Sommer | Das Gewicht von Badeschaum | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Sommer Das Gewicht von Badeschaum


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95428-788-8
Verlag: Wellhöfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-95428-788-8
Verlag: Wellhöfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Katrin Sommer schreibt wunderschöne Texte, aus denen das Leben strahlt.
Ihre Gedichte sind von spielerischer Eleganz, ihre poetischen Erzählungen berühren.
Der Psyche ihrer Protagonisten kommt sie mit viel Einfühlungsvermögen, Zuneigung und feinem Humor ganz nah – kein Wunder, begleitet sie doch in ihrem Beruf als Psychologin und Psychotherapeutin immer wieder die verschiedensten Lebensentwürfe.
Das Buch ist die ideale Lektüre für eine Gedankenreise – sei es für einen kurzen Ausflug in das eigene Ich oder für einen längeren Aufenthalt in fremde Gefühls- und Gedankenwelten.
Der Erzählband wurde vom Literarischen Verein der Pfalz als Jahresgabe 2020 ausgewählt.

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FLUGÜBUNGEN Das Gewicht von Badeschaum Nick Farben ordne ich einem Gefühl oder einem Geschmack zu. Rot zum Beispiel ist Streicheln und wenn ich eine Gänsehaut bekomme. Ist es draußen heiß und ich tauche meine Hände in kaltes Wasser, dann bedeutet das Dunkelblau für mich. Ich stelle mir Pink vor, wie Sahne schmeckt. Manchmal empfinde ich Weiß, wenn der See zufriert und ich mit Mia auf dem Eis entlangrutsche, meist an ihrem Arm. Ab und zu reiße ich mich los und gleite allein; ein leichtes Vorankommen, schwerelos; auch wenn ich riskiere, auf die Nase zu fallen. Grün verkörpert den Geruch von Moos, wenn wir im Sommer im Wald unter einem Baum liegen und uns lieben. Im Sommer riecht das Moos viel mineralischer als im Herbst, dann wird es aromatisch, es erinnert mich an Mias Schoß, wenn ich sie dort küsse. Ich stelle mir Mias Schoß auch grün vor, obwohl sie immer lacht, wenn ich ihr das sage und sie darauf besteht, ihr Schamhaar sei braun. Mia trägt gern Schamhaar, sie findet es schöner, als ganz nackt zu sein. Eine gute Verpackung, meint sie. Braun stelle ich mir anders vor: wenn die Wange über Samt streicht. Kakao trinken ist auch braun. Die Konsistenz und der Geschmack von zähflüssigem, würzigem Tannenhonig auf meiner Zunge fühlt sich dunkelbraun an, besonders wenn man ihn ganz langsam im Mund zergehen lässt. Wie Tannenhonig gemacht wird? Läuse saugen den Tannensaft aus den Nadelspitzen und scheiden die überschüssige Süße wieder aus, die Bienen sammeln diesen Honigtau. Was für ein Euphemismus: Honigtau. Ich denke immer, es ist eine Art zuckriges Pipi. Die Bienen wandeln ihn in den würzigen Honig um. Der ist auf jeden Fall dunkelbraun. Ein warmes Schaumbad empfinde ich als gelb. Das Gewicht des Schaumes auf der offenen Hand ist hellblau. Mia meint, Schaum wiege nichts, aber das stimmt nicht. Dabei fühlt Mia sehr viel für einen Menschen, der sehen und hören kann, aber ich bin noch viel besser darin als sie. Taubblinde sind fast alle viel besser darin als die Hörenden und Sehenden. Ich habe mich aber schon oft gefragt, warum die sogenannten Normalen trotz ihrer vollständigen Sinneswahrnehmungen so vieles nicht bemerken. Vielleicht haben sie einfach zu viel zu verarbeiten? Jetzt zum Beispiel. Ich sitze mit Mia, meiner Assistentin plus, also zugleich Sexpartnerin ohne Verpflichtung, im Zug. Sie spricht mit mir in der Fingersprache. Es heißt Lormen und wir tasten uns die Wörter in die Hände. Ich antworte oft mit Gebärden, das kann Mia schneller verstehen. Wir benutzen auch die Worte sprechen, antworten oder sagen, weil Lormen oder Gebärden auch Sprachen sind. Eine ältere Frau teilt sich mit uns das Abteil. Bestimmt fünfzig oder sechzig, gibt mir Mia zu verstehen. Mir ist Alter ziemlich egal. Aber eines ist mir schnell klar: Sie hat Angst vor mir, wahrscheinlich weil ich behindert bin. Sie riecht nach Panik, besonders als sie mit mir allein ist. Mia muss nur kurz aufs Klo, da stößt sie schon eine Wolke Angstschweiß aus, wahrscheinlich Unsicherheit und Scham. Angstgeruch ist nicht immer gleich: Manchmal rieche ich Entsetzen, manchmal Angst zu versagen oder auch die Angst, die beim Lügen entsteht. Jeder Geruch ist aber letztendlich einzigartig, weil ja jeder Mensch auch aus einer einzigartigen Zusammensetzung besteht. Ich taste nach ihrer Hand. Sie lässt es geschehen. Dann streichle ich sie vorsichtig, ich mache das manchmal, meist sind die Menschen dann beruhigt. Aber hier ist es anders: Die Frau wird stocksteif. Ich streiche ihr einfach weiter aufmerksam über die von vielen Adern durchzogene Hand. Wie ein kleiner, müder Hamster fühlt sich diese welke Hand an. Dann tropft es auf mich. Die Frau weint. Das finde ich etwas seltsam, aber nicht schlimm. Ich öffne ihre Hand, sodass ich ihre Handinnenflächen spüren kann. Auch das lässt sie sich gefallen. Ihre Hand wird warm und strahlt Zärtlichkeit aus. Ich mag die Frau. Sie ist jetzt nicht mehr so angespannt, ihre Hände haben Leben bekommen und sie beginnen zu mir zu sprechen. Sie erzählen von einem Schutzbedürfnis. Diese Frau kann vermutlich sehr tief empfinden. Vielleicht lebt sie in einer Hülle? Weiter kann ich nicht mit ihr kommunizieren, weil Mia zurückkommt. Mia berührt mich sehr unsanft an der Schulter, das mag ich nicht und sie weiß das. Dann nimmt sie einfach meine Hand aus der Hamsterhand und schreibt mir kurz hinein: Ich finde es nervig, dass du die Leute befingerst. Ich glaube, du bist einfach eifersüchtig, taste ich in ihre Hand zurück. Lächerlich, kontert Mia, wir sind kein Paar und außerdem ist die Frau alt und sieht hässlich aus. Du weißt, dass mir Aussehen nicht so wichtig ist, sonst hätte ich mit dir keinen Sex, gebe ich wütend zurück, außerdem kann ich tun und lassen was ich will und brauche keine Nanny. Danke für die Komplimente, antwortet Mia zynisch. Dann lasse ich dich mal mit deiner neuen Freundin allein. Gleich sind wir in Göttingen, da steige ich aus und rauche eine. Ein schlechtes Zeichen, wenn Mia raucht. Sie ist meist gestresst, wenn sie qualmt. Wenn wir zusammen Zug fahren, gerät Mia leicht in eine überambitionierte Hütehundhaltung. Sie will mir ständig alles abnehmen und wird übertrieben fürsorglich. Diese Mischung macht sie unerträglich. Wir sind auf dem Weg von Hannover nach Karlsruhe. Göttingen ist die zweite Station auf der Strecke. Mia ist seit drei Jahren meine Assistentin, sie hat Kunst und etwas mit Medien studiert. Eigentlich dreht sie Kurzfilme. Nebenbei arbeitet sie als meine Assistentin, weil sie das Geld braucht. Außerdem betrachtet sie mich als Kunstwerk und dreht einen Film über mich, damit sie sich nicht ganz so weit von ihrem Schaffen entfernt, während sie mich begleitet. Ich war nicht immer taubblind. Taub schon. Aber blind wurde ich erst nach einem Unfall mit sechs Jahren. Ich war gerade in die Schule gekommen. Ich kann mich aber an nichts vor dem Unfall erinnern, mein Erinnerungsvermögen wurde zerstört in der Zeit, als ich im Koma lag und mein Hirn anschwoll wie ein Schwamm im Wasser. Durch den Druck im Kopf wurde schließlich auch mein Sehnerv zerquetscht. Ich bin abhängig, aber das stört mich nicht. Mia mag ich, sie ist ehrlich. Sie braucht mich ebenfalls. Wegen der Kohle. Wir leben in einer Symbiose. Wie Einsiedlerkrebse und Seeanemonen. Die Anemonen haften dem Gehäuse des Krebses an und bilden mit ihren gefährlichen Nesselfäden einen Schutzschild vor Feinden. Außerdem verspeisen sie die Essensreste des Krebses. Was mir einigermaßen Sorge bereitet: Große Seeanemonen können sogar einen Krebs verspeisen. Ich bin nämlich der Krebs, Mia die Anemone. Sie ist sehr schön. Sie fühlt sich weich an und sie riecht wie das anflutende Meer an einem stürmischen Tag. Ihr Herz schlägt aufgeregt, wenn wir uns umarmen. Das rührt mich. Ich gebe ihr Geld für den Sex. Ich bin eine Sozialnutte, sagt sie, aber der Sex mit dir gefällt mir. Es ist anständig von dir, mir Geld zu geben. Klar, erwidere ich, sonst gehst du vielleicht zu einem anderen, der noch mehr bezahlt, bei dem du dich aber nicht so wohlfühlst wie bei mir. Ich spüre ihr Lachen an ihren Körperbewegungen: ich höre mit dem Sex mir dir nur auf, wenn ich jemanden finde, den ich liebe. Außerdem bist du bereit, dich beim Sex filmen zu lassen für mein Projekt über dich. Das finde ich mutig, danke. Bitte! grinse ich zurück, weil ich vermute, dass auch sie grinst. Nein, mir ist es ernst, meint sie, ich finde es großartig, dass du mein Projekt unterstützt und dich in intimen Momenten zeigst. Behinderte leben nicht in einer sexfreien Zone oder sind allenfalls gut zum Kuscheln. Ich muss es mir ja nicht ansehen. Außerdem zeigst du dich auch, entgegne ich. Das ist etwas anderes, ich will berühmt werden mit dem Film und dem ganzen drumherum. Mia hat schon recht viele Sexszenen aufgenommen. Mal im Bad, mal in der Küche, einmal sogar im Aufzug. Sie hat genau wie ich viel Spaß dabei. Einen Freund hat sie zum Glück nicht, das wäre auch zu kompliziert, betont sie immer wieder. Jetzt bin ich mit der Frau allein im Abteil. Obwohl ich sie nicht sehe und nicht mehr ihre Hand halte, weiß ich doch, dass sie noch da ist. Ihr Geruch ist präsent, getrockneter Angstschweiß und etwas Fruchtig-Milchiges mischt sich darunter. Sie isst eine Banane. Auf einmal spüre ich eine glatte organische Oberfläche an meiner Hand. Ich fühle nach: Die Frau bietet mir eine Banane an. Ich nicke in ihre Richtung und greife zu. Bananen sind super! Sie haben die Form eines erigierten Penis und schmecken nach Lust. Mia sagt, ich würde zu viel an Sex denken. Das stimmt, aber ich finde es nur natürlich. Ich muss ein wenig lächeln, weil Mia jetzt sicher sagen würde, ich soll mir den geifernden Speichel wegwischen. Der Zug hält. Jetzt steigt Mia bestimmt aus und raucht. Sie raucht mir zuliebe Menthol-Zigaretten, damit es nicht ganz so scheußlich stinkt. Sonst riecht Mia wunderbar. Die ganze Mia duftet nach Flut und Brandung. Ich entdecke an ihr noch viel mehr Gerüche: Wenn sie ihr Haar gewaschen...



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