E-Book, Deutsch, 68 Seiten
Sotscheck Der Name der Ente
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96947-026-8
Verlag: Schreibstark-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 68 Seiten
ISBN: 978-3-96947-026-8
Verlag: Schreibstark-Verlag
Format: EPUB
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Ralf Sotscheck ist Berliner, lebt aber seit 1985 auf der Grünen Insel und arbeitet als Korrespondent für taz, die tageszeitung und andere Medien.
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Der Name der Ente
Ich war ein dünnes Kind. Freunde und Bekannte, die mich damals noch nicht kannten, halten das für Fake News. Es stimmt aber. Ich war in Berlin-Lankwitz, wo ich aufwuchs, bekannt als der Knabe, hinter dem die Mutter mit einer Stulle herlief. Wenn ich unterwegs irgendetwas mit offenem Mund bestaunte, schob sie mir Brot hinein.
Etwas subtiler war der Trick mit dem Blechteller und den drei Enten. Die Vögel waren auf den Boden des Tellers aufgedruckt, und um sie zu sehen, musste ich den Brei aufessen. „Noch ein Löffel, und wir können Eulalie sehen“, ermutigte mich meine Mutter. Ein weiterer Löffel, und Genoveva würde auftauchen. Es klappte, bis ich überlief und den Brei wieder auskotzte, was meine Mutter in die Verzweiflung trieb.
Ich musste jeden Abend auf die Waage. Andere Eltern maßen das Wachstum ihrer Sprösslinge mit Strichen an der Wand, ich bekam einen Eintrag in die Wiegekarte, die eigentlich für Babys bis zum Alter von zwölf Monaten vorgesehen ist.
Neulich, beim Aufräumen, fiel mir der Blechteller wieder in die Hände. Er ist zwar etwas verrostet, und die Enten sind ziemlich verblasst, aber noch gut sichtbar. Eulalie und Genoveva erkannte ich sofort. Wie aber hieß die dritte Ente? Ich rief meine Mutter an. Sie ist inzwischen 95 Jahre alt, aber geistig fit. Euphrosine“, sagte sie wie aus der Pistole geschossen.
Wie ist sie bloß auf die Namen gekommen? „Eulalie“ heißt ein Gedicht von Edgar Alan Poe, Er hatte den Namen gewählt, weil er den Buchstaben L liebte. Seine Frauengestalten hießen Annabel Lee, Leonore, Ulalume. Genoveva hingegen, deren Name auf das walisische Gwenhwyfar zurückgeht, was „schönes Gesicht“ bedeutet, war eine heilige Jungfrau aus dem 5. Jahrhundert, sie ist Schutzpatronin von Paris.
Und „Euphrosine“ heißt eine Oper des französischen Komponisten Étienne Nicolas Méhul, sie wurde 1790 im Salle Favart in Paris uraufgeführt. Meine Mutter hatte damals mit Sicherheit noch nie von Poe oder Gwenhwyfar gehört, und von Méhul vermutlich bis heute nicht, was aber keine große Wissenslücke ist.
Ich rief sie erneut an und fragte nach. Ihr Vater, der Ingenieur bei einem großen Elektro-Unternehmen war und sich stets ordentlich mit Anzug und Fliege kleidete, habe ihr, als sie Kind war, Geschichten erzählt, in denen die drei Namen ständig vorkamen, sagte sie: „Und die Namen habe ich mir gemerkt.“ Ich kann von Glück sagen, dass ich nicht als Mädchen geboren wurde, da ich in dem Fall wohl einen Entennamen hätte.
Neulich habe ich meine Mutter wieder mal in Berlin besucht. Ihre Freude hielt sich in Grenzen. „Meine Güte, bist du dick“, jammerte sie. „Eines Tages wirst du platzen. Und wer kümmert sich dann um meine Angelegenheiten?“ Meine Ausrede, dass ich endlich meine Magersucht überwunden habe, ließ sie nicht gelten. Man kann es ihr einfach nicht recht machen.
Die Rückreise nach Irland am nächsten Tag heiterte mich keineswegs auf. Da es in aller Herrgottsfrühe losgehen sollte, gönnte ich mir ein Taxi zum Flughafen. Der wohl arabische Fahrer, mit dem Kopf ans Seitenfenster gelehnt, redete ununterbrochen. Aber nicht mit mir. Für ein Telefongespräch schien mir die Konversation zu einseitig. Betete er? Ich tat es jedenfalls in Anbetracht seines Fahrstils, zu dem ein ständiger Wechsel der Fahrspur, aggressives Auffahren und regelmäßiges Hupen gehörte.
Später bekam ich übrigens eine Nachricht von meinem irischen Kreditkarteninstitut. Man hatte die Zahlung für das Taxi verweigert, weil einem eifrigen Sachbearbeiter „die Sache komisch vorgekommen“ sei. Jetzt habe ich vermutlich einen arabischen Clan am Hals. Ich halte Sie auf dem Laufenden.
Wider Erwarten erreichten der Araber und ich den Berliner Flughafen unbeschadet. Es gibt genügend Geschichten über dessen teuflisches Design, und sie sind alle wahr. Taxis können am neuen Terminal 2 nicht halten, so dass man vom Terminal 1 zu einer zünftigen Wanderung über viele Treppen und lange Flure aufbrechen muss. Am Ende landete ich am selben Flugsteig wie ein Jahr zuvor, als man noch recht zügig im Terminal 1 abgefertigt wurde. Das erschien den Flughafenbetreibern offenbar zu komfortabel. Schließlich hatten sie einen schlechten Ruf zu verteidigen.
Was hingegen tadellos funktionierte, war der Seifenspender auf der Herrentoilette. Leider hielt der Sensor meinen achtlos hingeworfenen Mantel für eine Hand, so dass ich staunend mitansehen musste, wie mein Kleidungsstück gründlich eingeseift wurde.
Im Flugzeug saß eine ältere Blondine auf meinem Platz und wollte partout nicht weichen. Erst als ihr der Steward mit strengem Blick erklärte, dass sie den Gang-, und nicht den Fensterplatz gebucht hatte, machte sie mir unter Verwünschungen Platz. Der Mann in der Mitte war offenbar ein Kokser. Er zog sich alle 20 Sekunden die Maske von der Nase, schniefte, und setzte sie wieder auf.
Nachdem ich endlich in Dublin angekommen und nach einer knappen Stunde zu Hause war, machte ich es mir mit einem Gläschen Wein im Sessel gemütlich. Das Möbel ist ein Erbstück, die Fußraste lässt sich elektrisch ausfahren und die Rückenlehne absenken, so dass man fast wie in einem Bett liegt.
Dann fiel der Strom aus. Hatte der Fluch, mit dem mich die Blondine im Flugzeug belegt hatte, gewirkt? Jedenfalls ließ sich der Sessel ohne Strom nicht mehr in die Normalposition bringen. Ich saß fest. Als ich vorsichtig herausrutschen wollte, kippte der Sessel nach vorne und warf mich ab, so dass ich wie ein Maikäfer rücklings auf dem Boden landete. Ich bin dann einfach liegen geblieben und merkte mir das Datum, damit ich in den nächsten Jahren an diesem Tag gar nicht erst aufstehe und schon gar nicht irgendwo hinfliege.
Ohnehin ist Fliegen ein zweifelhaftes Vergnügen, und nicht nur wegen des Klimawandels. Ich bin erwachsen. Und das schon seit längerer Zeit. Das weiß auch Aer Lingus, die irische Fluglinie, denn bei Buchungen muss man nachweisen, dass man kein Kleinkind ist. Dennoch wird man so behandelt.
Ich wollte online einchecken, was angeblich ab 30 Stunden vor Abflug möglich ist. „Spare wertvolle Zeit“, tönte es von der Webseite, „es ist so einfach, und es ist so flink.“ Denkste. Sobald ich meine Buchungsnummer und meinen Namen eingegeben hatte, erschien die Nachricht: „Ups. Es ist etwas schiefgegangen.“ Kann man mit einem Unternehmen, das „Ups“ statt einer Erklärung liefert, eine ernsthafte Geschäftsbeziehung führen? Ich kontrollierte sicherheitshalber die Zeit – es waren 29 Stunden bis zum Flug.
Am Rand der Webseite ist ein Button für Feedback. Wenn man ihn anklickt, erscheint ein Feld für meinen schriftlichen Wutausbruch. Ob die Uhren bei Aer Lingus anders gehen, wollte ich wissen. Außerdem bat ich darum, nicht mehr angeupst zu werden. Aber liest das überhaupt jemand? Ob die Flugbegleiter auch „Ups“ sagen, wenn sie einem den Tomatensaft versehentlich aufs Hemd gießen? Und upsen die Piloten vor dem Absturz?
Eine Stunde später versuchte ich es nochmal. Wieder Ups. Ich klickte erneut auf den Feedback-Button, um noch einige Boshaftigkeiten hinterherzuschieben. Diesmal erschien die Nachricht: „Hmm. Wir haben Schwierigkeiten, die Seite zu finden.“ Hmm? Es ist deren eigene verdammte Webseite. Wenn sie nicht mal die finden konnten, dann stand es um meine Bordkarte erst recht schlecht.
Ich sei Vielflieger, aber bald bei einer anderen Fluglinie, drohte ich in einer Mail, die aber zurückkam, weil die Aer-Lingus-Adresse nicht für eingehende Mails eingerichtet ist. Da ich auf einer Insel lebe, komme ich leider nur per Flugzeug weg. Mit Schiffen kann ich nicht reisen, weil mir schon bei leichtem Seegang kotzübel wird.
Das Bonusprogramm für Vielflieger war mir bisher ein Rätsel, denn auch nach mehr als 30 Jahren auf der Insel habe ich noch nie irgendeine Vergünstigung bekommen. Dann berichtete eine Zeitung, dass beim Bonusprogramm von Aer Lingus keineswegs Punkte für die zurückgelegten Flugmeilen vergeben werden, sondern sie sind vom Ticketpreis abhängig. Da ich stets recht preiswert fliege, bin ich nie über die grüne Stufe hinausgekommen. Um es auf die silberne Stufe zu schaffen, müsste ich sechs Mal zum vollen Preis nach Amerika fliegen. Für die goldene Stufe ist vermutlich ein Flug zum Mond erforderlich.
Ein letzter Versuch, meiner Wut über die unerreichbare Bordkarte Ausdruck zu verleihen, war ein Forum von Aer-Lingus-Opfern. Ich bin nämlich nicht alleine. Gleich der erste Eintrag verbesserte meine Laune. Aer Lingus sei „so schlecht wie Ryanair“, schrieb ein Tom Boardman. „Aber wenigstens behandelt Ryanair seine Kunden ganz offen mit Verachtung.“
Aer Lingus hingegen bestraft die Kundschaft mit Verspottung. Ich hatte einen Flug nach Frankfurt gebucht und wollte einchecken. Das ging aber nicht. Ein roter Balken über meinen vermeintlichen Reisedaten verkündete, dass ich den Flug storniert hätte. Hatte ich aber gar nicht. Ich rief den Kundenservice – ein euphemistischer Tarnname – an und landete in einer Warteschleife. Dabei hatte ich den Hinweis beachtet, die Zeit zwischen morgens und nachmittags wegen Überlastung zu meiden und versuchte es am frühen Abend, aber da hatten die meisten Mitarbeiter wohl bereits Feierabend.
Ich stellte das Telefon auf Lautsprecher und wurde mit grauenhafter Musik gequält, die wie eine Schellackplatte aus den dreißiger Jahren klang. Nebenbei kochte ich. Als ich nach 87 Minuten mein Dinner gerade appetitlich auf dem Teller angerichtet hatte, meldete sich eine Frau namens June, die offenbar in einer Blechtonne saß. Sie sprach kaum englisch, und so wäre die Unterhaltung beinahe schon zu Beginn gescheitert, weil sie die „three“ in meiner Buchungsnummer als Buchstaben „tee“ interpretierte und mir erklärte,...




