E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
Sirovátka Endlichkeit und Transzendenz
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2012
ISBN: 978-3-7873-2418-7
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Perspektiven einer Grundbeziehung
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
ISBN: 978-3-7873-2418-7
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Seit Beginn der Philosophie in der Antike wird die Beziehung von Endlichkeit und Transzendenz bedacht, zwischen denen die menschliche Existenz eingespannt ist. Der endliche Mensch vermag sich in seiner Endlichkeit letztlich nur dann zu verstehen, wenn er sich selbst transzendiert und wenn er in der Relation zum Absoluten steht. Dieser Sammelband versucht aus verschiedenen Perspektiven die spannungsreiche Beziehung zwischen der Endlichkeit des menschlichen Lebens und der den Menschen übersteigenden Unendlichkeit zu beleuchten.
Trotz der Fragilität und der Unvollkommenheit des Lebens ist die menschliche Verfassung positiv zu sehen als diejenige Bedingung, die dem Menschen erlaubt, seine Freiheit zu entfalten und ein Leben in Verantwortung zu führen. Weder soll die Endlichkeit in ihrer Eigenständigkeit aufgelöst noch die Transzendenz aufgehoben werden. Das Absolute ist sowohl in seiner radikalen Transzendenz als auch in der Beziehung zum Menschen zu denken. Die unterschiedlichen Themen werden von den Autoren des Bandes im Gespräch mit der Tradition behandelt. In einem geschichtlichen Durchgang kommen u. a. Xenophon, die Stoa mit Cicero sowie viele ›Ursprungsdenker‹ wie Augustinus, Immanuel Kant, Blaise Pascal, Martin Heidegger oder Emmanuel Levinas zur Sprache.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Inhaltsverzeichnis;7
3;Einleitung des Herausgebers;9
4;N. Hinske: Glück und Pflicht. Überlegungen zu Xenophons Erinnerungen an Sokrates und ihre Wirkungsgeschichte im 18. Jahrhundert;15
5;M. Forschner: Immanente Transzendenz: die Stoa und Cicero über die Würde des Menschen;25
6;F. Ricken: Die vielfache Transzendenz in Augustinus’ ›Confessiones‹;51
7;A. Raffelt: »… daß der Mensch den Menschen unendlich überschreitet«. Endlichkeit und Transzendenz bei Blaise Pascal;69
8;R. Langthaler: »Moralische Selbsterkenntnis« – die Idee des »völligen Bewustseins seiner selbst« - der »Herzenskündiger«: Aspekte des Themas ›Endlichkeit und Transzendenz‹ in Kants Religionsphilosophie;97
9;L.A. Macor: Die Abhängigkeit des Menschen von Gott. Zur Endlichkeit als Geschöpflichkeit bei Johann Joachim Spalding;121
10;L. Karfíková: Zeitlichkeit und Authentizität nach ›Sein und Zeit‹. Einige Probleme der Zeitauffassung Heideggers und ihre Parallelen bei Augustin;141
11;F.-W. v. Herrmann: Ansatz und Wandlungen der Gottesfrage im Denken Martin Heideggers;155
12;J. Greisch: Hermeneutik der Endlichkeit und Hermeneutik der Transzendenz;187
13;J. Sirovátka: Ethische Transzendenz und transzendente Ethik. Zur Philosophie von Emmanuel Levinas;213
14;A. Stahl: Ostia und Ulsgaard. Göttliche Fügung und irdische Nähe: zwei Begegnungen;231
15;D. Hattrup: Der Satz der Identität und der Besuch dreier Pinakotheken;245
16;K. Kardinal Lehmann: Vom Anspruch der ›Theorie‹ in Wissenschaft, Bildung und Lehre;269
17;Siglenverzeichnis;281
18;Literaturverzeichnis;283
19;Personenregister;301
Einleitung des Herausgebers
Der endliche Mensch vermag sich in seiner Endlichkeit nur deshalb zu verstehen, weil er die Fähigkeit besitzt, sich aus der Immanenz seiner Vollzüge zu lösen und sich selbst zu übersteigen. Die Fähigkeit des Transzendierens gehört zur menschlichen Existenz, wie z. B. Karl Jaspers hervorhebt: »Der Mensch vermag nicht bloß da zu sein, er muß transzendierend im Aufschwung sein oder Transzendenz verlierend sinken.«1 So rät auch Augustinus in De vera religione 39 sich selbst zu übersteigen ? über den Weg des eigenen Inneren ?, wenn man sich auf die Suche nach Wahrheit begibt: Noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat veritas, et sie tuam naturam mutabilem inveneris, transzenden et te ipsum. Die Möglichkeit des Transzendierens setzt voraus, daß die Wirklichkeit in eine sinnliche und eine übersinnliche ›Welt‹ geteilt wird. Diese Einsicht steht schon am Anfang der abendländischen Philosophie: in Platons Liniengleichnis (Politeia 509d) besteht die Trennung (????sµ??) zwischen dem Sichtbaren (??at??) und dem Denkbaren (???t??). Diese zwei ›Dimensionen‹ der gesamten Wirklichkeit stehen jedoch nicht beziehungslos neben- oder übereinander, sondern bleiben stets aufeinander verwiesen. Die Horizontale und die Vertikale sind zwei Dimensionen einer Gesamtwirklichkeit. Wer einen unverstellten Blick auf die gesamte Wirklichkeit gewinnen will, darf sie weder alleine auf den mundus sensibilis noch auf den mundus intelligibilis reduzieren. Der Mensch ist ›Bürger zweier Welten‹, der sowohl der sinnlichen Welt als auch der intelligiblen Welt angehört (vgl. KpV A 155). Von der Fähigkeit des Transzendierens, die als Bewegung des menschlichen Geistes verstanden wird, ist (noch) der Bezug zur Transzendenz zu unterscheiden: einer Transzendenz, die sich aufgrund ihrer Unendlichkeit jedem begreifenden Denken entzieht und es unendlich übersteigt. Kant zeigt sich überzeugt, daß die Fragen nach ›Gott, Freiheit und Unsterblichkeit‹ diejenigen Fragen sind, an denen die menschliche Vernunft das größte Interesse zeigt: »Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft« (KrV A VII). Damit ist die Frage verbunden, von woher »die Natur unserer Vernunft mit der rastlosen Bestrebung heimgesucht« wurde (KrV B XV)?
Wenn der Mensch in der Tat ein ›Wesen der Metaphysik‹ ist, dann bleibt die Suche nach dem Unendlichen eine Denk- und Lebensaufgabe, die zwar anzugehen, aber nicht abzuschließen ist. Es soll die These gewagt werden, daß erst aus dem Bezug zur Transzendenz die endliche Existenz des Menschen in ihrer Tiefe gelebt werden kann.
Der vorliegende Band versucht verschiedene Perspektiven der fundamentalen Beziehung von Endlichkeit und Transzendenz aufzuzeigen. Der Ausgangspunkt ist das Leben mit all seinen Phänomenen, wie es sich zeigt und in seiner Faktizität erfahren wird. Wenn nach dem letzten Zweck der gesamten Wirklichkeit gefragt wird, geschieht das von der gelebten Erfahrung her, ausgehend von der konkreten Situation des Menschen, der sich auf seine endliche Verfassung zurückgeworfen vorfindet und im Bezug zum Unendlichen steht. Ein Versuch, diese Beziehung zu beleuchten, muß sowohl der endlichen Verfassung des Menschen gerecht werden, als auch die radikale Transzendenz des Absoluten ernst nehmen. Das Absolute ist sowohl in seiner radikalen Transzendenz als auch in der Beziehung zum Menschen zu denken. Im Gegensatz zur Tradition des Neuplatonismus mit ihrer negativen Sicht der endlichen Seinsverfassung, die im höheren Sein aufzugehen hat, soll hier die Endlichkeit als eine positive Seinsweise gesehen werden. Trotz der tatsächlichen Fragilität und Unvollkommenheit des menschlichen Lebens muß daran festgehalten werden, daß die Mangelhaftigkeit und Bedürftigkeit des Menschen gerade diejenigen Bedingungen bilden, die die Führung der freien menschlichen Existenz ermöglichen. Das Sokratische Ideal besitzt demzufolge nach wie vor seine Gültigkeit: die Philosophie bedeutet lediglich die Liebe zur Weisheit, nicht deren Besitz. Nicht endgültige Antworten zu liefen ist die Aufgabe des Philosophierenden, sondern stets neu zu fragen und zu denken im Bewußtsein dessen, daß Philosophie letztlich eine Lebenspraxis bedeutet.
Die folgenden Beiträge ? die chronologisch nach den behandelten Autoren geordnet sind ? eröffnen diverse Perspektiven im Blick auf die Thematik von Endlichkeit und Transzendenz. Der Band erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf erschöpfende Behandlung des Themas, sondern soll eher als Anregung und Inspiration gelesen werden. Im ersten Beitrag Glück und Pflicht. Überlegungen zu Xenophons ›Erinnerungen an Sokrates‹ und ihre Wirkungsgeschichte im 18. Jahrhundert untersucht Norbert Hinske die Wandlungen des Bedeutungsfeldes von Glück von der Antike über Kant bis in die Gegenwart. Im Ausgang von der Aporie von Glückssuche und Glückserfüllung zeigt der Beitrag, daß es in der Philosophie nicht um das Glück im Sinne eines glücklichen Schicksals geht, sondern als eines Themas der Lebensführung des Menschen. Im Zentrum der Abhandlung Immanente Transzendenz: Die Stoa und Cicero über die Würde des Menschen von Maximilian Forschner steht der Begriff der Würde des Menschen. Forschner zeigt sehr einleuchtend, daß sich der moderne Begriff der Würde neben der religiösen ebenfalls der philosophischen Tradition verdankt, die in der Forschung weniger beachtet blieb und bis auf das stoische Denken zurückgeht, das als erstes die ethische Bedeutung der menschlichen Würde begriffen habe. Im nächsten Beitrag Die vielfache Transzendenz in Augustinus’ ›Confessiones‹ vertieft sich Friedo Ricken in das Denken Augustins, um seinen inneren Weg nachzuvollziehen, wie er in den Bekenntnissen geschildert ist. Ricken sieht darin eine vierfache Transzendenz am Werk: epistemische, ontologische, axiologische und aszetische. »… daß der Mensch den Menschen unendlich überschreitet«. Endlichkeit und Transzendenz bei Blaise Pascal, so lautet die Untersuchung von Albert Raffelt. Sie sucht nach genuin philosophischen Ansätzen (und nicht nur theologischen) im Werk von Pascal, die die in aller Schärfe diagnostizierte Disproportion zwischen der endlichen Verfassung des Menschen und der unendlichen Unendlichkeit Gottes zu überwinden vermag. Rudolf Langthaler versucht in seiner Abhandlung »Moralische Selbsterkenntnis« – die Idee des »völligen Bewusstseins seiner selbst« – der »Herzenskündiger«: Aspekte des Themas »Endlichkeit und Transzendenz« in Kants Religionsphilosophie die These Kants zu explizieren, daß die Moral »unumgänglich zur Religion führt«. Mit Blick auf das Gesamtwerk werden die Themen der moralischen Bestimmung des Menschen mit der Problematik des »reflektierenden Glaubens« miteinander verbunden. In einem historisch überaus versierten Beitrag Die Abhängigkeit des Menschen von Gott. Zur Endlichkeit als Geschöpflichkeit bei Johann Joachim Spalding knüpft Laura Anna Macor unmittelbar an die Problematik Kants an. Sie stellt die wichtige Stellung des anthropologischen Ansatzes des evangelischen Theologen Spalding in der damaligen Zeit vor, der die Begriff der ›Bestimmung des Menschen‹ maßgebend geprägt hat. Die Untersuchung von Lenka Karfíková Zeitlichkeit und Authentizität nach ›Sein und Zeit‹. Einige Probleme der Zeitauffassung Heideggers und ihre Paral-lelen bei Augustin zeigt die Wirksamkeit der Motive Augustins in Heideggers Zeitauffassung auf und übt zugleich an ihr Kritik. Karfíková plädiert für eine stärkere Berücksichtigung der Dimension des Mit- und In-der-Welt-Seins und für eine ›Entmoralisierung‹ der Theorie der eigentlichen Zeitlichkeit des Daseins. Das Denken von Martin Heidegger steht auch im Zentrum der Abhandlung von Friedrich-Wilhelm von Herrmann Ansatz und Wandlungen der Gottesfrage im Denken Martin Heideggers. In einer umfassenden und überaus kenntnisreichen Darstellung stellt von Herrmann die Entwicklung des Denkens von Heidegger im Blick auf die Frage nach Gott dar: von der ›wahrhaften Idee der christlichen Philosophie‹ der frühen Vorlesungen bis zum ›letzten Gott‹ der späten Beiträge[n] zur Philosophie. Die Phänomenologie sowie die Dichtung von G. Benn (auch von P. Celan, H. Domin u. a.) bilden den Ausgangspunkt der Ausführungen von Jean Greisch, der grundsätzlich über die Hermeneutik der Endlichkeit und Hermeneutik der Transzendenz nachdenkt. Greisch fragt nach den sprachlichen Ausdrucks- und Auslegungsmöglichkeiten, die es dem Menschen erlauben, sowohl über die Endlichkeit als auch über die Transzendenz sachhaltig und sinnvollerweise zu reden. Der Beitrag Ethische Transzendenz und transzendente Ethik. Zur Philosophie von Emmanuel Levinas von Jakub Sirovátka hebt die enge Verquickung von Ethik und Transzendenz im Denken von Levinas hervor. Der unbedingte ethische Anspruch des Anderen ist ohne den Bezug auf Unendliches nicht denkbar und die Beziehung zu Gott bewährt sich alleine in der Haltung der Güte gegenüber dem anderen Menschen. August Stahl bringt in seiner Abhandlung Ostia und Ulsgaard....