E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Steinfeld Tupac is back
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-522-62193-9
Verlag: Thienemann-Esslinger
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Voller Humor und mit einem der größten Rapper aller Zeiten: 2Pac
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-522-62193-9
Verlag: Thienemann-Esslinger
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tobias Steinfeld wurde 1983 in Osnabrück geboren. Er lernte einen handfesten Beruf, studierte und jobbte als Inklusionshelfer an einer Förderschule. Heute leitet er Schreibwerkstätten und schreibt Jugendromane. Sein Debüt 'Scheiße bauen: sehr gut' wurde unter anderem mit dem Mannheimer Feuergriffel-Stipendium ausgezeichnet. Er lebt in Düsseldorf.
Autoren/Hrsg.
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Tupac ist weg
Wie konnte ich so dumm sein und mir aussuchen, hier zu wohnen? Jetzt gerade klinge ich sogar wie Herr Klumpe. Das ist einer der meckernden Rentner.
»Aufhören!«, brülle ich. »Sofort aufhören!« Mit erhobenem Arm und ausgestrecktem Zeigefinger renne ich auf das Mädchen zu. Ich sehe also auch aus wie Herr Klumpe.
Sie macht einfach weiter, dreht sich nicht mal zu mir in ihrem grauen Riesenkittel. Auf ihrem Kopf wachsen ziemlich viele braune Locken.
»Stopp!«, rufe ich. »Stopp! Stopp! Stopp!« Ich stampfe erst mit einem, dann mit beiden Füßen auf die Pflastersteine. So was würde nicht mal Herr Klumpe machen.
Sie stoppt nicht. Rollt die Farbrolle über die Mauer. Von oben nach unten, von links nach rechts. Sein Mund, die Nase und die Ohren sind schon weg, das rechte Auge auch, nur das linke ist noch da. Und sein Kopftuch. Völlig außer Atem rüttle ich an der Metallleiter.
»Geht’s noch?« Sie nimmt ihre Kopfhörer ab. »Hör auf zu schütteln, du Opfer!«
Immerhin hat sie »Opfer« gesagt und nicht »Opa«. Den Rentnerslang werde ich trotzdem nicht los. »Wie bitte?«, frage ich.
»Zisch ab!«, sagt sie. Und: »Wer bist du überhaupt?«
Ich werde ihr sicher nicht sagen, dass ich Cem bin, 14 Jahre alt. Und alles andere auch nicht. Zum Beispiel, dass die vom Jugendamt gefragt haben: »Wo willst du lieber wohnen? Bei deinem Vater oder deiner Mutter?« Ich hab »bei nene« gesagt. Nachdem ich erklärt hatte, dass »nene« auf Türkisch »Oma« heißt, waren alle einverstanden, was irgendwie scheiße war, aber irgendwie auch gut. Und jetzt wohne ich am wahrscheinlich spießigsten Stock-im-Arsch-Ort auf der Welt. Wie man sieht, färbt der langsam, aber sicher auf mich ab.
Ein Klecks landet neben meinem rechten Sneaker.
Mir fällt nichts Besseres ein als: »Ich ruf die Polizei.«
»Schöne Grüße!«, sagt sie, taucht die Rolle in den Eimer und klatscht eine Ladung weiße Farbe auf sein linkes Auge. Jetzt ist nur noch das Kopftuch da. Jetzt ist gar nichts mehr da. Tupac ist weg.
Sie lässt den Eimer nach unten plumpsen. Er schwappt über.
Ich spring zur Seite.
Die Hände in den Hüften begutachtet sie von unten ihr Kunstwerk: weißer Fleck auf weißer Mauer.
Natürlich werde ich nicht die Polizei rufen. Was soll ich denen sagen? Ein Mädchen hat gerade unser Lieblingsgraffiti gecovert? Das würden die nicht verstehen. Also müsste ich »übergepinselt« sagen. Der Polizei würde das bloß gefallen. Recht und Ordnung und so. Aber dieses Mädchen hier sieht überhaupt nicht nach Recht und Ordnung aus, sondern eher nach »und so« und nach Unordnung. Das ist ja nicht schlimm, es passt bloß nicht zu dem, was sie gerade getan hat.
Sie schaut mir mitten ins Gesicht. Braun sind ihre Augen. Dunkelbraun. Ihre Haut ist etwas heller. Aber dunkler als meine. Vielleicht sieht das auch nur so aus, wegen der ultraweißen Wand dahinter.
Sie bückt sich nach dem Eimer und wirft dann die Leiter über ihre Schulter. »Jetzt weiß ich, wer du bist«, sagt sie mit großen Augen. »Der Otto von . . . «
Otto ist etwas besser als Opfer, denke ich, während sie das Schild über dem Eingang des Wohnquartiers liest. »Der Otto von Bonn wie Wand!«, sagt sie.
»Bonvivant«, sage ich. »Das ist französisch. Und wird auch französisch ausgesprochen. Bowiwo. Das heißt –«
»Ich weiß, was das heißt, du Otto.«
»Ich heiße Cem«, sage ich, weil mich »Otto« jetzt doch nervt.
»Weißt du, woher ich komme?«, fragt sie.
Vielleicht auch aus der Türkei, denke ich zuerst, aber dann glaube ich, dass es darum gar nicht geht, sondern eher darum, dass sie wahrscheinlich aus den Hochhäusern kommt.
»Offensichtlich nicht aus unserem Quartier«, sage ich. Es geht rapide bergab mit mir: Ich klinge jetzt nicht mal mehr wie Herr Klumpe, sondern wie eine von den Nobelomas, die in pinken Poloshirts Aperol auf der Seeterrasse trinken.
»Ich komm aus Guinea«, sagt das Mädchen. »Da spricht man Französisch. Aber ›Bonvivant‹ sagt keiner. Muss ’ne Otto-Erfindung sein.«
Wahrscheinlich hat sie recht. Spielt aber keine Rolle. Sie hat Tupac gekillt. Oder wie Eddy sagt: »Den Quell unserer Inspiration.« Und damit vielleicht sogar unsere Karriere. Wer weiß das schon? Auf jeden Fall den Ort, an dem wir so sind, wie wir sein wollen.
Ich meine, man braucht sich hier nur mal umgucken: ein Hundefriseur, der Rikschaverleih, ein Hallenbad ohne Rutsche und Sprungturm, dafür mit Niveafilm auf der Wasseroberfläche. Eine Eisdiele mit vier Sorten: Schokolade, Vanille, Amarenakirsch und Malaga, und alle essen immer Amarenakirsch und Malaga, wobei eigentlich immer alle Aperol trinken.
Und natürlich heißen alle Müller, Meyer, Fiedler, Schmidt, Sandkamp und Klumpe. Niemand so wie nene und ich. Manche haben immerhin ein »ski« hinten. Kaczerowski und Willutski. Die sind aber komischerweise trotzdem keine Polen.
Eine nicht eröffnete Kita gibt es noch. Nene sagt zu mir: »Erst wenn du Kinder hast, wird die gebraucht.« Aber dann bin ich hoffentlich weg. Weg von den weißen Würfeln hier. Manche höher, andere flacher, ein paar Doppelhaushälften sind auch dabei.
Und dann ist da noch unsere Mauer, die einfach so im Gestrüpp steht. Drei Meter breit, vier Meter hoch. Wurde wahrscheinlich vergessen abzureißen. Angeblich war hier vorher ein Ghetto. Messerstechereien. Drogen. Ausländer. Nene und ich wären gar nicht aufgefallen. Und das Mädchen sowieso nicht.
Vor der Mauer steht jedenfalls unsere Bank. Eddy und ich sitzen da jeden Tag, trinken Energy und schauen Tupac Shakur an. Künstlername . Gangsterrapper. Erschossen im Jahr 1996 mit 25 Jahren. Und jetzt ist 2Pac weg, weil diese blöde . . . wäre das einer unserer Texte, würde ich »Bitch« sagen. Eddy würde auch sonst »Bitch« sagen. Wenn ich ihm das erzähle . . . Wenn der das sieht . . . Der wird durchdrehen. Der bringt die um.
Ich sehe Eddy, wie er vor der weißen Wand zusammenbricht, reglos im Gestrüpp liegt. Und irgendwann springt er auf und rennt los, in Zeitlupe. Tränen rennen wütend seine Backen runter. Dann zieht er seine Knarre. Natürlich hat Eddy keine Knarre. Auch kein Messer oder so. Und er würde dem Mädchen auch nichts tun. Aber beschimpfen würde er sie. Das ist sicher.
Ich denke: Solange Eddy nichts davon weiß, ist es irgendwie gar nicht passiert. Ich drehe mich um, schiebe meine Brille vor und zurück. Die Wand ist weiß. Es ist passiert.
Vielleicht könnten wir irgendeinen Künstler engagieren, denke ich. Wie beim Sommerfest. Da kam ein Typ. Mit Schal und Mütze und Cordjackett. Die Bilder von dem hängen jetzt in der Eisdiele. Die gehört übrigens Eddys Vater, und der findet die Bilder scheiße, traut sich aber nicht, das zu sagen.
Wir bräuchten natürlich einen Street-Artist, einen richtig illegalen Graffitikünstler. Nur der könnte Tupac hinkriegen. Am besten kommt der, der es damals gemalt hat. Eddy und ich nennen ihn unbekannterweise »King of Style«. Sein Tag ist »1010«. Das stand bis vor fünf Minuten noch unten rechts in der Ecke. Wir vermuten, er war nicht von hier, sondern dass die Postleitzahl seiner Hood mit 1010 endet.
Eddy meint: »Eins Null Eins Null ist die Postleitzahl von Wien!«
Wer weiß? Vielleicht bedeutet es auch was ganz anderes. Wahrscheinlich werden wir es nie erfahren, weil der King of Style nie wieder herkommen wird.
Ich male übrigens auch. Zum Beispiel das Cover für unser Album »078«. Wie das Ende unserer Postleitzahl. Tupac Shakur hab ich zigmal in mein Blackbook gemalt. Aber auf unsere Wand? Das trau ich mir nicht zu. Tupac muss perfekt sein. Und perfekt ist er so, wie er war.
Das Mädchen redet ununterbrochen und wird immer lauter. »Ihr hinter eurem Scheißzaun hier wisst überhaupt gar nix davon. Der Witz ist doch, dass jemand wie du, der null Check hat, sich bei jemandem wie mir . . .«
Die rastet gerade richtig aus. Was soll das überhaupt heißen? Jemand wie ich.
»Ich meine, was juckt dich das?«, fragt sie. »Und für Tupac ist es sowieso besser, nicht mehr hier zu sein.«
Dann hat sie es also gemacht, um uns Tupac wegzunehmen!
»Und froh kannst du sein, dankbar, dass eine Künstlerin wie ich, überhaupt jemals etwas auf eure Wand –«
»Streichen ist keine Kunst!«, unterbreche ich sie.
Sie schaut mich an, als wäre ich der Oberidiot, wobei sie das eigentlich die ganze Zeit schon macht, und für Sätze wie »Streichen ist keine Kunst!« habe ich das auch verdient, finde ich.
»Du checkst echt gar nichts. Und glaub mal nicht, dass ich freiwillig –« Sie atmet kopfschüttelnd durch. »Ich hab’s weggemacht, weil ich Sozialstunden machen muss!«
»Warum das denn?«, frage ich.
»Weil ich ’nem vierzehnjährigen Otto aufs Maul gehauen habe.«
Ich gehe einen Schritt zurück.
Sie einen auf mich zu, dann Richtung Ausgang. Als sie durch den Torbogen spaziert, ratscht sie mit der Leiter an der Betondecke entlang.
Eddy redet viel, wenn der Tag lang ist. Einmal meinte er: »Zusammen sind wir wie Tupac.« Er wäre eher so der Gangster und ich eher so der Nachdenker. Ich denke noch darüber nach, ob das stimmt. Klar ist: Eddy ist laut, trägt immer Kappe, Bauchtasche und einen ganz leichten Schnurrbart. Ich bin ruhiger, hab ’ne Brille auf, manchmal auch ’ne Bauchtasche um und rasiere mich sicherheitshalber einmal die Woche.
Auf jeden Fall sind Eddy und ich so was wie Brüder. Zumindest sagt Eddy meist »Bruder« zu mir. Ich sage immer »Eddy« zu ihm.
Eddys Vater ist nicht meiner und meine Oma ist nicht Eddys. Eddy...