E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Reclams Universal-Bibliothek
E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-961905-7
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sophokles (496/496 v. Chr. in Kolonos - 406 v. Chr. in Athen) gehört neben Aischylos und Euripides zu den bedeutendsten Tragödiendichtern der Antike. Der Sohn eines Fabrikanten schrieb über 120 Stücke - von denen bis heute nur noch sieben vollständig erhalten sind - und ging im Wettstreit der Dramatiker 24 Mal als Sieger hervor. Aristoteles skizziert Sophokles in seiner 'Poetik' als einen Erneuerer des Theaters: Er führte den dritten Schauspieler ein, erweiterte den 12-köpfigen Chor auf 15 und nutzte als Erster gemalte Bühnenkulissen. Sophokles' berühmtes analytisches Drama 'König Ödipus' zeigt den im Dialog vollzogenen Erkenntnisprozess des gleichnamigen thebanischen Königs, der im Wissen über den selbst verübten Vatermord und die Heirat der eigenen Mutter endet. In 'Antigone' stürzt der Konflikt zwischen weltlichem und religiösem Recht die Protagonistin in ein Dilemma, das sie letzten Endes das Leben kostet. Einige heutige Interpreten erkennen in ihrem Widerstand gegen Kreon einen mutigen Akt zivilen Ungehorsams.
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1. Epeisodion (251–471)
CH. Ich bin, o Kind, im Eifer um dein Wohl wie um mein eigenes gekommen; ist jedoch mein Wort nicht richtig, gelte deines; denn wir folgen dir. EL. Wohl schäm ich mich, ihr Frauen, wenn ich euch mit meinen vielen Klagen gar zu ungestüm erscheine.255 Doch da Gewalt mich nötigt, dies zu tun, verzeiht! Wie sollt’ denn eine Frau von edler Art, die Leiden, die ihr Vater litt, vor Augen, anders handeln, wie ich sie immer Tag und Nacht weit eher blühen als hinwelken seh.260 Denn erstens ist der Umgang mit der Mutter, [17]die mich gebar, von schlimmstem Hass geprägt; dann lebe ich in meinem eignen Haus zusammen mit des Vaters Mördern, und von ihnen werde ich beherrscht, von ihnen hängt es ab, ob etwas ich bekomme oder darben muss.265 Und weiter: Was für Tage, meinst du wohl, verbringe ich, wenn ich Aigisthos sitzen sehe auf dem Thron, dem väterlichen, sehe ihn die gleichen Gewänder tragen, die er trug, und an dem Herde Trankopfer bringen, wo er ihn erschlagen hat,270 und seh – das Äußerste von alledem an Dreistigkeit! – den Mörder uns im Bett des Vaters mit der verworfnen Mutter – wenn denn »Mutter« man die soll nennen, die mit diesem schläft!274 Doch sie, so unverfroren, dass sie mit dem Mordbefleckten zusammenlebt und keine Rachegöttin scheut, nein, als ob sie sich lustig machte über das, was sie getan: Hat sie den Tag ermittelt, an dem damals sie meinen Vater tückisch hingemordet hat,279 führt sie an diesem Reigentänze auf und schlachtet Schafe zum Opfer allmonatlich für die Rettergötter. Doch ich, wenn ich es seh, ich Unglücksel’ge, wein im Gemach, schwind hin vor Gram, beklag dabei das Unglücksmahl, das nach dem Vater den Namen trägt – allein für mich allein! Denn auch zu weinen ist285 mir nicht erlaubt so viel, wie es mein Herz gelüstet. Sie nämlich, die angeblich edle Frau, deckt, ihre Stimm’ erhebend, mich mit schlimmer Schmähung ein: [18]»Du gottverhasste Ausgeburt, ist dir allein der Vater tot? Gibt es keinen andern Menschen, der in Trauer ist?290 Verrecke elend! Mögen nie vom jetz’gen Wehgeheul die Götter drunten dich befreien!« So kränkt sie hemmungslos, allein, wenn sie von jemand hört, Orestes werde kommen, rasend dann tritt sie zu mir und schreit: »Bist du nicht mir an diesem schuld?295 Ist dies nicht dein Werk, die aus meinen Armen Orestes du geraubt und heimlich weggebracht? Doch sei gewiss: Du wirst noch büßen, wie du es verdienst!« So bellt sie, und daneben steht und hetzt in gleicher Art wie sie ihr löblicher »Gemahl«,300 er, dieser Feigling durch und durch, der Schädling sondergleichen, der nur mit Weiberhilfe Schlachten schlägt. Ich aber, immer harrend, dass Orestes kommen wird, um alledem ein End’ zu setzen, geh zugrund in meiner Pein. Denn immer schiebt er’s vor sich her zu handeln und löscht so305 mir jede nahe oder ferne Hoffnung aus. In solcher Ausweglosigkeit, ihr Lieben, ist nicht Mäßigung, nicht ehrfurchtsvolle Scheu erlaubt: O nein, in schlimmer Lage kann man nicht anders, als auch Schlimmes zu verüben! §1. Doch sage, ist Aigisthos in der Nähe, während du310 so zu uns redest, oder ist er außer Haus? [19]EL. Ja klar! Denk ja nicht, wär er in der Näh, ich käme zur Tür hinaus! Jetzt aber weilt er auf dem Land. CH. So kann mit größerem Vertrauen ich mit dir mich unterhalten, wenn sich’s so damit verhält.315 EL. Da er jetzt fort ist, frage nur! Was ist’s, das dir beliebt? CH. So frage ich dich, was du von dem Bruder meinst: Kommt oder schiebt er es hinaus? Ich will es wissen. §1. Er sagt es, ja, doch sagt er’s auch, tut nichts von dem er, was er sagt.319 CH. Zu zaudern liebt der Mann, der sich an Großes wagt. EL. Doch ich hab ihn gerettet ohne Zaudern. CH. Mut! Edel ist er, so, dass er den Seinen hilft. EL. Ich bau darauf, denn sonst hätt ich nicht lange Zeit gelebt. CH. Sag jetzt nichts mehr! Ich sehe deine Schwester, Spross vom selben Vater, von derselben Mutter,325 Chrysothemis, aus dem Hause Totengaben in ihren Händen tragen, wie man sie nach Brauch den Untern weiht. CHR. (tritt aus dem Palast). Was denn für Reden kamst du an des Torwegs Ausgang nun wieder hier zu führen, Schwester, und willst auch nach so langer Zeit nicht lernen,330 sinnlosem Zorn nicht wirkungslos zu frönen? Indes, so viel ist mir bewusst, dass mich der jetz’ge Zustand quält, so dass, bekäme ich die Macht, ich zeigen wollte, wie ich denke über sie! Jetzt aber in der Not reff ich die Segel lieber,335 will nicht zu handeln scheinen, wo ich doch nicht schaden kann. [20]Ich wünschte, dass auch du dich so verhältst. Das Recht ist freilich nicht bei dem, was ich da sage, es ist bei deinem Urteil. Aber wenn ich frei soll leben, muss ich in allem hören auf die Mächtigen.340 EL. Empörend wirklich ist’s, dass du, die Tochter deines Vaters, ihn vergisst und nur zu deiner Mutter hältst. Denn all die Vorhaltungen, welche du mir machst, hat sie dir beigebracht, und aus dir selber sagst du nichts. So wähle eins von beiden: Ob du unklug sein,345 ob klug und deiner Lieben nicht gedenken willst. Zwar sagst du eben: Fändest du die Kraft, du wolltest deinen Hass auf sie wohl offenbaren; doch will um jeden Preis ich meinen Vater rächen, wirkst du nicht mit und hältst mich ab von meiner Tat.350 Gesellt sich so zu allen Übeln nicht noch Feigheit? Denn lehre du mich oder lern von mir, welch ein Gewinn mir würde, hörte ich mit meinen Klagen auf! Leb ich denn nicht? Zwar schlimm, ich weiß, jedoch genügt es mir. Die aber kränke ich, so dass ich den Verstorbenen355 mit Ehren würdige – falls dort es einen Sinn für Ehren gibt. Doch du, du meine »Hasserin«, du hassest nur dem Wort nach, in der Tat jedoch spannst du zusammen mit des Vaters Mördern. Ich freilich würde nie, und böte einer mir359 die dir bescherten Gaben an, mit denen du jetzt prunkst, mich denen unterwerfen. Aber dir sei reich der Tisch bestellt, dein Leben ström’ im Überfluss dahin! Dass ich mich selber nicht betrübe, dieses Wissen sei [21]allein mir Nahrung. Deine Vorzugsstellung reizt mich nicht. Noch wärest du erpicht darauf, wärst du besonnen. Aber jetzt, da dir365 es freigestellt, des allerbesten Vaters Kind zu heißen, sei du geheißen nach der Mutter! So erweist du dann den meisten dich als schlecht, hast du den toten Vater doch verraten und die Deinen! CH. Ja nichts im Zorne, bei den Göttern! Denn es liegt in eurer beider Reden Gewinn, wenn du nur lernen wolltest,370 dich ihrer zu bedienen und der deinen sie. CHR. Ich für mein Teil, ihr Frauen, bin ganz gut vertraut mit ihren Reden und hätt nichts davon erwähnt, wenn ich nicht wüsste, dass sehr großes Unheil sie bedroht, das ihre langen Klagen enden soll.375 EL. So sprich’s denn aus, das Schreckliche! Denn wenn du größre Not mir nennen kannst als diese hier, verzicht ich fortan auf das Widerwort. CHR. So will ich dir denn alles sagen, was ich weiß. Sie haben vor, stellst du nicht ein dein Wehgeschrei, dorthin dich zu verschicken, wo du niemals mehr380 der Sonne Licht erblicken sollst, nein, lebend in gewölbter Gruft, entrückt der Heimat, Klagearien singen magst. Bedenke dies und laste später nie das Leid mir an, das du erlitten! Denn Vernunft tut nunmehr not! §1. Mir dieses anzutun ist also ihr Beschluss?385 CHR. Gewiss, sobald Aigisthos heimgekommen ist. EL. Ist’s weiter nichts, so komme er in Eile her! [22]CHR. Was wünschtest du, Unselge, da auf dich herab? EL. Dass er nur komme, wenn dergleichen er zu tun gedenkt. §1. Damit dir was geschieht? Wo steht dir nur der...