E-Book, Deutsch, Band 3, 288 Seiten
Reihe: Ein Fall für John Nielsen
Smedberg Vom selben Blut - Schweden-Krimi
1. Auflage 2020
ISBN: 978-87-26-44487-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 288 Seiten
Reihe: Ein Fall für John Nielsen
ISBN: 978-87-26-44487-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Rätsel um eine geheimnisvolle Frau auf einem Foto zieht weite Kreise: Als eine Witwe den Journalisten John Nielsen darum bittet, eine junge Frau ausfindig zu machen, die auf einem Foto neben ihrem verstorbenen Mann posiert, muss Nielsen schnell feststellen, dass die Gesuchte nicht auffindbar ist. Doch dann erhält er einen wichtigen Hinweis, der schnell klar macht, dass es auch um ein schreckliches Verbrechen geht...Åke Smedbergs drei Kriminalromane, in deren Mittelpunkt der Journalist John Nielsen als Ermittler steht, erfreuen sich großer Beliebtheit bei allen Freunden des skandinavischen Krimi-Genres.
Åke Smedberg, 1948 geboren, ist ein schwedischer Schriftsteller. Er veröffentlichte zunächst Lyrik, später dann hauptsächlich Prosa, vor allem Romane. In seinem Heimatland wurde er bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem schwedischen Krimipreis für das beste Krimi-Debüt.
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Ende März, der Himmel war bleigrau und hing tief. Ein trostloser Nieselregen trieb über die aufgeweichten Lehmböden, die hinter der Friedhofsmauer begannen. John Nielsen blieb auf dem Weg vom Parkplatz stehen, fischte eine Zigarette aus der Schachtel. Er kam bereits zu spät, trotzdem blieb er stehen, zündete die Zigarette an, sog den Rauch gierig ein und ließ ihn die Lungen füllen. Er hustete, als er spürte, wie sich die alte, wohlbekannte Mischung aus kitzelnder Atemnot und Wohlbefinden im Körper ausbreitete. Er hatte vor fast einem halben Jahr aufgehört und wusste nicht mehr, zum wievielten Mal. Und nun bot sich die Möglichkeit, das ein weiteres Mal zu tun, dachte er, während er auf den Rauch starrte, der in den Regenböen verschwand. Der Regen war stärker geworden und peitschte in sein Gesicht. Aber er blieb stehen, rauchte weiter, starrte auf die vorbeiziehenden Regenböen, spürte, wie die Nässe unter den Hemdkragen kroch. Er spielte einen Augenblick mit dem Gedanken umzukehren, zurückzugehen, sich ins Auto zu setzen und davonzufahren. Sich zu drücken. Dann zuckte er die Schultern, warf die Kippe auf den Weg und trat sie im Kies aus. Er ging auf die Kapelle zu, holte tief Luft, öffnete die Tür und trat ein. Eva und die beiden Söhne saßen ganz vorn, einen knappen Meter hinter dem Sarg. Er hatte sie und Eva seit Jahren nicht mehr gesehen. Der ältere der Jungen, Erik, hatte anscheinend Lasses Körperbau geerbt. Stiernacken und breite Schultern, einen halben Kopf größer als alle, die in seiner Nähe saßen. Als er den Kopf umwandte, sah Nielsen, dass auch die Gesichtszüge die seines Vaters waren. Auch Eva drehte den Kopf und sah ihn an. Einen Augenblick lang schien es, als würde sie ihn nicht wiedererkennen, dann nickte sie. Er nickte zurück und musterte die Frau rechts neben ihr. Das war Gisela. Sie saßen Seite an Seite. Einen Moment blieb er in der Tür stehen, dann setzte er sich auf eine der hinteren Bänke. Er erkannte Lindståhls Rücken, während seiner Zeit bei der Polizei in Söderort war er Lasses Chef gewesen. Jetzt war er über siebzig. Neben ihm saß jemand, den er nicht zuordnen konnte, der aber wahrscheinlich ebenfalls ein alter Kollege von Lasse war. Er zählte durch. Sieben Personen, inklusive seiner selbst. Nicht gerade eine beeindruckende Versammlung. Als hätte Lasse kaum Freunde gehabt, dachte er. Der Priester, der kurz innegehalten hatte, als er durch die Tür getreten war, fuhr mit seiner Predigt fort. Nielsen hörte zu Anfang nur mit halbem Ohr zu, bis eine Formulierung ihn aufhorchen ließ. »Lasse und ich . . .« Er betrachtete die breitschultrige, etwas untersetzte Gestalt vorne am Altar, hörte nun aufmerksam zu. Nach einer Weile begriff er, dass dieser Mann und Lasse Freunde aus Kindertagen waren, beide waren hier an der Küste aufgewachsen und anscheinend während der Schulzeit und in ihrer Jugend unzertrennlich gewesen. In seiner Erzählung ging es darum, wie sie heimlich einen alten Motorkahn ausgeliehen hatten, den auf Grund fuhren und an Land zurückschwammen, halbtot vor Erschöpfung und Kälte retteten sie sich schließlich auf eine Brücke. Dann erzählte er von einem Einbruch in einem Ferienhaus, bei dem der Besitzer sie ertappt hatte. Es war im Spätherbst und schon dunkel gewesen, und sie waren davongekommen, weil sie in den Wald hineingelaufen waren, von den wenigen Schlucken Likör und Branntwein war ihnen so schwindelig, dass sie keine Ahnung von der Gegend oder der Himmelsrichtung hatten. Sie verbrachten die Nacht im Wald, wo sie herumirrten, orientierungslos über Windbruch und Baumstümpfe stolperten, immer mehr blaue Flecken bekamen und sich zerschlagen fühlten. Und immer nüchterner wurden. Dann schwieg er, sah sich die kleine Versammlung an und schüttelte leicht den Kopf. »Ja, Sie fragen sich wohl, warum ich diese alten Geschichten ausgrabe, die eigentlich keine richtige Pointe haben? Außer vielleicht, dass wir nie erwischt wurden. Aber wenn Lasse und ich uns trafen, endete es meist damit, dass wir zusammensaßen und solche Erinnerungen austauschten. Es gibt noch viel mehr Beispiele als die von mir genannten, und schlimmer noch, ich muss zugeben, auch solche, die ich nicht gern mit der Allgemeinheit teilen möchte. Und wir waren beide der Meinung, dass es mit uns auf die eine oder andere Weise böser hätte enden können und dass wir wohl vor allem dem Zufall danken müssen, weil nichts Schlimmeres passiert ist. Oder der Vorsehung. Und dass wir auch etwas davon gehabt haben, menschlich gesehen. Dass uns diese Erlebnisse hoffentlich weniger selbstgefällig, weniger schnell urteilend gemacht haben und gleichzeitig weniger naiv. Charakterzüge, die einem nutzen, sowohl als Priester als auch als Polizist. Und Lasse, ja, er verkörperte wohl auf gewisse Weise viel von dem Guten, das sich aus unseren Streichen ergab, das habe ich immer gedacht.« Er schwieg wieder, blickte kurz zur Seite, bevor er fortfuhr. »Lasse war groß, rein körperlich. Das wissen wir alle.« Er machte eine Geste, um das anzudeuten. »Aber nicht nur. Nicht nur äußerlich. Sein Herz war ebenso groß. Ja, das war wohl das Größte an ihm.« Nielsen sah zum ersten Mal direkt auf den Sarg, bisher hatte er das vermieden. Ja, Lasse war groß gewesen. Es war schwer, sich vorzustellen, dass sein Körper in diesem weißen Sarg da vorne lag, dass er dort überhaupt Platz fand. Es war noch schwerer, ihn sich tot vorzustellen. Es gelang ihm einfach nicht. Danach trugen sie den Sarg aus der Kapelle zum Auto, das während der Zeremonie vorgefahren war. Die Söhne am Kopfende, Nielsen in der Mitte zusammen mit dem Priester, die beiden alten Kollegen hinten. Als sie den Sarg ins Auto geschoben hatten, hielt er einen Augenblick inne, die Hände auf dem glatten Holz. Dann war er gezwungen, sich zu bewegen, da der Fahrer die Türen schloss. Er drehte sich um und stand direkt vor Lindståhl, der ihn aufmerksam musterte. »Ein guter Junge«, sagte er nachdrücklich und nickte, als wollte er das bestätigen. Nielsen nickte ebenfalls, ein bisschen überrascht. »Ja, sicher. Das war er. Das kann man sagen.« Der alte Polizeichef betrachtete ihn weiterhin, fast auffordernd, und Nielsen wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich müde. Leer, ausgelaugt. Er hatte keine Lust, ein paar mechanische Sätze über Lasses Qualitäten oder die Leere, die er hinterließ, zu stottern, und hatte ebenfalls keine Lust, Anekdoten über ihn zu erzählen. Keine Lust, überhaupt irgendwas zu sagen, mit jemandem zu sprechen. Eva winkte ihm zu, er verließ Lindståhl mit einem kurzen Nicken und ging zu ihr. »Wir essen im Svanberga«, sagte sie. »Nur wir. Die nächsten Angehörigen.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung der Söhne und, nach einem fast unmerklichen Zögern, in Richtung von Gisela. »Kennst du den Weg?«, fuhr sie fort. »Sonst kannst du hinter uns herfahren.« Er nickte ein wenig geistesabwesend und sah sie an. »Wird er hier beerdigt?«, fragte er. »Ja«, antwortete sie. »Das Grab seiner Eltern liegt hier. Und hier draußen ist es ja auch schöner. Naja, jetzt nicht, bei diesem Wetter, aber im Sommer. Wir setzen die Urne irgendwann nächste Woche bei . . .« Sie schwieg. »Er hat immer gesagt, dass er will, dass seine Asche irgendwo weiter draußen in den Schären verstreut wird«, sagte Nielsen nach einer Weile. »Am liebsten bei Sturm.« Eva sah ihn an. »So was sagt man«, entgegnete sie kurz, »wenn man nicht daran denkt, dass man sterben wird, oder nicht?« Sie schüttelte mit zusammengebissenen Zähnen den Kopf. »Ich möchte einen Ort haben, an den die Jungs, wenn sie das möchten, gehen können, um sich an ihn zu erinnern. Sie haben ihn in den letzten Jahren ja nicht so oft gesehen.« Nielsen starrte dem Auto hinterher, das sich langsam entfernte, auf die Landstraße bog und beschleunigte. »Es waren nicht viele hier«, sagte er. »Ich hätte gedacht, dass die Kirche mehr oder weniger voll sein würde.« Eva sah ihn rasch an. »So wollte er es eben haben. Nur die nächsten Angehörigen. Keine Umstände. Keine Anzeigen. Das weißt du wahrscheinlich?« Nielsen zuckte mit den Schultern. »Ja, vielleicht«, sagte er. Eva stand einen Augenblick schweigend da. »Er wollte es so«, wiederholte sie knapp. Sie drehte sich um. »Wir sehen uns dort«, sagte sie und ging zum Auto, wo die Söhne warteten. Nielsen sah ihr nach. Sicher hatte sie Recht. Lasse hatte nie viel für Zeremonien übrig gehabt. Gleichzeitig wurde er den Verdacht nicht los, dass es eine Art war, es ihm heimzuzahlen, für alte Kränkungen, alte Enttäuschungen. Und er fragte sich, warum Gisela es offensichtlich Eva überlassen hatte, die Beerdigung zu organisieren. Hatte sie trotz all der Jahre, die vergangen waren, ein schlechtes Gewissen? Er wartete, bis die Autos vom Parkplatz und auf die Landstraße gefahren waren. Dann ging er mit seinem leicht schaukelnden Gang zu dem weiter unten gelegenen Parkplatz. Es regnete nicht mehr, klarte schnell auf. Er verfolgte mit den Augen ein paar zerrissene, große Wolkenstücke, die rasend schnell über den fast...