E-Book, Deutsch, Band 239, 64 Seiten
Reihe: Silvia-Gold
Simon Silvia-Gold 239
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7517-8071-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was wie ein Frühlingstraum begann ...
E-Book, Deutsch, Band 239, 64 Seiten
Reihe: Silvia-Gold
ISBN: 978-3-7517-8071-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ganz weit öffnete die bezaubernde Jenny die doppelflügeligen Türen des kleinen Hauses am See, denn sie wollte nach dem langen Winter endlich den Duft des Frühlings hereinlassen. Eine leichte Brise vom Wasser trug sofort den Hauch der Forsythien und Mandelbäume mit sich, und als Jenny sich glücklich umwandte, ruhte Fabians Blick sanft und zärtlich auf ihr. Ja, Jenny hatte sich mit Haut und Haaren an diesen sensiblen, gut aussehenden Mann verloren, und sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Doch dieses kleine Haus am See barg für Fabian viele schmerzliche Erinnerungen. Es waren Erinnerungen an eine andere große Liebe und an eine andere schöne und geheimnisvolle Frau. Gerade, als Fabian sich entschieden hatte, ein neues Glück mit Jenny zu wagen, da sollte ihn die Vergangenheit auf dramatische Weise wieder einholen! Und er floh - weit fort von Jenny und seinen bittersüßen Erinnerungen an die andere ...
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Was wie ein Frühlingstraum begann ...
Waren Fabians Küsse und Liebeschwüre nichts als Lügen?
Von Sibylle Simon
Ganz weit öffnete Jenny die doppelflügeligen Türen des kleinen Hauses am See, denn sie wollte nach dem langen Winter endlich den Duft des Frühlings hereinlassen. Eine leichte Brise vom Wasser trug sofort den Hauch der Forsythien und Mandelbäume mit sich, und als Jenny sich glücklich umwandte, ruhte Fabians Blick sanft und zärtlich auf ihr. Ja, Jenny hatte sich mit Haut und Haaren an diesen sensiblen, gut aussehenden Mann verloren, und sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.
Doch dieses kleine Haus am See barg für Fabian viele schmerzliche Erinnerungen. Es waren Erinnerungen an eine andere große Liebe und an eine andere schöne und geheimnisvolle Frau. Gerade, als Fabian sich entschieden hatte, ein neues Glück mit Jenny zu wagen, da sollte ihn die Vergangenheit auf dramatische Weise wieder einholen! Und er floh – weit fort von der bezaubernden Jenny und seinen bittersüßen Erinnerungen an die andere ...
»Findest du, ich sollte morgen mein Kostüm anziehen?«
Lisa wusste, es war ausgesprochen unsensibel, diese Frage jetzt zu stellen, in diesem Moment, da sie und Johannes die Stufen von ihrer Theaterloge hinunter ins Foyer schritten. Sie waren umringt von Frauen in Abendkleidern, glitzernd vor Schmuck, und von Männern im Smoking. Alle schwatzten und lachten fröhlich und waren überaus angetan von dieser Premiere, über die bereits lange vorher in den Medien geschrieben, gesprochen und gemutmaßt worden war.
Es war die große Pause zwischen den Akten von »Hoffmanns Erzählungen«, und es gab sicher Wichtigeres zu diskutieren als die Frage, was Lisa morgen anziehen sollte. Aber sie konnte sich diesem Problem nun einmal nicht entziehen. Den ganzen Tag und auch während der gesamten Aufführung hatte sie sich damit beschäftigt, ungeachtet der ausverkauften Ränge und des Parketts, der wunderbaren Musik und der schönen Stimmen.
Es war lange her, dass Lisa im Theater gewesen war. Sie wäre auch gar nicht zu dieser Premiere gegangen, wenn Johannes es nicht unbedingt gewollt hätte. Theater, Konzerte, Literatur – alle diese intellektuellen Gewohnheiten waren nichts für Lisa.
Johannes eignete sich besser dafür, sagte sie immer, er war der Ästhet in ihrer Beziehung, sofern man das, was sie miteinander verband, eine Beziehung nennen konnte. Johannes hatte sich vor der Premiere mit »Hoffmanns Erzählungen« auseinandergesetzt, wusste Lisa, er hatte sogar den Klavierauszug besorgt und ihn studiert. Aber für sie war das nichts. Sie war eher bodenständig, praktisch, mit einem Blick gesunder Vernunft auf die Dinge und die Welt.
Die Not und Qual und Liebe, von der die Darsteller auf der Bühne sangen, waren nicht echt, das war alles nur gespielt, also litt Lisa auch nicht mit ihnen, so wie Johannes es tat. Für ihn machte die Musik alles farbig und weit, der Strom des Lebens rauschte darin, es gab keine Grenzen mehr, sondern nur noch Glanz und Melodie, ganz und gar unwirklich.
Nun war also große Pause, und Johannes blieb, als sie das hell erleuchtete Foyer erreichten, einen Moment lang wie erwachend stehen. Lisa schloss für eine Sekunde die Augen. Wie hatte sie nur diese einmalig dumme Frage stellen können, mitten hinein in seine Gedanken?
»Das schwarze Kostüm?«, wiederholte er jetzt, gegen die grelle Beleuchtung im Foyer blinzelnd. »Wieso? Wann denn?«
»Morgen«, sagte Lisa eilig und schob ihn an einen kleinen, runden Bistrotisch, der noch nicht von anderen Theaterbesuchern belagert wurde. »Wenn ich Fabian vom Flugplatz abhole.«
Da hob Johannes resigniert seine Arme gen Himmel und blieb für einen kurzen Moment mitten im Gedränge stehen. Hochgewachsen, mager, mit strohblonder Mähne, die aus irgendeinem Grund immer irgendwie wirr in die Höhe stand, und einer langen, leicht gekrümmten Nase, die viel besser zu einem anderen Mann gepasst hätte, überragte er alles, was um ihn und Lisa herumwimmelte.
Wie er es trotz seines schlaksigen Aussehens dennoch immer wieder schaffte, im Smoking eine so prachtvolle Figur zu machen, hatte Lisa nie verstanden und würde es auch in Zukunft nicht verstehen.
»Mein Gott, Lisa«, sagte Johannes, während er die Arme wieder sinken ließ. »Gibt es sonst nichts, was dich in diesen Minuten bewegt? Wir haben gerade wundervolle Musik gehört, die unglaubliche Stimme der Sopranistin hallt noch in unseren Ohren wider und ...«
»In deinen vielleicht, in meinen nicht«, unterbrach Lisa ihn freundlich, aber bestimmt. »Mir sind nun mal andere Dinge wichtiger. Also, lass hören: Soll ich morgen das Kostüm anziehen, was meinst du?«
Johannes lehnte sich gegen den Tisch, winkte in das Gewühl, und sie bekamen prompt zwei Minuten später Sekt serviert. Lisa wusste nicht, wie er das schaffte, doch es gelang ihm immer wieder, selbst in der aussichtslosesten Lage noch – buchstäblich aus dem Nichts – Essen und Trinken mit einer lässigen Handbewegung herbeizuzaubern.
»Kostüm? Welches Kostüm?«, fragte er nach dem ersten Schluck, und Lisa antwortete genauso kurz und knapp: »Das kleine Schwarze.«
»Das du immer bei Beerdigungen trägst? Ich bitte dich, Lisa, willst du, dass dein Bruder einen Zusammenbruch erleidet, kaum dass er das Flugzeug verlassen hat?«, empörte sich Johannes daraufhin und trank sogleich sein Glas in einem Zug leer. Dann fuhr er, fast ernsthaft erzürnt, fort: »Nicht genug, dass du den Ärmsten mit deinem stark übertriebenen Notruf in Angst und Schrecken versetzt hast ...«
»Immerhin ist unser Vater sehr, sehr krank ...«
»Diese Aussage ist aus medizinischer Sicht nicht haltbar, Lisa, und das weißt du«, rügte Johannes sie und sah sich suchend nach einem Kellner um. »Dein Vater hat zu keinem Zeitpunkt in Lebensgefahr geschwebt. Natürlich war es ein Schreck für uns alle, als er vom Pferd fiel und sich die linke Hüfte brach. Aber das ist doch kein Grund, einen ahnungslosen Menschen am anderen Ende der Welt mit einer solchen Nachricht zu erschrecken! Fabian muss ja den Eindruck gehabt haben, das letzte Stündlein deines Vaters hätte geschlagen.«
Lisa machte ein bockiges Gesicht. »Ich wollte, dass er endlich nach Hause kommt.«
Johannes hatte es irgendwie fertiggebracht, zwei weitere Gläser Sekt zu erobern, und das war bei dem unentwirrbaren Gedränge um ihn herum wahrlich eine Meisterleistung.
»Das will ich mal gelten lassen als Begründung«, brummte er, wenn auch nicht sehr überzeugt von Lisas Argumentation. »Aber wenn du morgen zu Fabians Empfang ganz in Schwarz erscheinst ... Was meinst du, welchen Eindruck du ihm dann vermittelst?«
»Ach Gott«, meinte Lisa schulterzuckend. »Ich hab ja so selten Gelegenheit, das kleine Schwarze anzuziehen.«
»Tut mir aufrichtig leid, dass ich so wenig dazu beisteuern kann, diesen Zustand zu ändern«, wurde Johannes unerwartet heiter. »Aber als Mediziner ist mein Bestreben natürlich vor allem, das Leben meiner Patienten zu erhalten und nicht, sie ins Grab zu bringen – und das zu verhindern, ist mir bei deinem Vater doch bestens gelungen. Dafür könnt ihr beide, dein Bruder und du, mich gar nicht genug loben und preisen.«
Aber Lisa hörte ihm schon längst nicht mehr zu. Stattdessen reckte sie den Hals und sagte ganz aufgeregt: »Wie, was? Sehe ich recht? Es gibt hier Würstchen? Johannes, wink doch mal der Kellnerin da drüben, ich hätte gerne zwei Würstchen. Wie ist's mit dir?«
Der junge Mann winkte etwas griesgrämig ab. »Danke, nicht für mich. Und überhaupt, wie verträgt sich denn das, klassische Musik und profane Frankfurter Würstchen in der Pause, gepaart mit Sekt? Ist das nicht der Gipfel aller Unbildung und Unkultur?«
»In den Pausen bekomme ich immer Hunger«, behauptete seine Begleiterin. »Und wenn ich mich jetzt nicht ranhalte, sind die Würstchen weg. Die Leute essen ja, als wäre heute Abend hier der Hungertyphus ausgebrochen. Außerdem hatte ich vor drei Stunden den letzten Bissen, eine weitere Mahlzeit verhinderte leider ein wichtiger Anruf von ...«
Johannes unterdrückte einen tiefen Seufzer. Dieses Gespräch zwischen Lisa und ihm bewies ein weiteres Mal, dass es richtig war, wenn sie alle seine Heiratsanträge liebevoll, jedoch einer inneren Stimme folgend, immer wieder ablehnte. Zu viel Trennendes lag zwischen ihnen: Er, der Landarzt, der Mediziner, der – laut Lisa – seinen Beruf mehr liebte, als er jemals irgendeine Frau lieben würde, und dann sie, die Tochter aus guter Familie und vermögendem Hause, die heute schon weiter nichts tat, als von ihrem Erbe zu leben. Das passte doch nicht. Nirgends passte das, an keiner Ecke, so sehr Johannes sich auch bemühte, diese Tatsache zu ignorieren.
Es klingelte. Das Orchester stimmte die Instrumente für den nächsten Akt. Parkett und Ränge füllten sich wieder mit Zuschauern. Das Licht erlosch, der Vorhang öffnete sich, und Lisa war es dann, die irgendwann aufseufzte, mitten...




