E-Book, Deutsch, Band 3, 224 Seiten
Reihe: Fred-Staub-Krimis
Solèr Staub im Schnee
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-89425-175-8
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fred Staubs dritter Fall
E-Book, Deutsch, Band 3, 224 Seiten
Reihe: Fred-Staub-Krimis
ISBN: 978-3-89425-175-8
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bissig und rasant: eine tote Glücksfee und ein zynischer Hauptmann.
Ives Schneider, Moderator und landesweit bekannte ›Glücksfee‹ der schweizerischen Zahlenlotterie, wird brutal ermordet. Die Gerüchteküche brodelt, der Kreis der Verdächtigen ist groß. Denn Schneider verkehrte nicht nur in der Zürcher Schwulenszene, sondern war auch bekannt für seine Kokain- und Spielsucht und befand sich in ernsten finanziellen Schwierigkeiten.
Fred Staub, Hauptmann der Zürcher Kantonspolizei, und sein Team können den Fall binnen kürzester Zeit als klassische Beziehungstat lösen. Die Öffentlichkeit ist voll des Lobes angesichts der raschen Aufklärung - nur Staub ist unzufrieden, ihm geht das Ganze eine Spur zu schnell. Zu Recht, wie sich herausstellt: Denn bei seinen Nachforschungen deckt er einen Skandal auf, der die ganze Nation erschüttert …
Die Glitzerwelt des Fernsehens, der Traum vom schnellen Geld und große menschliche Dramen - Fred Staubs dritter Fall hat alles, wovon Boulevardjournalisten träumen!
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Das Fernsehen
Strich blieb nach der PK unauffindbar, vermutlich hat er sich in irgendeinen Fresstempel verkrochen. Der Gourmandteufel möge ihn holen! Ich gondle mit Häberli zum Sendezentrum des Schweizer Fernsehens. Dessen Räumlichkeiten liegen weit draußen im Zürcher Industriegebiet, noch hinter den qualmenden Kaminen der Müllverbrennungsanlage Hagenholz. Längst ist es dunkel geworden. Der Schnee auf den Straßen ist nur noch rußgeschwängerter grauer Matsch, im besten Fall silbergrau oder zinkfarben, am Straßenrand bereits pechschwarz. »Jedes Volk hat das Fernsehen, das es verdient«, hustet Häberli plötzlich neben mir. Natürlich kann er es auch jetzt nicht lassen, eine seiner stinkenden Gauloises zu rauchen. »Spricht das nun für oder gegen uns?«, frage ich meinen Kollegen. »Weiß ich nicht. Ich habe keinen Fernseher«, sagt er. Ich schiele zu ihm rüber. Seine zerzauste Erscheinung nährt in mir gewisse Zweifel, ob er wirklich der richtige Begleiter für den Besuch einer Medienanstalt ist. Aber Michael und Bea sind beschäftigt und ich habe schließlich vor ein paar Stunden lauthals nach Häberli geschrien. Wir kommen kaum vorwärts auf dem Weg Richtung Oerlikon, alle paar Dutzend Meter steht wieder ein Auto mit Sommerreifen quer. Meine Gedanken schweifen weit ab. Zu Daktari, der Serie mit Clarence, dem schielenden Löwen, und dem umtriebigen Schimpansen Judy. Das ist das früheste Fernseherlebnis, an das ich mich erinnere. Mein Bruder und ich konnten es sonntags kaum erwarten. Wir fieberten der neuesten Folge vom frühen Morgen an entgegen wie ausgehungerte Eichhörnchen einer Schale Haselnüsse, stets in großer Angst, Vater wolle doch noch irgendeinen sinnlosen Ausflug mit uns unternehmen. Einen Ausflug, zu dessen Ehren wir läppische Krawättchen und weiße Hemden hätten anziehen müssen. Es war eine andere Zeit. Eine Zeit, in der es nur das Schweizer Fernsehen gab und sonst gar nichts. Gut, den Tessiner Kanal konnten wir auch noch empfangen und bei gutem Wetter eine flimmernde ARD. Aber letztlich sahen alle Menschen, die fernsahen, dasselbe und unterhielten sich am nächsten Tag darüber. Am Samstagabend ergoss sich der pausbäckige Oberspießer Kurt Felix über die Deutschschweiz und am Montag lief Flipper. Als wir größer wurden, räumte Francis Durbridge die Straßen. Das Messer. Ich habe keine Ahnung mehr, worum es in dem Mehrteiler ging. Aber ich weiß noch, dass er furchterregend war und es am Montag auf dem Pausenplatz nur zwei Kategorien von Kindern gab: die, die es gesehen hatten, und die Weicheier und Warmduscher. Heute können wir über Kabel rund vierzig Sender empfangen. Jeder erlebt sein eigenes, individuelles Fernseherlebnis und muss es mit niemandem teilen. Und kann es auch mit niemandem teilen. Außer mit seinen Familienangehörigen vielleicht, wobei das Erlebnis nur dann befriedigt, sofern man Herr über die Fernbedienung ist. Meine Frau Leonie und ich wechseln uns damit im Prinzip ab, wobei sie häufiger am Drücker ist, weil sie meist früher zu Hause eintrifft. Sie schwärmt für Arztserien, in denen scharfe Krankenschwestern knackige, junge Ärzte anhimmeln, die im Viertelstundentakt krebskranke Kinder heilen oder Querschnittgelähmte zu rassigen Tennisspielern zusammenflicken. Des Weiteren steht sie auf französische Autorenfilme, Reportagen aus der Tierwelt und Literatursendungen. Nichts davon interessiert mich. Bei einigen Informationsmagazinen des Schweizer Fernsehens werden wir uns noch am ehesten einig. Beim Kassensturz am Dienstag oder der Rundschau am Mittwoch. Schaffe ich es einmal, die Fernbedienung vor Leonie in die Hände zu bekommen, schalte ich nach der Tagesschau auf amerikanische oder, noch lieber, britische Komödien um. Sofern gerade dann welche im Angebot sind. Wenn nicht, kachle ich einfach durch die Kanäle, bis mir die Gehirngänge wackeln. Endlich erkenne ich das vertraute Signet unseres Fernsehens, rot leuchtet es uns von einem Hochhaus entgegen. Das Gelände ist von Maschendrahtzaun umsäumt, die zentrale Einfahrt abgeriegelt. Ich steuere den Volvo auf einen riesigen, naturbelassenen, holprig-dreckigen Parkplatz rund hundert Meter weiter und hieve mich aus dem Fahrzeug. Möwen kreischen vom Himmel, die Luft riecht modrig, die Temperatur ist im Laufe des Tages gestiegen und liegt nur noch knapp unter null. Häberli stupst mit der Spitze seines abgewetzten rechten Halbschuhs in eine Eisschicht, die eine gewaltige Pfütze bedeckt. Fasziniert beobachtet er, wie das Eis zersplittert und brauner Schlamm zwischen den Ritzen emporschießt. Dann zieht Häberli den Fuß blitzschnell zurück und zündet sich breit grinsend die nächste Zigarette an. Ich deute mit einer Kopfbewegung an, dass ich ihn für einen ziemlichen Kindskopf halte, und wir schlendern zurück zum Haupteingang. Ich erkenne zahlreiche graue Gebäude unterschiedlicher Größe, die sich um ein fünfzehnstöckiges Hochhaus tummeln. Irgendjemand hat mir einmal gesagt, hier draußen arbeiten tausendfünfhundert Leute. »An diesem Ort entstehen also all die tollen Sendungen«, sage ich zu Häberli. »Hm«, brummt er. »Hattest du denn früher mal einen Fernseher?« »Vor der Scheidung, Boss«, antwortet er. »Anschließend legte ich mir ein Aquarium zu.« Ich hätte es mir denken können. Das Portierhäuschen ist belagert von Journalisten anderer Medien, die sich umgehend auf uns stürzen, als sie uns erkennen. Ich drängle mich zwischen ihnen durch, als wären sie Luft, und mache dem Uniformierten hinter der Glasscheibe klar, dass wir erwartet werden. Er greift zum Hörer und bittet uns, kurz Platz zu nehmen, man hole uns gleich ab. Ich bekomme mit, wie sich einer der Journalisten lautstark über unsere Vorzugsbehandlung beschwert und ein anderer am Natel einen Kollegen beschimpft, der offenbar schon in den Innenbereich des Sendezentrums gelangen konnte. Eine untersetzte Brünette mit wallendem Haar und einem plüschigen, dunkelblauen Anzug schleust uns schließlich durch diverse Drehtüren zum Lift eines dreistöckigen Nebengebäudes. »Ressortleiter Tommy Schlatter erwartet Sie«, flötet sie uns zu. Wir fahren in den zweiten Stock und folgen der Frau durch einen öden, nach Plastik riechenden Gang, von dem acht Büros abgehen. Wir passieren eine Tür aus Milchglas, hinter der Toiletten und ein Treppenhaus liegen. Ich stehe kurz davor, die Brünette zu fragen, wohin sie uns denn führe. Aber sie wird schon wissen, was sie tut. Kein Mensch kreuzt unseren Weg, die Büros scheinen alle verwaist zu sein. Nochmals ein langer Gang. Graubraun gesprenkeltes Linoleum auf dem Boden, Wände aus beigefarbenen Kunststoffplatten. Alle zehn Meter ein in die Wand geschraubter, roter Aschenbecher, alle fünfzehn Meter eine nackte Neonröhre an der Decke, alle zwanzig Meter eine Glastür, alle dreißig Meter ein Feuerlöscher. Schritt Schneider jeden Tag durch diese öden Gänge? Wahrscheinlich konnte er direkt bis an das Gebäude heranfahren und einen anderen Eingang nehmen. Endlich sind wir am Ziel. Die Brünette schickt uns in ein geräumiges Büro, in dem drei Leute sitzen und unglücklich in die Welt schauen. Ein Vierter lehnt lässig am Fenstersims. »Dies hier sind die Herren Staub und Häberli von der Zürcher Kantonspolizei«, erläutert die Frau und huscht aus dem Raum im Vertrauen, dass sich die Fernsehleute schon noch selbst vorstellen werden. Wer der Chef ist, ist allerdings sofort klar: der massige Mann, der nachdenklich in seinem Stuhl hängt, einem blau überzogenen Ungetüm mit Armlehnen und Rollen. Der Mann zupft sein abgetragenes, hellgraues Jackett zurecht, fährt sich über sein glatt rasiertes, speckiges Doppelkinn, schüttelt seine grauen, unfrisierten Haare und lässt seinen Blick missmutig über uns gleiten. »Schlatter, Ressortchef Quiz und Spiele«, stellt er sich vor. »Dies hier sind die beiden Redaktoren der Sendung Coolrun: Monique von Weissenfluh und Peter Passen. Der Lange dort am Fenster ist Regisseur Victor Stucki. Wir haben Sie früher erwartet.« Ich betrachte mir die Leute etwas genauer. Monique von Weissenfluh ist auffallend hübsch: pechschwarze Haare, fein geschnittene Gesichtszüge, ein Lächeln zwischen Überlegenheit und Unschuld. Sie dürfte noch keine dreißig sein, trägt einen engen, grasgrünen Kaschmirpullover, einen ockergelb-grau karierten Rock und kniehohe, hellbraune Lederstiefel. Passen neben ihr sieht aus wie ein Lackaffe. Jedes Härchen sitzt perfekt und seinen Anzug muss er einer Waschmittelwerbung entliehen haben. Immerhin entdecke ich in seinem Allerweltsgesicht dunkle Augenringe, als litte er seit Monaten an schwerer Schlaflosigkeit. Der Regisseur auf dem Fenstersims sieht nicht viel munterer aus, seine x-förmigen Storchenbeine hängen an ihm wie tote Schläuche und das solariumgebräunte Gesicht ist schwer zerknittert. Die Brünette von vorhin kehrt zurück. Sie trägt ein Tablett herein, auf dem weiße Tassen, eine Thermoskanne sowie ein Rahmkrüglein und bunt bedruckte Zuckerbeutel liegen. »Bedienen Sie sich«, fordert uns Schlatter auf und deutet großmütig auf die Köstlichkeiten. »Darf man hier rauchen?«, fragt Häberli der Ordnung halber, während die Gauloise in seinem Mund bereits qualmt. Schlatter lässt über sein mächtiges Pult einen abgenutzten Aschenbecher in Richtung Häberli schlittern, während seine Augen kurz aufblitzen. Offenbar erwartet er, dass wir das Gespräch beginnen. »Yves Schneider«, sage ich, Schlatters Offerten komplett ignorierend. »Hatte der Mann Feinde?« Schlatters Mundwinkel zucken kurz...