E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Sophie und Karl Binding Stiftung / Muggli / Frey Ist der Föderalismus an der Zersiedelung schuld?
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-03823-934-5
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Pilotstudie und Thesen
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-03823-934-5
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Diese Studie untersucht in einem interdisziplinären Ansatz, ob die schweizerische Form von Föderalismus und direkter Demokratie die Zersiedelung fördert. Der Jurist und Raumplanungsexperte Rudolf Muggli stellt die Zersiedelung in einen staatspolitischen Kontext. Er wägt Chancen und Risiken des Föderalismus und des demokratischen Systems gegeneinander ab. Nachholbedarf ortet er bei der rechtsstaatlichen Kontrolle in der Raumplanung. Die Studie schliesst mit Vorschlägen für konkrete, praktische Massnahmen gegen die Zersiedelung.
Ein Expertenkreis von namhaften Juristen, Politologen und Volkswirtschaftlern erarbeitete ergänzende Thesen, die von Prof. Dr. René L. Frey redigiert wurden. So wird die Studie zu einer lohnenswerten Lektüre für Praktiker in Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
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ZUSAMMENFASSUNG ADie Studie untersucht in einem interdisziplinären Ansatz, ob die schweizerische Form von Föderalismus und direkter Demokratie die Zersiedelung fördert. Sie ist aus einem von der Sophie und Karl Binding Stiftung ins Leben gerufenen informellen Arbeitskreis von Juristen, Politologen und Volkswirtschaftern hervorgegangen. ............... A 1Angesichts überall emporwachsender Neubausiedlungen wird immer häufiger über die nachteiligen Auswirkungen der Zersiedelung geklagt. Viele vermuten, der in der Raumplanung ausgeprägte Föderalismus und die direkte Demokratie seien daran schuld. Die Gemeinden würden auch dann weiter einzonen, wenn sie noch grosse Bauzonenreserven besässen. ............... A 2Die Frage der Pilotstudie lautet darum: Lässt sich die Vermutung bestätigen, dass in der Schweiz direkte Demokratie und Föderalismus die Zersiedelung und den Bodenverbrauch fördern? BIn einem ersten Teil geht die Pilotstudie dem Begriff sowie den Ursachen und Folgen der Zersiedelung nach. ............... B 1Zersiedelung ist kein eindeutiger Begriff. Angesprochen werden das Siedlungswachstum, die Siedlungsausdehnung und die Siedlungsstreuung, aber auch das Fehlen von Planungsstrategien. Erst seit wenigen Jahren haben sich das Nationale Forschungsprogramm NFP 54 sowie seine bei der Eidgenössischen Technischen Hochschule (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL) angesiedelten Nachfolgeprojekte vertieft mit der Definition und den Messgrössen der Zersiedelung befasst. Zersiedelung wird in der Pilotstudie verstanden als ungeplantes, ressourcenintensives Siedlungs- und Infrastrukturwachstum, das keinem nachhaltigen Konzept folgt. Siedlungswachstum allein ist also noch keine Zersiedelung. ............... B 2Die Ursachen der Zersiedelung sind vielfältig: Sie reichen vom raschen Bevölkerungswachstum über die angeblich ineffiziente Raumplanung bis hin zu ökonomischen Zwängen. Ihre heute sichtbaren Folgen äussern sich beispielsweise in unnötig hohem Bodenverbrauch (annähernd 1 m2 pro Sekunde), Verlust der landwirtschaftlich produktivsten Böden, vielfältigen ökologischen Beeinträchtigungen und in teuren Siedlungsinfrastrukturen. ............... B 3Der Boden ist eine der knappsten Ressourcen der Schweiz. Die Zersiedelung stellt daher für das Land eine grosse Herausforderung dar. Sie widerspricht dem Verfassungsauftrag der haushälterischen Bodennutzung und der geordneten Besiedelung (Art. 75 der Bundesverfassung). Trotzdem sind die Signale des Bundesgesetzgebers widersprüchlich: Einerseits will er eine stärkere Raumplanung, andererseits fördert er mit zusätzlichen Ausnahmen beim Bauverbot ausserhalb der Bauzonen die Zersiedelung. Auch zahlreiche Subventionen wie etwa beim Verkehr stützen die Zersiedelungstendenzen. CIn einem zweiten Teil werden die Auswirkungen der spezifisch schweizerischen Ausprägung des Föderalismus auf die Raumplanung und die Zersiedelung untersucht. ............... C 1Der schweizerische Föderalismus ist über lange Zeit historisch gewachsen. Immer ging es um Machtteilung zwischen Stadt und Land, zwischen wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Regionen. Der Föderalismus wollte der Tatsache Rechnung tragen, dass unter den Kantonen bedeutende kulturelle, territoriale und wirtschaftliche Unterschiede bestehen. ............... C 2Das erste schweizerische Raumplanungsgesetz aus dem Jahr 1979 war ein Musterbeispiel eines föderalistischen Kompromisses. Es erlaubte eine Anknüpfung an regionale und kulturelle Besonderheiten. Ferner bot es Raum für Konkurrenz und Innovation: Erfolgreiche Planungsmodelle wurden nach und nach von anderen übernommen. Auch die direktdemokratische Beteiligung bleibt eine Stärke: Die lokale Entscheidungszuständigkeit bei Zonenplänen erlaubt in den meisten Kantonen die Einbindung der Meinung der Bevölkerungsmehrheit. ............... C 3Seit 1950 haben wir mehr gebaut als alle Generationen zuvor. Heute zeigen sich die Nachteile eines föderalistischen Raumplanungsgesetzes: Die Vollzugsdefizite springen ins Auge, und mit Recht wird der Nichtvollzug selbst elementarer Regeln kritisiert: Viel zu grosse Bauzonen und ein verschwenderischer Umgang mit den besten Böden sind die Folgen dieser Fehlentwicklungen. ............... C 4Der Föderalismus bleibt in der Raumplanung wichtig: Die Spielräume für Konkurrenz und Innovation erscheinen unverzichtbar. Er darf indessen nicht länger Vorwand für den Nichtvollzug von grundlegenden Entscheidungen des Bundesstaates sein. Das im Jahr 2014 in Kraft tretende revidierte Raumplanungsgesetz wird hoffentlich der Zersiedelung entgegenwirken. Zudem stimmen die föderalistischen Grenzen nicht mehr: Nicht bloss werden die Kompetenzen des Bundes bei Grossinfrastrukturen (Autobahnen, Eisenbahnen, Flughäfen usw.) im Raum immer deutlicher spürbar. Auch die Kantons- und Gemeindegrenzen aus dem 19. Jahrhundert haben nicht mehr viel mit der von Mobilität geprägten Lebensrealität zu tun. DIm dritten Teil werden die Leistungen und Probleme der Demokratie in der Raumplanung untersucht. ............... D 1Die Schweiz kennt eine über lange Zeiträume hinweg optimierte Demokratieform («halbdirekte Konsensdemokratie»). Sie bietet hohe Beteiligungschancen und grosse politische Stabilität. Initiative und Referendum leisten in der Raumplanung gute Dienste – dies auch gegen jene Kräfte, welche die Zersiedelung fördern. ............... D 2Fehlentwicklungen in der Raumplanung können nicht der direkten Demokratie in den Gemeinden angelastet werden. Zwar dominieren gelegentlich die kurzfristigen, von finanzstarken und referendumsfähigen Gruppen vorgebrachten Interessen. Doch ist das nicht immer der Fall – zahlreiche langfristig ausgerichtete Entscheide des Souveräns haben die schweizerische Raumplanung geprägt. ............... D 3Direkte Demokratie begrenzt zudem die Macht einzelner Gruppen wirkungsvoll, fördert breit akzeptierte Lösungen und kann oft Blockaden von mächtigen Interessengruppen überwinden. Das ist auch in der Raumplanung entscheidend. Kantone mit viel direkter Demokratie in der Raumplanung stehen in der Zersiedelungsfrage keineswegs schlechter da als die anderen. EDer vierte Teil zeigt, wie das auf föderalistischen Organisationsformen und demokratisch zustande gekommenen Entscheiden beruhende staatliche Handeln in der Raumplanung rechtsstaatlich gesichert wird. ............... E 1Föderalismus und Demokratie sind ohne leistungsfähigen Rechtsstaat undenkbar: Das Erfolgsmodell der westeuropäischen Verfassungsgeschichte ist eine über längere Zeit perfektionierte und kulturell breit verankerte Kombination von Demokratie, Föderalismus und gewaltenteiligem Rechtsstaat. Weil wir uns an ihre gute Funktion gewöhnt haben, geht die bewegte Geschichte bisweilen vergessen. ............... E 2Jedes staatliche Handeln bedarf der Kontrolle durch den Rechtsstaat. In der schweizerischen Raumplanung erscheint der Rechtsschutz jedoch besonders kompliziert, weil er an vielfältige föderalistische und demokratische Rücksichtnahmen gebunden ist. ............... E 3Die rechtsstaatlichen Regeln bringen die nötige Stabilität in die Raumplanung. Kontrolle und Aufsicht bleiben indessen unvollständig: Lücken sind oft politisch gewollt und föderalistischer Rücksichtnahme geschuldet. Das erweist sich angesichts der rasch fortschreitenden Zersiedelung als problematisch: Wenn niemand befugt ist, die Respektierung der öffentlichen Interessen vor Gericht einzufordern, verschärft dies das Vollzugsdefizit. Auch hier besteht Nachholbedarf. FIm letzten Teil werden die Ergebnisse diskutiert und Massnahmen vorgeschlagen. ............... F 1Die Pilotstudie kommt zum Schluss, dass weder der Föderalismus noch die halbdirekte Konsensdemokratie als unmittelbare Ursache für die Zersiedelung in der Schweiz betrachtet werden kann. Beide bieten zwar Spielräume für Fehlentwicklungen, sind aber ebenso offen für die der Zersiedelung entgegenwirkenden Kräfte. Föderalismus wie direkte Demokratie ermöglichen nicht bloss Vollzugsdefizite, sondern auch wichtige Innovationen. Föderalismus, Demokratie und Rechtsstaat bilden ein wirksames System gegenseitiger Kontrolle und Machtbegrenzung, das entscheidend zur Qualität der Raumplanung beiträgt. Trotzdem dürften angesichts der rasch fortschreitenden Zersiedelung Verbesserungen unabdingbar sein. ............... F 2Ein Problem ist die fehlende Übereinstimmung zwischen den politischen Handlungsräumen «Kanton» bzw. «Gemeinde» mit den tatsächlichen Aktionsräumen der Menschen. Es müssen Wege gefunden werden, damit die Bürgerinnen und Bürger vermehrt dort demokratisch mitentscheiden können, wo die raumplanerischen Auswirkungen ihres Handelns spürbar werden. ............... F 3Echter Föderalismus ist nur dann möglich, wenn die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften raumplanerischen Herausforderungen gewachsen sind. Kleingemeinden sind trotz grossem Einsatz engagierter Behördenmitglieder oft überfordert. Gemeindefusionen wären wohl der einfachste Weg zu mehr Leistungsfähigkeit. Bis dahin können auch geeignete regionale Zusammenarbeitsformen wie Agglomerationsprogramme...