E-Book, Deutsch, 411 Seiten
Simon Der Tote im Kanzleramt
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-86282-673-5
Verlag: Acabus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Huntinger-Roman
E-Book, Deutsch, 411 Seiten
ISBN: 978-3-86282-673-5
Verlag: Acabus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heinz-Joachim Simon lebt in der Nähe von Stuttgart. In spannenden Romanen ging er der Frage nach, warum die deutsche Geschichte immer wieder auf Abwege geriet. Er schrieb viel beachtete biografische Romane über den berühmten Kriegsfotografen Robert Capa, den Revolutionär Ernesto Che Guevara und den Pharao Echnaton. Daneben entstanden weitere historische Romane und Krimis. Simons Devise: Ein Roman ist nur dann gut, wenn der Leser glaubt dabei zu sein.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Der Mörder einsam auf seinem Zimmer
Er wartete auf die Nachricht, wen er töten sollte. Er brauchte nicht nur den Namen, sondern auch den Ort, wo es passieren sollte, denn ihm war schon klar, dass es um eine wichtige Persönlichkeit ging. Niemand zahlt zwanzigtausend Euro Vorschuss, wenn es darum geht, einem bösartigen Nachbarn die Magnum an die Stirn zu drücken. Schon seit Tagen saß er in diesem Hotel in Kreuzberg und wartete auf den Anruf. Es machte ihm nichts aus, zu warten. Geduldig wie ein Judoka, der um sein Können weiß und die Geduld mitbringt, den entscheidenden Augenblick abzuwarten, konzentrierte er sich auf sich selbst.
Kirilow stand in seinem Pass, aber es war nicht sein richtiger Name und nicht einmal der erste falsche und ihm so gleichgültig wie alle vorangegangen Namen, den richtigen eingeschlossen. Man brauchte ihn hier, so wie man ihn bereits in Moskau, in Rom oder Paris gebraucht hatte, und das, was er dort an Arbeit abgeliefert hatte, galt in seinen Kreisen als professionell. Seine Person wurde mit der Russe umschrieben, Diktatoren nannten ihn so, Wirtschaftsbosse und korrupte Politiker. In Kreisen der Macht galt er als Meister des Todes. Es gab Regeln dabei. Seine eigenen.
Und jetzt war er hier, in einem Deutschland, in dem alles drunter und drüber ging, weil die Politiker es hoffnungslos vermasselt hatten, weil man seit Jahren nur noch Staatsschauspielerei betrieb und bella figura in den Primetalkshows ausreichten, um von den Medien gefeiert zu werden. Oh ja, das Wohlfühlvolk hatte die Politiker bekommen, die es wollte, und nun spitzte sich die Lage zu, die vertanen Jahre des Herumschusterns drohten nun das Land ins Chaos zu stürzen. Schlechte Zeiten waren gute Zeiten für ihn.
Seit drei Tagen wartete er nun in diesem elenden Zimmer mit den feuchten Wänden, auf denen sich die Tapeten bereits lösten. Und der Ausblick auf den tristen Hinterhof machte es auch nicht besser.
Von der Dusche her hörte er die Wassertropfen auf den Boden knallen, so gleichmäßig wie das Ticken einer Uhr. Er lag auf einem Bett, dessen Laken verdächtig genug aussahen und starrte an die Decke mit den braunen Wasserflecken und rauchte und wartete. Nicht nur sein Zimmer sah heruntergekommen aus, der Flur draußen und der Empfang unten ließen auch keine hoffnungsvollen Gedanken aufkommen.
Der dicke schmierige Kerl mit einer Fresse, die jedem gleich signalisierte, ihm ja keine Arbeit zu machen, hatte Kirilow den Empfangszettel zugeschoben und mit einem zufriedenen Grunzen die Vorauszahlung eingestrichen. Hier hatte niemand Kredit.
Der Dicke wusste, dass Kirilow nicht ganz koscher war, genauso wie man ihn auch nicht gerade als mustergültigen Bürger bezeichnen würde, aber andere Gäste wurden hier auch nicht erwartet. Man verstand sich in der Gleichgültigkeit untereinander, der einzigen Solidarität, die Outlaws untereinander pflegten.
Das Hotel lag in einer Gasse in Kreuzberg, in die man sich bereits am späten Nachmittag nur noch zu zweit und nachts nicht einmal mit Polizeibegleitung hineintraute. Eine Gegend, wo überwiegend Türkisch gesprochen wurde und sich halbwüchsige Knaben herumtrieben, die weder richtig Türkisch noch Deutsch konnten und das Wort Integration als etwas verstanden, was ihnen Milch und Honig versprach, weil die Bäuche ihrer Frauen eines Tages dafür sorgen würden, dass sie die Mehrheit im Land hatten.
Er hätte ohne Weiteres im Adlon oder Regent absteigen können, schließlich hatte man ihm genug Vorschuss gezahlt. Er würde noch einmal den gleichen Betrag bekommen, wenn man ihm das Opfer genannt und Hunderttausend auf die Kralle, wenn er die Sache hinter sich gebracht hatte. Das war sein Tarif. Aber er fühlte sich hier sicherer. Nicht, dass er Angst gehabt hätte, im Adlon zu logieren, denn Furcht war ihm fremd, aber er wusste, dass er dort auffallen würde, egal, wie dunkel sein Anzug war und wie intensiv sein Rasierwasser roch. Mit seiner Größe, seinem Gesicht hatte er überall eine Präsenz, die die Blicke auf sich zog. Zum anderen erinnerte ihn die Umgebung in Kreuzberg an Moskau, bevor Gorbatschow das Weltreich herschenkte für nichts als die Erkenntnis und Hoffnung, dass es so nicht weiter ging und ein anderer Weg zum Paradies führen musste.
Damals war er Hauptmann beim KGB gewesen. Später hatte man ihn sogar zum Oberst gemacht. Aber gelebt hatte er nicht viel besser als ein Muschik. Also hatte er umgesattelt. Bereut hatte er es nie. Zwölf Menschen hatte er bereits getötet. Der erste Auftrag war noch mit einem großen Erstaunen darüber verbunden gewesen, dass es so leicht war und er nichts dabei fühlte. Eine saubere, professionell durchgeführte Operation. Er hatte kein Mitleid gespürt, keine Gewissensbisse, weder bei diesem Geschäft noch bei den folgenden.
Kirilow erhob sich und ging ans Fenster, zog die schmutzige Gardine zur Seite und sah durch die mit toten Fliegen beschmutzte Scheibe hinunter auf den Hof. Ein paar Jungen spielten Fußball und träumten wohl davon, eines Tages bei Bayern München oder Hertha Karriere zu machen. Arme Idioten, dachte er und reckte sich und ging zu dem Koffer, der auf dem wackligen Schrank stand und hob ihn herunter und öffnete ihn. Das Klicken der Schlösser liebte er, genauso wie er das Klicken der Pistole liebte, wenn er sie durchlud. Kirilow liebte Präzision, und er liebte diesen teuren Koffer, den angenehmen Ledergeruch. Fast zärtlich strich er über die Außenwand, über die Messingschließen und öffnete ihn, schob die Hemden beiseite und nahm die Tokarev heraus. Er mochte es, wie sie in der Hand lag. Blauschwarzer Stahl, eine der zuverlässigsten Handfeuerwaffen, die er kannte, die ihre Bewährung in dem großen vaterländischen Krieg mehr als bestanden und damals die Hüfte jedes Offiziers geschmückt hatte. Er nahm sie jeden Tag auseinander und reinigte sie und setzte sie wieder zusammen. Es war wie ein Ritual, die golden glänzenden Patronen herauszunehmen und wieder in das Magazin zu drücken.
Er würde wie immer zwei Schüsse abfeuern. Darunter tat er es nicht. Sein erster Schuss galt dem Kopf, der zweite dem Herz. Kirilow hasste Pfusch und ging stets auf Nummer sicher, was seinen Ruf begründet hatte. Er machte keine Fehler. Fast andächtig legte er die Waffe in den Koffer zurück und ließ die Schlösser zuschnappen und schob den Koffer zurück auf den Schrank.
Er sah auf seine Breitling. Es war nach zwanzig Uhr. Heute würde er keinen Anruf mehr bekommen. Sie hatten verabredet, dass er jeden Tag von achtzehn bis zwanzig Uhr in diesem Hotel erreichbar war. Kirilow überlegte, ob er wie jeden Abend hinuntergehen und nebenan in der Kebab–Bude etwas essen sollte. Er mochte nicht den Geruch und die Typen, die dort herumhingen, die aber bei seinem Eintreten jedes Mal verstummten und ihn wie Hyänen belauerten.
Nein, er hatte keine Lust, jetzt runterzugehen und legte sich wieder aufs Bett. Er war es gewohnt, dem Hungergefühl nicht nachzugeben. Oft genug hatte es ihn in seiner Jugend in diesem elenden Nest bei Smolensk gequält. Als er noch nicht Offizier war, war der Hunger auch in der Armee sein täglicher Begleiter und verschwand erst, als er als Jahrgangsbester die Offiziersschule absolviert hatte. Anschließend hatte man ihn nach Dresden geschickt, wo er einen stillen, höflichen und unscheinbaren schmalen Kerl kennenlernte, der nun Russland regierte und sich dabei wie der Zar vorkam.
Er überlegte, ob er ins Kino gehen sollte. Er sah sich gern Hollywoodfilme mit Silvester Stallone, Charles Bronson oder Clint Eastwood an, obwohl er die Drehbuchschreiber alle für durchgeknallte Spinner hielt. Danach konnte er sich irgendein Flittchen greifen, aber er verwarf dies sofort. Wenn er einen Auftrag hatte, waren Frauen für ihn tabu, da er wusste, dass die Mädchen ihn niemals vergaßen. Nicht wegen seiner Liebenswürdigkeit oder Großzügigkeit oder weil er gar zu brutal zu ihnen gewesen war, sondern wegen seines Gesichts und seiner Körpergröße. Er wusste, dass dies sein Handicap war, vorzüglich geeignet für das Erstellen eines Phantombilds. Nein, er sprach nicht mit Huren, wenn er auf Jagd war. Auch sonst war er eher wortkarg, obwohl er sehr gut Deutsch als auch Englisch und Französisch sprechen konnte. Deswegen hatten sie ihn auch seinerzeit nach Deutschland geschickt. Er war schon damals vielseitig verwendbar. Doch nun arbeitete er auf eigene Rechnung. Es kam halt mehr dabei raus, wenn man in die eigene Kasse zahlte. Eines Tages, wenn er genug Geld zusammen hatte, wollte er ein Haus in der Nähe von Cannes oder Nizza kaufen, keine große Sache, aber mit freiem Blick auf einen weißen Strand, wo ein braun lackiertes Boot, eine Riva liegen würde. Noch ein paar Jahre, dann hatte er es geschafft. Wenn ihn nur nicht Amateure reinrissen. Ob in Deutschland oder Frankreich oder Italien, überall traf er auf Amateure. Seit das Reich des Bösen zusammengebrochen war, gab es im Westen einfach keine Profis mehr.
Amateure! Er dachte an das Treffen im Descartes, einer Cocktailbar am Gendarmenmarkt, in der sich dunkel gekleidete, gegelte Jünglinge trafen und das Geld ausgaben, das sie sich mit Devisengeschäften und Werbesprüchen ergaunert hatten. Allesamt eine Bande hedonistischer Bengel, aus denen in anderen Zeiten vielleicht etwas hätte werden können, die aber, gepampert aufgewachsen, keine Chance gehabt hatten und kein anderes Ziel kannten, als noch mehr Geld in die Hände zu bekommen, um teure Anzüge von Brioni oder Kiton spazieren zu führen, sich die Nase zuzukoksen und betrunken wilde Reden zu führen, um dann im Porsche reifenquietschend durch Berlin von Disco zu Disco...