Sommer | Fremdlinge im Paradies | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Sommer Fremdlinge im Paradies


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7844-8410-5
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-7844-8410-5
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nathan und Ana sind Fremdlinge von irgendwo. Sie haben einen heiklen Auftrag: die Einheimischen dieser – unserer – Welt zu verstehen. Wie leben und lieben sie? Wonach streben, worum streiten sie? Die beiden nehmen Menschengestalt an, um auf ihrer Mission nicht aufzufallen. Was sie auf ihrer Reise entdecken, befremdet sie. Warum verhungern Kinder auf diesem fruchtbaren Planeten? Warum töten sich Menschen wegen einer unsichtbaren Grenze? Warum prassen die einen, während andere im Elend vegetieren? Schon wollen sie aus Enttäuschung über die Menschheit ihre Expedition abbrechen, als sie auf Menschen stoßen, die auch nicht ganz "von dieser Welt" sind: eine im Verborgenen lebende Sippschaft, unfähig zu hassen oder zu herrschen, denen Besitz und Gier fremd sind. So schöpfen sie neue Hoffnung ... Andreas Sommer betrachtet uns Menschen in seinem neuen Roman mit den Augen von Aliens, die befremdet auf Abgründe und Absurditäten blicken, aber auch die Schönheiten und Chancen unserer Welt erkennen. Eine spannende, humorvolle und zugleich tiefernste Parabel über das Unmenschliche der Menschheit.

Sommer Fremdlinge im Paradies jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Glücksbringer I Weiser Rat! Erde nennen sie unseren Syranam, Sonne ihren ziemlich unbedeutenden Leitstern in jener Galaxie, die bei uns Ofra heißt, bei ihnen aber Milchstraße. Milch wiederum ist eine weißliche Flüssigkeit, die sie aus den Eutern von Kühen abzapfen. Anderthalb Milliarden dieser spendablen Tiere halten sie sich. (Das ergäbe einen lückenlosen Almauftrieb von der Erdkugel bis hinauf zu ihrem Mond, vierhunderttausend Kilometer entfernt, dabei jeweils sieben Kühe nebeneinander.) Eigentlich stellen Kühe diese Nährflüssigkeit für ihren Nachwuchs bloß einige Wochen bereit. Sobald das Jungtier nicht mehr an den Zitzen des Muttertieres saugt, versiegt die Fabrikation. Doch weil die Besiedler von Syranam Milch über alles lieben, überlisten sie ihre Kühe. Täglich zweimal massieren sie deren Zitzen. Das lässt die Kuh glauben, ihr Kälbchen benötige immer noch Muttermilch und ihre Milchdrüsen produzieren weiter. Täglich bis vierzig Liter holen Melker aus einer Kuh heraus. Die halb nackt durchs Zimmer streunende Ana schilderte mir diese Täuschung mit empörter Stimme: »Welch arglistiges Spiel mit dem Mutterinstinkt ist das denn!« Auf ihr Urteil ging ich nicht ein, weil ich über die Namensgebung der Galaxie nachsann. Was hatte die Flüssigkeit aus Eutern mit der sich verbrennenden Galaxie zu tun? Auch der Cognitar konnte keinen Zusammenhang herstellen. Nicht zum letzten Mal wurde mir bewusst, wie lückenhaft sein und damit unser Wissen war. Würde ich halt morgen unsere erste Gastgeberin fragen. Ich mochte Madame Céline. Herzlichkeit scheint ein Grundzug der menschlichen Psyche zu sein. Witwe war sie, Mitte siebzig und rundlich und wohl arm. Sie hatte Schalk in den Augen und den Kopf voller Löckchen in vergilbtem Weiß. Nun verbrachten wir unsere zweite Nacht auf Syranam in ihrem Schlafzimmer, während sie sich mit dem Sofa im Wohnzimmer begnügte. Vergeblich hatten wir uns gegen diese noble Geste gewehrt. Das gehe doch nicht! Sie hatte gelacht und uns mit der Autorität der Hausherrin ins Zimmer gescheucht: »Seit mein Eduard gestorben ist, geht hier alles nach meinem Kopf!« Ich lag bereits auf ihrem Bett und spürte den Schlaf kommen. Doch meine Begleiterin zog weiterhin ihre Runden um Ohrensessel und dreibeiniges Tischchen, vorbei an Kommode und Schrank. Nach dem brutheißen Tag war es im Zimmer immer noch sehr warm. Ana trug einzig das, was hier als Unterwäsche bezeichnet wird. Weibliche Sapiens tragen zwei Stück, männliche eines. Ihre Funktion war uns noch nicht klar. Den Duft im Zimmer identifizierte der Cognitar als Lavendel. Ana tourte und redete: Den Kühen würden jedes Jahr 800 Milliarden Liter abgezapft. Nicht alles werde getrunken. Auch festes Essen, als Käse oder Butter bezeichnet, würde daraus hergestellt. »Im Übrigen sind Kühe nicht die einzigen Nutztiere, die auf Syranam – pardon, der Erde gehalten werden. Auch anderthalb Milliarden Schafe gibt es. Davon verfressen sie die Hälfte. Den anderen scheren sie bloß die Wolle runter.« »Wozu?« »Um Kleider herzustellen.« »Sie kleben Schafhaare zu Kleidern zusammen?« »Konsultiere den Cognitar, Nathan! Ich weiß es nicht. Dafür das: Jedes Jahr verschlingen sie 140 Milliarden Kilo Hühnerfleisch!« Unwillkürlich suchte ich einen Vergleich, um mir diese ungeheure Zahl vorzustellen. Ich mochte rund siebzig Kilogramm wiegen. Das würde heißen … ich rechnete. Rund zwanzig Millionen Mal wurde das Gewicht meines Leibes verzehrt. Verblüfft oder erschreckt sah ich an mir herunter. Nackt auf dem Bett liegend hatte ich mir ein Kissen untergeschoben. So fiel mein Blick auch auf meinen Penis. Besonders gelungen war sein Design nicht. Ich hatte aber gelesen, dass er unterschiedliche Aggregatzustände annehmen konnte. So, wie er jetzt aussah, war er keine schmückende Beigabe. Ob der Evolution auf der Erde noch andere Fehlleistungen unterlaufen waren? Es schien mir auf einmal wahrscheinlicher. Die durch das Schlafgemach wandernde Ana bewarf mich weiterhin mit Wissen aus dem Cognitar. Insgesamt gab es über dreißig Milliarden Nutztiere auf diesem Planeten. »Jeder Sapiens hält sich also eine kleine Herde aus vier Nutztieren. Milchkuh, Mastgans, Wollschaf, Brathähnchen, Zuchtfisch und andere, die ihm gehören. Die er melkt, schert oder schluckt und verdaut.« Nutztiere? Ein treffendes, ehrliches Wort, dachte ich. Die Menschen standen also zu ihrem Verhalten. »Ist doch gut, Ana, dass sie ihr Tun nicht verbrämen. Dass sie Tiere benutzen, nennen sie offen beim Namen.« Da wir uns erst gestern, kurz nach Ankunft, in Sapiens changiert hatten, war ich noch ungeübt darin, Anas Mimik zu lesen. Doch ich täusche mich kaum, wenn ich sage: Sie blickte mich verächtlich an. Dieser neue Gesichtsausdruck löste in mir ein ebenso unbekanntes Gefühl aus, für das ich noch keinen Begriff hatte. Eine Zeit lang suchte ich danach, dann wurde der Drang zum Schlaf stärker. Ana hatte sich neben mich gelegt, ohne ihre Berichterstattung abzubrechen. Ich bekam noch mit, dass männliche Küken sofort geschreddert wurden. Weibliche konnten wählen, ob sie bald Fleischware werden oder lieber ein paar Jahre lang Eier rauspressen wollten, um erst danach in Suppen zu schwimmen. Mit dem Gedanken, dass diese Wahl widersinnig und das Schwimmen in Suppen makaber sei, schlief ich ein. II Selbstverständlich hatten wir uns bei der Ankunft sogleich den Siedlern dieses hübschen kleinen Planeten angepasst. Unsere Mission konnte nur gelingen, wenn wir nicht auffielen. Diese Changierung dauerte knapp zwei Stunden. Edam gab sich den Namen Ana, ich wechselte von Rama zu Nathan. Später erfuhr ich, dass einst ein Weiser diesen Namen getragen hatte. Allerdings war er ein erfundener Mensch. Ana hatte sich dem weiblichen Geschlecht angeschlossen, ich dem männlichen. Von den Schwierigkeiten, die wir uns damit einhandelten, wird noch die Rede sein. Jedenfalls besteht die Population von Syranam je zur Hälfte aus diesen beiden Geschlechtern. Der äußerliche Unterschied ist allenfalls amüsant, der innere dramatisch. Auch darüber wird zu berichten sein. Als Ana und Nathan begannen wir unsere Suche bei 43.44/3.78, Region Languedoc-Roussillon, in einem Dorf namens St. Anastasie. St. ist das Kürzel für Saint – heilig. Es bedeutet, dass etwas von göttlicher Qualität ist. Wir fanden nie heraus, nach welchen Kriterien dieses Attribut zugesprochen wird. Menschen tragen es ebenso wie Orte, Schriftstücke oder Knochensplitter. Vermutlich wird es willkürlich vergeben. Der Cognitar hatte uns dieses Dorf als »typisch für den Süden Frankreichs« empfohlen. Schön war ein weiträumiger sandiger Platz, beschattet von Platanen, unter denen Männer mit silbernen Kugeln auf ein hölzernes Kügelchen zielten. Ana brachte mich zum Lachen, weil sie das Werfen und Treffen als Fruchtbarkeitsritual interpretierte. Recht lange sollten wir noch zu solch vorschnellen Annahmen neigen. Mit den zwei neuen Vorwölbungen auf ihrer Brust sah Ana befremdlich aus. Wir skalierten uns auf die Sprache der Männer: Französisch. »Halt drauf, Gaston«, rief einer, »putz den René weg.« Sogleich prallte eine geschleuderte Silberkugel auf eine andere, die fortschnellte. Es geht also nicht bloß um das hölzerne Kügelchen, dachte ich, als ein Mann neben uns trat. Ob uns ein kühler Rosé genehm wäre, fragte er. Er stellte sich als Wirt des Bistros unter den Arkaden hinter uns heraus und wies uns ein Tischchen zu. Ob die Kugeln Namen hätten, fragte Ana ihn. Wie sie darauf käme? Weil doch der René soeben weggeschlagen worden sei. Das Glucksen und der zuckende Schnurrbart des Wirtes verrieten, dass ihre Vermutung falsch war. Um uns keine weitere Blöße zu geben, bestellten wir das vorgeschlagene Getränk namens Rosé Tavel. Doch inzwischen musste dem Wirt an Ana etwas aufgefallen sein. Jedenfalls musterte er sie, wobei er seine Augenbrauen hochzog (über den Augen platzierte Sicheln aus kurzen Haaren; seine waren sehr ausgeprägt). »Bestimmt spricht man sie häufig darauf an, Madame. Man könnte direkt meinen, sie seien unsere Milla Jovovich, so sehr gleichen sie der wunderbaren Actrice!« Und mich grinste er an: »Was für ein Glückspilz Sie sind, Monsieur! Immer haben Sie das perfekte Double an Ihrer Seite, sogar nachts!« Seine Sicheln waren noch höher gewandert. Wir verstanden nicht, worauf er anspielte, fragten aber aus Vorsicht nicht nach. Er ging das Getränk holen. Es mundete uns, und wie! Obwohl wir in den Monaten darauf Weine aus der ganzen Welt kennenlernen würden – dieser erste Schluck Erdenwein blieb der köstlichste. Wir haben uns später das Rezept besorgt, obwohl das provenzalische Terroir nicht leicht nachzumachen sein wird. Wir bestellten zwei weitere Gläser. Die Flüssigkeit musste eine berauschende Substanz enthalten, denn das bange Gefühl, das uns seit Ankunft besetzt hielt, wurde etwas erträglicher. Eigentlich war diese Mission zu groß für uns. Gewiss, man hatte Ana und mich vorbereitet. Als Blauen Planeten verstanden ihn seine Siedler. War das der Grund, weshalb sie das Grün auszurotten versuchten? Binnen weniger Jahre hatten sie hundert Millionen Hektar Urwald niedergemacht. Rund acht Milliarden Homo Sapiens bewohnten dieses Trabäntchen ihrer Sonne. Sie schienen es zu beherrschen, obwohl ihr Anteil am Gewicht allen Lebens – Bäumen,...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.