Solnit | Hoffnung in der Dunkelheit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Solnit Hoffnung in der Dunkelheit

Unendliche Geschichten, wilde Möglichkeiten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7518-2061-5
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Unendliche Geschichten, wilde Möglichkeiten

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-7518-2061-5
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was die Zukunft bringt, können wir nicht sagen - stets liegt das, was vor uns liegt, im Ungewissen, also in der Dunkelheit, weil Zukunft immer schon das war, was wir daraus gemacht haben. Dieses Machen, das Tun, das Engagement und der kleine und große Aktivismus stehen im Zentrum dieses Essays, den Rebecca Solnit bereits vor fast zwanzig Jahren geschrieben hat - und der damit einem spezifischen historischen Moment entspringt, in dem vieles möglich schien. Dass sich nicht alles davon eingelöst hat, ist dabei kein Zeichen des Scheiterns oder Versagens. Denn wenn uns die Geschichte etwas lehrt, argumentiert Solnit, dann dass bisher noch jede Form des kollektiven Engagements Früchte getragen hat - wenn vielleicht auch andere als die ursprünglich angestrebten.  Es ist ihr prozessualer, schöpferischer und kreativer Politikbegriff, der Rebecca Solnits Essay gerade angesichts verhärteter Fronten wieder so ermutigend macht: weil es angesichts der komplexen Gegenwart mehr als einen Weg gibt, um durch unser Engagement die Zukunft zu gestalten. 

Rebecca Solnit, 1961 in den USA geboren, zog 17-jährig nach Paris und studierte später in Berkeley. Heute zählt sie zu den bedeutendsten Essayistinnen und Aktivistinnen der USA. Ihr Engagement gilt neben dem Umweltschutz insbesondere den Menschenrechten und dem Feminismus.
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Vorwort
Gründe zur Hoffnung (2015)


Deine Gegner wollen, dass du glaubst, alles sei hoffnungslos, du hättest keine Macht, es bestünde kein Handlungsbedarf, du könntest nicht gewinnen. Hoffnung ist eine Gabe, die du nicht hergeben musst, eine Kraft, die du nicht wegwerfen musst. Und obwohl Hoffnung eine Trotzreaktion sein kann, ist Trotz kein hinreichender Grund zum Hoffen. Doch es gibt gute Gründe.

Ich habe dieses Buch 2003 und Anfang 2004 als ein Plädoyer für die Hoffnung geschrieben. Was folgt, ist in gewisser Hinsicht ein Dokument seiner Zeit – es wurde gegen die enorme Verzweiflung geschrieben, die zu Beginn des Krieges im Irak herrschte, als die Bush-Administration auf dem Höhepunkt ihrer Macht war. Dieser Moment liegt lange zurück, doch Verzweiflung, Defätismus, Zynismus sowie die Geschichtsvergessenheit und die Annahmen, aus denen diese Einstellungen häufig erwachsen, haben sich nicht aufgelöst – nicht einmal, als sich absolut wilde, unvorstellbar fantastische Dinge ereigneten. Und zur Rechtfertigung dieser Haltungen ließe sich noch immer vieles vorbringen.

Mehr als ein Dutzend turbulente Jahre später glaube ich trotzdem, dass die Prämissen des Buches weiterhin gelten. Progressive, bürgernahe Graswurzelgruppierungen haben zahlreiche Siege errungen. Die kollektive Macht der Menschen ist weiterhin ein Katalysator für tiefgreifende Veränderungen. Und die Veränderungen, die wir erlebt haben, sind sowohl erfreulich als auch schrecklich. Die Welt von 2003 wurde hinweggefegt. Doch die Schäden, die sie angerichtet hat, klingen nach. Ihre Übereinkünfte und viele ihrer Ideologien haben allerdings Platz für neue gemacht – und darüber hinaus für eine grundlegende Veränderung dessen, wer wir sind, sowie der Art und Weise, wie wir uns selbst, die Welt und so viele Dinge in ihr vorstellen. Wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit, in der viele ungeahnt vitale Bewegungen entstanden sind, die nicht vorhersehbar waren. Gleichzeitig ist es eine albtraumhafte Zeit. Unser Engagement erfordert die Fähigkeit, beides erkennen zu können.

Im 21. Jahrhundert hat sich eine grauenhafte ökonomische Ungleichheit breitgemacht, möglicherweise aufgrund einer Geschichtsvergessenheit sowohl der Werktätigen, die eine Verschlechterung der Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen tolerieren, als auch der Eliten, die nicht mehr wissen, dass sie einige dieser Dinge in der Hoffnung zugestanden hatten, dadurch eine Revolution vermeiden zu können. Der Aufstieg des Silicon Valley als ein globales Machtzentrum hat zahllose Arbeitsplätze eliminiert und automatisiert und so die ökonomische Ungleichheit verstärkt. Er hat neue Eliten und monströse Unternehmen entstehen lassen: von Amazon mit seinen Angriffen auf das Verlagswesen, auf Autorinnen und Autoren sowie auf Arbeitsbedingungen allgemein, bis hin zu Google, das versucht, in unzähligen Bereichen ein globales Informationsmonopol aufzubauen, und dabei eine erschreckende Macht anhäuft, die sich ableitet aus der Erstellung detailreicher Profile der allermeisten Menschen, die Computer nutzen. Die großen Tech-Konzerne haben Möglichkeiten zur Überwachung geschaffen und angewandt, die sich der Kreml und das FBI auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht hätten träumen lassen – in Zusammenarbeit mit der Regierung, die das Ganze regulieren sollte. Der Angriff auf bürgerliche Freiheiten, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, dauert weiterhin an, lange, nachdem die während des globalen Krieges gegen den Terror vorgebrachten Rechtfertigungen verblasst sind.

Schlimmer noch ist die Wirkung des Klimawandels, schneller, heftiger und verheerender als von der Wissenschaft vorhergesagt.

Hoffnung bedeutet nicht, diese Realitäten zu leugnen. Sie bedeutet, sich ihnen zu stellen und mit ihnen auseinanderzusetzen, indem man sich daran erinnert, was das 21. Jahrhundert sonst noch gebracht hat: die Bewegungen, Helden, Heldinnen und Bewusstseinsänderungen, die diese Dinge jetzt angehen. Unter ihnen: Occupy Wall Street; Black Lives Matter; Idle No More und die Dreamers, die den DREAM-Act unterstützen, ein Dekret zum Schutz von Migrantenkindern; die Bemühungen um die Gleichstellung aller Ehen; das Wiederaufleben der Frauenbewegung; Bewegungen für ökonomische Gerechtigkeit, die sich dem Thema Mindestlohn widmen (und ihn häufig angehoben bekommen) und gegen die Schuldknechtschaft und die Studienkredit-Abzocke kämpfen; sowie eine lebendige Klima- und Klimagerechtigkeitsbewegung – und die unzähligen Überschneidungen zwischen ihnen allen. Es war ein wirklich bemerkenswertes Jahrzehnt für den Aufbau von Bewegungen, für gesellschaftliche Veränderungen und für einen tiefgreifenden Wandel von Vorstellungen, Perspektiven und Strukturen für breite Teile der Bevölkerung (und natürlich auch für Backlashs gegen all diese Dinge).

Der Nutzen der Ungewissheit

Hoffnung in der Dunkelheit begann als ein Essay, den ich, keine sechs Wochen nachdem die Vereinigten Staaten ihren Krieg gegen den Irak eröffnet hatten, in einer Onlinezeitschrift veröffentlichte. Er ging sofort, wie man so schön sagt, viral – er fand weite Verbreitung per Mail, wurde in einer etablierten Zeitung abgedruckt, landete auf vielen Nachrichtenseiten im Netz, wurde von einigen alternativen Zeitungen raubkopiert und sogar von jemandem, dem er gefiel, ausgedruckt und per Hand verteilt. Es war mein erstes Abenteuer mit einer Veröffentlichung im Internet, aber auch das erste Mal, dass ich das Innenleben der Politik des Augenblicks, die Emotionen und Wahrnehmungen, die unseren politischen Standpunkten und Engagements zugrunde liegen, direkt ansprach. Verblüfft über den Hunger nach einer anderen Art des Erzählens darüber, wer und wo wir waren, beschloss ich, dieses damals schmale Buch zu schreiben. Nach seinem Erscheinen führte es ein aufregendes Leben in mehreren Sprachen, und ich verbrachte Jahre damit, öffentlich über Hoffnung und Aktivismus zu sprechen, über die historischen Fakten und die Möglichkeiten. Meine Argumente wurden dabei vielleicht geschliffener, präziser oder zumindest strapazierfähiger. Und es ist mir eine Freude, es zu überarbeiten und diese Einleitung, mehrere neue Kapitel am Ende sowie einige Anmerkungen hinzuzufügen. Hier also eine weitere Durchquerung dieser Landschaft.

Es ist wichtig zu sagen, was Hoffnung nicht ist: Sie ist nicht der Glaube, dass alles gut war, ist oder wird. Die Beweise unbeschreiblichen Leidens und unermesslicher Zerstörung sind allgegenwärtig. Bei der Hoffnung, die mich interessiert, geht es um breit gefasste Perspektiven mit ganz spezifischen Möglichkeiten, die uns zum Handeln einladen oder auffordern. Sie ist auch keine sonnige Alleswird-besser-Erzählung, kann jedoch ein Gegenstück zum Alles-wird-schlimmer-Narrativ bilden. Dieses Buch ist also ein Bericht über Komplexitäten und Ungewissheiten, mit Öffnungen. »Kritisches Denken ohne Hoffnung ist Zynismus, aber Hoffnung ohne kritisches Denken ist Naivität«, bemerkte die bulgarische Schriftstellerin Maria Popova einmal. Und Patrisse Cullors, eine Mitbegründerin von Black Lives Matter, beschrieb die Mission dieser Bewegung schon früh so: »Hoffnung und Inspiration für ein kollektives Handeln zu geben, um kollektive Macht aufzubauen und eine kollektive Transformation zu erreichen, verwurzelt in Trauer und Wut, aber ausgerichtet auf eine Vision und auf Träume.« Es ist eine Position, die anerkennt, dass Trauer und Wut nebeneinander existieren können.

Die enormen Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte im letzten halben Jahrhundert – nicht nur das Erlangen von Rechten, sondern auch die Neudefinition von Race, Gender, Sexualität, Körperwissen, Spiritualität und der Idee des guten Lebens – florierten in einer Zeit beispielloser ökologischer Zerstörung und der Entwicklung ganz und gar neuer Formen der Ausbeutung. Aber es entstanden eben auch neue Formen des Widerstands, die ermöglicht wurden durch ein gelungenes Verständnis dieser Gleichzeitigkeiten, neue Kommunikations- und Organisierungsmöglichkeiten sowie überraschende Allianzen über Entfernungen und Unterschiede hinweg.

Hoffnung gründet auf der Annahme, dass wir nicht wissen, was geschehen wird, und dass in der Weite der Ungewissheit Raum zum Handeln ist. Wer Ungewissheit anerkennt, erkennt, dass wir in der Lage sein könnten, den Ausgang der Ereignisse zu beeinflussen – allein oder gemeinsam mit ein paar Dutzend oder mehreren Millionen anderen Menschen. Hoffnung ist eine Umarmung des Unbekannten, eine Alternative zur Gewissheit sowohl des Optimismus als auch des Pessimismus. Wer an Ersteren glaubt, denkt, dass alles ohne unser Zutun gut wird, wer an Letzteren glaubt, nimmt den entgegengesetzten Standpunkt ein. Und beide entschuldigen so ihr Nichthandeln. Hoffnung ist die Überzeugung, dass das, was wir tun, zählt, auch wenn wir nicht im Voraus wissen können, wie und wann es zählt, auf wen und auf was es sich vielleicht auswirkt. Möglicherweise wissen wir es sogar im Nachhinein nicht, aber zählen tut es trotzdem – die Geschichte ist voller Beispiele von Menschen, deren Einfluss nach ihrem Tod am größten war.

Es gibt bedeutende Bewegungen, die ihre Ziele verfehlten, und es gibt vergleichsweise kleine Gesten, die sich wie Pilze zu erfolgreichen Revolutionen auswuchsen. Die Selbstverbrennung des verarmten, von der Polizei schikanierten Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 in Tunesien war der Funke, der eine Revolution...


Mundhenk, Michael
Michael Mundhenk ist Anglist und Romanist, er lebt in Freiburg im Breisgau.

Solnit, Rebecca
Rebecca Solnit, 1961 in den USA geboren, zog 17-jährig nach Paris und studierte später in Berkeley. Heute zählt sie zu den bedeutendsten Essayistinnen und Aktivistinnen der USA. Ihr Engagement gilt neben dem Umweltschutz insbesondere den Menschenrechten und dem Feminismus.

Rebecca Solnit, 1961 in den USA geboren, zog 17-jährig nach Paris und studierte später in Berkeley. Heute zählt sie zu den bedeutendsten Essayistinnen und Aktivistinnen der USA. Ihr Engagement gilt neben dem Umweltschutz insbesondere den Menschenrechten und dem Feminismus.

Michael Mundhenk ist Anglist und Romanist, er lebt in Freiburg im Breisgau.



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