E-Book, Deutsch, 356 Seiten
Stein Geschlossene Gesellschaft
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-943758-56-6
Verlag: B3 Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 356 Seiten
ISBN: 978-3-943758-56-6
Verlag: B3 Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Axel Wolff gehörte nie zum Zirkel der namhaften Verleger. Seine Buchprojekte wurden weder von der Kritik noch von den Kollegen ernst genommen. Der erhoffte und immer wieder erwartete Erfolg blieb bis auf einen Titel aus. Tief gekränkt hatte er sich in den letzten Jahren aus der Branche weitestgehend zurückgezogen.
Seine Leiche wird am Fuße des Messeturms, im Becken des Merkurbrunnens, entdeckt. Vermeintliche Todesursache: Eine Überdosis Heroin. Wäre Hauptkommissar Schwaner dem Toten nicht einige Wochen zuvor auf einer Veranstaltung begegnet, hätte die Polizei nur ein weiteres Drogenopfer registriert. Auch der Fundort (Merkur = Götterbote, Nachrichtenüberbringer) scheint nicht zufällig gewählt.
Die Ermittlungen führen Schwaner und sein Team in das verworrene Geflecht des Verlagswesens hinein. Wolff scheint eine literarische Sensation entdeckt zu haben. Oder geht es darum, die geplante Fortsetzung von "Innercircle", einem Insiderroman über die Buchbranche, zu verhindern?
Autoren, Agenten, Kritiker, Verleger und nicht zuletzt die ehemalige Lebensgefährtin Wolffs, eine verkannte Lyrikerin – sie alle scheinen als Täter in Betracht zu kommen. Auch das private Umfeld des Opfers ist dubios und wirft viele Fragen auf.
Parallel zu den laufenden Ermittlungen fallen weitere Personen Anschlägen zum Opfer oder kommen auf mysteriöse Weise ums Leben. Das Manuskript ist unauffindbar. Die Suche nach dem Roman wird zu einem Rätsel und zwingt den Kommissar völlig neue Wege zu gehen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Die Straßen sind menschenleer. Das Licht der Laternen tropft schläfrig herunter und bildet helle Pfützen, die wie Perlen auf die graue Schnur des Asphalts gezogen sind. Der Main liegt bewegungslos. In ihm spiegelt sich schemenhaft die Skyline. Die Bürotürme, sonst erleuchtete Weihnachtsbäume, verschwimmen im nachtgrauen Himmel. Die Schaufenster sind schwarz und die bunten Leuchtreklamen eintönig erstarrt. Es ist Himmelfahrt, halb fünf Uhr morgens. Ampeln werfen ihre Signale ins Nichts hinein. Vereinzelte Nachtschwärmer torkeln die Bürgersteige entlang. Die Fassaden der Häuser sind wie vernagelt. Die toten Fenster lassen den traumlosen Schlaf ihrer pflichtbewussten Einwohner dahinter vermuten. Gleise ziehen sich ins Nirgendwo dahin, Schilder trotzen ihrer um diese Zeit offensichtlichen Sinnlosigkeit. Das Motorengeräusch ist bereits von Weitem zu hören. Es läuft durch die Häuserschluchten wie ein gehetztes Tier, verirrt sich im Labyrinth der Seitenstraßen, Gassen, Höfe und wird von zwei sich weitenden Lichtkegeln herangeschleift. Eine rote Ampel gestattet eine Atempause, hechelnd, hinter den glänzenden Gitterstäben gefangen, holt die Maschine Luft. Die breite weiße Linie vor dem Wagen ist wie ein Gatter, das mit dem Sprung des Signals auf Gelb emporgezogen wird, und damit die sinnlose Hatz der aufheulenden Töne hinter dem davonjagenden Licht von Neuem beginnt. Der Motor dröhnt. Es ist ein kleiner, giftiger Sportwagen. Die Fahrerin zieht die Gänge, beschleunigt stark, rast die wenigen Hundert Meter bis zur nächsten verlassenen Kreuzung dahin, überlegt kurz, ob sie nicht einfach darüber hinweg fahren soll und bremst jäh. Der Gurt drückt sich in ihren Busen hinein, mit einem letzten Ruck fällt ihr Oberkörper zurück in den Sitz. Helen Brand liebt es, durch die verlassene Innenstadt zu rasen – in wenigen Stunden wird es unmöglich sein. Insgeheim empfindet sie eine leise Freude daran, den ein oder anderen aus dem Schlaf zu reißen und in seiner warmen Ruhe zu stören. Der Wagen schnellt auf die breite Allee in Richtung Messe, nimmt fast ungebremst die Kehre vor dem dösenden Hotelturm und wird im nächsten Augenblick von der Einfahrt zur Tiefgarage verschluckt. Die Reifen quietschen auf dem glatten, glänzenden Belag. Die Parkfläche ist bis auf zwei Wagen in der hintersten Ecke, direkt neben dem Aufgang, völlig frei. Noch einmal gibt Helen Gas, schießt quer über die Markierungen und kommt neben einem dunkelblauen Kleinwagen mit der Aufschrift „Sec24 – Sicherheit rund um die Uhr“ zum Stehen. Die Geräusche ersterben so abrupt, dass es scheint, als würde die plötzliche Stille zwischen den Wänden hin und her rollen. Helen Brand steigt aus. Im Gehen zieht sie sich ihre Handtasche über die rechte Schulter. Das Klackern ihrer Absätze hallt in das leere Parkdeck hinein und wird zurückgeworfen. Unsichtbare Geister, Geschwister von Helen, gehen im Gleichschritt an den Mauern entlang. Sie betritt, ohne die geringste Aufmerksamkeit für ihre Umgebung, das Treppenhaus. Die zwei Stockwerke nimmt sie im schnellen Takt, um dann die breite Tür zum Foyer mit aller Kraft aufzuziehen. Der große Raum dahinter saugt die breite Glasfläche an sich heran, gibt sie nur unter größter Anstrengung frei. Der ältere der beiden Wachmänner hinter dem Counter springt auf, streicht sich unbewusst durch die Haare und glättet seine tiefblaue Krawatte, die wie ein Strich über seine Brust läuft. Der Kopf des Kollegen daneben versinkt vollends hinter dem Tresen. „Guten Morgen, Frau Brand, auch heute so früh?“ Das Lächeln des Wachmannes misslingt und ist vom Halbschlaf gezeichnet. „Guten Morgen, Ercan, ja, auch heute so früh. Ist noch jemand im Haus?“ Der Angesprochene verneint mit einem milden Lächeln, drückt einen unsichtbaren Knopf, die schmale Glastür öffnet sich und gibt den Weg zu den Fahrstühlen frei. Die frühmorgendliche Besucherin hebt die Schultern. Eine kleine Geste ihrer rechten Hand unterstreicht „Einen schönen Tag noch!“, mit dem sie eine der wartenden Kabinen betritt. Alle stehen sie offen. Ein kurzer Blick in den rückseitigen Spiegel zeigt ihr ein für diese frühe Zeit akzeptables Aussehen. Die Tür fließt lautlos hinter ihr vorbei, ein stärker werdendes Ziehen im Magen verrät die Beschleunigung nach oben. Ihr Büro befindet sich im siebenundzwanzigsten Stock des Messeturms. Die international tätige Consulting-Firma hatte sich im vergangenen Jahr nochmals verstärkt um Mandate aus dem asiatischen Raum bemüht. Helen war nach bald fünf Jahren im Unternehmen zur Senior-Consultin aufgestiegen und erstmals auf einer Akquise-Tour dabei. Die Reisen hatten Helen sehr gefallen. Bis dahin galt sie im Büro als strenge „Gouvernante“, so ihr Pseudonym unter den Kollegen. Sie ist äußerst korrekt, ja fast schon penibel genau. Vielleicht lag es daran: Aus einfachsten Verhältnissen stammend, musste sie sich das Studium selbst als Aushilfslehrerin finanzieren. So lernte sie früh die harte Klassengesellschaft kennen. Sie gab Mädchen Nachhilfestunden, die an einem beliebigen Tag mehr von ihrer Mutter geschenkt bekamen, als Helen im gesamten Monat zum Leben hatte. Sie musste streng haushalten, und tat dies auch später im Beruf. Auf den Geschäftsreisen – bis dahin war sie eigentlich so gut wie nie verreist – liebte Helen die Unverbindlichkeit des Kennenlernens. Die Einladungen möglicher Kunden – besonders wenn es mehrere pro Tag waren – versetzten sie in eine Euphorie des nahen Erfolges. In Japan, Indien, Pakistan musste Helen den männlichen Kollegen, obwohl ihr gleichgestellt, den Vortritt lassen. Sie galt bei diesen Gesprächen lediglich als aufmerksame Zuhörerin, die im richtigen Moment Stichworte gab und vorbereitete Grafiken verteilte. In China änderte sich die Situation. Die mit der Planung der Reise beauftragte Agentur hatte es tatsächlich geschafft, mit Chen Lihua, einer der reichsten Frauen der Welt, einen Termin zu organisieren. Chen kam aus Hongkong, arbeitete zunächst als Tischlerin und hatte mit der Restauration alter Möbel ihre Selbstständigkeit begonnen. Später wurde daraus eine Fabrik, die sie noch heute, vielleicht aus Sentimentalität, betrieb. Richtig reich wurde Chen Lihua durch den Kauf und Verkauf von Luxusvillen in der ganzen Welt. In China gab es mittlerweile genügend Milliardäre, die sich entsprechende Anwesen in Los Angeles, Cannes, Monaco, Las Vegas, Paris, der Schweiz oder sonst wo leisten konnten und wollten. Woher das anfängliche Kapital für ihre zum Teil waghalsigen Transaktionen stammte, war unklar – Chen war sicherlich keine Regimegegnerin. Heute stand sie einem global agierenden Konzern vor, der in unterschiedlichen Sparten zu den Führenden zählte. Das Treffen fand in einem kleinen, abgelegenen Restaurant statt. Außer den beiden Delegationen waren keine Gäste anwesend. Später erfuhr Helen, dass das Lokal ebenfalls Chen gehörte und ausschließlich für solche Termine genutzt wurde. Ihre Kollegen ergingen sich in einem Schwall sinnleerer Phrasen. Ihr Pech war es, dass der Dolmetscher nicht nur perfekt Englisch beherrschte, sondern auch in Heidelberg studiert hatte und über ein ausgezeichnetes Gehör verfügte. Ein, zwei geflüsterte Sätze zwischen den Herren wurden von ihm prompt mit übersetzt, woraufhin sich Frau Chen „Miss B’and“ zuwandte, die bis dahin schweigend am Tisch saß. Von diesem Moment an war sie für Chen Lihua die einzige Ansprechpartnerin. Es ging um verschiedene Bereiche, von simpler Publicity für ihre Unternehmen gegenüber möglichen Industriepartnern bis hin zur Gründung einer Europazentrale in Deutschland. Vorrangig kamen die vielschichtigen Rechts- und Steuerprobleme zur Sprache. Chen Lihua war beeindruckend informiert. Sie stellte gezielte Fragen und erwartete präzise Antworten. Mangelnde Sachkenntnis wurde von ihr akzeptiert, wenn konkrete Termine für deren Klärung genannt wurden. Helen schlug sich hervorragend. Nach wenigen Wochen intensiver Korrespondenz erhielt ihre Firma den Auftrag und Helen wurde von der Geschäftsleitung zur Projektmanagerin befördert. Anfänglich hatte sie sich sehr über den ihr anvertrauten Auftrag und die damit verbundenen „Anpassungen“ ihrer Bezüge gefreut. Endlich konnte sie sich einen Traum erfüllen und kaufte einen knallroten Triumph TR4, bestens erhalten und restauriert. Sie mietete sogar eine Garage für ihren kleinen „Schatz“, wie sie den Wagen nannte. Sie war mehrfach nach China gereist und hatte dies teilweise mit privaten Urlauben verbunden. Die Geschäftsleitung war äußerst großzügig und stellte üppige Spesen zur Verfügung. Selbst ihr Mann war eingeladen. Mittlerweile, nach etwa einem Jahr, war ihr anfänglicher Elan verflogen. Chen Lihua hatte sie nach dem damaligen Termin nur noch...