E-Book, Deutsch, Band 2, 240 Seiten
Reihe: Ein Fall für Kate Shugak
Stabenow Weit draußen in Alaska
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-311-70574-1
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Kate Shugak
E-Book, Deutsch, Band 2, 240 Seiten
Reihe: Ein Fall für Kate Shugak
ISBN: 978-3-311-70574-1
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dana Stabenow, geboren 1952 in Anchorage, Alaska, wuchs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf, die im Golf von Alaska auf einem Fischerboot arbeitete. Die Eiseskälte in ihrem Heimatstaat im Winter und das Springen der Lachse in den Flüssen im Sommer kennt die Autorin ebenso gut wie ihre Protagonistin. Stabenow erwarb einen Bachelor in Journalismus und einen Master in Creative Writing und schreibt seither Kriminalromane und Science Fiction. Für In der Kälte Alaskas, den ersten Band der derzeit dreiundzwanzig Bände umfassenden Kate-Shugak-Reihe, wurde sie mit dem Edgar Award ausgezeichnet. 2007 wurde sie vom Staat Alaska zur Künstlerin des Jahres gekürt. Die Autorin selbst sagt über ihren Werdegang: »Ich bin in Anchorage geboren und auf einem Fischerboot in Südalaska aufgewachsen, und ich wusste, dass es irgendwo da draußen einen wärmeren, trockeneren Job geben musste.«
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1
Es war sechs Uhr morgens, der erste Frühlingstag, bisSonnenaufgang war es noch eine halbe Stunde, aber das Loft der Blockhütte war schon erleuchtet von der silbrig kühlen Verheißung des frühen Morgens, als Kate die Augen öffnete. Sie setzte sich auf und streckte sich, dann warf sie die Bettdecke zurück.
Mitsamt der langen Unterhose schlüpfte sie in ihre Jogginghose und hangelte sich die Leiter vom Dachboden hinunter in den großen quadratischen Wohnraum der Blockhütte. »Hey, meine Schöne.«
Mutt stand mit aufgerichteten Ohren und gesträubter Halskrause, die eisengrau ihren Kopf umgab, gegen die Tür gedrängt, die gelben Augen groß und beschwörend auf Kate gerichtet. »Gleich. Warte.«
Kate ging zum Ofen, öffnete die Feuerklappe und legte Holz aus dem Kasten neben dem Ofen nach. Die Kohle vom vergangenen Abend war noch heiß, und es dauerte nur einen Moment, bis das Holz sich entzündete. An der Spüle pumpte sie Wasser in den Fünf-Liter-Kessel, um zu ersetzen, was über Nacht verdampft war, und stellte ihn mit einiger Anstrengung zurück auf die Ofenplatte. »Okay, meine Schöne«, sagte sie.
Mutt tänzelte ungeduldig um sie herum, während sie mit bloßen Füßen in ihre Stiefel schlüpfte, und begann mit eingekniffenem Schwanz kläglich zu winseln, als sie Würgehalsband und Leine vom Haken nahm.
»Vergiss es«, sagte Kate streng. Die Narbe an ihrem Hals, ein weißlicher, abgeflachter Wulst knotigen Gewebes, der von Ohr zu Ohr reichte, zwickte aus Protest gegen diesen frühmorgendlichen Einsatz an ihren Stimmbändern, und bei ihren nächsten Worten hörte sich ihre Stimme an wie das Raspeln einer rostigen Feile. »Ich hab diesen alten Wolfsrüden gestern hier rumlungern sehen. Ich kann ja verstehen, dass es dich juckt, aber das Letzte, was wir hier brauchen, ist eine Bande wuseliger Welpen.« Mutt legte die Ohren an und wedelte unterwürfig mit dem Schwanz. »Die Masche kannst du dir sparen. Ich weiß noch genau, wie’s das letzte Mal war, auch wenn du’s anscheinend vergessen hast.«
Bei Kates unerbittlichem Ton verging Mutt das Wedeln. Mit einem abgrundtiefen Seufzer senkte sie den Kopf, und nachdem sie sich mit der Ergebenheit eines geprügelten Hundes die Leine hatte anlegen lassen, schlich sie zur Tür hinaus und trottete draußen um den Holzstoß herum.
Kate gab der Leine Spiel, um den Hund in Ruhe sein Geschäft verrichten zu lassen, und atmete, während sie wartete, tief die frische Morgenluft ein, die nach Kiefernharz und verbranntem Holz roch. Die große runde Scheibe des Thermometers an der Hüttenwand zeigte minus 11 Grad an, dabei war es erst halb sieben. Endlich! Endlich war der Frühling da.
Sie spürte einen kurzen Proberuck an der Leine. Ein großes gelbes Auge spähte über den Holzstoß. »Keine Chance«, sagte Kate und machte sich auf den Weg zum Klohäuschen, ohne die Leine locker zu lassen.
Fünfundzwanzig Meilen weiter östlich erwachte ein paar Minuten später der Killer und sprang pfeifend aus dem Bett. Bedächtig und methodisch, beinahe feierlich in seinen Bewegungen, wusch er sich das Gesicht und putzte sich die Zähne. Die morgendliche Rasur war ein Ritual, bei dem er sorgfältig darauf achtete, jeden Ritzer mit der Klinge zu vermeiden. Die frischen Sachen – Levi’s, ein Pendleton Shirt, Socken, T-Shirt, Unterhose, alles tags zuvor in Niniltna eingekauft – warteten auf seinem Bett, exakt in der Reihenfolge zurechtgelegt, in der er sie anlegen würde.
Der Verkäufer im Niniltna General Store hatte ihn gestern nicht erkannt, obwohl er den ganzen Winter über dort eingekauft hatte. Er wischte sich die letzten Spuren Rasierschaum vom Gesicht und lächelte sich im Spiegel zu.
Kate toastete den Rest des Brots von der vergangenen Woche und tunkte die Scheiben in ihren Morgenkaffee. Sie rührte einen Schwung Teig zusammen und gab ihn in eine mit Butter eingefettete Schüssel, die sie mit einem feuchten Geschirrtuch zudeckte und neben den warmen Holzofen stellte, um den Teig gehen zu lassen. Danach wuselte sie eine lange Weile in der Hütte herum, wechselte oben im Loft die Bettwäsche, dann unten die Handtücher an der Spüle, schrubbte die Spüle und die Ofenplatte, schüttelte draußen vor der Tür die Flickenteppiche aus und kehrte den Holzdielenboden. Sie pumpte Wasser in den Waschzuber, gab Seifenpulver und ihre schmutzigen Sachen dazu und ließ die eingeweichte Wäsche zum Erhitzen auf dem Holzofen stehen. Sie reinigte die Kamine und trimmte die Dochte aller Propanlampen. Es war ihr gewohntes Montagmorgen-Ritual, und sie spulte es ab wie eine Maschine. So ein festes Ritual, fand sie, war genau das Richtige für sie. Sie bekam die Dinge erledigt und war zu beschäftigt, um groß darüber nachzudenken, wie isoliert sie lebte. Mitten in 20 Millionen Acres Nationalpark in Alaska, als einzige Nachbarn eine Grizzlybärin, die drüben am anderen Flussufer gerade aus einem langen Winterschlaf erwachte, und einen Wolfsrüden, der hoffnungsvoll ihrer läufigen Husky-Hündin hinterherschnüffelte, da konnte man sich schon ziemlich einsam fühlen, wenn man sich die Zeit dazu ließ. Kate ließ sie sich nie.
Als sie alles geschafft hatte, setzte sie sich an den Tisch neben dem Ölkochherd und zog die umfunktionierte Dari-gold-Butterdose zu sich heran, leerte sie aus und begann, Scheine und Münzen zu sortieren. Am Ende kam sie auf die stolze Summe von 296 Dollar und 61 Cent.
»Immerhin besser als die Bilanz im letzten Jahr«, sagte sie zu Mutt. »Wenigstens starten wir diesmal mit einem Haben in den Frühling.«
Mutt klopfte mit mäßigem Elan mit dem Schwanz auf den Boden.
Das Winchester Gewehr Modell 70 .30-06 war neu, am Tag zuvor in eben dem General Store in Niniltna bei eben dem desinteressierten Verkäufer erstanden, der ihm seine neuen Klamotten verkauft hatte. Auch die Munition war neu, ein Dutzend Pappschachteln mit blanken neuen Patronen, 180 grs Jagdmunition, Winchester (er hielt der Marke die Treue) Super X Silvertips, zwanzig Patronen pro Schachtel. Unfähig der Versuchung zu widerstehen, öffnete er eine der Schachteln und nahm eine Patrone heraus. Selbst in diesem frühen Licht glänzte das Messing, das Kupfer blinkte und das Silber blitzte. Er konnte sich kaum sattsehen.
Auf einem Sägebock, der den Weg zu seiner Hütte von der Straße absperrte, stellte er eine Reihe leerer Dosen und Flaschen auf und hängte an den Querbalken eine Zielscheibe aus dünner Pappe mit einer Anordnung konzentrischer Kreise.
In Schritten maß er hundertfünfzig Meter auf der alten schnurgeraden Bahntrasse ab, die die einzige Durchgangsstraße im Park bildete. Der bisher fest gefrorene Winterschnee war brüchig geworden und knirschte unter seinen Stiefeln. Er hockte sich nieder und legte die Schachteln mit der Munition neben sich. Das Gewehr in beiden Händen haltend, hob er es einen Moment an sein Gesicht und sog den Duft des geölten Walnussschafts ein, während er mit einer Fingerspitze verliebt über den schimmernden schwarzen Lauf strich. Der Verschluss funktionierte reibungslos, in jeder glatt gehobelten glänzenden Fläche zeigte sich das solide Handwerk, alle mechanischen Teile ergänzten sich zu einer perfekt funktionierenden Einheit.
Er zog den Schaft fest in die Schulterbeuge und visierte den Lauf entlang. Das winzige Metallkügelchen am Ende des Laufs schien sehr nah und sehr fern zugleich. Das Metall war so neu, dass es im frühen Morgenlicht funkelte. Mit gerunzelter Stirn kramte er in seinen Taschen nach einem Streichholz, riss es an und hielt es so, dass der aufsteigende Qualm das Kügelchen schwärzte.
Er sah sich die Visiervorrichtung an und schüttelte mit einem mitleidigen Lächeln den Kopf. Aus einer anderen Tasche holte er ein Williams-Foolproof-Guckloch-Visier und brachte es neben dem Verschlussgehäuse an. Nachdem er das Gewehr geladen hatte, fünf Patronen ins Magazin, eine in die Kammer, stand er auf. Den Schaft fest an sich gezogen, visierte er durch das Guckloch. Das nun glanzlose schwarze Kügelchen am Ende des Laufs hob sich klar und ohne störende Lichtreflexe von dem blendenden Weiß der Schneelandschaft ab. Er drückte sechs Mal ab und genoss das Krachen jedes einzelnen Schusses, den robusten Rückstoß des Kolbens gegen seine Schulter, das problemlose Funktionieren des Verschlusses zwischen den Schüssen. Als die Kammer leer war, ging er die Straße zurück und sah sich die Zielscheibe an. Die meisten der Treffer lagen oben links von der Mitte. Er justierte das Guckloch-Visier mit einem kleinen Schraubenzieher, lud neu und wiederholte den Prozess. Beim dritten Versuch zielte er auf die Flaschen und Dosen.
Er brauchte nicht mal eine Stunde. Als er fertig war, hielt er ein Tötungsinstrument in den Händen, das die dreihundert Meter zwischen Ziel und Schützen auf Kernschussweite reduzierte. »Todsicher«, sagte er grinsend. Und da behauptete seine Frau, er habe keinen Humor.
Er vergaß nicht, die Waffe zu sichern, nachdem er neu geladen hatte. Er wollte sich ja nicht selbst verletzen.
»Nein! Und dabei bleibt’s«, rief Kate durch die geschlossene Tür, hinter der Mutt jammervoll winselte. »Außerdem machen Männer nichts als Ärger, glaub mir.«
Sie zog noch mal fest am Türknauf, um sich zu vergewissern, dass das Schloss wirklich eingeschnappt war, und ging zur Garage. Das zweiflügelige Tor ließ sich jetzt, wo die vereisten Schneemassen vor der Schwelle abgeschmolzen waren, mühelos öffnen.
Die Garage war ein ungeheizter Verschlag aus Sperrholzplatten auf einem Lattenrahmen. Durch die mit Dreck und Mückenkadavern verkrusteten Fenster fiel...