Simenon | Striptease | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 90, 208 Seiten

Reihe: Die großen Romane

Simenon Striptease


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-455-00448-9
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 90, 208 Seiten

Reihe: Die großen Romane

ISBN: 978-3-455-00448-9
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



ZEIT FÜR MICH – ZEIT FÜR SIMENON
»Georges Simenon ist der wichtigste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.«
Gabriel García Márquez

Célita, Stripteasetänzerin in Cannes, hat ihren Beruf satt. Um dieses Leben hinter sich zu lassen, will sie ihren Chef Léon dazu bringen, sie zu heiraten, obwohl der bereits vergeben ist. Léon liegt ihr zu Füßen, und sie scheint fast am Ziel, als plötzlich die junge Tänzerin Maud auftaucht. Mit ihrer vermeintlichen Naivität und Hilflosigkeit stielt die Neue allen die Show und erobert den Chef im Sturm. Er hat nur noch Augen für Maud, und Célita muss zusehen, wie ihr der perfekte Lebensplan aus den Händen gleitet.

Bandnummer: 90

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Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
Erster Teil
Zweiter Teil
Nachwort – »Eine Studie weiblichen Verlangens«
Über Georges Simenon
Impressum


2
Sie lag mit angezogenen Knien in ihr Laken gewickelt, aus dem nur der rotblonde Haarschopf, eine Schläfe und ein Auge hervorguckten, das die Lichtstreifen der Fensterläden betrachtete. Ihr Blick schweifte durch die reglose Stille, senkte sich ab und zu auf das benachbarte Bett, auf den Wecker, dessen Zifferblatt von ihr abgewandt stand. Célita wusste nicht, wie viel Uhr es war, aber sie war sicher, dass der Wecker bald klingeln würde, und als es schließlich passierte und seine Füße auf der Marmorplatte des Nachttischs zu vibrieren begannen, als Marie-Lous schwerer, warmer Körper langsam zum Leben erwachte und sich ein Arm ins Halbdunkel reckte, schloss sich Célitas Auge im selben Moment, wie ihr Gesicht etwas übertrieben den zugleich unschuldigen und schmollenden Ausdruck des Schlafes annahm. Auch mit geschlossenen Augen wusste sie, dass ihre Mitbewohnerin sich auf dem Bettrand aufsetzte, ihre Füße nach den Pantoffeln auf dem Boden tasteten, dass sie dann, sich über Brüste und Hüften reibend, aus dem Zimmer ging, um in der Küche das Gas anzustellen, das sein vertrautes »Pluff« von sich gab. Sonnenschein drang in die Wohnung, als Marie-Lou das Fenster und die Läden vom Esszimmer öffnete, und man hörte deutlicher als vorher die Geräusche von der Place du Commandant Maria. Durch den schmalen Spalt ihrer Wimpern beobachtete Célita, wie Marie-Lou sich aus dem Fenster lehnte, dann in den Raum zurückwich, um nach einem buntgemusterten Morgenmantel zu greifen, in den sie hineinschlüpfte, bevor sie sich wieder hinausbeugte und mit dem Blick nach oben rief: »Geht es Pierrot besser?« Sie sprach mit Francine, die im Haus gegenüber im zweiten Stock wohnte und deren Sohn wegen einer Erkältung hatte zu Hause bleiben müssen. »Was sagst du?«, rief Marie-Lou nach einer Pause, denn wegen eines vorüberpolternden Lastwagens hatte sie die Antwort nicht gehört. Francine wiederholte deutlich artikulierend: »Er ist in der Schule. Ich hab schon darauf gewartet, dass du aufstehst, weil ich dich um einen Gefallen bitten wollte.« An der Ecke befand sich ein Milchladen, und falls Kundinnen darin waren, spähten sie sicher durch den Perlenvorhang zu den beiden Frauen hinüber, die erst um drei Uhr nachmittags aufstanden. »Was für einen Gefallen?« »Könntest du von vier bis sechs auf ihn aufpassen?« Es kam öfter vor, dass Francines fünfjähriger Sohn den Nachmittag in der Wohnung von Marie-Lou und Célita verbrachte oder dass eine von beiden ihn zum Strand mitnahm. Er war ein dicker Junge mit rosigem Gesicht und blondem Haar, der zunächst etwas verschlafen und trottelig wirkte, aber unter den schmalen Lidern einen wach funkelnden Blick hatte. »Leider kann ich heute nicht«, antwortete Marie-Lou. »Ich hab einen Termin beim Friseur.« »Und Célita?«, fragte die Stimme von der anderen Seite. Marie-Lou warf einen Blick durch die offene Verbindungstür auf das Bett im Schlafzimmer und die Haarsträhnen auf dem Kopfkissen, dann antwortete sie mit gedämpfter Stimme und einer offenbar vielsagenden Geste: »Ich glaube, besser nicht … Du verstehst? …« Und Francine schien zu verstehen, denn sie fragte nicht weiter nach. »Ich muss jetzt rein … Mein Wasser fängt an zu kochen …« Célita stellte sich weiterhin schlafend, und es dauerte nicht lange, bis der Kaffeeduft zu ihr drang. Sie hörte die Wohnungstür auf- und zugehen, das knackende Geräusch eines auseinanderbrechenden Baguettes, das Klappern einer Tasse auf der Untertasse. Marie-Lou weckte sie absichtlich nicht auf, und Célita, die ebenfalls nicht den ersten Schritt machen wollte, blieb regungslos im Bett liegen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, aber gleichzeitig grollte sie ihrer Freundin auch, weil sie sich von ihr verraten fühlte. Schon in der vergangenen Nacht, oder besser gesagt am Morgen, als sie zusammen vom Monico nach Hause gegangen waren, hatte Marie-Lou keine Silbe von sich gegeben, und anschließend hatte sie sich ausgezogen und sich schlafen gelegt, ohne ihr gute Nacht zu sagen. Célita machte sich darauf gefasst, dass es mit den anderen noch schlimmer sein würde. Hassten sie sie nicht sowieso schon? Die eine mehr, die andere weniger … Ob in dieser Minute wohl auch die Neue, die großartige Maud, in ihrem Zimmer im Hôtel de la Poste aufwachte? Wer weiß, vielleicht hatte Monsieur Léon ja schon an ihre Tür geklopft? Nur Madame Florence hatte nicht so reagiert wie die anderen, und einmal, als Célitas und ihre Blicke sich kreuzten, hatte darin ein Einverständnis gelegen, das etwas von Komplizenschaft hatte. Sie befanden sich zwar nicht in der gleichen Situation, aber sie hatten beide etwas zu verteidigen, und es ging um denselben Mann. Célita hatte keinen Plan gefasst, sie war im Monico nur ihrer Eingebung gefolgt, wenngleich sie sich bewusst war, eine kleine Infamie zu begehen. Sie hatte auch nicht zu viel getrunken – es waren höchstens drei oder vier Whisky gewesen, und Ludo schenkte weiß Gott nicht großzügig ein, schon gar nicht ihnen, den Animierdamen. Kurz vor Mitternacht hatte Madame Florence sich mit einem Blick durchs Bullauge vergewissert, dass Ketty in der Kammer bereitstand, und Gianini das Startzeichen gegeben. Dieser hatte den allgemeinen Paartanz ausklingen lassen – es folgten ein Trommelwirbel und ein Beckenschlag – und dann seine übliche Ansprache gehalten: »Meine Damen und Herren, die Leitung des Monico beehrt sich, Ihnen ihre Striptease-Show zu präsentieren, die gewagteste und anspruchsvollste an der ganzen Côte d’Azur. Den Beginn macht Miss Ketty, das unvergleichliche Covergirl, mit ihrer einzigartigen Nummer …« Célita saß gerade mit einem jungen Engländer an der Bar, der sie zu einem Drink eingeladen hatte, aber nicht gerne tanzte. Wie immer bei Kettys Nummer gingen im Saal alle Lichter aus. Ein erstes Fotografenblitzlicht leuchtete auf, in dem man Ketty für einen kurzen Moment in einem enganliegenden schwarzen Seidenkleid sah, wie sie mit einer langen Zigarettenspitze in der Hand für das Titelbild einer Illustrierten zu posieren schien. Dunkelheit. Fotoblitz. Dunkelheit … Jedes Mal sah man Ketty an derselben Stelle stehen, nur etwas weiter entkleidet, bis sie schließlich ganz nackt war, abgesehen von dem vorschriftsmäßigen Dreieck auf der Scham. Der Engländer warf nur einen kurzen Blick auf die Darbietung, während er in einem eifrig bemühten Französisch von den Londoner Nachtclubs erzählte, in denen man ab elf Uhr abends nichts mehr zu trinken bekam. »Und nun, meine Damen und Herren …« … war Marie-Lou an der Reihe, deren Nummer von einer etwas plumperen Erotik war. Sie trug ebenfalls Schwarz, aber ihr Kleid, ihr Strapsmieder und ihre Unterwäsche wurden von Reißverschlüssen zusammengehalten, die die Gäste auf ihre Aufforderung hin aufziehen durften. »Jetzt Sie, Célita …« Sie entschuldigte sich bei ihrem Engländer, ging durch die Kammer und stieg die Eisentreppe hinauf. Oben war Natacha bereits dabei, ihr rauschendes Kostüm im Stil von 1900 anzuziehen, das nachher noch ein Hut mit Straußenfedern schmücken würde. Von unten drangen gedämpft die Klänge des Orchesters und das Klatschen der Leute herauf. Célita stieg in ihrem Flamenco-Kostüm als Erste die Treppe hinunter und wartete wie üblich in der Kammer ab, wo sie durch das Bullauge das Ende von Marie-Lous Nummer verfolgte. Diese war nun ebenfalls nackt und trug das gleiche Dreieck wie Ketty, nur dass ihres mit Pailletten besetzt war. Sie schritt noch ein letztes Mal über die Tanzfläche, bevor sie mit hocherhobener Hand winkte und ihre Kleider aufsammelte. Als sie atemlos die Tür zur Kammer aufstieß, glänzte ihr heißer Körper vor Schweiß. »Du bist dran …« »Meine Damen und Herren, ich habe nun das Vergnügen …« Sie hatten diese Sätze alle schon so oft gehört, dass sie die Worte gar nicht mehr richtig wahrnahmen und wie Zirkuspferde auf den ersten Takt der Musik warteten, um die Bühne zu betreten. Während Célita ihren Flamenco tanzte, an dessen Ende sie ihr Mieder und ihren roten Rock fallen ließ, registrierte sie gleichzeitig genau, dass der Engländer verschwunden war, und etwas später, dass die Neue an ihrem Tischchen vor sich hin starrte. Célita war die Einzige, die richtig tanzen konnte, denn ihre Mutter hatte sie als Achtjährige in Paris in eine Ballettschule gesteckt, und sie war Mitglied mehrerer Ballettkorps gewesen. Sie war auch die Einzige, die ihren Busen nicht entblößte, obwohl ihre Brüste fester waren als etwa die von Marie-Lou. Außerdem trug sie kein aufgeklebtes Dreieck auf der Scham, sondern sowohl bei ihren spanischen Tänzen als auch beim French Cancan feine Batisthöschen mit Volants. Für einen Freitag waren viele Leute da, über den Köpfen waberte bereits dicker Rauch, und die Verkleidungshütchen waren verteilt worden. Monsieur Léon hielt sich wie meistens während der Vorstellung am Eingang auf, wo er jetzt das Zeichen zum Applaus gab. Hatte Célita ihr Ziel bei ihm erreicht, wie sie manchmal glaubte, wie sie es so sehr wollte? Ihre Blicke begegneten sich, doch in seinen Augen konnte sie nichts lesen, nur eine leichte Ungeduld, und sie war sicher, dass es dabei um Maud ging. Wie vorher Marie-Lou eilte sie von der Tanzfläche in die Kammer, wo sie auf Natacha stieß, die, ein lila Sonnenschirmchen mit überlangem Griff in der Hand, auf ihren Auftritt wartete. Marie-Lou, die sich schon...


Marzolff, Sophia
Sophia Marzolff, geb. 1971, arbeitet als freie Übersetzerin und Literaturlektorin in München. Sie überträgt Werke aus dem Tschechischen, Französischen und Italienischen ins Deutsche.

Simenon, Georges
Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.



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