Snyder / Viola / Offe | Transit 38. Europäische Revue | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 191 Seiten

Snyder / Viola / Offe Transit 38. Europäische Revue

Vereintes Europa - geteilte Geschichte
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-8015-0556-1
Verlag: Verlag Neue Kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Vereintes Europa - geteilte Geschichte

E-Book, Deutsch, 191 Seiten

ISBN: 978-3-8015-0556-1
Verlag: Verlag Neue Kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, das ganze Gewicht von Nazi- und Sowjetterror anzuerkennen.', schreibt Timothy Snyder in Transit 28. Dass wir nach wie vor noch weit davon entfernt sind, zeigen ein Essay Snyders, der das vorliegende Heft eröffnet, sowie die anschließenden Beiträge. Bis heute identifizieren wir das Grauen jener Zeiten mit Auschwitz und dem Gulag und übersehen daher, dass es Osteuropa war, das in dem Zeitraum zwischen 1933 und 1944 den Schauplatz für die nationalsozialistische und sowjetische Politik des Terrors lieferte, dem an die zwölf Millionen Menschen zum Opfer fielen.

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Hiroaki Kuromiya und Andrzej Peplonski STALIN UND DIE SPIONAGE     Josef Stalin war ein mächtiger Diktator. Seine Macht verbreitete vor allem deshalb so viel Furcht und Schrecken, weil sie sich in hohem Maße auf Geheimdienste und die Anwendung von Gewalt stützte. Für Stalin war, wie für andere Politiker auch, die strategische Nutzung von geheimdienstlichen Informationen und Spionage ein unverzichtbarer Teil des politischen Lebens – nur dass sie bei ihm schier unerhörte Ausmaße annahm. Ohne Zweifel trug die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung maßgeblich zu Stalins Machtsicherung im Inneren und zur Abwehr äußerer Bedrohungen bei: Ohne Geheimpolizei und die zahlreichen Auslandsagenten wäre seine Herrschaft undenkbar gewesen. Tatsächlich stellte sein Regime unter Beweis, welche machtvollen Instrumente Bespitzelung und Spionage sein können – und führte zugleich ihre enorme Zerstörungskraft vor Augen. Stalins Geheimdienstoperationen waren, nach allen Maßstäben, außerordentlich erfolgreich. In den 1930er Jahren zum Beispiel infiltrierten die Sowjets mit den »Cambridge Five« in England und dem Spionagering des deutschen Kommunisten Richard Sorge in Japan die Spitzen der Regierung. Vermutlich unterlagen weitere Länder wie Polen und die Vereinigten Staaten einem ähnlichen Ausmaß sowjetischer Infiltration. Der russische Geheimdienstforscher S. V. Leonov dürfte kaum fehlgehen in seiner Annahme, dass Ende der dreißiger Jahre »kein anderes Land auf der Welt über einen so mächtigen und ausgedehnten Geheimdienst verfügte wie die Sowjetunion«.1 Im Juni 1937 beklagte Stalin sich jedoch bitterlich, kapitalistische Länder hätten der Sowjetunion auf dem Feld der Spionage eine schwere Niederlage zugefügt, und prangerte Marschall Michail Tuchatschewski und andere hochrangige sowjetische Militärbefehlshaber (die er gerade als Spione hatte verhaften lassen) als Schuldige an. Das Wort Informant sei, so wetterte er verächtlich, ein heuchlerischer Euphemismus der ach so »zivilisierten westeuropäischen Länder«, während »wir in der russischen Sprache doch wissen, dass damit schlicht ein Spion gemeint ist«. Seinen einstigen politischen Rivalen Leo Trotzki, damals im mexikanischen Exil, bezeichnete Stalin als »Oberspion«. Trotzki, der Marschall der Roten Armee Tuchatschewski und andere seien »Agenten« und »Sklaven« der deutschen Wehrmacht, die aus der Sowjetunion nur ein weiteres Spanien mit einem von faschistischen Kräften angezettelten Bürgerkrieg machen wollten. Die sowjetischen Geheimdienstoperationen seien, so behauptete Stalin, von deutschen, japanischen und polnischen Spionen unterwandert. Dies sei dem sowjetischen Volk unbegreiflich. Auf dem Feld der Geheimdienstarbeit »haben wir zum ersten Mal in 20 Jahren die harscheste Niederlage erlitten«. Es sei notwendig, verkündete der Diktator, die Arbeit des Nachrichtendienstes, »unsere Augen und Ohren«, wieder in eine angemessene Verfassung zu bringen. Selbst eine fünfprozentige Chance auf Wahrheit sei, so fügte er hinzu, noch eine höchst lohnende Aussicht.2 Stalins Behauptungen dienten als Vorwand für Terror. Einen Großteil seines politischen Lebens über agierte er zwar vorsichtig, war sich seiner Handlungen jedoch zumeist sicher. Allerdings trieb sein Argwohn ihn dazu, von einer fünfprozentigen Wahrscheinlichkeit auszugehen, dass seine Geheimdienste von ausländischen Agenten unterwandert waren. In der Innen- und Außenpolitik versuchte Stalin, alle anderen Akteure auszumanövrieren, um daraus politischen Vorteil zu schlagen. Tatsächlich war er ein ausgefuchster Täuscher. Von Natur aus war Stalin außerordentlich (manche sagen krankhaft) misstrauisch. Daher sein Einsatz von Terror, um diese letzten fünf Prozent Unsicherheit auszuräumen. Wie alle Staatsmänner nahm Stalin Spionage ernst. Im März 1937 erklärte er: »Um im Krieg eine Schlacht zu gewinnen, benötigt man vielleicht einige Kompanien der Roten Armee, um aber den Sieg an der Front zu ruinieren, reichen ein paar Spione irgendwo im Armee- oder gar im Divisionshauptquartier, die den Einsatzplan stehlen und an den Feind verraten.«3 Mahnungen vor der Gefahr ausländischer Spionage waren in Stalins Sowjetunion nichts Neues. Doch ab 1936 gewannen sie eine dramatische Intensität. Man weiß, dass viele Faktoren, vor allem externe, zur Eskalation der sowjetischen Propaganda gegen ausländische Spione beitrugen. Ein wichtiger Faktor ist jedoch von den Historikern, die sich mit Stalins Spionage- und Terrorsystem befasst haben, bisher vernachlässigt worden: der »Antikominternpakt« von 1936 und die sich daran anschließenden Abkommen. Obwohl der zwischen Deutschland und Japan geschlossene Antikominternpakt über Spionage gegen die Sowjetunion wohlbekannt ist, gilt dies nicht von seinem Inhalt. In einem ebenfalls am 11. November 1936 unterzeichneten Zusatzprotokoll wurde vereinbart: Die zuständigen Behörden der beiden Hohen Vertragschließenden Staaten werden in Bezug auf den Nachrichtenaustausch über die Tätigkeit der Kommunistischen Internationale sowie auf die Aufklärungs- und Abwehrmaßnahmen gegen die Kommunistische Internationale eng zusammenarbeiten. Die zuständigen Behörden der beiden Hohen Vertragschließenden Staaten werden im Rahmen der bestehenden Gesetze strenge Maßnahmen gegen diejenigen ergreifen, die sich im Inland oder Ausland direkt oder indirekt im Dienste der Kommunistischen Internationale betätigen oder deren Zersetzungsarbeit Vorschub leisten.4 Obwohl der Pakt ausdrücklich nur auf die Kommunistische Internationale (Komintern) Bezug nahm, die ihren Sitz in Moskau hatte, war beiden Seiten klar, dass sich das Protokoll gegen die Sowjetunion richtete. Der Pakt wurde ein Jahr später auf Italien ausgeweitet angesichts der Überzeugung, dass »die Kommunistische Internationale die zivilisierte Welt im Westen und im Osten weiterhin gefährdet, ihren Frieden und ihre Ordnung stört und vernichtet« und »nur eine enge Zusammenarbeit aller an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Ordnung interessierten Staaten diese Gefahr vermindern und beseitigen kann«.5 Praktisch unbekannt sind jedoch deutsch-japanische Vereinbarungen, die nach dem Pakt vom November 1936 geschlossen wurden: [N]achdem der Antikominternpakt unterzeichnet war, strebte [der japanische Militärattaché in Berlin Hiroshi] Ushima ein weiteres Abkommen mit Deutschland an, das eine viel engere Zusammenarbeit bei der militärischen Aufklärung gegen die Sowjetunion vorsah. Trotz Skepsis in Berlin und Tokio überzeugte Ushima den Chef der deutschen Abwehr Wilhelm Canaris von der Nützlichkeit eines solchen Abkommens und unterzeichnete am 11. März 1937 in Berlin mit diese meine entsprechende Übereinkunft, die »Deutsch-japanischen Zusatzvereinbarungen betreffend Austausch der Nachrichten über Sowjetrussland [UdSSR]«. Darin vereinbaren die beiden Länder, in ihren Hauptstädten nachrichtendienstliche Erkenntnisse auszutauschen und umgehend in ihre Heimatländer weiterzuleiten. Die Vereinbarung betraf alle wichtigen Erkenntnisse und noch unausgewerteten Rohdaten über die Armee, die Luftwaffe und die Rüstungsindustrie der Sowjetunion ebenso wie alle Informationen der »reinen Gegenaufklärung«, an die jede Seite gelangte. Neben dem Austausch von Rohinformationen vereinbarten die beiden Länder zudem, sich gegenseitig über deren Einschätzungen in Kenntnis zu setzen. Diese Vereinbarung wurde am 7. Oktober 1937 offiziell von der japanischen Armee und der deutschen Wehrmacht genehmigt und um Paragraphen über gemeinsame antisowjetische Gegenspionage und ein jährliches Treffen zur Auswertung der ausgetauschten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse ergänzt.6 Wie beim Antikominternpakt enthielt auch das Ushima -Canaris-Abkommen ein Zusatzprotokoll über »antisowjetische Zersetzungsarbeit« (bUryaku). Darin vereinbarten Deutschland und Japan eine Zusammenarbeit bei a) der Aktivierung sämtlicher Minderheitsbewegungen, b) der Förderung antibolschewistischer Propaganda und c) den Vorbereitungen zum Einsatz von revolutionären Handlungen, Terrorakten und Sabotage bei Kriegsausbruch. Weiter spezifizierte das Protokoll eine Aufteilung der Hauptaktionssphären zwischen den beiden Ländern. Danach sollten (1.) die westlichen Anrainerländer (von Finnland bis Bulgarien) hauptsächlich Deutschland zugeordnet werden, (2.) die südwestlichen Grenzgebiete (Türkei und Iran) beiden Ländern und (3.) die östliche asiatische Front hauptsächlich Japan. Der Aktionsplan umfasste fünf Jahre, von 1937 bis 1941. Absatz 7 des Protokolls hält fest, dass, falls eine Partei in einen Krieg mit der Sowjetunion gezogen würde, die andere Partei in ihrer jeweiligen Hauptsphäre sowie in den Gebieten beiderseitigen Interesses zu Diversionsakten mit allen verfügbaren Mitteln verpflichtet ist. Ergänzt wurde das Ushima -Canaris-Abkommen durch einen erstaunlichen Fünfjahresplan für gemeinsame Operationen im Kaukasus. 1937 zum Beispiel gehörte zur Planung für die Türkei, dort wichtige Politiker zu bestechen, Verbindungen zu »militärischen Stellen« (dem Generalstab) aufzunehmen und, unter dem Deckmantel kommerzieller Unternehmen, an mehreren Stellen in der Nähe der türkisch-sowjetischen Grenze geheime Stützpunkte zu errichten. Der Plan für Europa für dasselbe Jahr sah unter anderem die Ausbildung von Kaukasiern vor, die in ihren Heimatländern ausgewählt und als »Fünfte Kolonnen« auf sowjetischem Territorium eingesetzt werden sollten. Der Plan für die Türkei für das Jahr 1938 sah »die...



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