E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Stagg Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-455-81045-5
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-455-81045-5
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von alten Gemäuern, kauzigen Bauern und einem schlitzohrigen Bürgermeister. Fogas ist ein verträumter Ort in den Pyrenäen, wo jeder jeden kennt. Als sich herumspricht, dass das einzige Restaurant künftig von einem englischen Paar betrieben werden soll, ist die Empörung groß. Julia Stagg erzählt warmherzig und augenzwinkernd von einer liebenswert schrulligen Dorfgemeinschaft, die zuweilen an jene aus Willkommen bei den Sch’tis erinnert.
Monsieur Papon, der Bürgermeister von Fogas, ist entsetzt, als er davon hört, dass die Auberge des Deux Vallées von Engländern gekauft wurde, statt, wie geplant, von seinem Schwager. Er sieht nicht nur eine gastronomische Katastrophe heraufziehen, sondern fürchtet auch um seine ureigensten Interessen. Unverzüglich ruft er ein Notstandskomitee zusammen, um Pläne zur Vertreibung der neuen Besitzer zu schmieden. Allerdings stehen nicht alle Dorfbewohner auf seiner Seite. Da ist zum Beispiel die arbeitslose Stephanie, die sich eine Anstellung in der Auberge erhofft, oder Josette, die den einzigen Laden am Ort betreibt und die Engländer sofort ins Herz schließt, oder aber die kauzige Bäuerin Annie, die mit dem Bürgermeister sowieso noch eine alte Rechnung offen hat. Schon bald bricht Chaos im Dorf aus.
Diese E-Book-Ausgabe enthält nicht nur Julia Staggs Roman sondern auch
weiterführendes Bonusmaterial. In einem exklusiven Text erzählt die Autorin wie sie zum Schreiben kann und vor welchem biographischen Hintergrund ihr Roman entstand. Gleichzeitig vertieft eine eigens für dieses E-Book illustrierte Karte und ein Personenverzeichnis die Lektüre.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
»Verkauft? Was soll das heißen, sie ist verkauft?« Josette schob ihre Brille auf dem Nasenrücken nach oben, schubste die baumelnden Wurstketten zur Seite, die ihr die Sicht versperrten, und beäugte gespannt die Person, die der Gemeinde von Fogas die größte Neuigkeit überbrachte, seit … nun ja, seit Monsieur Sentenac den Vikar in einer kompromittierenden Situation mit Madame Sentenac erwischt und funkelnden Auges mit einem Gewehr herumgefuchtelt hatte, woraufhin der Vikar sich im Bruchteil einer Sekunde von seiner Geliebten und seiner Missionarstätigkeit gleichermaßen verabschiedete, aus dem Fenster sprang und floh. Seither hatte die Kirche keinen Priester mehr gesehen, und das lag jetzt zwanzig Jahre zurück. Aber dies hier war von einem viel größeren Kaliber. »Soll das heißen, dass sie verkauft ist?«, sagte die größere der beiden Frauen über die Theke hinweg. Josette beobachtete, wie Véronique, die Postmeisterin von Fogas, die dramatische Pause auskostete, das Baguette von der rechten in die linke Hand gleiten ließ – wobei sie sich hütete, es auf der mit Jagdmessern gefüllten Glasvitrine abzulegen – und sich das überschüssige Mehl von ihrer Strickweste wischte. Als sie den Laden mit leuchtenden Augen betreten hatte, die Lippen zu einem verschmitzten Lächeln verzogen, war Josette klar gewesen, dass Véronique mit neuem Klatsch und Tratsch aufwarten konnte. Und dass sie es weidlich auskosten würde, ihn zu präsentieren. Mit einem letzten Zurechtrücken des kleinen Kreuzes, das um ihren Hals hing, fuhr Véronique mit ihrer Geschichte fort. »Sie ist verkauft, und die ersten Papiere sind bereits unterzeichnet.« Ein lautes Japsen der einzigen Zeugin dieser unglaublichen Neuigkeit – lässt man Jacques einmal außer Acht – stellte Véroniques verblüffende Fähigkeit unter Beweis, die harten Fakten des Dorflebens schon dann zutage zu fördern, wenn jemand wie Fatima Souquet, die Ehefrau des stellvertretenden Bürgermeisters von Fogas, noch nicht einmal ein Flüstern vernommen hatte. »Aber wie kannst du da so sicher sein?«, fragte Fatima schroff, und Josette amüsierte sich über ihren kaum kaschierten Unmut. Véronique lächelte arglistig und lehnte sich vertraulich nach vorn, um ihre Tricks und Kniffe zu verraten. »Weil ich gerade im Rathaus war und mitgehört habe, wie der Bürgermeister mit dem Anwalt telefoniert hat! Der compromis de vente wurde letzte Woche unterschrieben, und in weniger als einem Monat wird die Auberge des Deux Vallées neue Eigentümer haben.« Wie auf Kommando drehten die drei Frauen den Kopf und schauten aus dem Schaufenster des Ladens zu dem imposanten Steinbau hinüber, der am Flussufer am Ende des Dorfes thronte. Wild wuchernde Wisterien wanden sich bis zu den Dachrinnen hinauf, Fensterläden hingen schief herab, und eine allgemeine Atmosphäre der Vernachlässigung umgab das Anwesen. »Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Véronique fort, und ihre Stimme nahm einen ernsten Tonfall an. »Der neue Besitzer ist nämlich nicht etwa der Schwager des Bürgermeisters.« Das war zu viel für Fatima. Die Überraschung war ihr ins Gesicht geschrieben, als sie herumfuhr. »Das kann nicht sein!«, erklärte sie. »Das war eine beschlossene Sache. Sein Schwager war sich so absolut sicher. Er hat sich sogar schon Geschäftskarten drucken lassen!« »Na und?« Véronique schürzte achselzuckend die Lippen und verwarf Fatimas Einwand sogleich. »Mit denen wird er jetzt nichts mehr anfangen können. Er wurde im letzten Augenblick überboten.« Das war der Moment, in dem sich zum ersten Mal eine leichte Besorgnis in Josette breitmachte. Wenn Véronique recht hatte – und das war gewöhnlich der Fall –, würde dies zu gewaltigem Ärger in der Gemeinde führen, und der Zorn des Bürgermeisters war legendär. Der Gedanke daran ließ sie zu Jacques hinübersehen, der, wie immer, in der dunkelsten Ecke des Ladens herumlungerte. Sein weißer Haarkranz leuchtete vor den Regalen mit eingedostem Cassoulet, Feueranzündern und Schnürsenkeln, und es wurde ihr eng ums Herz. Ärger war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Er sah so hilflos aus. Und so verdrossen. Aber sie konnte nicht sicher sein, ob sein mürrischer Gesichtsausdruck eine Reaktion auf die neuesten Nachrichten oder auf die Anwesenheit von Fatima Souquet in seiner heißgeliebten Épicerie war. »Nun ja«, sagte sie seufzend und wienerte das Vitrinenglas über den Messern geistesabwesend mit ihrem Ärmel, für den Fall, dass dies die Ursache von Jacques Unmut sein sollte. »Jedenfalls wird die Auberge wiedereröffnet, und das Restaurant kann nur besser werden als das letzte.« »Ha! Das glaubst auch nur du«, verkündete Véronique und spielte ihre Trumpfkarte aus. »Die neuen Besitzer sind nämlich ENGLÄNDER!« Fatima taumelte nach hinten und griff dabei unwillkürlich nach der Glasvitrine, um sich daran festzuhalten. Aber sie kam ohne einen Rüffel davon, denn Josette konnte sie gar nicht zurechtweisen, da ihr der Mund offen stand. – Die Auberge war an Engländer verkauft worden. Wie sollte sich die Gemeinde jemals davon erholen? Merde, merde und nochmals merde. Serge Papon ließ seine von Arthritis geplagte Hand ein weiteres Mal auf das Lenkrad herabsausen, was den Wagen gefährliche Schlenker auf der schmalen Straße vollführen ließ, die von Fogas nach La Rivière führte. Mit dem Können, das er sich infolge seiner häufigen Wutanfälle und noch häufigeren Alkoholfahrten angeeignet hatte, riss Serge das Lenkrad herum und steuerte den Wagen Richtung Berghang, bevor er über den Rand rutschen und in die Schlucht darunter stürzen würde. Irgendjemand musste dafür bezahlen, so viel war sicher. Er hatte Gerard Loubet im letzten halben Jahr umgarnt, um sicherzustellen, dass das Gebot seines Schwagers für die Auberge akzeptiert werden würde. Er hatte dem alten Fuchs in der Überzeugung, dass die Auberge so gut wie ihm gehörte, sogar die Gemeindesteuer erlassen. Und jetzt war Loubet hingegangen und hatte sie einfach vor seiner Nase verkauft und sich am Mittelmeer zur Ruhe gesetzt. Aber was noch viel schlimmer war: Er hatte sie an einen Engländer verkauft. Pah! Schäumend vor Wut über diese Unverfrorenheit lenkte Serge den Wagen mit weniger Geschick als üblich um die romanische Kirche, die den Ortseingang von La Rivière kennzeichnete, und wäre in der engen Kurve beinahe an der Mauer entlanggeschrammt. Aufgrund seiner Lage am Berührungspunkt der beiden Täler, die sich von den Bergdörfern Fogas und Picarets erstreckten, war La Rivière das Bindeglied der Gemeinde von Fogas. Über die Jahre hatte es in dem uralten Streit um die Macht des Öfteren als Friedensstifter zwischen den beiden Dörfern fungiert, was wahrscheinlich damit zusammenhing, dass man, um von einer Seite der Gemeinde zur anderen zu gelangen, hinunter nach La Rivière und auf der anderen Seite wieder hoch musste. Aber in der Stimmung, in der sich Serge Papon gerade befand, wäre mehr als nur geographische Diplomatie vonnöten gewesen, damit er sich wieder beruhigte. Das Postamt, das nach den morgendlichen Geschäftsstunden geschlossen war, kam in Sicht, und Serge knirschte im Vorbeifahren mit den Zähnen. Die Postmeisterin Véronique Estaque hatte zweifellos keine Zeit verloren, über ihn zu klatschen, und wahrscheinlich lachte bereits die ganze Gemeinde über ihn. Außerdem musste er die Nachricht auch noch seiner Schwester beibringen, eine Vorstellung, die ihn nicht im Entferntesten begeisterte. Serges Finger krampften sich fester um das Lenkrad, und er schob seinen knolligen Kopf Richtung Windschutzscheibe. Er würde es ihnen allen zeigen. Er war als Bürgermeister von Fogas mit all der Macht seines gewählten Amtes ausgestattet, und er würde nicht zögern, diese Macht auch auszuüben. Er lenkte den Wagen mit Schwung um die letzte Kurve und stieg beim Vorfahrtschild auf die Bremse. Als er nach links schaute, fiel sein Blick auf das in der leichten Brise schwingende Metallschild an dem Gebäude weiter unten an der Straße. Auberge des Deux Vallées. Serge Papon blickte finster drein, als hätte ihn das Gebäude selbst irgendwie beleidigt. Er wandte sich mit einem Knurren wieder der Hauptstraße zu und brummelte beim Weiterfahren vor sich hin. Irgendjemand würde dafür bezahlen. Die Atmosphäre der Schockstarre, die nach Véroniques Enthüllung immer noch das dämmerige Innere der Épicerie erfüllte, wurde durch die Geräusche von herumspritzendem Schotter gestört, der gegen das Fenster prallte, als draußen ein Wagen jäh abbremste. Josette war die Erste, die reagierte. »Das ist der Bürgermeister!«, zischte sie und wedelte mit ihren Händen in Richtung der beiden Frauen, mit denen sie getratscht hatte. Die beiden sprangen sogleich auseinander. Véronique entdeckte ganz plötzlich ihr Interesse an der Käsevitrine, in der halbe Laibe Rogallais und Bethmale lagerten, während sich Fatima in die Feueranzünderblöcke vertiefte. Josette blieb gerade einmal genug Zeit, um zu bemerken, dass sich Jacques’ Stirnrunzeln angesichts Fatimas Nähe nur noch weiter vertiefte, als auch schon die Tür aufflog und der Bürgermeister hereinkam. »Pastis!«, blaffte er Josette an und steuerte zielstrebig auf den Nebenraum zu, der als Dorfbar fungierte, ohne dabei die beiden Frauen zu beachten, die sich alle Mühe gaben, mit den...




