E-Book, Deutsch, 197 Seiten
Spiegel Die Systemische Therapie mit der Inneren Familie mit Kindern
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-86781-322-8
Verlag: Arbor
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mit einem Vorwort von Richard C. Schwartz, Begründer der IFS-Therapie
E-Book, Deutsch, 197 Seiten
ISBN: 978-3-86781-322-8
Verlag: Arbor
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Systemische Therapie mit der Inneren Familie (Internal Family Systems Model = IFS) hat sich als wirksame psychotherapeutische Methode etabliert. Dieses Buch beschreibt erstmals ausführlich, wie IFS in der Therapie mit Kindern eingesetzt werden kann.
Es erklärt Schritt für Schritt, wie der IFS-Prozess vor sich geht, und illustriert mit zahlreichen Fallbeispielen das Heilpotenzial dieser Methode.
Mit dieser Anleitung können sich alle, die therapeutisch mit Kindern arbeiten, mit IFS vertraut machen oder ihr Verständnis vertiefen.
Weitere Infos & Material
2 Schlüsselkonzepte in der IFS-Therapie
| SCHLÜSSELWÖRTER |
| Teile: | innere Teilpersönlichkeiten, die über die gesamte Bandbreite an Gefühlen, Gedanken, körperlichen Empfindungen und Überzeugungen verfügen |
| Beschützer: | Teile, die darauf hinarbeiten, Schmerzen im Zaum zu halten |
| Manager: | proaktive Teile, deren Ziel die Reduzierung psychischer Schmerzen ist |
| Positive Absicht: | die Überzeugung, dass alle Teile versuchen, Hilfreiches und Gutes für uns zu tun, ungeachtet dessen, was dabei herauskommt |
| Feuerbekämpfer: | reaktive Teile, die nach Auslösung psychischer Schmerzen diese bekämpfen |
| Verbannte: | verletzte Teile, die aus dem Gewahrsein verbannt wurden |
| Lasten: | die schmerzlichen Überzeugungen, Gefühle und körperlichen Empfindungen, die Teile annehmen und in sich tragen |
| Selbst: | die jedem Menschen innewohnende gesunde, kluge und mitfühlende Präsenz |
Es ist 22:00 Uhr und Sie stehen an der offenen Kühlschranktür. In Ihnen spielt sich ein Streit ab. So könnte er sich in Ihrem Kopf anhören:
»Hm … der Käsekuchen sieht verlockend aus. Der Tag war hart und wollte einfach nicht enden. Das wäre jetzt genau das Richtige.« »Komm schon, du brauchst das nicht. Mach die Kühlschranktür wieder zu und geh aus der Küche.«
»Ich habe mir eine süße Belohnung verdient, nur ein ganz kleines Stück.«
»Du bist schon pummelig und dir wird morgen früh schlecht sein, wenn du das isst.«
Sie nehmen sich den Käsekuchen, schlingen ihn hinunter und sind dann wütend auf sich selbst, weil Sie ihn gegessen haben.
Jeder von uns hat schon verschiedene Versionen dieser Erfahrung erlebt. Wenn wir uns im Laufe des Tages für das eine oder andere entscheiden müssen, hören wir buchstäblich verschiedene innere Stimmen mit verschiedenen Zielen, die uns antreiben und versuchen, auf ihre eigene Weise zu helfen.
Und genau das ist das Kernstück der Systemischen Therapie mit der Inneren Familie (IFS): Jeder von uns hat viele verschiedene innere Teile – eine innere Familie sozusagen. Diese Teile sind wie Teilpersönlichkeiten, jede mit ihrer eigenen Bandbreite an Emotionen, Ausdrucksart, Wünschen und Weltsicht. (Schwartz 2018) Statt diese Multiplizität als pathologisch einzustufen, was in unserer Kultur der Norm entspricht, argumentiert Richard Schwartz, sie sei der natürliche Zustand des Geistes. Walt Whitman schreibt im Gesang von mir selbst:
Widerspreche ich mir selbst?
Nun ja, ich widerspreche mir selbst.
(Ich bin groß, ich bin viele.)
Wir benutzen alle Formulierungen wie »Ein Teil von mir will dies …«, »Ein Teil von mir will das…«. Die Wortwahl erfolgt natürlich und intuitiv. Und genauso ist die IFS-Therapie. Diese Vorstellung vom Geist hilft uns, innere Konflikte neu zu verstehen. Sie führt auch zu einer mitfühlenderen Haltung den Teilen von uns gegenüber, die sich manchmal extrem verhalten. In diesem Kapitel werden wir uns die Schlüsselkonzepte und Terminologie der IFS-Therapie näher ansehen. Fangen wir damit an, den zentralen und charakteristischen Aspekt von IFS zu vertiefen: Teile.
Teile
Ein Teil ist eine innere Einheit oder Teilpersönlichkeit. Laut Schwartz sind Teile und das Potenzial, Teile auszubilden, angeboren. Jeder Teil besitzt seine eigenen Überzeugungen, Handlungen, Ziele und Gefühle. (Schwartz 2018) Ein Teil kann als innere Stimme, körperliche Gefühle und Gesten oder bestimmte Emotionen empfunden werden. In Kapitel 1 habe ich die Chronik des Multiplizitätskonzepts vorgestellt, sprich: dass es die Besonderheit des Geistes ist, in Teile unterteilt zu sein. Schwartz identifiziert sieben Charakteristika eines Teils (Goulding & Schwartz 1995):
1. ein beständiges Gefühl der eigenen Singularität oder des Selbstseins, die autonom sind und sich von den anderen Teilen innerhalb derselben Person unterscheiden,
2. ein Funktionsbereich,
3. ein Bereich emotionaler Reaktionen,
4. ein Verhaltensbereich,
5. eine bedeutsame Geschichte der eigenen Existenz,
6. eine eigenständige Erfahrung des kontinuierlichen Funktionierens zeitgleich mit den anderen Teilen in derselben Person,
7. ein charakteristisches und konstantes Verhaltens- und Gefühlsmuster als Reaktion auf Reize.
Lassen Sie uns eine Übung mit diesen sieben Charakteristika machen, damit Sie das Konzept der Teile besser verstehen. Da der Teil von Ihnen, der sehr gerne lernt, Sie vermutlich dazu gebracht hat, dieses Buch zu lesen, werden wir uns auf Ihren »Schüler«-Teil konzentrieren. Dieser Teil hat vermutlich eine lange Geschichte, die ihren Anfang in Ihrer Schulzeit hat und bis in die Gegenwart reicht.
ÜBUNG: ERFAHREN SIE MEHR ÜBER IHREN »SCHÜLER«-TEIL
• Nehmen Sie sich 15 Minuten oder länger für diese Übung. Sie brauchen Zeit und Übung, um zu entschleunigen und in Kontakt mit Ihren Teilen zu kommen.
• Schließen Sie die Augen und nehmen Sie eine bequeme Sitzposition ein. Atmen Sie mehrmals lang und tief, zählen Sie beim Einatmen bis vier, halten Sie dann inne und zählen Sie danach beim Ausatmen bis vier. Wiederholen Sie diese Atemübung fünfmal, um Ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten.
• Stellen Sie sich jetzt sich selbst in der Schule vor. Halten Sie in jeder Phase inne: in der Grundschule, in der weiterführenden Schule, in der Universität. Nehmen Sie sich die Zeit, sich zu erinnern: an die Unterrichtsräume, an die Lehrer*innen und an den Weg zu oder von der Schule; an den Ort, an dem Sie die Hausaufgaben machten. Wie sehen alle diese Schüler aus?
• Achten Sie dann darauf, ob einer dieser Schüler besonders herausragt. Wie sieht er aus? Wie alt ist er? Was fühlt er? Er lernt gerne oder auch nicht – das ist in Ordnung. Achten Sie einfach nur auf die Emotionen, die Bilder und Ihre eigenen Reaktionen auf diesen Teil. Sehen Sie, ob diese Reaktionen, Urteile oder Gefühle einen Schritt zurücktreten oder beiseitetreten, damit Sie mit dem »Schüler«-Teil Kontakt aufnehmen können.
• Vielleicht kann er einige seiner Erfahrungen mit Ihnen teilen. Während Sie diesem Teil zuhören oder ihn beobachten, nehmen Sie das wahr, was Sie über sich selbst in der Schule lernen.
• Danken Sie Ihrem »Schüler«-Teil fürs Vorbeikommen, und wenn Sie es in dem Moment als richtig empfinden, lassen Sie ihn wissen, dass Sie hier sind, sich für ihn interessieren und zu ihm zurückkehren können.
Sehen wir uns jetzt noch einmal die Definition nach Schwartz an und ob Sie seinen Kriterien zustimmen.
1. Ein beständiges Gefühl der eigenen Singularität oder des Selbstseins, die autonom sind und sich von den anderen Teilen innerhalb derselben Person unterscheiden. Hatte Ihr »Schüler«-Teil seine eigene Identität? Als ich diese Übung machte, sah ich meinen »Schüler«-Teil zuerst auf einer Schulbank mit erhobener Hand sitzen. Dann sah ich, wie meine »Schülerin« in der 2. Klasse Limabohnen beim Sprießen in Wattebällchen zuschaute. Ich sah, wie sie an ihrem Studieneignungstest teilnahm, wie sie auf dem Bett im Haus meiner Kindheit Rechenaufgaben löste. Sie schien wirklich jemand zu sein, der in mir aufgewachsen war.
2. Ein Funktionsbereich. Erledigt Ihr »Schüler«-Teil mehr als die mit der Schule verknüpften Aufgaben? Vielleicht wird dieser Teil aktiviert, wenn Sie ins Museum gehen oder eine neue Übung im Fitnessstudio machen oder ein neues Kochrezept ausprobieren.
3. Ein Bereich emotionaler Reaktionen. Zeigte Ihr »Schüler«-Teil verschiedene Gefühle, wie Begeisterung und Neugier oder Frustration und Sorge? Ich sah meine »Schülerin« am ersten Tag an der Graduiertenfakultät nervös zur Toilette laufen.
4. Ein Verhaltensbereich. Zeigte Ihr Schüler verschiedene Verhaltensweisen wie Schreiben, Zuhören, Analysieren, Trödeln oder Zeit schinden?
5. Eine bedeutsame Geschichte der eigenen Existenz. Konnten Sie diesen Teil von Ihrer Kindheit bis ins Erwachsenenalter verfolgen?
6. Eine eigenständige Erfahrung des kontinuierlichen Funktionierens zeitgleich mit den anderen Teilen in derselben Person. Ist dieser »Schüler«-Teil derselbe Teil in Ihnen wie der Teil, der albern ist oder der sich um Ihre Kinder kümmert oder der gerne fernsieht? Haben Sie das Gefühl, dass dieser Teil neben Ihren anderen Teilen existiert?
7. Ein charakteristisches und konstantes Verhaltens- und Gefühlsmuster als Reaktion auf Reize. Denken Sie darüber nach, wie Ihr »Schüler«-Teil auf das Erlernen von Neuem reagiert. Stürzen Sie sich normalerweise voller Elan in neue Lerngebiete oder haben Sie Angst, Sie könnten etwas nicht verstehen, oder denken Sie, Sie wissen es bereits? Finden Sie heraus, ob Ihr »Schüler«-Teil gewohnheitsmäßig reagiert.
Ich hoffe, Sie erkennen inzwischen,...




