Simons | Eine unbeugsame Frau | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 408 Seiten

Simons Eine unbeugsame Frau


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95890-244-2
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 408 Seiten

ISBN: 978-3-95890-244-2
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als die Filmschauspielerin Laura Scott von ihrer Agentin geschasst wird, weil sie die fünfzig überschritten hat und als schwer vermittelbar gilt, scheint es mit ihrer Karriere vorbei zu sein. Doch noch am selben Tag tut sich unverhofft eine völlig neue Perspektive auf: Sie bekommt das Angebot, in einem Einpersonenstück zu spielen. Ein Theaterstück über Georgie Hepburn, eine Schauspielerin, Pilotin und Fotografin, die sie schon immer verehrt hat. Laura beginnt, über Georgie zu recherchieren, und taucht in das Leben der im Jahr 1900 Geborenen ein. Georgie war Schauspielerin in der Stummfilmzeit, deren Karriere plötzlich abbrach, ohne dass man weiß, warum. Sie war Pilotin, flog 1931 mit ihrem Geliebten nach Palästina und unterstützte im Zweiten Weltkrieg die britische Luftwaffe mit Botenflügen. Später wandte sie sich der Fotografie zu. Laura begegnet in Georgies Nachlass einer Frau, die in den 1920er-Jahren jung war und ihr Dasein in vollen Zügen genoss. Sie kommt aber auch Geheimnissen im Leben der Freiheitsliebenden auf die Spur, die immer wieder Rückschläge einstecken musste, sich aber nie brechen ließ. Ein großartiger Roman über Frauen, die auf der Suche nach einem glücklichen Leben geradlinig und integer bleiben.

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Weitere Infos & Material


KAPITEL SECHS
DER HEPBURN-NACHLASS
AUSZUG AUS DEN UNVERÖFFENTLICHTEN
ERINNERUNGEN Mein Vater Captain Frank Hepburn kam am 1. Juli 1918 ums Leben, als seine Maschine in der Nähe der französischen Stadt Lens abgeschossen wurde. Ein Jahr vorher hatte man ihn für besondere Verdienste während eines Einsatzes im feindlichen Feuer über Arras ausgezeichnet. Er war einer der ältesten Kampfpiloten der königlichen Luftwaffe und hatte fünfzehn siegreiche Angriffe geflogen. Wäre mein Vater nur vier weitere Monate verschont geblieben, wäre der Krieg zu Ende gewesen, und er hätte heimkommen können. So aber wurde seine Leiche nie geborgen, und nur sein Namenszug in einer Gedenkwand auf dem Friedhof Faubourg d’Amiens im nordfranzösischen Arras erinnert an ihn. In meinen mittleren Jahren habe ich den Ort einmal besucht und mit dem Finger über seinen Namen gestrichen, einen von fast fünfunddreißigtausend. Dabei meinte ich überdeutlich die Geister all jener verschwendeten Leben wahrzunehmen. Meine Mutter wurde mit sechsunddreißig Jahren Witwe. Ich glaube nicht, dass sie den Tod meines Vaters je verwunden hat. Sie suchte von da an vermehrt Trost in dem, was sie schon immer aufgemuntert hatte – Kirche, Garten, Dorfgemeinschaft –, aber leider nicht bei mir. Der Tod meines Vaters brachte uns eher weiter auseinander als näher zusammen. So verlor ich nicht nur meinen Vater, sondern auch meine Mutter. Mit achtzehn Jahren stand ich als Waise da. Wenn ich auf jene Zeit zurückblicke, schäme ich mich, wie wenig Gedanken ich mir nach dem Tod meines Vaters über Mama machte. Ich vermutete, dass sie eine Art Kriegerwitwenrente bezog, aber im Grunde hatte ich keine Ahnung von ihren Einkünften und Ausgaben, ihren Sorgen, wie sie das Cottage halten, Essen auf den Tisch bringen und die Rechnungen begleichen sollte. All das hatte sie immer Papa überlassen, und nun war er nicht mehr da. Wie wurde sie mit dem Tod ihres Mannes fertig? Warum zog sie sich von mir zurück? Was scherte es mich. Ich kapselte mich in meinem egoistischen Ehrgeiz ein. Vielleicht war das meine Art, mit der Trauer umzugehen. Mir ging es einzig und allein darum, Five Elms Down so schnell wie möglich den Rücken zu kehren. Und meine Mutter war nicht in der Verfassung, mich daran zu hindern. Damals war Polly McKenzie meine beste Freundin. Dasselbe Dorf, dasselbe Alter, dieselbe Schulklasse. Die hübsche Polly. So wurde sie von allen genannt. Blonde Haare, Sommersprossen, blaue Augen, Stupsnäschen, hübsch geschwungene Lippen. Mit ihrem Mündchen bezirzte sie viele und verdrehte manch einem auch ernsthaft den Kopf. Während Polly als hübsch galt, wurde ich für attraktiv gehalten. Die Unterscheidung empfand ich als wenig schmeichelhaft. Ich weiß noch, wie ich mich einmal bei Tante Ginny darüber beklagte. »Hübschsein vergeht«, erwiderte sie. »Attraktivität bleibt.« Was Polly McKenzies Vergänglichkeit betraf, lag meine Tante leider richtig. Mit siebenundzwanzig kam Polly bei einem Autounfall ums Leben. Polly wollte genau wie ich Schauspielerin werden. Zumindest wünschte sie sich den Ruhm und die Aufmerksamkeit, die damit verbunden sind. Wir hatten Glück, denn viele der frühen britischen Stummfilme wurden in Shoreham-by-Sea gedreht, das nur eine Fahrradstunde von unserem Dorf entfernt lag. Die dortigen Filmstudios waren komplett ausgestattet, und die Bühne befand sich in einem speziell zu diesem Zweck errichteten großen Glashaus, in dem man das Licht der langen, klaren Sommertage an der Südküste bestmöglich ausnutzen konnte. Die Filmstudios verfügten über mehrere handbetriebene Aufnahmekameras, eine Dunkelkammer, einen Raum für Probeaufführungen sowie Bungalows, in denen die Schauspieler und das restliche Team während der Dreharbeiten unterkamen. Ein regelrechtes Hollywood am Meer. Polly und ich radelten hin, sooft es ging, und machten uns unbezahlt am Set nützlich, immer in der Hoffnung auf eine Statistenrolle. Eines Tages – wir sahen gerade zu, wie der legendäre Sidney Walcott eine Szene für On the Pleasure Pier drehte, eine Liebesgeschichte zwischen einem Dienstmädchen und einem reichen Geschäftsmann – kam ein Mitglied des Filmteams auf uns zu geschlendert. Kaum älter als wir und nicht besonders gut aussehend, aber mit stolzgeschwellter Brust, weil er zwei erwartungsvollen jungen Frauen ein äußerst attraktives Angebot zu unterbreiten hatte. »Wir suchen noch jemanden für die Dreharbeiten morgen auf der Seebrücke von Brighton«, sagte er, musterte uns von oben bis unten und wartete, bis klar war, dass wir angebissen hatten. »Eine Kassiererin, die Eintrittskarten verkauft. Hat zwei Sätze zu sprechen. Nicht weiter schwierig. Am frühen Morgen. Interesse?« Ach, ich werde noch heute rot, wenn ich daran denke, wie diese wenigen Worte urplötzlich einen Keil zwischen Polly und mich trieben! Sie schubste mich beiseite, damit unser Wohltäter sie in ihrer ganzen Schönheit in Augenschein nehmen konnte, wobei sie leicht ins Hohlkreuz ging, um ihren kecken kleinen Busen vorteilhaft zur Geltung zu bringen. Ich entschied mich für eine sinnlichere Variante, schlug die Augen nieder und neigte den Kopf leicht nach links, um ihm meine, wie ich fand, Schokoladenseite zu zeigen. »Du kannst die Rolle haben«, sagte er und wies auf mich. Polly war derart verblüfft, dass sie den Mann am Arm packte, als er sich von uns abwandte. »Wie meinen Sie das: Sie kann die Rolle haben? Ich bin doch hübscher als sie. Das finden alle.« »Es geht nicht um Schönheit, Miss. Der Held verliebt sich in das Dienstmädchen. Nicht in die Kassiererin.« Er schüttelte sie ab. »Außerdem sind Ihre Augen zu blau«, fügte er hinzu und zwinkerte mir zu. »Zu blau? Das verstehe ich nicht.« »Das Filmmaterial. Hellblau kommt als Weiß rüber. Sie hätten auf der Leinwand keine Iris. Ihre Freundin mit den hübschen braunen Augen ist besser geeignet.« Nun, das war das Ende meiner »Auf-ewig-beste-Freundinnen«-Beziehung zu Polly McKenzie, aber der Beginn meiner Filmkarriere. Als On the Pleasure Pier im Brightoner Kino The Dukes lief, ging ich hin, um meinen Auftritt zu sehen. Meine Mutter sagte, sie fühle sich nicht wohl, und so begleitete mich Tante Ginny, was mir irgendwie sogar lieber war. Als ich mich in der Rolle der Kassiererin, die zugleich ich und nicht ich war, auf der Leinwand sah, stieg mir vor lauter Aufregung die Röte in die Wangen, und mein Herz schlug höher. Tante Ginny ergriff meine Hand und drückte sie die ganze Zeit – etwa eine Minute –, in der ich zu sehen war. Nach der Vorstellung machten wir uns zum Strand auf. Zwischen den Stützpfeilern des Piers zog Tante Ginny Schuhe und Strümpfe aus und forderte mich auf, es ihr gleichzutun, obwohl das Gehen auf dem Kiesstrand beschwerlich war. Sie kaufte uns Eiswaffeln und lief ausgelassen am Meeressaum entlang, mal in die Wellen hinein, mal wieder hinaus. Ich glaube, sie war wegen meines Erscheinens auf der Kinoleinwand noch aufgeregter als ich. »Bald bist du ein Star«, sagte sie und breitete die Arme weit aus, in der einen Hand die Schuhe, in der anderen das Eis. »Da bin ich mir ganz sicher, Georgie. Du hast so ein Leuchten an dir.« »Es war doch nur eine kurze Szene.« »Das spielt keine Rolle. Man merkt schon jetzt, dass du Talent hast. Dieses Leuchten. Ja, das ist das richtige Wort. Du leuchtest. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dich ein Regisseur entdeckt, oder wer auch immer die Darstellerinnen für diese herrlichen neuen Filme aussucht. Du wirst schon sehen. Dein Vater wäre stolz auf dich. Wie schade, dass Margaret … dass deine Mutter … dich nicht gesehen hat.« »Sie hat immer diese Kopfschmerzen.« Tante Ginny seufzte und schob sich den Rest ihrer Eiswaffel auf einmal in den Mund. »Sie sollte sich einen Ruck geben. Dein Vater war ein außergewöhnlicher Mann, aber sie kann doch nicht ihr ganzes restliches Leben damit zubringen, um ihn zu trauern.« Sie ergriff meine Hand, und gemeinsam tippelten wir auf Zehenspitzen über den Tang und die Kiesel. »Und was ist mit dir?«, fragte sie. »Was meinst du?« »Wie kommst du zurecht?« »Mir geht’s gut.« »Bestimmt? Du hast deinen Vater doch sehr geliebt.« »Ich versuche, nicht zu oft an ihn zu denken.« »Hm. Ihr zwei, aus demselben Stall und doch völlig verschieden. Wenn du mal Hilfe brauchst …« An dem Punkt zog ich es vor, das Thema zu wechseln, und erkundigte mich nach Onkel Richard und meinen beiden Cousins. »Ich kriege ihn im Moment kaum zu Gesicht«, erwiderte Tante Ginny. »Er ist ständig auf dem Gut unterwegs und nur zum Abendessen im Haus. Oliver kommt demnächst zur Schule, und Percy ist letzte Woche fünf geworden. Zu viele Männer...


J. David Simons, Jahrgang 1953, zählt zu den herausragenden Autoren Schottlands. Der ausgebildete Rechtsanwalt lebte in den 70er-Jahren in einem Kibbuz in Israel und arbeitete später als Dozent an der Kei? University in Japan. Er ist Autor zahlreicher Romane, Kurzgeschichten und Essays. Sein Debütroman The Credit Draper stand 2009 auf der Shortlist des renommierten McKitterick Prize. 2017 erschien im Europa Verlag sein Roman Ein feines Gespür für Schönheit.



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