Simson / Graf | Kalendergeschichten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Simson / Graf Kalendergeschichten

Mit einem Vorwort von Konstantin Wecker
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-0863-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mit einem Vorwort von Konstantin Wecker

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0863-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Prallvoll mit burlesken und dramatischen, heiteren und traurigen Begebenheiten sind diese Geschichten vom Leben in der Stadt und auf dem Land. Liebevoll porträtiert Oskar Maria Graf amtsaufsässige Grantler und sauf- und streitlustige Originale, erzählt von unglücklichen Lieben und maßloser Habgier, von Bauernschläue und bäurischer Dickköpfigkeit.

Oskar Maria Graf wurde 1894 in Berg am Starnberger See geboren. Von 1911 an lebte er als Schriftsteller in München. Von Wien aus, seiner ersten Exilstation, protestierte er 1933 mit seinem berühmten »Verbrennt mich!«-Aufruf gegen die Bücherverbrennung. Ab 1938 lebte er in New York, wo er am 28. Juni 1967 starb.
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Wer stiehlt, hat auch das Gespött

I.

Beim Hammerschuster draußen – hinterhalb Würling, kurz bevor der Eberswangener Torfstich angeht, steht das niedere Gütlerhäusl – beim Hammerschuster lag der Alte schon seit etlichen Wochen zwischen Leben und Sterben. Erst vor einem knappen Jahr hatte er das Sach seinem Jakl übergeben. Nach hartnäckigem Streiten, wohlgemerkt. Alsdann, bei der Hochzeit vom Jakl, der eine Gfellersbergertochter von Straßlach geheiratet hat und mit dieser Partie zufrieden sein konnte – dreitausend Mark und eine Kuh sind damit ins Haus gekommen – alsdann also, bei der Hochzeit, tanzte der Alte noch wie ein Junger.

»Host d’ dir nachha aa ois’s richti ausdunga, Hammaschuasta? Host ös ois schwarz auf weiß beim Notar ausgmacht, wos dir zuasteh muaß?« fragte ihn bei dieser Gelegenheit der Steim von Rieding, weil ihm die Lustigkeit des Alten auffiel.

»Feit si’ nix! I hob mi scho g’sichert!« gab ihm der zurück. »Wenn er do net nochgebn hätt’, der Jakl, nachha hätt’ i iahm ewig no net übergebn …« Und dann erzählte er, listig mit seinen kleinen Augen zwinkernd, was er sich für seine alten Tage alles ausbedungen habe. Offenbar war’s zufriedenstellend, denn der Steim sagte beruhigt mit seiner bassigen Stimme: »Sowos konn ma si gfoin lossn. Do is koa unrechta Hakn dabei …«

Überdies aber – notarielle Abmachungen hin und notarielle Abmachungen her – wenn der junge Bauer ein schlechter Kerl ist, hilft alles nichts. Der Jakl hingegen war kein Unrechter Mensch. Sein Vater konnte sich nicht beklagen und fühlte sich sauwohl als Austrägler. Er wünschte sich nichts anderes als ein langes Leben. Aber Gottes Wege sind wunderbar, steht im Katechismus, hingegen im Würling-Eberswangener-Riedinger Revier heißt es ganz anders. Da sagt man: »Der Herrgott macht’s allmal mit Fleiß so, wie’s uns nicht paßt.«

Ein alter Bauer, der seiner Lebtag von früh bis spät gearbeitet hat, fängt das Saufen an. Er sauft wie ein Loch. Das trifft man hundertmal. Gut, der alte Hammerschuster hatte jeden Sonn- und Feiertag seinen vollen Rausch, und das vertrug er nicht. Nach einem halben Jahr fing er zu kränkeln an und samtdem, daß er zu der Kohlhäuslertraudl nach Walchstadt etliche Male mit seinem Urin hinüberging, samt der Traudl ihrem »Gsundwasser« wurde es nicht mehr besser mit ihm. Er war, wie man sagt, »zusammengesoffen«. Auch der Bezirksarzt Meisinger von Eglhofen, den der Jakl eines Tages herüberholte, konnte nichts mehr ausrichten.

Seltsam war bloß eines: nämlich warum der alte Hammerschuster jedesmal, wenn der Pfarrer zu ihm kam und von den Sterbsakramenten anfing, so hartnäckig ablehnte. Es stellte sich dabei auch heraus, daß er überhaupt schon das zweite Jahr nicht mehr gebeichtet und kommuniziert hatte. Das war recht dumm – hm, warum denn? Hm, wie denn jetzt das? fragte sich der hochwürdige Herr Pfarrer, fragten sich die jungen Hammerschusterleute. Ein Unrechter Mensch war er doch nicht, der Alte. Weswegen also war er so lang der Beicht’ und Speisung aus dem Wege gegangen?

Indessen weder der Geistliche noch die jungen Leute brachten’s heraus und, was viel ärger war, der Alte konnte doch heut’ oder morgen die Augen auf ewig zumachen, aber stets sagte er zum Pfarrer: »Nana, na-nana, Hochwürdn, nana … Soweit is’s no lang net mit mir! Na-na, a so a oita Baur ist zach wia Juchtnleda … Mit dö Sterbsakramente do is’s noch Zeit gnua, Hochwürdn.« Und ständig, wenn er sich so weigerte, richtete er sich im Bett auf und plagte sich zu einem »gesunden Gesicht«.

Es war auffällig, wie gesagt, es war höchst sonderbar.

Die junge Hammerschusterin pflegte den Alten. Sie hatte ein recht einschmeichelndes Wesen. Sie machte die ekelhaftesten Sachen mit einem freundlichen Gesicht, sie war immer grundgut heiter, wenn der Kranke von ihr etwas verlangte, was ihn selber genierte. »Ja-ja, Vata, gell, Vata!« sagte sie zu allem, richtete ihn im Bett auf, wusch ihn, gab ihm das Essen ein, schob ihm die Leibschüssel unter – kurzum, sie war die reinste barmherzige Schwester. Und zu ihr wurde der Hammerschuster denn auch zutraulicher. Ihr zeigte er’s, wenn ihm was weh tat, ihr jammerte er auch hin und wieder vor, aber sie fing nie an von den Sterbsakramenten, sie sagte bloß immer: »Ja, ja, Vater, ös werd scho wieda … A kranka Mensch muaß hoit oiahand aussteh …«

Nicht ein Wort vom Sterben ließ sie fallen. Aus ihrem Gesicht und aus ihren Augen konnte einer nichts anderes lesen als das: Hammerschuster, du stirbst nicht. Du wirst schon wieder.

Trotzdem aber – es liegt einer nicht umsonst hilflos da, es denkt einer dabei in einem fort nach – der Alte war voller Mißtrauen mitunter. Er spürte es doch selber am besten, wie es um ihn stand. Es ging aus dem Leben, jeden Tag mehr, jede Stunde sicherer. Es war ihm zeitweise, wie wenn’s inwendig in ihm anfange zu bröckeln, wie wenn alles langsam faulig gärte.

Er schaute matt auf die Junge und ärgerte sich auf einmal über ihr zuversichtliches Gesicht.

»Du drahst mi net o … I wer nimma! … Mit mir geht’s o’warts …« stöhnte er einmal.

»Aba Vata! … Mein Gott, dös moant ma oft«, wollte sie sich hinausreden, und diesmal schien’s dem Kranken doch, als husche etwas wie ein Mitleid über ihr Gesicht. »Brauchst wos, Vata?… Wo tuat’s dir denn weh?« fragte sie wiederum. Und da sagte der Alte noch trübseliger: »Hoi an Löffla uma, aba schnell … U-und zon Pfarra konnst aa aufischicka … Aba b’sinn’ di nett … I glaab, ös geht dahi …«

Die Marie war baff. Einen Augenblick war es ganz dumm in ihr. »An Löffla, Vata?« fragte sie nochmal. Wie kam denn jetzt das? Mit dem war der Alte doch seit Jahr und Tag feind.

»Geh zua, hoi ’n! Geh zua!« hauchte der Kranke dringender, und da ging sie denn ohne Widerrede.

Als sie draußen war, knirschte der alte Hammerschuster und verzog sein Gesicht sehr schmerzhaft, er schaute zur Decke hinauf, hielt die Augen mit Gewalt weit offen, und da war was drinnen, in diesen Augen, wie hilflose Ohnmacht, wie mürrische Trübseligkeit …

Hinwiederum, jeder, der ihn so gesehen hätte, würde sich insgeheim gesagt haben: »Der wartet auf was! Dem brennt was im Innern, das er noch unbedingt vor dem Abmarsch in die Ewigkeit loswerden will.«

II.

Nach einer Zeit also standen der Nachbar Löffler und der Pfarrer in der Austragskammer vor dem Bett vom Hammerschuster. Der Löffler war fast verlegen, ärgerte sich offenbar darüber und fragte ziemlich kratzbürstig: »No, wos is’s denn nachha, Jakl?… Wos wuist mir denn?« Er hatte auch allen Grund zum Grantigsein, denn die Feindschaft hatte seinerzeit einzig und allein der Hammerschuster heraufbeschworen, nicht er. Und jetzt, jetzt auf einmal sollte schnell wieder alles eingerenkt werden. Richtig kindisch war das!

Vor zwei Jahren nämlich, in einer stockdunklen, nebelnassen Herbstnacht, stieß der Löffler, der beim Ferkelmarkt in Eglhofen gewesen war, auf dem Würlinger Wiesenfußweg mit einem Menschen zusammen, der ihn sofort grimmig anbellte, ob er keine Augen im Kopf habe. Der Stimme nach war’s der Hammerschuster, sehen konnten die zwei einander nicht recht.

»No, jetzt werd’s guat! … Jakl? Bist ös du … No, wos bist d’ denn glei so kritisch?« lachte der Löffler gar nicht weiter beleidigt und blieb stehen. »Wos treibt denn jetz di no so spat bei der Nocht umanand?« Und er wollte ein Zündholz anzünden. Aber der andere gausterte fuchtelnd herum umd schimpfte bloß noch ärger: »An Dreck bin i! … Siach, dappiga! Schaug an andermoi richti, bsuffers Wogscheitl! … Dös geht di gor nix o, wos ander’ Leit bei der Nocht teahna!«

Das trieb dem Löffler denn doch den Zorn in den Kopf. Erstens war er nicht besoffen und zweitens war das Zusammenrennen nicht so arg gewesen. Er blieb baff stehen und vergaß ganz und gar, das Zündholz anzuzünden.

»Tjaaa, wos is denn jetzt dös? … Ja-aa, bist d’ denn du verrückt wordn, Jakl?« knurrte er. »Himmikreizdreiteifi, du spinnst ja direkt!«

Aber es war schon aus. Der Mensch fing auf einmal zu laufen an und plärrte bloß noch aus dem Dunkel: »Am Orsch leck mi, Hammi, saudumma!« Weg war er. Der Löffler spürte das leichte Zittern des moorigen Wiesenbodens unter seinen Füßen, wußte – da rennt einer wie der Teufel, hob den Kopf verwirrt, schüttelte ihn benommen, schrie schließlich noch einmal »Jakl«, und als niemand mehr angab, ging er verärgert weiter.

Dieses Erlebnis ließ natürlicherweise dem Löffler keine Ruhe. Er kam denn auch am andern Tag zu seinem Nachbarn und stellte ihn zur Rede.

Aber was passiert da? Der Hammerschuster leugnete alles hartnäkkig ab.

»Ah!« spöttelte er schier bissig: »Ah, do host ja doch direkt traamt! … I bin gestern auf d’ Nocht übahaaps net aus’n Haus g’wen … Geh, jetzt sowos! Hm, wos du do ois in dein’ Rausch gsehng hobn wuist! … Hm-hm, jetzt werd’s guat!«

Der Löffler wurde noch baffer. Er schaute seinem Nachbarn fest in die Augen. Die waren unsicher.

»Ja Herrgott, Jakl, i hob doch dei’ Stimm’ kennt … Tja-ja, du werst doch it glaabn, daß i einfach so mir nix, dir nix wos daherverzoi … Mir is’s doch gleich, wos du auf d’ Nacht machst, aba a so hättst mi net o’redn braucha! Dös is ja direkt schandmassi g’wen!« widersprach der Löffler, und weil er steif und fest dabei blieb, fing der Hammerschuster auf einmal das Streiten an. Hitzig und bösartig schimpfte er, und der Nachbar blieb ihm auch nichts schuldig. Es hätte vielleicht sogar eine Rauferei gegeben, wenn der Häusler nicht plötzlich...


Graf, Oskar Maria
Oskar Maria Graf wurde 1894 in Berg am Starnberger See geboren. Von 1911 an lebte er als Schriftsteller in München. Von Wien aus, seiner ersten Exilstation, protestierte er 1933 mit seinem berühmten 'Verbrennt mich!'-Aufruf gegen die Bücherverbrennung. Ab 1938 lebte er in New York, wo er am 28. Juni 1967 starb.



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