Buch, Deutsch, 232 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm
Buch, Deutsch, 232 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm
Reihe: Philosophie (Mairisch Verlag)
ISBN: 978-3-948722-50-0
Verlag: Mairisch Verlag
Wir tanzen im Club, bei Hochzeiten, auf WG-Partys; gehen ins Ballett, in die Oper, zum Modernen Tanz. Tanzen in all seiner Vielfältigkeit ist immer verbunden mit Lebendigkeit, manchmal sogar mit Ekstase und dem Dionysischem.
Die Herausgeber*innen Maximilian Probst und Ursina Tossi nähern sich zusammen mit den 14 Autor*innen einer Philosophie des Tanzens an. Sie erkunden das Politische des Tanzens auf der Straße, nehmen Friedrich Nietzsche mit in den Club oder laden Judith Butler auf Tanzperformances ein und fragen, was aus dem alten Anspruch des Tanzes, Avantgarde zu sein, heute geworden ist. In ihren Beiträgen ergründen sie, was das Tanzen schon von Kindesbeinen an so besonders macht, wie man als Tanzende Identitäten ausloten, ausprobieren und definieren kann. Sie erklären uns die Unterschiede zwischen Standardtänzen und dem Tanz in einer Performance. Und sie zeigen auf, warum Tanzen immer politisch ist und oft utopisches Potential birgt.
Ein Buch für alle, die gerne selbst tanzen oder einfach in die Welt des Tanzens eintauchen wollen, um zu verstehen, was dessen Faszination ausmacht.
Mit Beiträgen von:
Leona Stahlmann (Schriftstellerin), René*e Reith (Choreograf*in, Performancekünstler*in und Tanzwissenschaftler*in), Sebastian Matthias (Choreograf und Tanzwissenschaftler), Maximilian Probst (Journalist und Autor), Iris Därmann (Kulturwissenschaftlerin und Philosophin), Ursina Tossi (Choreograf*in und Tänzer*in), Luise Meier (Autorin und Theatermacherin), Linda Hayford (Choreografin und Tänzerin), Robert Matthies (Politikwissenschaftler und Journalist), Oliver Marchart (Philosoph und Soziologe), Natalia Wilk (Tänzerin, Taucherin und Unterwassertänzerin), Greta Taubert (Journalistin und Autorin), Bertha Bermudez (Tänzerin und Forscherin), Orly Almi (Choreografin), Lea Pischke (Choreografin und Tänzerin)
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Leseprobe aus: »Tanzen im Club« von Greta Taubert
Am Anfang einer durchfeierten Nacht steht häufig nur ein einziges Wort in einer Kurznachricht: »Tanzen?«. Jemand hat dir diese erstmal ziemlich unscheinbar wirkende Ein-Wort-Frage geschickt und wartet auf Antwort. Aber was steckt dahinter? Wenn nach »Tanzen?« gefragt wird, dann meint das meiner Erfahrung nach nur zu einem kleinen Teil rhythmisches Bewegen auf der Tanzfläche. Es ist eine Chiffre. Aber wofür?
Ich wurde gebeten, einen Text über das Tanzen im Club zu schreiben, weil ich mir in den vergangenen zwanzig Jahren offenbar eine gewisse Reputation als »Feiermaus« erarbeitet beziehungsweise eben nicht erarbeitet habe. Erst war ich mir nicht sicher, ob ich mit diesem Label in die Kulturgeschichte eingehen möchte, aber andererseits ist es ja auch etwas Schönes. In der Philosophie wird das Dionysische seit Anbeginn der Menschheit als die schönste aller menschlichen Verbindungen gefeiert. Selbst Melancholiker wie Friedrich Nietzsche loben den Zauber, der entsteht, wenn sich Mensch und Menschen im Rausch des Tanzes vereinen. »Jetzt ist der Sklave freier Mann, jetzt zerbrechen alle die starren, feindseligen Abgrenzungen, die Not, Willkür oder freche Mode zwischen den Menschen festgesetzt haben.« Wer das nicht gut findet, der sei zu bemitleiden. Cheers, Friedrich.
Also zugegeben: Ich kenne mich mit Tanzveranstaltungen aus. Von der thüringischen Kleinstadt-Disse aus meiner Jugendzeit bis zum osteuropäischen Techno-Schuppen meiner Studienzeit, von der Kinky-Party im Glitzerbody in Berlin als junge Erwachsene bis zum illegalen Underground-Rave in Leipzig habe ich das hedonistische Heititei der vergangenen zwanzig Jahre als teilnehmende Beobachterin studiert. Hedonismus hat keinen guten Ruf unter Intellektuellen, dabei ist es seit Epikur im Grunde ein mögliches Prinzip des gelingenden Lebens. Der Weg zum Glück führt im Hedonismus nicht durch Schmerz oder Seelenruhe, sondern durch die Lust. Und auf der doch oft recht ruckeligen Route durch das Leben habe ich festgestellt, wie viel Kraft im hedonistischen Handeln liegt – und damit meine ich nicht den persönlichen Lustgewinn, der immer nur Ich-ich-ich ruft. Es geht darum, die entstehende Explosion der Freude auch an andere weiterzugeben. Besonders in politisch polarisierten, ernsten, schwierigen Zeiten braucht es Rituale des Freudigen, Ekstatischen, die die Welt verzaubern. Das Gute benennen, die Schönheit feiern, die Gemeinschaft stärken. Die moderne Welt, schreibt der Philosoph Byung-Chul Han, leidet vor allem darunter, dass der Neoliberalismus die sozialen Bindungen untereinander kaputt gemacht hat. Sie brauche eine »Wiederverzauberung«. Mittlerweile veranstalte ich selbst mit Kollektiven immersive Festivals, um Menschen mit Schönheit zu rüsten. Aber zurück zur Frage.
Wenn du nach »Tanzen?« gefragt wirst, steckt dahinter eine Aufforderung. Da streckt jemand die digitale Hand nach dir aus und möchte ausgeführt werden, in die wilde Nacht. Und da fängt es bereits an, kompliziert zu werden. Wo findest du die Party, die am besten zu dir, deiner Begleitung und deiner Stimmung passt?