Sigler | Gott ist kein Kaugummi | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Sigler Gott ist kein Kaugummi

Warum Zweifeln und Glauben sich ergänzen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7365-0379-3
Verlag: Vier Türme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Warum Zweifeln und Glauben sich ergänzen

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-7365-0379-3
Verlag: Vier Türme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Irgendwann stellt sich die Frage, ob ich einem Gott vertraue, der nicht zu sehen und schon gar nicht zu fassen ist. Jedenfalls nicht so wie ein Päckchen Kaugummi im Supermarkt. Aber wer wollte sein Leben schon auf Kaugummi reduzieren?"

Br. Wolfgang Sigler ist Mönch, doch er sieht sich mit den gleichen Fragen konfrontiert, die auch andere Menschen in seinem Umfeld beschäftigen: Kann ich es als moderner Mensch u¨berhaupt vor mir selbst und anderen verantworten, an einen Gott zu glauben, der nicht zu beweisen und nicht greifbar ist? Wie kann ein solcher Glaube aussehen? Und wie gehe ich mit meinen Zweifeln um?
Für Br. Wolfgang bilden Glauben und Zweifeln jedoch keine Gegensätze. Vielmehr wäre das eine ohne das andere nur die halbe Wahrheit. Wer wirklich glauben will, der darf auch zweifeln.

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Sich auf Unsicherheit einlassen Aus meiner Sicht wird vor allem ein starker Einwand gegen ein Leben formuliert, das dem Religiösen Raum einräumt: Religiös zu leben laufe letztlich auf eine systematische Selbsttäuschung hinaus. Glaubenspraxis oder gar asketische Übungen werden vor diesem Hintergrund zu ausgetüftelten Eigenmanipulationen, der klösterliche Werdegang zur regelrechten Gehirnwäsche. Unumwunden bin ich bereit zuzugeben, dass das, worauf ich mich bei meinem Weg ins Kloster eingelassen habe, nicht nur fester Grund ist. Es ist auch ein Weg, der sich auf Ungewissheiten einlässt. Zwar gibt es zum einen schon handfeste Argumente dafür – die Möglichkeit, regelmäßig an einer herrlichen viermanualigen Klais-Orgel musizieren zu dürfen, ist ein nicht ganz unwichtiges dabei. Zum anderen aber ergibt ein Klosterleben langfristig ohne Gott kaum Sinn. Wenn Gott nicht wäre, könnte (und müsste) man wohl vieles von dem streichen, was wir Mönche uns täglich auferlegen. Etwa das Ausmaß des Psalmensingens wäre deutlich zu reduzieren und erst recht das mitunter nervige Schweigen. Denn wir schweigen, um in eine innere Stille zu gelangen, in der Gottes Stimme eher zu hören ist. Dazu braucht es einen Gott, der die Stimme erheben kann. Das heißt zwar nicht, dass aus einer weltlichen Sicht alles Unsinn wäre, was wir tun. Aber ich gehe davon aus, dass auch ein christliches Leben außerhalb des Klosters in seiner Gesamtheit nur sinnvoll ist, wenn es Gott gibt. Wie aber können wir uns so sicher sein, dass das der Fall ist und dass Gott überhaupt etwas mit uns zu tun haben will? Dass wir relevant sind für Gott? Mir scheint, wirklich sicher sein kann man sich nie. Das habe ich aus Büchern von Charles Taylor gelernt, einem kanadischen Politikwissenschaftler und Philosophen, der sich ausführlich damit beschäftigt, wie der moderne Mensch tickt. Die moderne Existenz, wie er sie beschreibt, ist gerade durch die Hinterfragbarkeit aller grundlegenden Einsichten gekennzeichnet. Das gilt auch für den Glauben: Im modernen westlich-europäischen Kontext darf der Glaube hinterfragt werden – und wird es auch, wo er vorkommt –, fast immer und überall. Wenigstens die Tatsache, dass andere kritisch durchleuchten und bezweifeln können, was ich als Gewissheit in meinem Leben setze, wird im westlichen Kontext auf jeden Gläubigen zutreffen. Gegen ein Glauben, das Nachfragen ausschließen will, besteht zurecht Ideologieverdacht. Heißt das für eine Praxis, die sich auf das Glauben einlässt und handfeste Konsequenzen im Alltag daraus zieht, dass ich nur einübe, die Nachfragen auszublenden und zu vergessen? Sicher ist das eine Gefahr, und immer wieder tappen gerade religiöse Neuaufbrüche in diese Falle. Ich war aufrichtig erschüttert, als ich das erste Mal von den Missbrauchsvorwürfen gegen Jean Vanier hörte. Er war der Gründer der Arche-Gemeinschaften, deren Spiritualität und Alltag wesentlich gekennzeichnet ist durch das Zusammenleben »normaler« Menschen mit körperlich oder psychisch beeinträchtigten Menschen. Als ich davon erfuhr, war ich gerade in Minneapolis. Im Sculpture Garden des Walker Museums dort schwingt eine große Kirchenglocke ohne Klöppel, die mir ein Sinnbild für meine plötzlichen Zweifel an diesem großen Vorbild mitmenschlicher Zuwendung wurde. Eine Glocke, die so jäh verstummt – ist sie je wirklich erklungen? Waren Vaniers Schriften, die mich durchaus inspiriert hatten, Glocken, die schwingen, aber nicht klingen? Waren das Worte, die wohl erklangen, aber letztlich hohl und ohne Substanz gesprochen worden waren? War das Charisma echt, falls es sich doch wieder mit Vergehen gegen die verband, die eigentlich auf Schutz und auf seine Inspiration angewiesen waren? Charismatisch beschwingte Bewegungen sind immer in der Gefahr, die Nachfragen im Schwange der Begeisterung nicht mehr zu hören. Je mehr Beispiele ich für solche Zusammenhänge höre, umso lauter wird die Frage: Kann ich der Begeisterung überhaupt den Geist glauben, den sie behauptet, in sich zu tragen? Charles Taylor beobachtet ganz richtig, dass solches Hinterfragen ein Teil unseres Lebens ist. Die Fragen zu leugnen, ist bereits eine Form des Umgangs mit ihnen. Genauso, sie absolut zu setzen und daraus abzuleiten, dass sich das »Projekt Glauben« ohnehin nicht lohnt. Die Fragen sind da und pieken mich immer wieder mal in die Seite. Und wer wüsste nicht, wie nervig das sein kann, wenn einer oder etwas einfach keine Ruhe gibt. Fragen und Zweifel können ein regelrechtes Eigenleben entwickeln und sehr ermüden. Sie lassen sich aber nicht einfach ausschalten, will man nicht zum Naiven degenerieren. Es braucht also einen irgendwie angemessenen Umgang mit dem Zweifel, und gerade im Kontext des Glaubens ist das gar nicht so einfach. Vielleicht gibt es aber zwischen Überwältigung und Ignorieren eine dritte Variante: dass wir mit Unsicherheiten zu leben lernen. Dafür beten die Mönche in Münsterschwarzach regelmäßig in ihrem Mittagsgebet. Das Wirken Gottes in der Welt hier und jetzt nennen wir Christen den Heiligen Geist oder anders übersetzt: die Heilige Geistkraft. Diese Kraft wird als Feuersturm und Windhauch beschrieben. Beides sind nicht unmittelbar fassbare Phänomene. Doch obwohl der Geist sich nicht einfangen lässt, erkennen die Christen, dass er relevant ist. Sich auf die Heilige Geistkraft einzulassen, heißt, aushalten zu lernen, dass der Geist weht, wo er will: Als Christ kann man alles »richtig machen«, und dennoch stellt sich keine spirituelle Erfahrung ein. Das ist ganz normal. Wenn ich die Heilige Geistkraft als Person ernst nehme, heißt das, von ihr ein eigenes Handeln zu erwarten, das auf meinen Anruf reagiert – oder auch nicht. Man mag ergänzen: oder nicht gleich. Oder nicht auf die Art, wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist eine durchgetragene Intuition religiöser Menschen, dass Gott immer da ist und immer hört. Deswegen die Suche nach Denkformen, warum gerade jetzt, da ich rufe, nichts passiert. Was bleibt, steht aber in Spannung dazu. Es ist die Erfahrung, dass das Rufen zu Gott manchmal ohne Antwort bleibt. Dann kommt es darauf an, ob ich anderen glaube oder selbst eine Erfahrung gemacht habe, dass es überhaupt eine Instanz gibt, die antworten kann und das auch tut. Der Rest verschwimmt, und das auszuhalten, hat viel mit Erwachsenwerden zu tun. Einerseits habe ich als Erwachsener hoffentlich gelernt, erste Eindrücke und das bloße Bauch­gefühl nicht absolut zu setzen. Vernünftig agieren zu können setzt voraus, ersten Eindrücken auch zweite und dritte Gedanken gegenüberstellen zu können. Andererseits ist es auch unklug, innere Regungen auszublenden. Eine komplexe Entscheidung vorschnell gegen ein ungutes Bauchgefühl zu treffen, kann böse nach hinten losgehen. Hier liegt ein Bereich, den die meisten als sehr vage wahrnehmen, und trotz seiner fehlenden Präzision hat er Bedeutung. Es lohnt sich also, ein bisschen über Bauchgefühl und erste Eindrücke nachzudenken. Jede einzelne Erfahrung, die wir Menschen machen, ist mitgeprägt von einem guten oder einem unguten Bauchgefühl. Letztens im Urlaub habe ich das bei einem etwa dreijährigen Jungen beim Einkaufen mit seiner Mutter beobachtet. Da ist die Welt in einem Moment wie das Paradies und Mama, die dem kleinen Kerl erlaubt hat, den Einkaufswagen zu schieben, ist die Beste. Nur Augenblicke später hat es an der Supermarktkasse den gewünschten Schokoriegel nicht gegeben und Mama wurde flugs zum Inbegriff einer Ungerechtigkeit, die der kleine Racker zum Himmel schrie. Einmal nur für den Moment zu leben, kann ein Geschenk sein, gerade auf dem spirituellen Weg. Das Leben im Moment, wie es Kinder tun, kann aber auch heißen, dass die Welt – die ganze Welt – für diesen Moment die Hölle ist. Diesen wahrhaft anstrengenden Teil des Kindseins sollte man nicht unterschätzen. Um das himmelhohe Jauchzen nicht unrealistisch als Standard zu setzen und uns gleichzeitig von den Höllenmomenten nicht zu Tode betrüben zu lassen, braucht es zunächst die Entwicklung einer Affektkontrolle. Erst, wenn es mir nach und nach gelingt, momentane Affekte in ihrer Auswirkung zu zügeln, habe ich den nötigen Freiraum, mit ihnen umzugehen. Sie nehmen dann nicht mehr meine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag, sondern ein Teil meines Bewusstseins kann sich davon lösen. In diesem Bereich ergibt sich eine Möglichkeit, innerlich wie äußerlich zu handeln. Da ist eine Lücke, und innerhalb dieser Lücke kann ich etwas freier agieren. Affektkontrolle versetzt mich also in die Lage, zwischen mir und der Situation, die mir entgegenkommt, zu trennen. Ich kann eine innere Welt gegenüber der äußeren aufrechterhalten. Wenn ich lerne, dass mein Innenleben auch eine eigene Wirklichkeit bildet, erfasst die einzelne Situation mich nicht vollständig. Denn es bleibt immer etwas, das nicht in den Moment verstrickt ist. Es bleibt ein Rest an Gefühlswelt, der sich nicht nur aus der Situation ergibt, in der ich gerade stecke. Damit bildet sich auch eine Art von Standfestigkeit aus. Sie ermöglicht, den einzelnen Affekt einzuhegen: Dieser Moment ist nur ein Moment. Er wird auch wieder vorübergehen, und er macht nicht alles aus, was ich bin. Im Lauf unserer menschlichen Entwicklung lernen wir, verschiedene Erfahrungen – das heißt auch: verschiedene positive und negative Begleitemotionen – zu integrieren. Wenn diese Integration gelingt, entsteht nach und nach ein Netz von Erfahrungen, das sich zwischen den verschiedenen Momenten meines Lebens spannt. In dieses Netz kann ich neue Erfahrungen hineinknüpfen. Je komplexer es wird, desto komplexer werden auch die Knoten, die ich in der Lage bin zu knüpfen. Die einzelne...


Br. Wolfgang Sigler hat in Regensburg und Cambridge Jura studiert und das Rechtsreferendariat in Bayern mit dem Zweiten juristischen Staatsexamen abgeschlossen. Außerdem hat er den C-Abschluss als Kirchenmusiker und studiert Theologie in Frankfurt am Main.



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