E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Reihe: Politik & Zeitgeschichte
Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Reihe: Politik & Zeitgeschichte
ISBN: 978-3-86284-437-1
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
13 Autoren, die seit Jahren die Entwicklungen in der rechten Szene kritisch begleiten, legen einen fundierten Übersichtsband vor, der die Entwicklung der Identitären Bewegung darstellt, ihre Ideologie analysiert, Aktionen beschreibt und Netzwerke offenlegt.
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Reaktionärer Klan
Die Entwicklung der Identitären Bewegung in Deutschland
Leipzig 2018: Über ein Mikrofon erklingt eine männliche Stimme in der Messehalle. Kleine Papierzettel fliegen durch die Luft. Vor den Ständen des Antaios Verlages und von drängen sich immer mehr Menschen. Hier rechts in der Ecke der Halle 3 wollten am 18. März mehrere Initiativen auf der Buchmesse gegen die rechten Verlage protestieren. Kaum hat der Sprecher vom subversiven Komitee für Wahrheit und Sachlichkeit begonnen, über die mitgebrachte Verstärkeranlage zu Anhängern der Neuen Rechten zu reden, dreht einer der kritisch Angesprochenen die Lautsprecher runter. »Die Rechte zeigt mal wieder, dass sie nicht fähig ist, sich Argumente anzuhören«, sagt der Sprecher unbeeindruckt laut weiter. »Wir wollen zeigen, wer wirklich die Meinungsfreiheit vertritt«, betont er. Nach einem kurzen Gerangel hebt eine Sprecherin des Komitees hervor, die Neue Rechte nutze die Meinungsfreiheit bloß als Werkzeug, um ihr menschenverachtendes Weltbild zu verbreiten.
Wenige später stehen sich Sympathisanten des Verlags von Götz Kubitschek und Demonstranten bei angekündigten Verlagsveranstaltungen nahe dem Stand direkt gegenüber. »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen«, skandiert die neurechte Anhängerschaft – eine alte rechtsextreme Parole. Mit dabei: Aktivisten der Indentitären Bewegung (IB). Einer ihrer bekanntesten Kader, Martin Sellner, wollte Kubitschek als Gesprächspartner auf der Buchmesse ein Podium bieten, um über das »Abenteuer ›Defend Europe‹« zu berichten. Mit erzählen sollte Alexander Schleyer, ein ehemaliger Soldat der deutschen Marine, der für das neurechte Magazin schreibt und parlamentarischer Mitarbeiter eines Abgeordneten der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) war. Beide waren beim Mittelmeer-»Abenteuer« dabei.
Die Aktion war der Versuch von Identitären aus Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland, 2017 mit einem gecharterten Schiff nahe der libyschen Küste gegen »Schlepperschiffe vermeintlich humanitärer NGOs« vorzugehen, »die durch Spenden finanziert unter dem Deckmantel humanitärer Rettungsaktionen Hunderttausende illegale Migranten nach Europa« schleppen würden.
Knapp eine Woche war die Crew der Identitären im August des vergangenen Jahres mit der »C-Star« im Mittelmeer unterwegs. Nach wenigen Tagen erreichte die italienische Seenotleitzentrale am 11. August ein Notruf der Identitären wegen Manövrierunfähigkeit. Ein Boot der Organisation Sea-Eye für Geflüchtete kam zur Rettung, die Crew von »C-Star« lehnte ab. Über Twitter erklärte einer der Identitären: »Wir haben ein technisches Problem, das aber keine Seenotrettung erforderlich macht.« Es handele sich lediglich um ein »kleines Problem«. Noch wenige Tage fuhr das Schiff im Mittelmeer. Auf See erfolgte aber keine Konfrontation zwischen Identitären und NGOs. »Ich dachte, das wäre ein Scherz«, sagte der Sprecher von Sea-Eye, Hans-Peter Buschheuer, als sie offiziell zur Rettung gerufen wurden. Und er betonte: Den rechten Aktivisten ging es um ein »groß angelegtes Propagandamanöver«.
Das Echo – nicht nur über die eigenen virtuellen Kanäle und nahestehende Medien – war nicht gering. Auf Facebook erklärte die IB am 18. August ihre Aktion für beendet und hob hervor, sie sei »ein politischer Erfolg, ein medialer Erfolg und ein aktivistischer Erfolg« gewesen. Am 5. Oktober berichtet der allerdings, dass die von den Identitären angeheuerte Bootsmannschaft in Spanien strandete – ohne Proviant und Geld. Im Verlauf der Aktion beantragten 13 Bootsangehörige von »G-Star« Asyl. Via Twitter versicherte Sellner: »Wir haben [die Crew] nicht im Stich gelassen. Wir haben nach Ende unserer bezahlten Charter das Schiff verlassen.«
Doch nicht erst die Aktion der Identitären im Mittelmeer und die mediale Auseinandersetzung darüber machten sie bundesweit bekannt. Ein Jahr zuvor, im August 2016, gelang der IB Deutschland (IBD) mit einer Besetzung bundesweite öffentliche Beachtung. Eine »temporäre Inbesitznahme eines Ortes mit Strahlkraft«, um »das ›eine‹ Bild« zu erlangen, wie Sellner es als grundlegend in bezeichnet. 2017 ist das Standardwerk der Bewegung beim Verlag Antaios erschienen.
Symbolische Aktionen und politischer Mythos
Bei strahlendem Sonnenschein wehte über dem Brandenburger Tor das gelbschwarze Zeichen der Identitären: der griechische Buchstabe Lambda. Schon auf den Rundschildern der 300 Spartaner, die sich einer tausendfach stärkeren Armee der Perser 480 v. Chr. am Thermopylen-Pass entgegenstellten, soll der Winkel geprangt haben. Diesen Mythos des heroischen Abwehrkampfs von fremden Mächten und feindlichen Einflüssen wollen die Identitären heraufbeschwören. In einem Video erklären sie: »Das Lambda, gemalt auf einem Schild stolzer Spartaner, ist unser Symbol. Verstehst du, was es bedeutet? Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben!« An das 20 Meter hohe Tor der Bundeshauptstadt haben am 27. August 2016 rund 15 Kader der Identitären zudem ein großes Transparent angebracht: »Sichere Grenzen – sichere Zukunft«. Über den »Raum der Stille« an der Seite waren sie auf das 1791 fertiggestellte symbolträchtige Bauwerk mit Hilfe von Leitern gekommen. Der Coup war geglückt, in Echtzeit berichteten ausgiebig Nachrichtensender und später Printmedien. Die Public Relations gelangen – die Aktionsgruppe hatte ein Bild geschaffen. Ihre Idee war indes nicht neu. Schon Greenpeace nutzte den symbolischen Ort mit medialer Resonanzchance mehrfach für Aktionen. Neu aber war, dass eine rechtsextreme Gruppierung mit neurechtem Habitus sehr erfolgreich eine politische Aktionsform der sozialen Bewegungen adaptierte. Dass die Polizei die Besetzung an diesem Samstag schnell auflöste, minderte nicht den Effekt. Bis zu dem Tag erschien vielen in Politik und Medien die neurechte Szene von der Wochenzeitung (JF), der Bibliothek des Konservatismus über das Institut für Staatspolitik (IfS) und den Antaios Verlag bis hin zu und als elitär-esoterischer Debattierzirkel von überwiegend gediegenen Herren mit akademischem Abschluss.
So richtig wie falsch. Schon sechs Jahre zuvor hatte Helmut Kellershohn vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) auf eine zunehmende »rechte Diskurspiraterie« hingewiesen. In dem von Martin Dietzsch, Regina Wamper und ihm herausgegebenen Sammelband mit ebenjenem Titel resümieren sie, dass »ein verstärktes Bemühen auf Seiten der extremen Rechten zu beobachten« sei, »Themen, politische Strategien, Aktionsformen und ästhetische Ausdrucksmittel linker Bewegungen zu adaptieren und für ihren Kampf um die kulturelle Hegemonie zu nutzen«.
Martin Sellner, der identitäre Vordenker aus Österreich, verschweigt in diese Adaptionen nicht. Im Rückgriff auf den linken Theoretiker Guy Debord (1931–1994) aus Frankreich erklärt er, dass in der »Gesellschaft des Spektakels« das real Erlebte immer mehr durch die mediale Spiegelung ersetzt werde: ein Bild – eine Wirklichkeit, ein Spektakel – eine Reaktion. »Dieser Effekt funktioniert nicht nur für Greenpeace, sondern auch für patriotische Aktivisten«, schreibt Sellner und kommt auf Berlin zu sprechen: »Die spektakuläre Aktion am Brandenburger Tor hätte kaum an Schlagkraft gewonnen, wenn die Leute dort stundenlang ausgeharrt hätten.« In diesem Zusammenhang nimmt er bewusst Bezug auf die »geistige Kraft der Neuen Rechten«, Götz Kubitschek und das von ihm maßgeblich mitgegründete und vorangetriebene Institut für Staatspolitik (IfS). Ohne das Werk zu erwähnen, zitiert Sellner aus Kubitscheks : »Denn daran muß sich der Provokateur messen lassen: Was nicht in den Medien war, ist aus der Welt, hat nicht stattgefunden, nicht verfangen. Für die stille Bildungsarbeit mögen andere Gesetze gelten: Provokationen leben von der Wahrnehmung, denn ihr Ziel ist, eine Reaktion (und sei es nur die Verblüffung) hervorzurufen.« In führt Kubitschek 2007 aus: »Wahrgenommen wird das Unerwartete, wahrgenommen wird der gezielte Regelverstoß, wahrgenommen, zwingend wahrgenommen wird die bewußte oder unbewußte Verletzung des Regelwerks der Harmlosigkeit, das die derzeitige deutsche, nur scheinbar nach allen Seiten offene Herrschaftsstruktur absichert und bewehrt.«
Die Provokation durch Aktionen suchte Kubtischek selbst mit der Konservativ-Subversiven Aktion (KSA). Mit der Namenswahl lehnte sich die KSA an die Gruppe Subversive Aktion an, die in den 1960er Jahren aus der Kommune I hervorgegangen war. Das kurzlebige Projekt, mitgetragen von Felix Menzel, Gründer der , und Martin Lichtmesz, Publizist der Neuen Rechten, versuchte 2008 und 2009 mit Störaktionen Resonanz und Debatten zu erzielen. Eine Aktion war: Bei der Premiere der Vorstellung des autobiografischen Buches von Günter Grass am 30. August 2008 im Hamburger Thalia Theater entrollten sie vor der Bühne ein Transparent: »www.ungebeten.de grüßt die moralische Instanz Günther (sic!) Grass, Vatti ist immer dabei«. Kaum stand Grass am Pult, forderte Kubitschek lautstark ein Ende der »Nebelkerzenprosa« – denn so bezeichnete die KSA Grass’ Literatur, nachdem er 2006...