E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Steinfeld Kein Plan
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-522-62172-4
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schräger Roman ab 13 Jahren für Jungen und Mädchen
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-522-62172-4
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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6.
»Peng!«, sagte Petter.
»Peng?«, fragte Albert.
»Peng!«, antwortete Petter. Er grinste ihn an.
»Soll ich eine Schwester rufen?«, fragte Albert aufgebracht.
Petter hörte auf zu grinsen.
Albert stand auf und wollte auf die Klingel drücken, die über Petter am Kopfende seines Krankenbettes hing.
»Puff!«, sagte Petter und schob seine Hände nach vorne. Albert sollte sitzen bleiben, bedeutete das anscheinend. »Puff!« Er zog beide Augenbrauen nach oben und grinste Albert wieder an.
Der kleine Schlaganfall hatte offenbar riesige Auswirkungen gehabt. Er sagte nur noch »Peng« und »Puff«. Hätte Albert das gewusst, hätte er der Nervensäge niemals so was Schlimmes erzählt. Oh Gott!
Während Petter »Puff« sagte, sah er zu allem Überfluss so aus wie ein Zuhälter. Seine braunen Haare hatte er sich (oder ein Pfleger ihm) zurückgekämmt. Nur ein Morgen ohne Rasieren und schon hatte er einen Schnurrbart, eigentlich einen Schatten, aber klar zu erkennen. Letzte Nacht noch zerstreuter Professor, tags darauf Puffbesitzer, dachte Albert.
Oder war das jetzt so eine Vater-Sohn-Nummer? Wir feiern gemeinsam deinen Schulabschluss. Im Puff. Benni hatte ihm erzählt, dass sein Vater mit ihm zum 18. in den Stripclub gehen würde. Albert konnte sich nichts Beschisseneres vorstellen, als mit Bennis Vater in den Stripclub zu gehen. Außer mit seinem Vater. Oder noch schlimmer, mit seiner Mutter. Wobei das vielleicht der perfekte Ort war, weil sie da wahrscheinlich ausnahmsweise die einzige Frau wäre, die ihre Brüste nicht auspacken würde. Wäre das geklärt.
Was nicht geklärt war: Warum Petter wirklich die ganze Zeit »Puff« sagte. Zum Glück fielen Albert jetzt die richtigen Worte ein, um das Rätsel zu lösen: »Warum sagst du die ganze Zeit ›Puff‹?«
»Puff«, sagte Petter und lächelte. »›Puff‹ sage ich, weil ›Puff‹ ein Onomatopoetikon ist.« Auch wenn Albert das nicht kapierte, dieser Satz zeigte ihm: Petter war vollkommen bei Verstand. »Weißt du, ich war letzte Nacht panisch, weil ich nicht mehr wusste, was ein Onomatopoetikon ist«, sagte Petter und Albert glaubte, eine Träne in seinem Auge zu sehen. Trotzdem musste er kurz grinsen: Petter litt also tatsächlich unter Onomatopoetikon, was auch immer das sein sollte.
»Hab ich mitbekommen«, sagte Albert und nickte.
Petter bückte sich vor zu ihm und sprach etwas leiser: »Hab ich sonst noch was gesagt?«
Offensichtlich erinnerte er sich nicht mehr richtig.
»Glaub nicht.«
»Puh!« Er atmete durch. Albert war froh, dass es diesmal nur »Puh« war und nicht wieder »Puff«.
Sie saßen da und wussten nicht, was sie sagen sollten. Wie geht’s dir?, hätte Albert fragen können. Aber Petter war sein Vater und er sein Sohn und wenn, dann hätte der ihn so was fragen müssen.
»Wie geht’s dir?«, fragte Petter.
»Gut«, sagte Albert. »Und dir?«
»Auch gut.« Er lächelte mit geschlossenem Mund, als ob er sich freute, dass Albert gefragt hatte, und er guckte in diesem Moment so, als ob er über alles in der Welt Bescheid wüsste. Das nervte Albert, aber besser so, als so wie letzte Nacht.
Er wünschte sich, sie würden über irgendwas reden, das nicht mit diesem leichten Schlaganfall zu tun hatte.
»Was macht deine Zukunft?«, fragte Petter. »Wie sind die Planungen?«
»Ich hab schon ziemlich genaue Vorstellungen.«
Das stimmte natürlich nicht, und er fand es scheiße, dass er schon wieder lügen musste, aber was sollte er machen? Hätte er die Wahrheit gesagt, wäre mal wieder die totale Panik ausgebrochen.
Albert schaute sich um. Petter hatte ein Einzelzimmer. Über dem Stuhl in der Ecke hing der Bademantel aus der anderen Welt. Er war orange-weiß-grün-braun-gestreift. Albert überlegte, ihn danach zu fragen, entschied sich aber dagegen. Ging ihn ja nichts an, der Bademantel mit seinen Längsstreifen. Komisches Wort, dachte Albert. Längs.
»Und welche Richtung?«, fragte Petter.
»Längs«, rutschte es Albert raus.
»Längs?« Jetzt schaute Petter Albert an, als ob er der leichte Schlaganfallpatient wäre.
»Dieser Bademantel … hat Längsstreifen«, erklärte Albert.
»Scharfes Teil, hä?« Petter grinste.
Dieser Bademantel war so etwas wie der Beweis dafür, dass er nichts über Petter wusste und dass Petter ein Leben hatte, auch wenn Albert nicht da war und, dass er schon ein Leben hatte, als Albert überhaupt noch gar nicht da war. Der Bademantel machte ihm irgendwie Angst.
Petter bohrte weiter: »Ich meine mit ›welche Richtung‹: Was willst du machen? Was Soziales? Eher einen Bürojob? Oder Handwerk?«
Als er Handwerk sagte, lächelte er und klatschte in die Hände. So, als ob er Handwerk ganz toll finden würde. Albert nahm ihm das nicht ab. Mit Maurer würde der ihm nicht kommen. Petter wollte in Wirklichkeit, dass Albert weiter zur Schule ging. Und dann studierte. Am besten Geisteswissenschaften. Sonst hätten sie ihn kaum Albert genannt. Egal. Albert würde nach der Zehnten abgehen, weil er andere Pläne hatte. Wie auch immer die aussehen sollten.
»Vielleicht gehst du mal ins BIZ?«, sagte Petter.
»Wieso ins BIZ?«
»Weil das das Berufsinformationszentrum ist.«
»Da rennen ausschließlich Spinner und Idioten rum.«
»Aber im BIZ –«
»Im BIZ rennen ausschließlich Spinner und Idioten rum.«
Petter verdrehte die Augen.
»Ich weiß, was ich tue. Und wenn du nicht aufhörst zu nerven, nenn ich dich ab jetzt Peter.«
»Ich hör auf der Stelle auf«, sagte Petter und hob die Hände kurz zum Zeichen der Ergebung. Dann schaute er Albert eine Weile nachdenklich an.
»Is was?«, fragte der.
»Lass uns wetten!«, sagte Petter.
Damit hatte Albert nicht gerechnet. »Wie? Wetten? Worum?«
Petter dachte wieder nach, bevor er erklärte, wie er sich die Wette vorstellte. »Wenn du bis zum 1.7. eine vernünftige Lehrstelle hast, dann …«
»Dann?«
»Dann darfst du dir was aussuchen!«
»Was denn?«
»Was du willst.«
»Und was ist eine vernünftige Lehrstelle?«
»Eine Lehrstelle.«
Bis zum 1.7. waren es nur noch sechs Tage.
»Wie wär’s mit ’ner Dauerkarte vom VfL? Wir könnten jeden zweiten Sonntag zusammen hin.«
»Nee.«
»Dann was anderes.« Er setzte sich auf und hielt Albert die Hand hin. »Schlag ein!«
Albert musste wissen, ob die Sache einen Haken hatte. »Und wenn ich keine Lehrstelle habe bis zum 1.7.?«
»Dann kriegst du nix!«
»Und ich muss nix machen? Kein Wetteinsatz?«
Er schüttelte den Kopf. »Kein Wetteinsatz!«
Petter musste ziemlich verzweifelt sein. Für Albert gab es nichts zu verlieren. Er schlug ein.
Petter lächelte nicht. Es war ihm ernst, das spürte Albert deutlich.
»Was wünschst du dir?«, fragte er, als ihre Hände sich wieder losließen. Petter schaute Albert erwartungsvoll an.
Dem fiel nicht wirklich was ein. Nur ein Wort stolperte durch seine Gedanken. Er ging noch mal schnell die verschiedenen Möglichkeiten im Kopf durch, und beschloss dann, es auszusprechen. »Eine Rudermaschine.«
Petter öffnete wie auf Kommando den Mund. Er saß da wie erstarrt.
»Alles okay? Geht’s dir gut? Petter?«
Petter schüttelte sich. So übertrieben wie eine Comicfigur. »Wie bitte?«
»Ich wünsche mir eine Rudermaschine.«
Petters Stirn warf tiefe Falten. »Warum?«
»Darum!«
»Fragen wir anders …« Er schaute kurz an die Decke, atmete tief durch und richtete seinen Blick wieder auf Albert.
»Was bedeutet dir diese Rudermaschine?«
Was für eine Frage, dachte Albert. »Nichts.«
»Noch mal zur Erklärung: Du kannst dir wünschen, was du willst.«
»Hab ich verstanden.«
Petter sah enttäuscht aus. Dabei brauchte er das nicht sein. Er würde keine Rudermaschine besorgen müssen. In sechs Tagen eine Lehrstelle? Albert sah schwarz. Er wusste doch gar nicht, was er machen sollte. Er hatte null Komma null Bewerbungen geschrieben. Und das würde sich so schnell nicht ändern. Es sei denn, über Nacht käme die plötzliche Berufung durch eine höhere Macht. Aber die war auch ausgeschlossen. Die Wette half ihm, Zeit zu gewinnen. Nicht mehr und nicht weniger. Zeit, in der er halbwegs in Ruhe gelassen wurde.
Petter hatte seinen Kopf wieder ins Kissen gelegt. »Verstehst du nicht, dass ich als dein Petter, mir Sorgen mache?«
Verstehe ich nicht, dachte Albert, ihm war ja auch egal, was Petter machte. »Klar verstehe ich das! Ist aber meine Sache. Warten wir einfach mal bis zum 1.7.«
»Gut.« Petter lächelte wieder, jetzt sah er aber nicht mehr so aus, als ob er über alles in der Welt Bescheid wüsste. »Weißt du, wenn ich hier raus bin, würde ich gern mal wieder bei einem Spiel von dir zuschauen.«
»Jetzt ist Sommerpause.«
»Dann danach.«
»Ich denk drüber nach.« Nein konnte Albert jetzt wirklich schlecht sagen. Petter hatte so etwas wie einen Schlaganfallbonus.
»Ich bin irre froh, dass du mich besuchst.«
Albert sagte: »Schön.«
Und...