Späth Drei Vögel im Rosenbusch
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-85787-571-7
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Eine Erzählung
E-Book, Deutsch, 136 Seiten
ISBN: 978-3-85787-571-7
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
An einem heißen Sommertag in Barbarswila begegnet ein Schriftsteller der stadtbekannten Mademoiselle Hoggh, die ihn nötigt, sie nach Hause zu begleiten, denn sie habe ihm eine exklusive Story zu erzählen. Im Salon des herrschaftlichen Altstadthauses »Allhier Zum Blühenden Rosenbusch« beginnt MarieRose, ein Puzzle verschiedenster Episoden aus einer sehr eigenwilligen, weitverzweigten Familiengeschichte vor ihm auszubreiten. Fasziniert folgt der Autor ihren Ausführungen und wird zusehends selbst in das Geschehen einbezogen. So besucht er an sechs Nachmittagen die gastfreundliche Mademoiselle und notiert die höchst unterhaltsame und spannende Saga der Handwerkerfamilie Hoggh, die sich über vier Generationen erstreckt. Im Zentrum der Geschehnisse steht Ernst, der Bruder der Mademoiselle. Der ehemalige Lehrling von Sprengmeister Steinfels hegt wegen verschiedener bitterer Erfahrungen großen Groll gegen politische Gremien, Behörden und Beamte seines Landes. Er träumt den »verrückten Traum mit der Riesenexplosion« und möchte auf seine Weise wieder allgemein Respekt herstellen. Gerold Späth hat eine facettenreiche, unterhaltsame und phantasievolle Geschichte voller Überraschungen und eigenwilliger Figuren komponiert. In seiner unverwechselbaren reichen Sprache entsteht in knapper, kunstvoller Form eine sehr anregende, vergnügliche und spannende Story.
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Der erste Nachmittag
Unsere stadtbekannte Madame Hoggh wallt an diesem heissen Sommertag in luftig flirrendem Vielfarbentuch als Paradiesvogel daher … – ich will mich grad vom Sternenplatz ins schmale Spiegeleiergässlein retten, da zwitschert sie mich schon von weitem an: Vivat qui venit, Mössiööö! Bekommen wir Sie endlich wieder mal zu sehen. Ah. Frau Hoggh. Schöner Tag heut. Fräulein Hoggh! Bitte sehr, mein Herr! Oder Mademoiselle, wenn’s beliebt, nicht wahr. – Und pflanzt in voller Pracht sich vor mich hin und flötet: Das sollten Sie doch wissen, mio caro Signor … Blitzaugen, Schwarzkirschenlippen, Damenmoustache, brandroter Seidenrosenkranz auf Florentiner Strohhut; die glanzschwarze Mähne eventuell eine Kunstfaserperücke – enormes Goldgehängsel blinkt daraus hervor, zieht der Mamsell die Ohrenläppchen lang – und mich umbranden Parfumschwälle: Moschus auf Ambra auf Muskat auf prallgebräuntem Décolleté … – nicht die simpelste Ausrede will mir einfallen diesmal; ich muss mich von ihr begurren lassen; aus nächster Nähe feuchtwarm mir ins Ohr: sie habe eine authentisch megaheisse Story fast so gut wie aufgeschrieben haargenau im Kopf parat … – Exklusiv für Sie, cher Monsieur! Oh, Fräulein Hoggh! Wie oft ich angehauen werde in der Stadt! Absolut einmalige Geschichten! Finsterste Machenschaften und Geheimgerüchte! Unsäglich perfide Hinterzimmerschwindel! Neustens auch an jeder zweiten Ecke Himmel, Hölle, Seelenheil! – Das habe ich ihr aber nicht gesagt. Höchstens auf ein kleines Viertelstündlein, Fräulein Hoggh. – Das habe ich zu ihr gesagt. Papperlapapp, mein lieber Sir! Ihr flaxigen jungen Herren immer im Stress! Courage! Nur keine Klemmungen! Avanti, Monsieur! Kommen Sie! Und hat mich einfach abgeschleppt … Im Hoggh’schen Altstadthaus Allhier Zum Blühenden Rosenbusch sandsteingraue schattige Kühle. Das Fräulein H – vermutlich üppig gestopfte Erbtante von abwegig fernen Verwandten – steigt auf breiter, höflich knarzender Eichenholzstiege hurtig hinauf in die Beletage: lange Galerie, gedrechselte Geländersäulen, dunkel glänzender Handlauf … Dann ein grosser Salon: die Sonnenfenster weit offen, Stuckdecke, holzgetäfelte Wände, Bilder – (knallfarbige Barbarswiler Seelandschaften) – Kommoden, eine hohe Vitrine, Tische, Stühle, Sessel, Sofa, viel Leder … Mein luftiger Living, sagt sie. Und wie Sie hier sehen, schwinge ich hie und da den stillen Pinsel. – Hingegen das früher obligate Höhere-Töchter-Klavier schlummere seit Jahrzehnten unbetastet in der sogenannten Weihnachtsstube; sie sei nie gross in Versuchung geraten, dem Klimperkasten an die Klaviatur zu gehen, spiele seit je lieber Grammophon und so weiter … Alsbald kommt für mich kühlgrün ein Fläschlein Räuschling daher. Das Fräulein Hoggh zieht unserem Fischwein Eistee vor, stark verdünnt mit weissem Rum; ihre Finger sind breit beringt, die Nägel punkpink lackiert; Mademoiselle hantiert flink mit Flasche und Glas. – Auf Ihr Wohl, Monsieur! Worauf sie Snacks hereinbalanciert – Petits Fours, Friandises – und mir von einem älteren Herrn erzählt, dem eines Morgens früh ein flash aufblitzt: Er gibt im Traum Feuer an die Zündschnur eines handlichen Dynamitpakets und schmeisst die funkenfauchende Lieferung mit wütigem Schwung in ein hohes Fenster … – und schreckt atemlos hoch! Seine explosive Post hat soeben den Palast der Landesregierung mit unglaublichem Donnerschlag in die Luft gejagt: Am Himmel ein riesiges Staubwolkengebrodel. Massenhaft trudeln Trümmer herab … Das ist es! denkt der aus Schlaf und Traum gesprengte ältere Herr: GENAU! DAS! IST! ES! Und jetzt, sagt das Fräulein Hoggh nach einem Schlücklein – am Glasrand rubinrot ihr Lippenstift – wenn Sie noch ein wenig Zeit haben, sofort kurz und bündig Kapitel zwei. Aschermittwoch vorbei. Kalter Fegewind stösst Wellen den See herauf. Am andern Ufer die graue March in dunkeldunstiger Ferne; vor den Hügelhängen ostwärts davonschleifende Nebelbänke und seit Tagen unaufhörlich RegenRegenRegen. Sie kennen das … Jetzt dunkler Morgen und eine menschenleere Gasse. Der ältere Herr duckt sich aus seinem Haus in die Nasskälte hinaus und unter einem schwarzen Schirm den Hauswänden entlang. Am Ende der Gasse sehen wir ihn im trüben Licht der Ecklaterne hinter dem herabflirrenden Regenvorhang verschwinden. – Soweit alles klar? Gut. Wenige Minuten später sitzt er in einem hell beleuchteten, stark überheizten Frühzug nach Zürich. Er ist unauffällig gekleidet, tipptopp, ganz Durchschnitt. Setzt eine billige Lesebrille auf seine Nase. Vertieft sich in eine von unsern Hochkaratgazetten voll Gratisklatsch: überall in aller Morgenfrühe auf den Bahnhöfen abzuholen, allgemein beliebt wie Kiffershit. Die Leute wollen Dreck, nicht wahr … Das Fräulein Hoggh nimmt wieder ein Schlücklein und lässt den unauffälligen alten Knaben im Zürcher Hauptbahnhof mitten im Morgengewühl zu einem Zeitungskiosk spazieren, dann zum bereitstehenden Schnellzug nach Bern, Freiburg, Lausanne, Genf. Er steigt ein, macht es sich bequem, blättert in einer Illustrierten. Der Zug fährt ab. Manchmal ein kurzer Blick ins vorbeisausende Land hinaus; am Fenster schräglaufende Wassersträhnen. Mit dem älteren Herrn reist eine Nachricht. Er hat die Buchstaben, manchmal ganze Wörter, mit spitzer Schere aus alten Zeitungen geschnipselt, mit einer Pinzette aufgeklaubt, dann auf Recyclingpapier geklebt. Und seine Post, ordentlich frankiert, wie es sich gehört, unmissverständlich adressiert: AN DIE SCHWINDEL-DEPARTEMENTE DER DIEBE-CRIMINELS-BANDITI DER SCHWEIZ-SUISSE-SVIZZERA 3000 BERN-BERNE-BERNA In Genève schiebt er sein Brieflein knappe drei Stunden später in der Bahnhofhalle in die erstbeste postgelbe Boîte aux Lettres der Entreprises des PTT Suisses. Worauf er Genf wenig später Genève sein lässt und die Bahnhöfe der Städte Lausanne, Fribourg, Bern, Zürich abermals flüchtig beehrt. In Zürich steigt er in den nach Barbarswil abgehenden Regionalzug und ist nach einer guten halben Stunde um Mitte Nachmittag wieder in der kleinen grauen Stadt am See; kurz drauf steht er vor seinem Haus, schüttelt die Regennässe aus dem Schirm, tritt ein und schliesst die Türe hinter sich. Und ich, sagt das Fräulein Hoggh, sehe mit Vergnügen, lieber Herr, dass Ihnen mein süffiger Räuschling zügig zusagt. Hab ich recht? Der in Genève eingeworfene Brief kommt am nächsten Vormittag in Bern mit mehreren anderen ungefähr um neun auf den Schreibtisch einer stressunempfindlichen Spezialistin für Postalisches mit auffälliger Adresse. Ungerührt liest sie von einer mit Sprengstoff gefüllten Wundertüte, die an einem bestimmten Ort im Untergrund eines gewissen Militärgebäudes gemütlich tickt. Und werde die Tüte die staatliche Immobilie unfehlbar pulverisieren, da es – ich zitiere, sagt das Fräulein Hoggh: Den dauerpfupfertierenden Milchbuben vom ewig leerlaufenden Landesverteidigungs-Circus kaum gelingen wird das scharfe Dingsbums in nützlicher Frist am Hochgehen zu hindern. Und seien die besagten mehrfach überbesoldeten Militär-Kinds-Köpfe gut beraten, ab Punkt zwölf Uhr Mittag die Pfoten von dem Dings zu lassen, sofern sie nicht die Freundlichkeit haben sollten, sich bei dieser ersten kleinen Knallprobe zu Gunsten von Land und Landsleuten für immer in die ewigen Abgründe zu beurlauben. Die Expertin für Spezielles liest den leicht schief und schräg zurechtgeklebten Schrieb ruhig Wort für Wort ein zweites Mal. Und beschliesst einzugreifen. Hierauf wird in Lausanne die zuständige Zentrale informiert. – Eigentlich alarmiert, sagt das Fräulein Hoggh. Ein paar Minuten später rasen Polizei und Feuerwehr von Vevey, La Tour-de-Peilz und Montreux in voller Montur in die Hügel über dem Genfersee. Vielleicht kennen Sie die Gegend. Steile Reblagen, stark terrassiert. Schmale Strassen. Diskrete Villen. Bäume. Büsche. Hecken. Rasen. Imposante Sicht auf den Lac Léman vor heroischer Bergkulisse. An diesem Tag aber noch immer graues Geschütte, unser fleissiger Landregen. Exactement wie im Genferbrief angegeben, finden die vorausgeschickten Polizisten in den Hügeln im Bunkerkeller eines leergeräumten alten Zeughäusleins eine einsame kleine Kiste. Worauf ein Schnelltransporter von Lausanne abrauscht. Nervös rotierendes Alarmlicht und rasende Sirenen. An Bord ein polizeilich leuchtfarbig und zwei militärisch tarnfarbig bemantelte Experten für Sprengstoffe aller Art. Ferner ein Robotgerät für Hochrisiko-Einsätze. Das gefährliche Dings wird mit grösster Vorsicht via enge Gänge und Treppen aus dem moderfeuchten Keller an den Tag gebracht. Hier vom Roboter behändigt, über ein oder zwei kurze Kilometer in einen schon lang aufgelassenen Steinbruch überführt und schon um zehn nach zehn geöffnet. Experten und eine zahlreiche Mannschaft beobachten den Vorgang aus gebotener Distanz. Und, was meinen Sie, Monsieur, was jetzt passiert? Kleine stille Pause. Nichts, sagt sie. Aber die Spezialisten erfassen per Monitor und Feldstecher, dass das Kistlein satt vollgepackt ist mit Dynamitstangen, alle sauber eingewickelt in Blätter aus der Klatschpresse. Man animiert das...