Spaemann | Meditationen eines Christen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 295 Seiten

Spaemann Meditationen eines Christen

Eine Auswahl aus den Psalmen 52-150

E-Book, Deutsch, 295 Seiten

ISBN: 978-3-608-10948-1
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die freundliche Aufnahme für die ersten Psalmen-Meditationen reicht von Laien über Fachgelehrte, von Katholiken und Protestanten über Alttestamentler bis zu Papst Benedikt XVI. Hier folgt nun ein zweiter, letzter Band, in dem Robert Spaemann eine Auswahl unter den restlichen 99 Psalmen getroffen hat.

Über Jahrzehnte hinweg hat der Philosoph Robert Spaemann über die Psalmen nachgedacht. Es handelt sich dabei um keine Konkurrenz zu wissenschaftlichen Kommentaren, die Verständnis und Sinn dieser 2500 Jahre alten Texte durch ihre Entstehungsbedingungen erschließen wollen. Die 'Meditationen' sind das Ergebnis einer christlichen Lektüre des Psalters, wie sie im Neuen Testament entfaltet wird: Jesus bezieht immer wieder die alttestamentlichen messianischen Texte auf sich. Die Kirchenväter haben die Psalmen so gelesen und die vorliegenden 'Meditationen' sollten in dieser hermeneutischen Tradition gelesen werden. Augustinus nennt David, den er für den Verfasser der Psalmen hält, immer 'den Propheten'. Diese Lektüre erlaubt es dem christlichen Leser, sich die Texte unmittelbar meditierend und betend anzueignen.
Spaemann Meditationen eines Christen jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


PSALM 65
1 [Für den Chormeister. Ein Psalm Davids. Ein Lied.] 2 Dir gebührt Lobgesang, Gott, auf dem Zion, dir erfüllt man Gelübde. 3 Du erhörst die Gebete. Alle Menschen kommen zu dir 4 unter der Last ihrer Sünden. Unsere Schuld ist zu groß für uns, du wirst sie vergeben. 5 Wohl denen, die du erwählst und in deine Nähe holst, die in den Vorhöfen deines Heiligtums wohnen. Wir wollen uns am Gut deines Hauses sättigen, am Gut deines Tempels. 6 Du vollbringst erstaunliche Taten, erhörst uns in Treue, du Gott unsres Heiles, du Zuversicht aller Enden der Erde und der fernsten Gestade. 7 Du gründest die Berge in deiner Kraft, du gürtest dich mit Stärke. 8 Du stillst das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wogen, das Tosen der Völker. 9 Alle, die an den Enden der Erde wohnen, erschauern vor deinen Zeichen; Ost und West erfüllst du mit Jubel. 10 Du sorgst für das Land und tränkst es; du überschüttest es mit Reichtum. Der Bach Gottes ist reichlich gefüllt, du schaffst ihnen Korn; so ordnest du alles. 11 Du tränkst die Furchen, ebnest die Schollen, machst sie weich durch Regen, segnest ihre Gewächse. 12 Du krönst das Jahr mit deiner Güte, deinen Spuren folgt Überfluss. 13 In der Steppe prangen die Auen, die Höhen umgürten sich mit Jubel. 14 Die Weiden schmücken sich mit Herden, die Täler hüllen sich in Korn. Sie jauchzen und singen. Du krönst das Jahr mit deiner Huld – dieser Vers 12 könnte als Leitmotiv über dem Psalm stehen, einem Lobgesang auf dem Grunde des Erlebnisses von Fülle. Te decet hymnus, Deus, in Sion – so beginnt der Eingangspsalm (Ps 65, 2), dessen Anfang wir aus jedem Requiem im Ohr haben, im gregorianischen Rezitativ oder in Mozarts und Verdis Vertonung: »Dir gebührt Lobgesang.« Unser Gotteslob ist nicht ein Verdienst und nicht etwas, das wir aussprechen und feiern, wenn uns danach zumute ist. Und gerade bei einem Requiem ist uns ja in der Regel nicht danach zumute. Aber der Lobpreis ist unsere Schuldigkeit, einfach weil Gott Gott ist und unsere Existenz ein don gratuit – ein umsonst gegebenes Geschenk. »Gott hat uns alle gratis erschaffen«, schrieb ein neapolitanischer Straßenjunge in einem Schulaufsatz. Dank schuldet jeder Mensch Gott »ob seiner großen Herrlichkeit«. Aber es gibt einen konkreten Ort, der von Gott zum Ort des Dankes bestimmt ist und zu dem »die Völker« pilgern sollen: Zion, das heißt der Tempel in Jerusalem. Gott ist überall. Aber er erweist sich als absolute Freiheit dadurch, dass er in einer für uns nicht durchschaubaren Weise erwählt und verwirft. Das Volk, das er erwählt, wird aber nicht für sich selbst, sondern als Priestertum der Menschheit, als »priesterliches Volk« erwählt. Der Tempelkult ist die von Gott her sanktionierte Form des Gotteslobes, und Jesus selbst eifert für die Sakralität des Tempels. Aber seit der messianischen Zeit, die wir »jene Zeit« nennen, ist der privilegierte Ort des Kultes Jesus Christus, der vom »Tempel seines Leibes« (Joh 2, 21) spricht, den er nach seiner Zerstörung in drei Tagen wieder aufbauen will (Joh 2, 19). Nun wird nicht mehr in Jerusalem oder auf dem Berg Garizim angebetet, sondern »im Geist und in der Wahrheit« (Joh 4, 23 – 24), das heißt in Christus. Durch Ihn haben wir Zutritt zum Vater als dem »Erhörer der Gebete«, sowie dem Adressaten unserer Gelübde und ihrer Erfüllung. »Alles, um was ihr in Meinem Namen bittet, das wird Er euch geben« (Joh 15, 16), sagt der Herr. Und auch die Versprechen, die wir in der Form des Eides geben, können uns nur binden, wenn sie »in Jerusalem«, also in Ihm gegeben, also vereinbar mit Seinem Gebot sind. Christus tadelt die, die sich zum Beispiel von der Pflicht, für die Eltern zu sorgen, durch ein Gelübde dispensiert glauben. Diese Erfüllung geschieht nicht »in Seinem Namen«, nicht »in Zion«. Sie kann nicht zusammen mit dem »Lamm Gottes« auf der Opferschale liegen. (Vers 3 – 4) »Zu dir kommt alles Fleisch mit der Last seiner Sünden.« Auch dieser Vers steht am Beginn des Requiems: Ad te omnis caro veniet. – »Alles Fleisch«, nicht nur der Geist. Wenn Gott, wie der christliche Glaube lehrt, nicht nur Demiurg, nicht nur Gestalter aus einer ewigen Materie ist, sondern Schöpfer des Alls aus dem Nichts, dann hat nicht nur der ordnende Geist des Menschen mit Gott zu tun, nicht nur das Fleisch, das »Inkarnat«, wie die Maler sagen: sondern auch die Struktur, das Strukturierte, Tohu-wa-bohu (Gen 1, 2). Die Materie aber drängt zur Form. Sie ist dieses Drängen. Sie ist geschaffen im Blick auf die Form und im Blick auf die Auferstehung des Fleisches: Ad te omnes caro veniet. Aber diese Heimkehr des Fleisches zu seinem Schöpfer ist gehemmt. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Fleisch, das ist in der Sprache Christi und der Apostel der Begriff für das, was dem Geist Widerstand leistet. Die Menschen kommen zurück, aber mühsam, beladen mit der Last ihrer Sünden. Diese Last ist »zu groß«, und wir können sie nicht abwerfen. Wir können uns selbst nicht verzeihen. Niemand kann sich selbst verzeihen. Nur für Gott ist die Last nicht zu groß. »Wenn unser Herz uns anklagt«, schreibt der heilige Johannes in seinem ersten Brief, »so ist doch Gott größer als unser Herz, und er weiß alles.« (1 Joh 3, 20) Keine Sünde ist zu groß für Seine Vergebung. (Vers 5) Worin besteht die Vergebung? Sie besteht darin, uns »wohnen« zu lassen in Seiner Nähe. Nähe und Ferne sind die Grundverhältnisse alles Seienden zueinander und zu ihrem Ursprung. Absolute Ferne ist Nichtsein. Alles Seiende steht zueinander und zu seinem Ursprung in einem Verhältnis von »Ent-Fernung«. Wohnen dürfen in Gottes Nähe, ohne dass diese Nähe uns verbrennt, das ist Vergebung: Wohnen in den »Vorhöfen des Tempels«. Sich sättigen an Seinen Gütern. »Wo wohnst du?« (Joh 1, 38) ist die erste Frage des erstberufenen Apostels an den Herrn. Und die Antwort Jesu: »Komm und sieh.« Wo wohnt Er? »Wusstet ihr nicht«, so sagt der Zwölfjährige zu seinen Eltern, die ihn im Tempel wiederfinden, »dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?« (Lk 2, 49) Und am Ende seines irdischen Lebens sagt er zu den Seinen: »Ich gehe hin, um euch eine Wohnung zu bereiten, damit ihr auch seid, wo ich bin.« (Joh 14, 2) Sein, wo Er ist – das heißt im Innersten der Gottheit sein, eins mit dem ewigen Logos. (Vers 5) »Selig der, den du erwählt hast und in deine Nähe holst«, durch das Geschenk des Glaubens und der Taufe. »Sich sättigen am Gut deines Tempels« – das heißt sich sättigen am ewigen Wort Gottes in der Form des Wortes und in der des Sakraments. Niemand hat Gott je gesehen. Die Gotteserfahrung, die den Beter dieses Psalms inspiriert, ist Erfahrung der erstaunlichen und furchtbaren Taten Gottes. Es gibt zwei Weisen zu betrachten, was geschieht. Die eine Weise sieht alles, was geschieht, als zufälliges Resultat eines Parallelogramms von Kräften, als Ergebnis einer Interferenz von Kausalprozessen. Die andere Weise sieht, was geschieht, als Tat Gottes, als »Fügung«, und deshalb als Gegenstand des Staunens, der Dankbarkeit oder auch der Klage und der Ergebenheit. Das ist die Sicht des Gläubigen. Wer die Welt so sieht, sieht auch die Zukunft entsprechend, nämlich als Sphäre der Zuversicht, des Vertrauens und des Flehens. Das Flehen, die Bitte sind immer begleitet von dem »Dein Wille geschehe«. Aber der Beter betet doch auch um Harmonie seines Willens mit den göttlichen Fügungen. Je größer diese Harmonie, um so größer die Seligkeit. Die Zuversicht, die dieser Psalm ausdrückt, weitet sich ins Kosmische. (Vers 6) Sie ist »Zuversicht aller Enden der Erde und der fernsten Gestade«. Worauf stützt sich die Zuversicht und was erwartet sie? Was der Psalmist als Beispiele göttlicher Fügung aufzählt, sind keine spektakulären Ereignisse, sondern das Wunder der Normalität als Bedingung für das Leben. (Vers 7 – 11) Nicht die Blitze und Erdbeben, sondern die Stabilität der Berge; nicht das Brausen der Meere und das Toben der Völker, sondern die Stillung des Tobens, das Strömen der Wasser und des Regens, der den Boden weich macht, das Wachsen des Korns, die weidenden Herden. Also nicht die Wunder der Durchbrechung der Naturgesetze, sondern das größere Wunder ihrer andauernden Geltung, auf der wiederum das Wunder des Lebens beruht. Aristoteles, der die teleologische Interpretation des Lebens philosophisch grundgelegt hat, aber keine göttliche Vorsehung kennt, will deshalb keine teleologische Deutung des Wasserkreislaufs zulassen. Denn der Regen ist ja, so sagt er, ebenso Grund der Zerstörung des Getreides wie des Wachstums. (Physik II, 8) Thomas von Aquin widerspricht ihm, indem er den Unterschied zwischen dem »Normalen« und dem Außernormalen geltend macht. Dass es regelmäßig in gewissen Abständen regnet, ist die Bedingung für die Existenz von Leben. Dass aufgrund der gleichen Naturgesetzlichkeit immer wieder auch Getreide durch Unwetter zerstört wird, besitzt keinen...


Spaemann, Robert
Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg. Von 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an den Universitäten in Stuttgart, Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Robert Spaemann hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und war 2001 der Träger des Karl-Jaspers-Preises der Stadt und der Universität Heidelberg. Robert Spaemann, einer der führenden konservativen Philosophen im deutschsprachigen Raum, starb am 10. Dezember 2018.

Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg. Von 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an den Universitäten in Stuttgart, Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Robert Spaemann hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und war 2001 der Träger des Karl-Jaspers-Preises der Stadt und der Universität Heidelberg. Robert Spaemann, einer der führenden konservativen Philosophen im deutschsprachigen Raum, starb am 10. Dezember 2018.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.