E-Book, Deutsch, 432 Seiten
Smith The way I am now
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98585-239-0
Verlag: Adrian Wimmelbuchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ausgabe ebook
E-Book, Deutsch, 432 Seiten
ISBN: 978-3-98585-239-0
Verlag: Adrian Wimmelbuchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Es gab eine Zeit, die dunkelste aller Zeiten, in der Eden dachte, die einzige Person, die sie retten könnte, sei Josh. Er war alles Gute auf der Welt - ein vertrauensvolles Herz, eine liebevolle Berührung, ein freundliches Lächeln. Aber er sollte nie ihr Retter sein. Eden musste sich alleine retten. Nachdem Eden mit dem College begonnen und sich ihrem Vergewaltiger gestellt hat, scheint es, als wären sie endlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um eine funktionierende Beziehung aufzubauen. Doch als der Prozess, der entscheiden wird, ob Eden die Gerechtigkeit erhält, die sie verdient, bevorsteht und unverheilte Wunden aufreißt, stellt sich die Frage, ob ihre Liebe dem Druck standhalten kann?
Autoren/Hrsg.
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EDEN
MEINE HÄNDE ZITTERN NICHT MEHR, als ich nach dem Türknauf greife. Als ich in Maras Wagen Mascara auftrage. Als Steve auf der Rückbank neben mich rutscht, seine Finger mit meinen verschränkt und mit einem lieben Lächeln sagt: »Hab dich vermisst.«
Mein Herz schlägt langsamer, weil das Medikament den Weg in meinen Blutkreislauf gefunden hat. Und auch wenn ich weiß, dass diese vermeintliche Gelassenheit nicht echt ist, so hilft sie mir, das für meine Freunde tun zu können. Ausgehen und ein letztes Mal so zu tun, als wäre alles normal, bevor ich die nächste Bombe platzen lasse. Also lüge ich und sage: »Ich dich auch.«
Maras Freund, Cameron, steigt auf den Beifahrersitz und knallt die Tür zu. Er gibt Mara einen Kuss, wirft dann einen Blick zu mir nach hinten und sagt: »Wahrscheinlich verpassen wir jetzt die Vorband.«
»Verpassen wir nicht«, verteidigt mich Steve, lehnt sich dann zu mir und küsst meine nackte Schulter. »Ich bin froh, dass du dich aufgerafft hast.«
»Ja, ich auch«, sage ich mechanisch und fürchte, ich müsste das ernst meinen.
»Es wurde echt Zeit, dass du mal wieder vor die Tür kommst«, sagt er.
»Mein Reden, Steve«, meldet sich nun auch Mara zu Wort und grinst breit.
»Sieh das heute Abend einfach als Neuanfang«, fährt er fort. »Morgen kommst du wieder zur Schule, und dann können wir die letzten beiden Monate unseres letzten Schuljahres genießen. Endlich. Das haben wir echt verdient!«
»Ja, verdammt, das haben wir!«, stimmt Cameron zu.
Sie verhalten sich, als hätte ich gerade eine schlimme Grippe überwunden oder so was. Als könnte jetzt, wo ich keine Geheimnisse mehr habe, alles wieder magisch zur Normalität zurückkehren, wo immer die mal gewesen sein sollte. Als wäre der Schulabschluss nicht das letzte, was mich gerade beschäftigt. Aber vielleicht haben sie ja auch recht, und ich sollte zumindest versuchen, den ganzen anderen Scheiß zu ignorieren und die nächsten zwei Monate lang eine normale Teenagerin sein – solange ich noch kann.
»Cameron«, sage ich laut genug, um die Musik zu übertönen, und sie alle schauen mich an. »Wir haben die Tickets doch nicht für die Vorband gekauft, oder? Selbst wenn wir zu spät sind, ist das doch okay.«
Ehrlich gesagt sind mir beide egal, Vor- und Hauptband, aber ich schulde ihnen ein bisschen Enthusiasmus.
Er verdreht die Augen, wendet sich ab und flüstert: » habe die Tickets gekauft, falls du das vergessen hast.« Cameron ist der Einzige, der nicht plötzlich nett zu mir ist, sich nicht verstellt, wegen allem, was passiert ist, worüber ich sonderbarerweise dankbar bin. »Kannst mir das Geld dafür gern jederzeit geben.«
Irgendwie muss Mara über unsere Kabbelei grinsen, und Steve drückt meine Hand etwas zu fest. Beide sehen das wohl als Zeichen, dass ich meinen Kampfgeist doch nicht vollends verloren habe. Ich räuspere mich, setze an zu der sensibilisierenden Erklärung, die ich diese Woche mit meiner Therapeutin erarbeitet habe.
»Also, hört mal«, sage ich. »Ich wollte nur … Nun, ihr wisst ja, es ist vier Monate her, dass ich unter Leuten war, kann also sein, dass ich nervös werde oder …«
»Ist alles okay«, unterbricht mich Steve und zieht mich an sich. »Mach dir keine Sorgen, wir sind doch da.«
»Klar, ich will euch nur darauf vorbereiten, dass ich vielleicht mal eben eine Pause brauche und kurz an die Luft muss oder so. Falls das so ist, dann ist das kein großes Ding, mir geht es gut, ihr müsst euch also keine Sorgen um mich machen oder überlegen, ob wir besser aufbrechen oder so was.« Das hörte sich holpriger an als in den Probedurchläufen, aber immerhin hab ich gesagt, was ich sagen musste. Grenzen gesetzt.
Schon spüre ich wieder seinen verschreckten Blick auf mir und auch Mara betrachtet mich verstohlen über den Rückspiegel.
»Ich sage ja nicht, dass es dazu kommt, aber vielleicht halt doch. Schwer vorherzusehen«, füge ich hinzu, damit sie aufhören, mich so anzusehen. »Aber ich könnte mich natürlich auch einfach betrinken, dann haben wir garantiert die beste Zeit.«
»«, mahnt Mara, und Steve ruft: »Nein!«
»Scherz«, sage ich grinsend. Es ist auch vier Monate her, dass ich was Schlimmes gemacht hab. Obwohl meine Therapeutin jetzt anmerken würde, ich solle »schlimm« durch »ungesund« ersetzen. Ich habe weder getrunken noch rumgevögelt noch gekifft oder sonstiges genommen. Abgesehen von den Tabletten, aber ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wieso ausgerechnet die Tabletten, die ich jetzt nehme, wenn mich alles überwältigt, besser sein sollen als der Kram. Wer entscheidet denn, was gut und was schlecht ist. Aber ich halte mich an die Regeln, weil ich gesund werden, gesund sein will. Wirklich.
Auf dem Weg vom Parkplatz zum Veranstaltungslokal kommen wir an einer Gruppe College-Studenten vorbei, alle halten Alkohol in den Händen und stehen um einen alten Holzpicknicktisch herum, der aussieht, als würde er nur stehen, weil er mit einer Seite an der Häuserwand lehnt. Zigarettenqualm wabert herüber und wirkt fast magnetisch auf mich. Ich sehe sie lachen und ihre Getränke verschütten. Wenn Steve meine Hand nicht so fest umklammert hielte, wenn jetzt nicht alles anders wäre, könnte ich mir gut vorstellen, mich zu ihnen treiben zu lassen und einen Platz zwischen ihnen zu finden, an dem sich leicht der Abend, die Nacht verbringen ließe.
Aber es eben alles anders. Diese Art von Leichtigkeit scheint es für mich nicht mehr zu geben.
An der Tür bekommen wir alle ein neonpinkes Bändchen mit der Aufschrift UNTER 21. Der Typ, der es mir ums Handgelenk bindet, streift dabei meinen Unterarm. Ich weiß, dass das nichts zu bedeuten hat, trotzdem fühlt es sich minimal übergriffig an, gleichzeitig ist es mir aber auch sonderbar egal.
Das Band sitzt zu straff. Ich ziehe daran, teste, ob es noch ein bisschen nachgibt, aber es ist aus diesem komischen Papier, das man nicht abreißen oder übers Handgelenkt quetschen kann.
Mara scheint ihrs nicht zu stören, also versuche ich, meins zu vergessen.
Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Wohin ich auch blicke, überall wird gesoffen, gelacht, gerufen. Jemand rempelt mich an, und ich weiß, dass mein Körper irgendwie auf all das reagieren sollte. Mit so einem Adrenalinstoß wie früher, der das Herz kurz rasen, den Atem schneller gehen lässt. Aber nichts. Außer wieder diesem Gefühl zu verschwinden, allerdings folgt darauf diesmal keine Panikattacke. Ich habe einfach nur den Eindruck, nicht ganz da zu sein. Weshalb ich mich plötzlich frage, ob ich in diesem Zustand überhaupt einschätzen kann, ob ich mich in Gefahr befinde oder nicht.
Diesmal klammere ich mich fester an Steve, der uns den Weg zur Bühne bahnt. Mara nimmt meine andere Hand, und als ich nach hinten schaue, sehe ich, dass sie auch Camerons Hand hält. Sofort muss ich an den Kindergarten denken. Kleine Kinder, die eine Kette bilden, um sicher über die Straße zum Spielplatz zu kommen. Wie sehr ich es hasse, dass ich so was jetzt brauche.
»Alles okay?«, fragt Mara direkt in mein Ohr, während die Menge um uns immer dichter wird.
Ich nicke.
Ist es auch. Eigentlich. Während die Vorband spielt, ist alles okay. Ich schaffe es sogar, ein bisschen zur Musik zu wiegen. Kein Tanzen, kein Springen, keine Hüftbewegungen oder so was. Genauso wenig schließe ich die Augen und berühre meinen Freund, wie Mara das tut, bei der das so einfach aussieht. Es fühlt sich so anders an, es ist nicht der Alkohol, der mich benebelt, sondern das Medikament.
Als die Band – Steves Lieblingsband, wegen der wir hergekommen sind – die Bühne übernimmt, habe ich das Gefühl, langsam wieder aufzutauchen. Anfangs nur leicht. Mein Herz stolpert auf mir mittlerweile vertraute Art, dann fällt mir das Atmen schwer, der Bass hallt in meinem Schädel wider. »Alles okay«, flüstere ich, doch es ist so laut, dass ich nicht mal die Stimme in meinem Kopf verstehen kann. Ich lasse Steve los. Meine Hände fangen an zu schwitzen. Und plötzlich spüre ich jeden Teil meines Körpers überdeutlich, wo er von anderen Körpern berührt wird, die gegen mich stoßen.
Ich sehe mich um, zu schnell, nehme in mich auf, was ich beim Ankommen übersehen habe, alles auf einmal. Ich entdecke unsere Schulfarben, eine Jacke unserer Schulmannschaft wird vom Scheinwerfer erleuchtet. Sofort wird mir die Brust eng – ich weiß nicht, wieso ich nicht damit gerechnet habe, anderen aus der Schule zu begegnen. Wir sind ja schließlich auch hier. Aber dann sehe ich ihn, wie er immer wieder im flackernden Licht aufblitzt, den Kopf lachend in den Nacken gelegt. Der Sporttyp. Einer von Joshs Kumpels.
Nein, ich bilde mir das nur ein. Schließe kurz die Augen. Neustart.
Aber als ich sie wieder öffne, ist er noch immer da. Das ist definitiv der Sporttyp. Der Kerl, der einmal nach der Schule an meinem Spind auf mich gewartet hat. Und mich dann durch den Flur jagte. Der Typ, der mir Angst einjagen wollte, der wollte, dass ich dafür büße, dass mein Bruder Josh zusammengeschlagen hat. Ich schaue wieder nach vorn, zur Bühne. Jetzt ist jetzt. Das andere ist vorbei. Trotzdem kann ich mir nicht helfen, ich schaue noch mal zu ihm. Schließe wieder die Augen. Habe sofort seine Stimme im Ohr.
In meinem Kopf hämmert es jetzt.
Ich räuspere mich oder versuche es zumindest. »Steve!«, rufe ich, doch er hört mich nicht. Also berühre ich ihn an der Schulter, sofort sieht er mich an. Ich lege die Hände rechts...