Sigrist | Die Akte Wilhelm Klein 1887-1948 | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 296 Seiten

Sigrist Die Akte Wilhelm Klein 1887-1948

Abenteurer, SS-Arzt, Großvater

E-Book, Deutsch, 296 Seiten

ISBN: 978-3-7568-6712-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Über den Sturmbannführer Dr. med. Wilhelm Klein wurde über Jahrzehnte geschwiegen. Dieses Buch beschreibt den Lebensweg eines Mannes, der sich immer weiter radikalisierte. Nach der Machtergreifung Hitlers machte er als Stadtmedizinalrat von Berlin Karriere und verstrickte sich in Intrigen mit der NSDAP und SS. Diese Studie über Aufstieg und Fall eines hohen SS-Funktionärs wertet erstmals Dokumente aus dem Nachlass der Nachkommen Wilhelm Kleins aus und stellt seinen Werdegang in einen historischen Zusammenhang.

Christoph Sigrist entdeckte als Jugendlicher zufällig antisemitische Briefe seines Großvaters aus Jerusalem. Den umfangreichen Nachlass aber hielt er erst fünfzig Jahre später in den Händen.
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1. Jugenderinnerungen und Spurensuche
Ein merkwürdiger Fund Meine erste Begegnung mit meinem Großvater Wilhelm Klein, dem Vater meiner Mutter Berthild Sigrist, geb. Klein, war reiner Zufall. Persönlich getroffen haben wir uns natürlich nie, denn mein Großvater starb im Dezember 1948. Ich kam erst acht Jahre später zur Welt. Anfang der 1970er Jahre, ich war 13 oder 14 Jahre alt, stieß ich in einer Abstellkammer im Hause meiner Eltern auf einen Karton mit Briefen meines Großvaters. Zuerst fiel mir ein Brief Wilhelm Kleins aus Konstantinopel aus dem Jahre 1916 in die Hände. Klein erzählt in dem Brief von seinen Erlebnissen in der Stadt. Er findet Konstantinopel „wundervoll, aber nur von außen, innen ist es fabelhaft schmutzig, aber sonder Zweifel sehr malerisch.“ Von den Einwohnern der Stadt hat er nicht die beste Meinung. Denn wie jeder Reisende muss auch er sich um seine Geldangelegenheiten kümmern, und das findet er mühsam: „Papiergeld nehmen diese Lausearaber nicht.“ Dann schreibt Klein unvermittelt: „Der Jude ist manchmal ganz nett. Tut nichts, der Jude wird verbrannt. Er kommt nach Diabekr, wo man ihm gesagt hat, dass es das übelste sei. Infolgedessen winselt er den ganzen Tag, dass er Fleckfieber bekäme und Malaria und nicht wieder käme, und ähnliche schöne Dinge. Typisch jüdisch, jämmerlich läppisch, feige. Ich behalte meine schlechte Meinung über das Pack bei.“ Damals schon merkte ich, dass mit der Wortwahl des Großvaters etwas nicht in Ordnung war. Ich begann deshalb, den Brief laut im Familienkreis vorzulesen und war auf die Reaktion gespannt. Der Vortrag kam bei meinen Eltern nicht gut an. Die Briefe wurden ohne Diskussion eingesammelt und an einen mir unbekannten Ort verbracht. Mit ihnen verschwand auch mein Großvater wieder für Jahre in der Versenkung. Aber der Samen der Neugier war gesät. Die Briefe und die Reaktion meiner Eltern verrieten, dass irgendetwas besonders gewesen sein muss im Leben meines Großvaters. Beredtes Schweigen Als heranwachsender Jugendlicher fiel mir auf, dass im durchaus sprechfreudigen Familienkreis der Kleins über den Vater meiner Mutter besonders konsequent geschwiegen wurde. Vielleicht lag es daran, dass er schon 1948, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, verstorben und schlicht und einfach nicht mehr da war? Oder vielleicht geschah es auch aus Rücksicht gegenüber seiner Frau Martha, unserer geliebten Omi? Auch über Marthas eigene Nazivergangenheit wurde nicht geredet. Sie überlebte ihren Mann immerhin um 31 Jahre und starb erst 1979 in Siegen. Omi sprach mit uns Enkelkindern natürlich nicht über die Vergangenheit. Die interessierte uns auch nicht. Als Kinder wollten wir mit ihr Kanaster spielen. Das tat sie mit unerschöpflicher Geduld und ließ uns immer wieder gewinnen. Kann es sein, dass auch unsere Eltern nicht über ihre eigene Vergangenheit während des Nationalsozialismus in Deutschland mit uns Kindern sprechen wollten? Von unserer Mutter, die 1925 in Herne/ Westfalen geboren wurde, erfuhren wir eher zufällig, dass sie mit ihrer Familie mal in Rüdesheim, mal in Wiesbaden, mal in Berlin und zuletzt auch in Siegen gewohnt hatte. Wir wussten auch, dass ihr Vater Arzt gewesen war. Als Kinder dachten wir darüber nicht länger nach und brachten die häufigen Umzüge nicht mit dem wechselvollen Berufsleben ihres Vaters in Verbindung. Auch unser Vater sprach nicht besonders häufig über seine Eltern. Aber wenn er es tat, dann mit großem Respekt und ohne erkennbare Vorbehalte. Seine beiden Eltern starben kurz hintereinander Mitte der 1950er Jahre. Von der Familie meines Vaters wussten wir Kinder vor allem, dass er zwei Brüder im Krieg verloren hatte. Einer starb 1940 in Frankreich, ein zweiter kurz darauf in jungen Jahren bei der Notlandung seiner Wehrmachtsmaschine in seiner Heimatstadt Bamberg. Ein Foto des gemeinsamen Grabes der Eltern und der beiden Brüder hing immer neben dem Schreibtisch unseres Vaters. Er selbst hatte sich in den letzten Jahren des Krieges als Soldat der Wehrmacht in Italien schwere Splitterverletzungen an den Beinen zugezogen. Ein weiterer Bruder hatte Handverletzungen davongetragen. Das war Leid genug. Wir respektierten das und fragten nicht weiter nach. Der Fall unseres Großvaters mütterlicherseits aber schien anders gelagert zu sein. Unter uns Enkeln, also zwischen den zahlreichen Cousinen und Vettern, kursierten diverse Geschichten, von denen ich aber nicht einschätzen konnte, ob sie Wahrheit oder Legende waren. So wurde zum Beispiel hinter vorgehaltener Hand kolportiert, dass die Nazioberen Wilhelm Klein während seiner Amtszeit in Berlin wegen eines unklaren Ariernachweises seiner Frau Martha aufgefordert hätten, sich von ihr zu trennen und seine vier Töchter sterilisieren zu lassen. Daraufhin habe Klein zugunsten seiner Familie auf eine weitere Parteikarriere verzichtet und eine Stelle als Amtsarzt in Siegen angetreten. Wie wir noch sehen werden, war das allerdings nur die halbe Wahrheit. So kochte das Thema gelegentlich hoch, geriet aber immer wieder in Vergessenheit. Der Hitler Film Dann passierte etwas Unvorhergesehenes: 1977 kam der Film von Werner Rieb „Hitler - eine Karriere“ in die Kinos. Es war die Verfilmung der monumentalen Hitlerbiographie von Joachim C. Fest1, die vor allem auf dokumentarischen Filmaufnahmen basierte. Ich erinnere mich, dass sich auch meine Mutter diesen Film angesehen hatte und verstört wieder nach Hause kam. Denn mitten im Film kam plötzlich ihr Vater Wilhelm Klein ins Bild. 30 Jahre nach seinem Tod tauchte er unverhofft wieder auf. Wie ich später mit Hilfe einer DVD des Films und im Abgleich mit privaten Fotos von Klein rekonstruieren konnte, tritt Klein für ein paar Sekunden in SS-Uniform und kurz danach ein weiteres Mal in einer anderen Einstellung auf. Die Filmszene zeigt im Vordergrund eine Mutter mit neugeborenem Baby, umringt von SS-Offizieren und Beamten in Zivil. Wir hören den kurzen Ausschnitt einer Rede. Ein hoher NS-Vertreter verkündet salbungsvoll: „Die Zukunft Deutschlands und Berlins ruht auf seinen erbgesunden Kindern.“ Bild 1.1: Wilhelm Klein in SS-Uniform, zweiter von rechts mit Dolch, aus: Dokumentarfilm „Hitler – eine Karriere“, 1977 Zur Erläuterung muss ich nun vorgreifen: Klein war in dieser Szene sogenannter Stadtmedizinalrat, also der Leiter des Hauptgesundheitsamtes in Berlin. Er bekleidete dieses Amt von 1933 bis 1936. Was er dort tat, wird in Werner Riebs Film nicht thematisiert. Wir werden uns in diesem Buch jedoch ausführlich damit beschäftigen. Späte Erinnerungen Erst als meine Mutter schon über 90 Jahre alt war, kamen wir manchmal auf ihre Familie, ihren Vater und ihre Jugend in der Nazizeit zu sprechen. Als im November 2018 zum 80. Jahrestag der Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Foto der brennenden Synagoge in Siegen veröffentlicht wurde (Bild 2.1), erzählte sie, dass ihre damalige Klassenlehrerin, eine, wie sie sagte, überzeugte Nationalsozialistin, die ganze Klasse zum Schauplatz geführt habe. Meine Mutter war damals 13 Jahre alt und ging in Siegen auf das Gymnasium. Sie machte im Alter auch keinen Hehl daraus, dass ihr Vater ein strammer Nazi gewesen sei, vermied es aber über Details zu sprechen oder den Vater zu verurteilen. Im Oktober 2019 erzählte ich meiner Mutter von einer Reise durch die Masuren im Nordosten Polens. Meine Frau und ich waren dort im südlichen Teil des ehemaligen Ostpreußens, der heute zu Polen gehört, unterwegs. Meine Mutter erinnerte sich nun, dass sie mit Ihrer Familie Sommerferien im ostpreußischen Seebad Rauschen (heute im russischen Oblast Kaliningrad gelegen) gemacht hatte. Wie ich später herausfand, war das im Sommer 1936. Auch die Wohnadresse der Familie in Berlin hatte meine Mutter nach über 80 Jahren noch im Kopf: Heinrichstraße, im westlichen Berliner Bezirk Schlachtensee gelegen. Nur die Hausnummer 9a hatte sie vergessen. Wenn man heute diese Adresse googelt, landet man allerdings in einem östlichen Berliner Bezirk in der Nähe des Treptower Parks. Das verwundert nicht, denn in Berlin sind über die Zeitläufte viele Straßennamen verändert worden. Bild 2.1: Brand der Synagoge in Siegen am 8./9. November 1938 Foto: Nimbus in der FAZ vom 8.11.2018 Die geheimnisvolle jüdische Verwandte Zurück zum Elternhaus. Im Esszimmer unserer Eltern hing bis zu deren Tod ein Ölbild einer hübschen jungen Dame. Von ihr sagte meine Mutter, sie sei Jüdin und eine entfernte Verwandte. Wer war diese Frau, und hatte sie etwas mit unserem Nazi-Großvater zu tun? Dass meine Mutter in ihrem Arbeitszimmer immer noch ein ganzes Bündel von Briefen, Fotoalben und Akten ihres Vaters aufbewahrte, erwähnte sie in ihren Erzählungen nie. Das konnte kein Zufall sein. Meine Eltern sind in ihrem Leben unzählige Male umgezogen, und meine Mutter hat deshalb immer gerne alte Sachen großzügig weggeschmissen. Die Erinnerungen an ihren Vater aber wollte sie offenbar behalten. Vielleicht sollten...


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