hier nicht darum, eine Literatur-Interpretations-Hitparade zu veranstalten, um dabei den einen Großen neben einem anderen Großen kleiner aussehen zu lassen. Ich will vielmehr darauf hinweisen, wodurch sich wahre Schauspielkunst von jenen Gaukeleien unterscheidet, die uns tagtäglich in penetranter Form umzingeln. Steinhauer und Qualtinger sind als exzellente Darsteller Brückenbauer zwischen Schriftstellern oder Dramatikern und deren Publikum. Sie mögen in der Formulierungskunst unterschiedliche Wege gehen, vielleicht auch andere Strategien bei der Vermittlung anwenden, indem – wie eben festgestellt – der eine sein Publikum in die Zeit des Autors zurück lotst und der andere das Werk in die Gegenwart der Zuhörerschaft bringt. Gute Schauspieler sind also ebenso bemüht wie auch dazu da, der interessierten Zuhörerschaft literarische Aussagen verständlich und damit nachvollziehbar zu machen. Dabei geht es keineswegs immer um das Vermitteln von Wahrheiten. Aber es geht immer um Wahrhaftigkeit. Gaukler hingegen wollen – nomen est omen – etwas „vorgaukeln“. Eine selten gut, doch hin und wieder unfreiwillig komisch dargebotene „Rolle“ soll den „Letztverbrauchern“ oder „lieben Wählerinnen und Wählern“ etwas verkaufen: einen phantastischen Computer, ein umweltfreundliches Elektroauto oder die unfassbar hochentwickelte eigene politische Ethik und Fachkompetenz. Müßig zu sagen, dass es inzwischen in allen entwickelten Industriestaaten 10.000-mal mehr Gaukler als echte Schauspieler gibt. Hierzulande hat jede Versicherungskeilerin – und auch ihr männliches Pendant – am 30. Geburtstag mindestens drei Wochenend-Schauspielseminare im Waldviertel oder in Tirol hinter sich. Ergänzt wird diese mimische Basic-Schulung durch „Erkenne-dich-selbst“-Yoga in einer burgenländischen Wellness-Therme, Rhetorikkurse für Gehemmte und die obligaten NLP-Schulungen, die aber eh von der Firma bezahlt werden. „Selbstinszenierung“ heißt in Wirtschaft und Politik schon ziemlich lange das neue Zauberwort. Dabei ist es eigentlich gar nicht so neu. Erwin hat mir diesbezüglich einen guten Rat gegeben: „Wenn die Gaukler, vor allem die politischen, gestisch besonders aktiv sind,...