E-Book, Deutsch, 346 Seiten
Springer Fluchtziel Erde
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7427-8599-2
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 346 Seiten
ISBN: 978-3-7427-8599-2
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frank Springer wurde 1961 in Lübeck geboren und hat in Braunschweig Physik studiert. Seit 2000 arbeitet er in Berlin als Wissenschaftler in einer Behörde. Vor einiger Zeit hat er damit begonnen, Bücher für seine beiden Söhne zu schreiben, um sie zum Lesen anzuregen.
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1. Sternenlicht und Schulstress
Hier draußen im Weltall, wo keine Atmosphäre ihr Licht trübte, leuchteten die Sterne besonders klar und deutlich. Jan hatte die Rückenlehne des Liegesessels weit nach hinten gekippt und blickte durch die dicken Fensterscheiben, die ihn vor der Luftleere des Weltraums schützten, zu den unzähligen fernen Sonnen hinauf, die ihre Strahlen durch das All zu ihm schickten. Es war sein Lieblingsplatz, den er, so oft es möglich war, aufsuchte. An diesem Ort mochte er stundenlang liegen und in das unendlich tiefe Schwarz des Kosmos starren. Hier konnte er für einige Zeit die bedrückende Enge in der Mondstation vergessen.
„Mondstation“, was für ein Name? War es doch nicht der irdische Mond, der damit gemeint war und der mit seinem vertrauten Antlitz sanftes Licht auf die Erde warf, sondern irgendein Mond in einer fernen Galaxie, der um einen namenlosen Planeten kreiste. Ebenso wie die Station, die auf seiner Oberfläche errichtet worden war, besaß er keinen Namen, sondern lediglich eine Kennung aus Buchstaben und Ziffern, die sich Jan nicht merken wollte. Auch das Zentralgestirn dieses fremden Sonnensystems, das alle in der Station nur kurz „die Sonne“ nannten, erinnerte mit seinem unwirklich blassblauen Licht in keiner Weise an die gute alte Sonne, die Jan von der Erde her kannte.
Wenn er so dalag und teilnahmslos in den Himmel schaute, musste Jan an seine Heimat denken, die er vor vier Jahren verlassen hatte, und daran, wie er damals als Kind über weite Wiesen lief, auf denen er mit seinen Freunden herumtollte. Dann glaubte er, den sommerlichen Duft der vielen Tausend bunten Blüten riechen zu können, obwohl er hier in der Mondstation nur die sterile Luft aus der Wiederaufbereitungsanlage atmete. Schmerzlich vermisste Jan die Erde und die Freiheit, die er auf ihr genoss. Bei diesen Gedanken wurde ihm schwer ums Herz und ein drückendes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus.
Er erinnerte sich an das, was ihm früher sein Großvater erzählt hatte. Das war zu der Zeit, als Jan noch bei seinen Eltern lebte und sie jeden Sonntag Großvater zum Kaffeetrinken besuchten. Er war schon sehr alt, fast hundert Jahre, aber trotzdem rüstig. Nach der Kaffeetafel nahm er den Jungen auf seine Knie und beschrieb ihm mit einprägsamen Worten die Erlebnisse seiner eigenen Kindheit. Wie gebannt lauschte Jan seinen beeindruckenden Ausführungen. Er konnte kaum glauben, was er von dem gütigen, alten Mann über die Vergangenheit erfuhr.
Früher lebten unglaublich viele Menschen auf der Erde, viel mehr, als sich Jan vorstellen konnte. Nach und nach verbrauchten sie die Rohstoffe und Bodenschätze, die ihnen der Planet bot. Die Ressourcen wurden immer knapper, bis abzusehen war, dass die Menschheit so nicht überleben konnte. Verheerende Kriege um die letzten Reserven brachen aus. Aber schnell wurde allen Beteiligten klar, dass ihre Feldzüge mehr Material verschlangen, als sie an Gewinn versprachen.
Weniger aus Einsicht, als aus der schlichten Not heraus beendeten die verfeindeten Länder ihr Kriegstreiben und schlossen sich zusammen. Die Nationalstaaten wurden aufgelöst und gingen in einer großen Gemeinschaft auf. Zuerst vereinigten sich die Weltmächte, danach folgten die kleineren Staaten innerhalb kurzer Zeit. Die einzige Möglichkeit, an die dringend benötigten Rohstoffe zu gelangen, war, diese nicht länger auf der Erde zu suchen. Wissenschaftler hatten inzwischen entdeckt, dass es diese für die Menschheit so kostbaren Schätze auf den unzähligen Himmelskörpern zu finden gab, die in den Weiten des Weltalls verstreut lagen.
Um ihrem unausweichlichen Ende zu entkommen, fügten sich alle Menschen zu einer einzigen, allumfassenden Nation von Raumfahrern zusammen, die in einem riesigen Kraftakt mit den letzten verfügbaren Reserven eine Raumflotte erschufen, die die Bodenschätze auf fernen Planeten ausbeuten sollte. Die Raumschiffe starteten und flogen zu den unterschiedlichsten Zielen. Tatsächlich fanden die Menschen dort reichlich von dem, wonach sie auf ihrem Heimatplaneten verzweifelt gesucht hatten und was ihr Weiterleben ermöglichen sollte. Aber anstatt ihren neu gewonnenen Reichtum zurück zu ihrer Herkunft zu bringen, gründeten sie überall an den Fundstätten Kolonien.
Immer mehr Menschen verließen die Erde und folgten in den Weltraum. Während die Kolonien zunehmend aufblühten und ihr Wohlstand auf bisher ungeahnte Maße wuchs, verarmte ihr Heimatplanet zusehends. Zurück blieben diejenigen, die nicht zu den neuen Siedlungen reisen wollten oder konnten. So auch Jans Großvater mit seiner Familie. Da nur noch wenige Menschen auf der Erde lebten, reichten die vorhandenen Rohstoffe nun aus, um ihnen ein bescheidenes Dasein zu erlauben.
Nach einigen Jahrzehnten hatte sich die ausgebeutete Natur von dem Raubbau, der an ihr betrieben worden war, erholt und die ehemaligen menschlichen Wirkungsstätten zurückerobert. Die Luft war wieder sauber und der Himmel strahlend blau. Das Wasser in den Flüssen, Seen und Meeren wurde allmählich klar und rein. Tiere und Pflanzen bevölkerten die Erde und breiteten sich auf ihr aus. Nur die verbrauchten Bodenschätze blieben für immer verloren. Die verbliebenen Bewohner verließen die großen Städte und zogen aufs Land, um von dessen Erträgen leben zu können. Die großen Industrieanlagen verfielen und die Ballungszentren verwaisten zusehends. Ihre Überreste wirkten wie riesenhafte Mahnmale gegen die Verschwendungssucht der Menschheit.
Auch die Regierung der großen Raumfahrtnation gab ihren Sitz auf der Erde auf und siedelte in eine der neuen, großen Kolonien um. Von dort aus lenkte sie die Geschicke des sich ausbreitenden Weltraumreiches. Die Raumschiffe wurden bald so groß, dass sie nicht mehr von der Oberfläche der Erde aus starten oder auf ihr landen konnten. Daher wurde in ihrem Orbit eine riesige Raumstation als Umschlagplatz für Waren und Güter sowie zum Umsteigen für Weltraumreisende gebaut. Mit dem zunehmenden Verkehr wuchs die Orbitalstation, bis sie gigantische Ausmaße erreicht hatte und mehr Menschen auf ihr lebten, als auf dem Planeten zurückgeblieben waren.
Die meisten von denen, die irgendwo im Kosmos auf einer Raumstation oder in einer Kolonie geboren worden waren, kannten die Erde nur aus Erzählungen. Voller Verachtung blickten sie auf diesen ausgebeuteten und ausgeplünderten Himmelskörper herab, der in ihren Augen nichts weiter als ein Armenhaus im Universum war. Diejenigen, die von der Erde abgewandert waren, wünschten sich nie mehr dorthin zurück, auch wenn sie im Weltraum nur untergeordnete Stellungen bekleideten. Selbst die Bewohner der Erdorbitalstation wären niemals bereit gewesen, die Erdoberfläche freiwillig zu besuchen, obwohl sie sich direkt vor ihren Augen in unmittelbarer Nähe befand. Für sie bot dieser heruntergewirtschaftete Planet nichts, was einen Besuch wert gewesen wäre.
Jan hatte unter den Entbehrungen und den Einschränkungen gelitten, die er damals in seiner Heimat ertragen musste. Wenn jemand diesen primitiven Verhältnissen entgehen wollte, dann musste er in den Weltraum auswandern und in einer der vielen Kolonien sein Glück versuchen, denn nur dort konnte er eine gute Ausbildung und die Aussicht auf einen Arbeitsplatz mit angemessener Entlohnung erhalten. Jeder, der irgendwie konnte, nutzte die seltene Gelegenheit, die Erde zu verlassen, während die Zurückgebliebenen mit niederen Tätigkeiten mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt verdienten.
Nachdem Jans Bruder mit fünfzehn Jahren die Schule beendet hatte, gab es für ihn keine Möglichkeit, in den Weltraum auszuwandern. Er musste die Familie verlassen, um in einer weit entfernten Stadt eine gering bezahlte Arbeit anzunehmen. Trotzdem war er froh, dass er überhaupt eine Anstellung gefunden hatte. Jan, der bis dahin stolz zu seinem älteren Bruder aufgesehen hatte, wusste, dass ihm ein ähnliches Schicksal bevorstand, wenn nicht ein Wunder geschah.
Daher war Jan überglücklich, als er wenig später zu seiner Tante und seinem Onkel auf die Mondstation durfte. Aufgeregt und voller Neugier ging er an Bord des riesigen Raumschiffes, das ihn in ein neues, vielversprechendes Leben bringen sollte. Nach einer sechswöchigen Reise mit Überlichtgeschwindigkeit erreichte Jan sein Ziel. Zunächst war alles für ihn ungewöhnlich und beeindruckend. Damals als zehnjähriger Junge war er überwältigt von dem Wohlstand gewesen, den er nun genießen durfte. Jedoch schon innerhalb kurzer Zeit spürte er, welch hohen Preis er dafür gezahlt hatte und wünschte sich zurück auf die Erde.
Hier in der Station zählten nur Fleiß und Leistungswille. Von den Kindern wurde erwartet, dass sie ihre Ausbildung auf dem schnellsten Weg vorantrieben, um eine der vielen Aufgaben übernehmen zu können. Zeit zum Spielen blieb Jan nicht. Seine Freiheit, die er in seiner Heimat so geschätzt hatte, galt hier nichts. Während die anderen Kinder miteinander wetteiferten, wer der Tüchtigste von ihnen sei, sträubte sich Jan gegen diesen Leistungsdruck und verweigerte sich immer mehr.
Mit Tränen in den Augen beobachtete Jan das Himmelszelt und trauerte seiner glücklichen Kindheit nach, die er zu Hause bei seinen Eltern verbracht hatte. Selbst das Licht der Sterne empfand er hier oben im All als unterkühlt und leblos. Er vermisste die Sanftheit ihres Funkelns, das ihm von der Erde her vertraut war. Sein Wunsch, dorthin zurückzukehren, wuchs in ihm und wurde stärker und stärker. Mit den Augen suchte er das Firmament ab und hoffte, irgendwo in dem undurchdringlich tiefen Schwarz die irdische Sonne zu entdecken. Dabei wusste er, dass das unmöglich war, da sie viel zu weit entfernt war. Dennoch suchte er dort draußen mit seinen Blicken die Freiheit, die er hier...




