E-Book, Deutsch, Band 5, 256 Seiten
Reihe: Ruhe und Achtsamkeit
Wie wir die Verbindung mit unserem Schöpfer wiederfinden
E-Book, Deutsch, Band 5, 256 Seiten
Reihe: Ruhe und Achtsamkeit
ISBN: 978-3-417-27048-8
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tomas Sjödin (Jg. 1959) ist ein schwedischer Schriftsteller, Pastor, Dozent und Kolumnist aus Kramfors, lebt aber heute mit seiner Frau Lotta in Säve bei Göteborg. Er kommt aus der schwedischen Pfingstbewegung, ist aber seit vielen Jahren ökumenisch tätig, darunter in vielen Radio- und Fernsehsendungen. Seine Bücher und Kolumnen sind oft autobiografisch grundiert und humorvoll. Seit der schweren Erkrankung und dem Tod von zweien seiner drei Söhne beschäftigen sie sich aber immer wieder auch mit Leid und Trauer. Er hat mittlerweile etwa zehn Bücher geschrieben.
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In der Denkfabrik der Seele
Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.
Robert Koch, Mikrobiologe und Nobelpreisträger, 1910
Von den Dingen, die ich zum Thema dieses Buchs gelesen habe, hat mich eins am meisten erschüttert und zugleich mit Hoffnung erfüllt: One Square Inch of Silence (»Ein Quadratzoll Schweigen«) von Gordon Hempton. Er ist Akustikökologe (so heißt das tatsächlich) und ist im Laufe von mehr als dreißig Jahren um den Globus gereist, immer in Sachen Klang und Stille. Hempton glaubt übrigens, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen Stille und Stille. Das kann man erkennen, wenn man die verschiedenen Aufnahmen hört, die er gemacht und gespeichert hat.
Gordon Hempton ist ein aufmerksamer Zuhörer, und er ist überzeugt, dass die Stille auf unserer Erde unmittelbar vor ihrer Ausrottung steht. Seine Definition von Stille: wenn man mindestens 50 Minuten lang keinen von Menschen gemachten Laut hören kann. Nichts als die eigenen Laute der Natur oder der Atmosphäre. Wind, der durch Bäume streicht, Wasser, das im Bach murmelt, Vogelgesang. Seiner Ansicht nach gibt es in den USA nur noch zehn Orte, an denen man das erleben kann; viele dieser Orte musste er in den letzten Jahren von seiner Liste streichen. In Europa gibt es seiner Einschätzung nach keinen einzigen solchen völlig stillen Ort mehr.
Was geschieht in einer solchen Welt mit der Seele? Hempton glaubt, dass es zu unseren menschlichen Grundrechten gehört, den Lauten der Natur still und ungestört zuzuhören, sodass das, was wir hören, eine Bedeutung bekommt. Lange bevor der Mensch Laute und Lärm schuf, gab es nur die Laute der Natur. Das menschliche Hören entwickelte sich in perfekter Anpassung an diese Laute. Da ist der Wind, der den Wetterumschlag ankündigt, der erste Vogelgesang, der im Frühjahr die Botschaft bringt, dass die Erde bald wieder grün werden wird, ein sich nähernder Sturm, der das Ende der Trockenperiode verspricht, und die Gezeiten als eine Art himmlisches Ballett – um mir nur einige seiner Beispiele zu leihen.
Hempton nennt unseren Planeten Erde eine »solarzellengetriebene Jukebox«. Wenn man nämlich zum Äquator kommt und auf den Regenwald des Amazonas hört, also auf den Ort mit der meisten Sonne und der meisten Sonnenenergie, dann fällt einem dieses Bild ein, meint Hempton. Die Solarpanele – die Blätter – nehmen Licht und Energie auf und verwenden sie in ihrem bioakustischen System. Die Laute all des Lebens, das dort entsteht, sind so stark, dass der Mensch sie als beinahe zu stark empfindet.
Die Stille, so Hempton, ist ein heiliger Ort für die Seele, einer, der unsere Sinne öffnet und uns lebendig werden lässt: »Stille kann man wie ein Stück glühende Kohle von einem Feuer mitnehmen, man kann auf sie treffen, und sie kann uns treffen, sie kann verloren gehen und wiederhergestellt werden, aber man kann sie sich nicht vorstellen, wie viele glauben. Um das Wunder zu erleben, wie Stille die Seele weitet, muss man sie hören.«
Hier spricht ein Mann etwas Metaphysisches an, der von sich selbst sagt, spirituell aufgeschlossen, aber nicht religiös zu sein. Hempton glaubt, dass es uns nicht weiterbringt, wenn wir uns mit lärmdämmenden Kopfhörern oder durch Lärmschutzgesetze abzuschirmen versuchen. Nur eins bringt uns weiter: wieder Kontakt mit der Natur aufzunehmen, einer Natur, die spricht, die uns leise ruft, mit einem Ruf, den wir nur wahrnehmen, wenn er uns in der Stille erreicht. Stille und Hören bieten Raum für Wachstum und sind wie eine Stimmgabel, an der wir uns ausrichten können.
Laut Gordon Hempton haben wir ein Stadium der Menschheitsgeschichte erreicht, in dem die Umweltkrise eine dauerhafte Umstellung unseres Lebensstils notwendig macht. Mehr als je zuvor müssen wir uns jetzt in die Natur verlieben. Und Hempton meint: Der beste Ort der Begegnung wäre die Stille.
Ein spannender Gedanke, finde ich. Die Stille als Ort der Begegnung zwischen uns und der Natur, der wir wieder »verfallen« sollten, so wie wir einem Menschen »verfallen«, in den wir uns verlieben. Aber so, dass wir ihr immer und immer wieder verfallen, sodass die Verliebtheit die Chance bekommt, zu einer lebenslangen Liebe zu reifen.
Wir müssen verstehen, wie bedroht die Stille ist. Vielleicht kann ihre Bedrohtheit dann zu einem Weg nach vorn werden. Aus Bedrohung würde Hoffnung, könnte man sagen. Vielleicht liegt in Hemptons Bild von der Stille als Treffpunkt ja ein Schlüssel zur Hoffnung auf Zukunft? Oder, um in der Sprache der Liebe zu bleiben: der geheime Schlupfwinkel, der die Liebe lebendig hält.
Warum ist die Stille so wichtig? Die Stille nährt unsere menschliche Natur. Sie hilft uns zu verstehen, wer wir sind. In der Stille können wir uns nicht vor uns selbst verstecken. Vielleicht tun wir gerade deshalb alles, um ihr auszuweichen. Doch wenn wir das tun, entgeht uns das, was uns im Tiefsten zu Menschen macht. Das, was unsere Wahrnehmung so schärft, dass sie empfänglich wird, und unser Hören neu justiert. In einer guten Stille werden wir zu Menschen, die besser hören: auf die Natur, aufeinander und auf Gott. Vielleicht werden wir auch ernsthaftere Zuhörer, weil die Sehnsucht wächst, so zu leben, wie wir es als richtig erkannt haben. Wir werden fähig, uns von Selbstgefälligkeit zu lösen, von dem eingeschränkten Blick auf Wirtschaftlichkeit und auf Materielles, und wir verstehen, dass es uns schwerfällt, die Grenze zwischen Begehren und Bedürfen zu erkennen.
»Wo etwas Großes geschieht, geschieht es still«, schreibt der Ökologe Stefan Edman in seinem Buch Förundran (»Staunen«) und beschreibt, wie er einer Tannennadel zuhört. Sein Text beginnt mit der Beschreibung eines nur fünf Gramm schweren Wintergoldhähnchens, erzählt dann von einer 90 Jahre alten Tanne, die doppelt so viele Bewohner hat wie Östermalm (einem Innenstadtbezirk von Stockholm mit etwa 60 000 Einwohnern), und spricht dann vom Universum als einer einzigen großen Stille. »Klang entsteht in den Lebewesen«, schreibt Edman und fasst dann zusammen: »Die Wirklichkeit wohnt in der Stille.«
Was ist eigentlich Stille? Und gibt es überhaupt die völlige Stille? Wenn wir sagen: »Es ist still«, meinen wir ja nicht null Dezibel. Wenn es wirklich absolut still wäre, würden wir nach kurzer Zeit verrückt. Es geht also eher darum, dass wir von einem Ort träumen, an dem die Laute, die wir hören, begrenzt sind und an dem wir Laute wahrnehmen können, die uns sonst entgehen, Laute, die wir selbst mit unserem menschlichen Sprechapparat nicht zustande bringen. Eine Stille, in der wir das »Kleingedruckte« des Lebens wahrnehmen. (Ein schönes Wort, dieses »wahrnehmen«: sich einer Sache bewusst werden, die nur nach und nach hervortritt. Sie war immer da, aber erst jetzt kann sie erkannt werden. Man »wird ihrer gewahr«.)
Der eigensinnige Komponist und Autor John Cage schreibt in seinem Buch Silence: »Es gibt nicht so etwas wie eine leere Fläche oder eine leere Zeit. Es gibt immer etwas zu sehen oder etwas zu hören. Sicher ist: Sosehr wir auch versuchen, Stille zu schaffen – wir können es nicht. Ob wir es beabsichtigen oder nicht, es entsteht immer Geräusch.« Cage behauptet schließlich, dass wir, selbst wenn es uns gelingen sollte, tatsächlich Stille entstehen zu lassen, nichts entdecken würden als »das Getöse in unserem Inneren, den Strom unseres Blutes, das durch den Körper gepumpt wird. … Der Schaden, den der Lärm anrichtet, besteht nicht darin, dass er uns einer Nicht-Sache, eines ›Un-Wesens‹ beraubt, nämlich der Stille, sondern dass er uns all die kleinen Klänge nimmt. Denn das Getöse hat es uns nicht nur unmöglich gemacht zu wissen, wie Dinge klingen, es hat uns vergessen lassen, dass sie klingen.«
Bei diesem Gedanken sollte man einmal kurz und vielleicht auch etwas länger Halt machen. Was sind das für kleine, schwache, vorsichtige Klänge, die ich nicht mehr wahrnehme? Was geht im Brausen und Rauschen verloren? Wir können es nicht wissen. Der einzige Weg, es herauszufinden, geht über das Wagnis, sich der Stille zu stellen.
Peter Englund schreibt in seiner Essay-Sammlung Tystnadens historia och andra essäer (»Die Geschichte der Stille«), wie die Klanglandschaft unserer Welt sich verändert und dass wir heute in einer ohnehin schon vermüllten Welt auch noch mit großen Mengen »Klangmüll« umgehen müssen. »Da klingt es nicht nur lauter, da klingt auch so viel mehr; mehr in dem Sinne, dass der Lärm einen so viel breiteren Frequenzbereich eingenommen hat: Das ›weiße Rauschen‹ der elektrischen Geräte, das ferne Grollen der Flugzeuge, die nahen, eindringlichen Verkehrsgeräusche – alle zusammen bewirken, dass unser akustischer Horizont sich verengt, dass unsere akustische Welt simpler, platter, ärmer wird.«
Englund meint, dass die Natur unseres Hörens sich verändert hat, dass wir früher intensiver gehört haben, auf das hörten, was wir hören mussten, um zu überleben, dass der Klang also Bedeutung hatte. Heute sind die Klänge um uns herum Hintergrundgeräusche, die wir nur wahrnehmen, um sie gleich wieder aus unserer Wahrnehmung herauszufiltern.
Es gibt eine Suche nach Stille, deren Ziel die Leere ist. Nichts sehen. Nichts hören. Nichts wissen. Für mich klingt das wie die Definition von »tot«. Darauf bin ich nicht aus. Ich schreibe mich auf diesen ersten Buchseiten warm, um eine Stille zu beschreiben, deren Wirkung in eine andere Richtung geht – die uns zu Menschen mit einem klareren Blick macht, mit einem feineren Gehör, mit einem reicheren und wärmeren Gefühlsleben und einem...