E-Book, Deutsch, Band 892, 64 Seiten
Reihe: Jack Slade
Slade Jack Slade 892
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7325-9009-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hobo Jack und die Weidetyrannen
E-Book, Deutsch, Band 892, 64 Seiten
Reihe: Jack Slade
ISBN: 978-3-7325-9009-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hobo Jack und die Weidetyrannen
Er weiß nicht, wer er ist, doch er ist ein Kämpfer und ein mutiger Mann. Als Jetta Hold den Landstreicher bei sich aufnimmt, ahnt sie nicht, dass er die letzte Hoffnung im Kampf gegen die Großen Vier ist, vier brutale Raubrancher mit ungeheuren Machtambitionen.
Das Schicksal schweißt sie zusammen. Doch was ist das Geheimnis des Mannes, der als namenloser Herumtreiber in das Land kam und den sie Hobo Jack nennen?
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Er war zerlumpt, trotzdem schien er etwas Besseres zu sein. Jetta Hold betrachtete den hochgewachsenen, dunkelhaarigen Landstreicher, der hungrig vor ihrem Haus stand. Er hatte die Mütze in der Hand, er trug nicht mal einen Hut wie die anderen Männer in diesem Land. Gerade hatte er an die Tür geklopft.
Jetta sah ihn durchs Fenster. Sie hielt die Winchester in der Hand. Sie lebte allein, seit ihr Mann gestorben war, und bewirtschaftete die kleine Ranch mehr schlecht als recht.
Allein konnte sie die viele Arbeit nicht schaffen, Rinder züchten und zusammentreiben und mit Brandzeichen versehen. Alles in Ordnung halten, auch noch das Haus und den Haushalt besorgen. Zäune und Gebäude instand halten. Mit dem Einspänner nach Ava zum Einkaufen fahren, was jeweils einen Tag erforderte.
Es war ein hartes und einsames Leben. Doch die gutgebaute Frau mit dem kastanienbraunen Haar klammerte sich stur an ihr Anwesen, das sie mit ihrem Mann zusammen aufgebaut hatte. Längst stand sie allein. Weshalb sie nicht verkaufte und wegzog, wusste sie letztendlich selber nicht genau.
Es war ein Widerstand in ihrem Innern, eine letzte Hoffnung, es würde ein Wunder geschehen, und die Lage würde sich doch noch einmal ändern. Wie das kommen sollte, war allerdings ungewiss. Die Big Four, vier große, machtgierige und landhungrige Rancher, wollten sich das gesamte Ozark Plateau unter den Nagel reißen.
Um das zu erreichen, schreckten sie vor nichts zurück. Nicht vor Mord und Terror. Zuerst versuchten sie allerdings andere Mittel, um einen direkten Konflikt mit dem Gesetz zu vermeiden. Sie wollten den Bogen nicht überspannen.
Jetta hatte ein gutes Angebot von den Big Four erhalten. Doch noch hatte sie es nicht angenommen. Bald würde sie ihren Stolz hinunterschlucken und es tun müssen. Dann war ihr Starrsinn gebrochen. Nur dieser und das Grab ihres Mannes unter der Linde am Bach hielten sie noch.
Sogar ihre Hoffnung schwand. Es gab noch mehr Rancher und Siedler in den Ozarks, die nicht vor den Big Four wichen. Doch sie hatten keinen fähigen Anführer und waren den Big Four nicht gewachsen.
In der letzten Nacht hatte die junge, bildhübsche Frau einen Traum gehabt. In dem war ein Retter erschienen, ein Mann, dessen Gesicht sie im Traum nicht erkennen konnte. Er hatte das Blatt gewendet – und sie in seine starken Arme geschlossen. Er hatte blitzschnell ziehen und schießen können, er war ein Kämpfer der Sonderklasse. Ein Mann, den ihr Herz begehrte – ihr Mann war schon ein Jahr tot und verweste in seinem Grab – und der sie aufrichtig liebte.
Sie waren zusammen glücklich geworden. Doch das war ein Traum gewesen, er hielt der Realität nicht stand.
Jetzt kam ein abgerissener Landstreicher und stand vor der Tür. Er konnte mit Sicherheit nicht dieser Traummann sein. Jetta fühlte sich sogar noch von ihrem Traum genarrt und vom Leben mehr denn je betrogen.
Sie öffnete. Vor der tief stehenden Sonne kniff sie die Augen zusammen. Sie hielt die Winchester auf den Besucher gerichtet. Er hatte keine Waffe, was in diesem Land eine Seltenheit war.
»Wer bist du, was willst du?«, fragte Jetta spröde.
»Ich suche einen Platz zum Schlafen. Wieder mal mit einem Dach über dem Kopf. Und eine warme Mahlzeit.«
Er fügte hinzu, als Jetta ihn schon fortschicken wollte: »Ich will dafür arbeiten.«
Nach einem Moment antwortete sie: »Du kannst Holz hacken. Für den Anfang. Du darfst in der Scheune schlafen. Hier gibt es allerhand zu tun. Das Dach muss ausgebessert werden, der Zaun am Korral instandgesetzt. Und einiges andere. Wie ein Cowboy siehst du mir nicht aus?«
»Ich weiß nicht, ob ich ein Cowboy bin. Irgendwie kommen mir Rinder und Pferde und Sättel und Lassos vertraut vor.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen? Du musst doch wissen, ob du Sattelarbeit verrichten kannst!«
Er schüttelte den Kopf. Jetzt sah Jetta, dass er unter dem kurz und stümperhaft geschorenen Haar rechts eine lange Narbe seitlich am Kopf hatte. Es sah aus, als wäre ihm fast der halbe Kopf weggeschossen worden. Ein Streifschuss, den er mit viel Glück knapp überlebt hatte.
»Wie heißt du? Wer bist du? Wo kommst du her?«
»Ich weiß es nicht. Meine Vergangenheit liegt wie unter einem dichten Nebel. Nenne mich Hobo, Landstreicher. Die anderen, für die ich arbeitete und wo ich Unterschlupf fand, riefen mich auch so. Ich kann arbeiten. Ich will es. Wenn ich ein Werkzeug in der Hand halte, fällt mir ein, wie ich es gebrauchen muss. Seit einiger Zeit kann ich wieder lesen. Und schreiben und rechnen. Ich weiß, wie man im Sattel sitzt, obwohl ich kein Pferd habe.«
Jetta stand immer noch an der Tür, der ungebetene Gast vor ihr. Sie hatte die Waffe etwas gesenkt.
»Du kannst doch nicht vom Himmel gefallen sein, Hobo. Hm, ich werde dich Jack nennen, Hobo Jack. Du musst eine Vergangenheit haben. Erinnerst du dich nicht?«
Kopfschütteln.
»Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst? Ich meine, seit wann kannst du dich wieder erinnern? Du gehst ja immerhin umher und redest und weißt, was du tust.«
»Ja, das weiß ich. Doch woher ich komme und wohin ich gehe, das weiß ich nicht. Ich erinnere mich, dass ich in der Prärie wieder zu mir kam. Mein Kopf schmerzte fürchterlich, ich war voller Blut. Irgendwie schleppte ich mich fort, manchmal kroch ich auf allen vieren. So gelangte ich zu einer Straße. Dort wurde ich wieder bewusstlos. Eine Postkutsche kam des Wegs. Man fand mich und brachte mich in eine Ansiedlung. Tulsa war das.«
»Das ist in Oklahoma. Weit weg von hier.«
»Dort pflegte man mich gesund. Ich genas, aber das Gedächtnis kehrte nicht wieder. Als man mich fand, hatte ich keine Waffen, keine Papiere, nichts, was auf meine Identität hinwies. Nicht mal Stiefel. Ich hatte eine schwere Streifschusswunde am Kopf und war bis aufs Hemd ausgeplündert worden. Der Sheriff in Tulsa stellte Nachforschungen an. Er kam damit nicht weiter und gab es bald auf. Hauptsächlich interessierte es ihn, ob mein Gesicht auf einem Steckbrief zu finden ist. Das war nicht der Fall. Meine Kopfschmerzen, die mich die erste Zeit furchtbar plagten, haben nachgelassen. Nur manchmal spüre ich sie noch – dann allerdings ist es heftig. Meistens im ungeeigneten Augenblick. Die Docs, die mich behandelten, standen vor einem Rätsel. Ich bin ein Mann ohne Namen und ohne Gedächtnis. Es treibt mich umher wie ein Blatt im Wind. Vielleicht finde ich irgendwann meine Identität wieder. Wenn nicht, muss ich ohne leben oder mir eine neue schaffen.«
Jetta konnte kaum glauben, was sie hörte. Sie wusste, was eine Amnesie war. Doch ihr waren nur kurzfristige Fälle bekannt. Oder, wenn jemand schwer hirnverletzt war, dass er nichts mehr von früher wusste. Solche Menschen waren jedoch schwer beeinträchtigt und konnten sich kaum orientieren.
Sie konnten gefährlich sein, Anfälle haben und gegen sich und andere gewalttätig werden.
Schon wollte sie ihre Zusage widerrufen und den Mann fortschicken.
»Ich bin ungefährlich«, sagte er da. »Es ist nun ein halbes Jahr her, seit ich in der Prärie zu mir kam. Seitdem habe ich keinem Menschen ein Haar gekrümmt. Die Ärzte, die mich behandelten, meinten, mein Gedächtnis würde vielleicht irgendwann zurückehren.«
»Weißt du denn gar nichts von dir? Gibt es keine Hinweise? Welche Mundart sprichst du?«
»Ich habe keinen Dialekt. Oder hörst du einen heraus?«
»Nein. Du kannst bleiben. Aber betritt das Haus nicht ohne meine Erlaubnis.«
Er nickte. Jetta sah ihm nach, wie er zum Schuppen ging, um das Holz zu hacken. Er war groß und bewegte sich geschmeidig. Breite Schultern und schmale Hüften. Der Figur nach musste er ein Reiter sein. Er hatte ein kantiges, gut geschnittenes Gesicht und stahlblaue Augen. Eine kleine Narbe am Kinn. Er sah nicht mal schlecht aus, aber heruntergekommen und unrasiert.
Er roch stark nach Schweiß. Jetta kam eine Idee.
»Hobo Jack!«
Als er zu ihr kam, bat sie ihn, ihr seine Hände zu zeigen.
»Das sind Lassonarben. Du bist ein Cowboy oder hast Sattelarbeit verrichtet.«
»Das weiß ich. Es hilft mir nicht viel weiter. Cowboys gibt es wie Sand am Meer.«
Er ging wieder fort.
?
Stunden vergingen. Die Sonne ging unter. Jetta hatte lange Zeit die Axtschläge gehört, mit denen der Hobo das Holz hackte. Jack war mit dem Holzhacken fertig und hatte sich auch anderweitig nützlich gemacht. Er arbeitete schnell und geschickt. Schwer hirnverletzt konnte er nicht sein. Die Kugel – es musste ein Schuss gewesen sein, der ihn verwundete – hatte seinen Schädel gestreift und sein Gehirn schwer erschüttert und durcheinandergebracht.
Doch die Struktur war intakt geblieben, der Knochen nicht schwer geschädigt. Nur das Gedächtnis fehlte. Seine Sprache war ohne jeden Akzent. Jetta hörte jedenfalls keinen heraus.
Sie hatte das Vieh versorgt und nach ihren Gemüsebeeten gesehen. Den Haushalt erledigt. Das Essen kochte auf dem Herd. Bald wollte sie Jack hereinrufen. Er hatte sich als wertvolle Arbeitskraft erwiesen. Die junge Frau war im Zweifel, ob sie ihn am nächsten Tag fortschicken oder behalten sollte.
Sie war Witwe, 24 Jahre alt und kinderlos. Sie und ihr Mann hatten zwei Cowboys gehabt. Der eine hatte die Ranch schon verlassen, noch bevor das mit ihrem – Jettas – Mann geschah. Aus Furcht vor den Big Four und ihren Raureitern.
Der andere war verschwunden, nachdem die Sache mit Norman geschah, Jettas Gatte. Er hatte nicht mal seinen ausstehenden Lohn gewollt und war aus der Gegend...




